Feminismus und Zensur: Beispiele gesucht

Pussy_Riot_284_190Ich würde gern einen Beitrag zu einer Konferenz crowdsourcen, bei der ich nächste Woche in Warschau bin: Censorship, Democracy, Gender. Feminist critiques and resistances. Mit Pussy Riot und vielen anderen spannenden Leuten, die ich noch kennenlernen muss.

Eine großartige Themen-Kombination. Ich sitze auf einem Panel konkret zu Zensur, Politik und Medien und suche jetzt nach guten Beispielen für Fälle, bei denen feministischen Medien, Blogs, Zeitschriften, Fernseh- oder Radiosendungen von Zensur betroffen waren (oder sind).

Zensur ist ja bekanntlich mehr als das grobe staatliche Verbieten von irgendwas (aber das auch). Meine unspektakuläre These wäre, dass Zensur von feministischen Medien oft subtiler daher kommt und ich bin sicher, dass es dafür gute Beispiele gibt: kennt Ihr welche? Bitte schreibt sie in die Kommentare, ein einfacher Link reicht auch. Oder per Mail an annalist (bei) riseup (pkt) net.

Genauso interessieren mich Texte über das Phänomen, von theoretisch-akademisch bis ganz deskriptiv.

Oder Filme, Podcasts… wenn es welche gibt? Sehr gern auch aus dem nicht-deutschsprachigen Raum.

Worüber ich schon länger immer mal rede und schreibe ist die Frage, wie es kommt, dass die bekannten und ‚wichtigen‘ Blogger hierzulande ausnahmslos Männer sind. Mit der Abnahme der medialen Bedeutung der Blogs an sich spielt das nicht mehr so die Rolle, wird aber natürlich weiter tradiert und bewegt sich als Bild im Grunde nicht mehr groß.

Und hier hätte ich eine Frage an die Blogger und Bloggerinnen der ersten Stunde: wie kam es eigentlich dazu, dass die Bedeutung von Blogs in der Menge der Verlinkungen untereinander gemessen wurde?

Das war bspw. zentrales Kriterium für die Deutschen Blogcharts, aber auch Rivva oder Technorati, wenn ich mich richtig erinnere. Ein scheinbar neutral-technischer Maßstab – nur dass Technik immer ausgedacht wird und in diesem Fall ja auch andere Kriterien möglich gewesen wären. Wenig überraschend ist meine These, dass diese Form, Bedeutung zu messen, das Äquivalent zu den althergebrachten Seilschaften ist. Wer erinnert sich daran, wie es dazu kam? Standen anfangs Alternativen im Raum? Ich glaube nicht, dass diese (technische) Struktur absichtlich mit dem Ziel des Ausschlusses von irgendwem entwickelt wurde. Aber umso interessanter ist doch, wie es dazu kam.

Falls diese Überlegung auch auf die Welt jenseits der Blogosphäre übertragbar wäre: umso besser.

Aber erstmal reichen auch die Geschichten.

Danke!

 

Foto: Denis Bochkarev Creative Commons Licence 3.0

Verbieten! Verbieten? Guardian analysiert Riot-Tweets

Der Guardian und dessen konkurrenzlose Daten-Journalismus-Abteilung, haben 2,5 Mio. Tweets ausgewertet, die im Zusammenhang mit den Krawallen in England entstanden sind.

Premierminister David Cameron hatte nach den Auseinandersetzungen gefordert, dass Krawall-Verdächtigen die Nutzung Sozialer Netzwerke verboten werden soll, weil die Krawalle mithilfe der Netzwerke geplant worden seien. Die Londoner Polizei wollte die Netzwerke sogar komplett abschalten. Das war vielfach kritisiert worden, auch weil der Unterschied zu den Internet-Zensur-Maßnahmen mehrerer nordafrikanischer Regierungen während der Revolten dort nicht mehr erkennbar ist. Die ja auch von vielen EU-Regierungen als undemokratisch bezeichnet worden waren.

Der Guardian hat jetzt grafisch aufbereitet, dass die Tweets, die sich auf die Auseinandersetzungen in den verschiedenen Städten und Londoner Stadtteilen bezogen, in ihrere großen Mehrheit jeweils nach den Krawallen entstanden sind. Der Artikel dazu: Reading the riots: Twitter study casts doubts on ministers‘ post-riot plan.

Bedenkenswert finde ich den Einwand von Andreas Zottmann, dass die Tweets auch inhaltlich analyisert werden müssten, weil jeder Graph zu Ereignissen so aussähe (dass also die Mehrzahl der Tweets dazu hinterher geschrieben werden). Schade, dass der Guardian das nicht genauer erklärt, denn der Artikel geht auf der anderen Seite durchaus darauf ein, dass erkennbar sei, wie die Aufräumarbeiten jeweils vorher koordiniert worden seien.

Gut zum Thema ‚Medien verbieten‘ passt auch der bericht des ZDF-Magazins Zapp „Politiker und die Angst vor dem Internet„. Viel Vergnügen!

http://www.youtube.com/watch?v=GeRYIWqfd4U

Internetsperren vom Tisch

Falls es irgendwer noch nicht gehört haben sollte: die Bundesregierung hat mal eben, über Nacht, das Projekt Internetsperren gekippt. Also die vielfach durch den Kakao gezogenen ‚Stopp-Schilder‘ vor Websites, auf denen Vergewaltigungen von Kindern dargestellt werden.

Ich würde mich nicht dazu versteigen zu behaupten, die Einsicht habe sich durchgesetzt, dass es doch sinnvoller ist, solche Website komplett zu löschen, aber – Tusch! – gewonnen haben wir doch.

Und „Wir“ ist hier übrigens nicht die FDP, auch wenn das in den Qualitätsmedien so aussieht. Wir ist diese neuartige soziale Bewegung, die zu heterogen ist, um mit einem Adjektiv beschrieben werden zu können. ‚Netzpolitisch‘ ist jedenfalls nicht falsch. Ein großer Blumenstrauß geht an die AktivistInnen des AK Zensur. Welche andere Bewegung hat in so kurzer Zeit mehrere Herzensangelegenheiten der jeweiligen Bundesregierung abserviert?

Es war nicht wirklich damit zu rechnen, dass die halbtote FDP sich jetzt gerade mit irgendwas gegen die Union durchsetzt. Umso interessanter die Frage, was sie dafür eingetauscht hat, ihr Image als Bürgerrechtspartei ein bisschen poliert zu haben. Der neue Innenminister, dessen Namen wir noch nicht richtig können, wird das nicht auf sich sitzen lassen.

Mit zum Paket gehört wohl die Visa-Warndatei – Flüchtlinge und die, die ihnen helfen, haben eine kleinere Lobby als der Datenschutz. Gut beschrieben ist das in Warum die Visa-Warndatei eine Schweinerei ist von Metronaut.

Noch lesenwert zum Thema:

netzpolitik.org: Kommentar: Netzsperren sind erstmal beerdigt

Torsten Kleinz weist darauf hin, dass das die Entscheidung nicht nur Anlass zur Freude ist, sondern Drei verpasste Jahre im Kampf gegen die Vergewaltigung von Kindern.

Die Datenvisualisierung So you still think the internet ist free…

 

Na also: Verfahren gegen Berliner Buchhändler eingestellt

Am zweiten Verhandlungstag wurde das Verfahren gegen Berliner Buchhändler eingestellt, die mittels bedruckten Papiers u.a. gegen das Waffengesetz verstoßen haben sollen. Details siehe Die Zeitschrift als Waffe. Mehr Durchsuchungen in Berlin. und Offline-Zensur – Prozessbeginn gegen linke BuchhändlerInnen.

Die Pressemitteilung der Initiative unzensiert.lesen:

Viel Lärm um nichts?!

Erstes Strafverfahren gegen Berliner Buchhändler eingestellt

Nach Durchsuchungen im Buchladen mit großem Polizeiaufgebot und der  Anwendung verschärfter Sicherheitsmaßnahmen im Gerichtsverfahren auf die  Prozessbesucher, wurde das erste Strafverfahren gegen den  Geschäftsführer des Kreuzberger Buchladens oh21 am zweiten  Verhandlungstag sang- und klanglos eingestellt. Selbst die Berliner  Staatsanwaltschaft musste einsehen, dass die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Anklage lieferte.

Die Anklageschrift gegen den Geschäftsführer lautete auf „Beihilfe zu  Anleitung zu Straftaten“ und „Verstoß gegen das Waffengesetz“.  Hintergrund der Gerichtsverhandlung ist eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen drei Berliner Buchhandlungen und  Infoläden, die seit 2009 mehrfach von polizeilichen Durchsuchungen betroffen waren. Die Berliner Staatsanwaltschaft strebt mit den Verfahren an, die Buchhändler für die Inhalte von Flugblättern und  Zeitschriften verantwortlich zu machen, die in ihren Läden ausliegen.

Sollte sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Position durchsetzen, könnten in Zukunft alle Buchhändler, Kneipenbesitzer oder Ladenbetreiber für die bei ihnen ausliegenden Flyer, Aufrufe und Zeitschriften haftbar gemacht werden. Man würde von ihnen verlangen, sich zur vorgeschalteten Zensursintanz staatlicher Behörden zu machen.

Der Ausgang des ersten Verfahrens hat nun gezeigt, dass die Staatsanwaltschaft mit diesem Anliegen nicht so einfach durchkommt. Die nun erfolgte Einstellung könnte auch richtungsweisend für die weiteren Verfahren sein.

Weitere Informationen unter www.unzensiert-lesen.de

5 vor 12 – Internet-Sperren 2.0 vor der Ratifizierung

Von den meisten unbemerkt findet gerade das Ratifizierungsverfahren des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages statt (nach dreimal laut Vorlesen  konnte ich es auswendig sagen). Kurz JMStV. Ein Staatsvertrag ist in Deutschland ein Vertrag, der von den MinisterpräsidentInnen der Bundesländer ausgehandelt und dann von den Länderparlamenten ratifiziert wird. Er soll im Januar in Kraft treten und wird gerade in den Ländern abgestimmt.

Mit einem beliebten billigen Trick wird hier ein Gesetz (das ist es dann nämlich) durchgepaukt: Unter dem Vorwand, angeblich Schwache vor dem Bösen zu beschützen (siehe Kinderpornografie & Internet-Sperren, unterdrückte Frauen & Taliban in Afghanistan etc.) wird gerade eine – stark vereinfacht – neue Form der Zensur eingeführt. Zu den Details steht unten mehr. Die Bundesländer, die noch abstimmen müssen sind:

vsl. 7./8. Dezember: Saarland (Anhörung am 02. Dezember)
vsl. 9. Dezember: Berlin
vsl. 14.-16. Dezember: Bayern, Brandenburg
vsl. 14.-17. Dezember: Sachsen, Schleswig-Holstein
vsl. 15.-16. Dezember: Nordrhein-Westfalen
15. Dezember: Mecklenburg-Vorpommern
(recherchiert von J.-O. Schäfers für Netzpolitik.org)

Es sind also mehr oder weniger alle Parteien involviert, da wir es hier mit allen möglichen Konstellationen zu tun haben. Letzte Woche gab es einen Offenen Brief an die SPD in Nordrhein-Westfalen (rot-grüne Regierung mit Tolerierung durch die Linke). Als ich gefragt wurde, ob ich mitunterschreibe, wollte ich mehr wissen, habe ich das Kuddelmuddel der Parteieninteressen gefürchtet, habe ich zu lange gezögert.Zum Glück gab es viele andere.

Heute habe ich einen Offenen Brief an die Abgeordneten in Berlin mit unterzeichnet (s.u.) mit der Aufforderung, die geplante Zustimmung zu verweigern. Der hat weniger Unterschriften, weil es noch schneller gehen musste. Die SPD ist für den Vertrag, Grüne in NRW und Linke in Berlin winden sich in Schmerzen im Koalitionszwang. Können aber nicht Nein sagen.

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Die Zeitschrift als Waffe. Mehr Durchsuchungen in Berlin.

Against Banned Books Am Freitag gab es Durchsuchungen in Berlin, die mittlerweile sowas wie Tradition haben. Es wurden „vier Buchläden der linken Szene durchsucht„. Weil dort Exemplare der illegalen Zeitschrift Interim vermutet wurden, und darin aktuell „zu militanten Aktionen gegen die Feiern zum Einheitstag am 3. Oktober in Bremen aufgerufen“ werde (Berliner Zeitung). Den bewussten Aufruf gibt es seit Ende August auch online, ohne dass meines Wissens bisher gegen die betreffenden Websites vorgegangen worden wäre.

Ich halte das für ein Thema, dass alle die interessieren sollte, die etwas gegen Zensur im Netz haben – denn hier geht es um die Verfolgung der ‚Offline-Provider‘, der Buchhändler.

Tradition haben die Durchsuchungen, denn:

Innerhalb des letzten Jahres wurden die Läden von Schwarze Risse fünfmal, der Infoladen M99 viermal und der Buchladen oh21 und der Antifa-Laden Fusion/Red Stuff zweimal durchsucht. Weiterhin kam es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen der Zeitschrift Prisma zu einer Hausdurchsuchung beim Domaininhaber der Internetseite projektwerkstatt.de und in Folge der staatlichen Repression zur vorübergehenden Abschaltung der Internetseite durch den Provider JPBerlin. (Aus einem gemeinsamen Text der betroffenen Buchläden)

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