Über Anne Roth

Schreibt ins Netz seit 1999 / Bis Dez. '23 Referentin für #Netzpolitik links im Bundestag / 2014 - 2017 Referentin im NSA-Untersuchungsausschuss / parteilos. Mehr über Anne Roth steht hier

Das Besondere an Stuttgart 21 (ist gar nicht so besonders)

Allüberall auf den Tannenspitzen seh ich die Frage blitzen, wieso ausgerechnet dieser Protest – der gegen Stuttgart 21 – soviel Wirbel macht. Dabei ist das gar nicht besonders überraschend. Die einfache Formel Protest + Krawall = Presse ist hier um die Faktoren ‚friedlich‚ beim Protest und ‚Gewalt eindeutig durch die Polizei‚ beim Krawall erweitert.

In Berlin fand am Wochenende der Kongreß Öffentlichkeit und Demokratie statt. Bei der Abschlussdiskussion sagte Dieter Rucht, Forscher zu Sozialen Bewegungen am WZB, sinngemäß, dass man die Frage stellen müsse, warum Stuttgart 21 eine solche Bedeutung habe (etwa Min. 44 im Video). Neben anderen Faktoren spielten die Medien eine Rolle („Medienhype“). An den Protesten gegen Hartz IV beispielsweise hätten sich viel mehr Leute beteiligt. Anfangs sei darüber auch interessiert berichtet worden, aber nach etwa eineinhalb Monaten habe die Berichterstattung die Richtung gewechselt. Plötzlich stand überall, dass die Proteste nachließen. Faktisch wuchsen sie noch, haben die Forscher empirisch nachgewiesen. Obwohl viele Hunderttausend gegen Hartz IV auf die Straße gegangen sind, hat sich Rot-Grün keinen Millimeter bewegt.

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netz:regeln mit Regelschmerzen

Referenten für netz:regeln, Screenshot am 28.9. gemacht von Christian SoederDie grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung hat sich einen ziemlichen Faux-Pas geleistet. Sie organisiert am 9. Oktober eine netzpolitische Veranstaltung, „netz:regeln. Chancen und Risiken künftiger Netzregulierung“. Als ich sie Mittwoch nacht fand, war unter den 21 eingeplanten Referenten nicht eine Frau. Auch drei oder vier wären für eine Stiftung, die Gender ganz groß im Image trägt, ziemlich peinlich. Aber gar keine?

Es gibt zwei Websites zur Veranstaltung: die bei der Böll-Stiftung selber, und eine mixxt-Community. Bei letzterer stand eine Frau auf der Liste.

Mir stellt sich mal wieder die Frage: Wie kann denn sowas passieren?

Natürlich gibt es ausreichend Frauen, die zu den Themen etwas sagen können. Sicher weniger als Männer, aber auf jeden Fall genug, um so ein Tagesseminar zu füllen. Falls doch mal eine Lücke entsteht, gibt es diese praktische Website: geekspeakr.com – connecting tech women speakers with event organizers.

Der grüne Blogger Till Westermayer schrieb fassungslos, was wahrscheinlich viele dachten: Ach, Böll-Stiftung! Weil er

die Böll-Stiftung bisher – als Stipendiat, aber auch als Mitorganisator von Veranstaltungen – als eine Organisation erlebt habe, die Gender und Diversity einen extrem hohen Stellenwert einräumt.

Eben.Bei der Adenauer-Stiftung hätte micht das nicht so geschockt, obwohl es auch da einen Kommentar wert gewesen wäre.

Christian Soeder hat in weiser Voraussicht von dem Debakel einen Screenshot gemacht und in seinem Blog rotstehtunsgut.de (aus „gesunder sozialdemokratischer Perspektive“) veröffentlicht (zu sehen oben). In den Kommentaren dazu wird dann die Frage gestellt, ob die (SPD-nahe) Friedrich-Ebert-Stiftung das besser könnte – Quod erat demonstrandum, würde ich sagen.

Einen Tag später waren mehr Frauen im Programm aufgetaucht, aktuell sind es 5 von 30 ReferentInnen.

Ganz nebenbei würde mich übrigens noch interessieren, wieso die Böll-Stiftung sowas ausgerechnet gemeinsam mit der Bitkom (dem Interessenverband der IT-Unternehmen) veranstaltet? Und welche Chancen der Netzregulierung?

Lügendetektoren zur Flüchtlingsabwehr

Schlimmer geht immer.

Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche ist ein Team des National Center for Border Security and Immigration Research der University of Arizona in Polen, um dort den Grenzpolizeien der 27 EU-Länder sein ‚Flagschiff-Forschungsprojekt‘ vorzustellen: Einen Lügendetektor, der Frontex bei der Suche nach ‚illegalen‘ Flüchtlingen helfen soll. (Arizona Daily Star, 14.9.10)

Dass es quasi gar nicht mehr möglich ist, als Flüchtling legal einzureisen, interessiert dabei naturgemäß überhaupt nicht.

Praktisch soll das so aussehen: ein Avatar mit integrierter Software (Intelligenter Agent) stellt Fragen und dabei werden verschiedene Instrumente z.B. Puls, Blutdruck, Zucken der Augenlider und Augenbewegungen überwachen und auswerten. Die ForscherInnen haben mehr als 300 Reaktionsformen getestet, darunter Stimme, Sprache, Herz- und Augenreaktionen, Veränderungen der Körpertemperatur. Programmmanager Riley McIsaac würde den ‚Avatar Kiosk‘ gern schon nächstes Jahr in Flughäfen und Häfen testen.

Das ‚Nationale Grenzschutz- und Einwanderungsforschungszentrum‘ der Uni Arizona gibt es seit 2008. Gemeinsam mit der Partner-Universität El Paso/Texas leitet es ein Konsortium von 14 Forschungseinrichtungen, die über sechs Jahre insg. 16 Mio. US-Dollar vom Dept. of Homeland Security für die Forschung bekommen.

Das Grenschutzzentrum ist Finalist in der Ausschreibung ‚Innovator des Jahres‘ in der Kagegorie ‚Wissenschaft‘ des Governors von Arizona.

Vier Monate für Facebook-Freundschaft

Oder: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern..

Der Tierrechtsaktivist Rod Coronado wurde Anfang August in den USA zu weiteren vier Monaten Gefängnis verurteilt. Mit dem Akzeptieren einer Facebook-Freundschaftsanfrage habe er gegen seine Bewährungsauflagen vertoßen.

Rod Coronado (*1966) ist mehrmals im Kontext Tierrechte verurteilt worden, u.a. für die gewaltfreie Störung von Berglöwen-Jagden, Freilassung von Versuchstieren, Zerstörung einer Tierversuchsforschungseinrichtung und zuletzt für eine öffentliche Veranstaltung, bei der er sehr allgemein erklärt haben soll, wie Brandsätze hergestellt werden. Diese letzte Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wird in die sog. Greenscare– Verfolgungswelle von Tierrechtsaktivisten unter dem Label Öko-Terrorismus eingeordnet.

Ebenfalls in die Biografie von Rod Coronado gehört das Versenken zweier Schiffe der isländischen Walflotte als Mitglied der NGO Sea Shepherd.

Rod Coronado hat sich bereits 2006 von der Anwendung von Gewalt distanziert.

Die Facebook-Anfrage, die ihm jetzt zum Verhängnis wurde, kam vom ehemaligen Vorsitzenden von Greenpeace USA und Earth First! Gründungsmitglied Mike Roselle. Facebook oder allgemein Soziale Netzwerke wurde explizit in den Bewährungsauflagen gar nicht erwähnt. Vorgeworfen wurden ihm nicht erlaubte Kontakte und die Benutzung eines öffentlichen Computers (was, wenn ich es richtig versehe, vorher hätte explizit genehmigt werden müssen).

Ob sein Facebook-Profil explizit überwacht wurde, ist anscheinend im Verfahren nicht deutlich geworden. Klar ist aber, dass der eine Klick zum Akzeptieren der Freundschaft ausreichte. Ob Rod Coronado Mike Roselle jemals persönlich getroffen hat, ist nicht bekannt.

Der Verfassungsschutz ist neutral

Gesehen beim Tag der Offenen Tür einer Berliner Grundschule 2010

Gesehen beim Tag der Offenen Tür einer Berliner Grundschule 2010

Das Leben schreibt Geschichten, die würde ich nicht wagen auszudenken. In Niedersachsen soll demnächst der Verfassungsschutz den Schülerinnen und Schülern beibrigen, was Demokratie ist, kündigte vor 10 Tagen Innenminister Schünemann an. Auf die konsternierte Frage des Hamburger Abendblatts, ob ein Geheimdienst hier die beste Wahl sei, sagt der Minister:

Da gibt es keinen Widerspruch, der Verfassungsschutz ist neutral und auf keinem Auge blind.

Das wird in Niedersachsen alle Kinder und Jugendlichen zwischen 9 und 17 Jahren betreffen.

Für die Grundschule gibt es künftig eine vom Verfassungsschutz entwickelte Grundrechtefibel, „um frühzeitig einen Beitrag zur Demokratieerziehung zu leisten“. Für die Klasse 7 folgen dann die „Andi-Comics“ zu den Themen Islamismus, Rechts- und Linksextremismus. Das Ziel hier: „Wir wollen damit den wachsenden Anstrengungen von Extremisten entgegenwirken, Jugendliche zu indoktrinieren.“ Und in der 10. Klasse wird ein Planspiel „Demokratie und Extremismus“ angeboten. Da geht es dann um einen von Rechtsextremisten angemeldeten Trauermarsch oder die Ankündigung von Islamisten, eine Moschee errichten zu wollen. (Hamburger Abendblatt, 14.9.10)

Zu den Andi-Comics gab es hier Anfang des Jahres schon etwas zu lesen. Das probate Gegenmittel ist Mandi, eine Broschüre, die auch für Schulen oder Jugendclubs bestellt werden kann. Und natürlich der Andi Remix Wettbewerb.

Qualifiziert über Wikipedia reden

Poster der Wikipedia-Konferenz Critical Point of View in AmsterdamIch habe am Sonntag das Vergnügen, mich mit Geert Lovink, Thomas König, Mathias Schindler und Anja Krieger öffentlich über Wikipedia unterhalten zu können, im Rahmen der „Wikipedia: Ein kritischer Standpunkt“ in Leipzig.

Damit das möglichst qualifizert passiert, setze ich auf Crowd-Sourcing, also Eure Meinung:

Was gibt es zu Wikipedia noch zu sagen? Zu kritisieren? Zu loben? Funktioniert das Verhältnis Eigener Anspruch – Praktische Realität? Welche Relevanz haben Konflikte zwischen den Beteiligten bzw. zwischen UserInnen und Aktiven für das Projekt Wikipedia? Welche Bedeutung haben die Arbeitsstrukturen für das Funktionieren? Ich interessiere mich auch für konkrete Beispiele, die die selbsterklärte ‚Objektivität‘ oder ‚Neutralität‘ ad absurdum führen, mit der ich erklärtermaßen meine Schwierigkeiten habe.Und natürlich Punkte, die hier nicht extra aufgeführt sind.

Bitte wascht hier keine dreckige Wäsche, das ist für alle Nichtbeteiligten auf jeden Fall sinnlos und unerfreulich. Kurze!, mit Fakten bzw. Beispielen angereicherte Argumente wären mir am hilfreichsten.

Aus der Ankündigung: Weiterlesen

Die Zeitschrift als Waffe. Mehr Durchsuchungen in Berlin.

Against Banned Books Am Freitag gab es Durchsuchungen in Berlin, die mittlerweile sowas wie Tradition haben. Es wurden „vier Buchläden der linken Szene durchsucht„. Weil dort Exemplare der illegalen Zeitschrift Interim vermutet wurden, und darin aktuell „zu militanten Aktionen gegen die Feiern zum Einheitstag am 3. Oktober in Bremen aufgerufen“ werde (Berliner Zeitung). Den bewussten Aufruf gibt es seit Ende August auch online, ohne dass meines Wissens bisher gegen die betreffenden Websites vorgegangen worden wäre.

Ich halte das für ein Thema, dass alle die interessieren sollte, die etwas gegen Zensur im Netz haben – denn hier geht es um die Verfolgung der ‚Offline-Provider‘, der Buchhändler.

Tradition haben die Durchsuchungen, denn:

Innerhalb des letzten Jahres wurden die Läden von Schwarze Risse fünfmal, der Infoladen M99 viermal und der Buchladen oh21 und der Antifa-Laden Fusion/Red Stuff zweimal durchsucht. Weiterhin kam es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen der Zeitschrift Prisma zu einer Hausdurchsuchung beim Domaininhaber der Internetseite projektwerkstatt.de und in Folge der staatlichen Repression zur vorübergehenden Abschaltung der Internetseite durch den Provider JPBerlin. (Aus einem gemeinsamen Text der betroffenen Buchläden)

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Buugle – Die totale Innere Sicherheit

Der neue Clip von Alexander Lehmann über verschiedene Überwachungsprojekte der Bundesregierung ist eine wesentlich intelligentere Methode, sich mit Google auseinanderzusetzen:

Buuble gibt es auch bei Extra 3/NDR zu sehen, sogar mit CC-Lizenz und Download-Option, aber ohne die Zusatzinformationen, die Alexander Lehmann bei YouTube dazugeschrieben hat, deshalb gibt’s die hier nochmal:
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Kontraste über Polizeigewalt

Das RBB-Magazin Kontraste hat diese Woche eine Beitrag zu Polizeigewalt gebracht. Leider ging es nur um ein Einzelbeispiel, ohne dass daraus irgendein Schluss für die Gesamtsituation gezogen worden wäre. Genau genommen wird eigentlich gar nicht kommentiert. Schade, Chance verpasst.

Aber immerhin, das Einzelbeispiel hat es in sich, gut recherchert:

Den ganze Beitrag auch als Text: Missbrauch des Gewaltmonopols – Wenn Polizisten prügeln

Google-Tech in fremden GMail-Accounts erwischt

Die Crème de la Crème deutscher Netz-Interessierter hat sich ja mittlerweile darauf verständigt, dass es nicht cool ist, Google zu dissen. Vor allem, weil dumme PolitikerInnen/JournalistInnen/Nicht-Netzinteressierte (früher sagte man DAU) seit Streetview Google doof finden, und von denen wollen wir uns ja absetzen. Was ich persönlich dumm finde, weil ja eigentlich nicht schlecht ist, wenn Datenschutz mehrheitsfähig wird, auch wenn die Feindbilder ein bisschen genauer bestimmt werden könnten.

Wie dem auch sei. Angesichts einer heute bei Googling Google, Blog bei ZDNet, erschienenen Meldung fällt mir schwer, dem Trend zu folgen:

Zum wiederholten Mal sind Google-Techies dabei erwischt worden, als sie sich in Mail-Accounts anderer Leute umgeguckt hatten. Bei einem am Dienstag bekannt gewordenen Fall ging es um Jugendliche. Und er hat nicht nur nachgeguckt, was sie machen, sondern die Informationen aus den Mail-Accounts benutzt, um die Teenager zu belästigen.

Selbstverständlich, eine GANZ große Ausnahme. Die meisten Admins solcher kommerziellen  Mail-Provider würden das nie tun, die haben ja ein tiefes Verständnis von Datenschutz, Privatsphäre und wissen, was für ein enormer Vertrauensbruch das wäre. Aber: sie können es alle das können viele. Und bei Google finden sie dann eben ganz besonders viele Informationen über die jeweiligen UserInnen.

Bild: sonicbloom/Flickr, CC-Lizenz