Sachsen-Gate weitet sich aus

+++ Work in progress +++ wird aktualisiert +++

Update 3, 27.6.

Nachdem die Geschichte nun in wirklich allen Nachrichten war, erhebe ich nicht annähernd Anspruch auf umfassende Information, weil das ja wirklich nicht mehr nötig ist.

Update 2, 26.6.:

 

Update 1, 24.6.:

Die sächsische Landesregierung hat den Sonderbericht vorgestellt und erkennt eine rechtsstaatliche Grundlage der Handy-Daten-Überwachung. Dazu wird mittlerweile ein „versuchter Totschlag“ auf einen Polizisten bemüht. Es geht nicht mehr ’nur‘ um 138.000, sondern um weitere 896.000 Handy-Datensätze, also über eine Million. Letztere wurden im Zusammenhang mit dem sächsischen §129-Verfahren gegen Antifas eingesammelt. (MDR)

Die taz spitzt noch ein bisschen zu: Offenbar ganz Dresden überwacht. Die Überwachung betraf nicht nur, wie zuerst angeommen, die Dresdener Südstadt. Ministerpräsident Tillich hat eine Stelle in der Angelegenheit gefunden, bei der er auch Fehler einräumt – wirkt ja auch besser:

Die Daten hätten zudem nicht bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz verwendet werden dürfen. …  Mit einer Bundesratsinitiative will sie (die Landesregierung) den unklaren Rechtsbegriff der „erheblichen Straftat“ nach Paragraf 100 g der Strafprozessordnung präzisieren, der eine solche umfangreiche Datenerfassung rechtfertigte.

Das Thema wird am Mittwoch den Bundestag beschäftigen.

Ganz großartig Constanze Kurz in der FAZ: Teheran, Damaskus, Minsk – Dresden. Darin erinnert sie an folgendes:

.. es ging nicht um Revolten, es ging vielmehr um eine von dutzenden Initiativen, Vereinen und Parteien getragene, geradezu zivilgesellschaftlich vorbildliche Demonstration gegen Rechtsradikale, die durch die Stadt ziehen wollten.

Sie erwähnt den immer gern als Schutz der Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen hochgehaltenen Richtervorbehalt, der hier original keine Funktion hatte. Außerdem geht es darum, warum sowas tatsächlich passiert:

2008 beschaffte die sächsische Polizei für mehrere Millionen Euro eine solche Software, die sie harmlos „elektronisches Fall-Analyse-System“ nennt. … Die teure Software will nun natürlich gerechtfertigt und gefüttert werden, schließlich hätten von dem Geld auch Polizeibeamte bezahlt und ausgerüstet werden können.

Und warnt:

Die Dresdner Datengier liefert einen präzisen Vorgeschmack auf das, was zum Alltag in Ermittlungsbehörden wird, falls der politische Zombie Vorratsdatenspeicherung wiederaufersteht, wie es CDU und SPD weiterhin ohne kriminologisch glaubwürdige Begründung fordern.

Dann gibt es den Bericht der sächsischen Innen- und Justizministerien (pdf)


Der sächsische Überwachungs-Skandal nimmt Formen an. Weil eh überall berichtet wird, ein paar kommentierte Links:

Der Freitag hat den Anfang der Geschichte ausgegraben:

Bekannt geworden war die Spähaktion durch den Bochumer Kreissprecher der Linken, Christian Leye. Gegen den wird wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht ermittelt – die Einsicht in seine Akte erfuhr Leye von der mehrstündigen und flächendeckenden Datenüberwachung. Es hätten sich darin „Angaben über sämtliche am 19. Februar im Zeitraum von 13.30 Uhr bis 17.30 Uhr von meinen Handy ein- und abgegangenen Anrufe und SMS-Mitteilungen“ gefunden, so Leye.

Dort wird auch beschrieben, wie die Busfahrer der Gegendemo-TeilnehmerInnen zu Hilfs-Spitzeln gemacht wurden.

Die Firmen sollten einen Fragebogen der Polizei beantworten, der Angaben zu den Personaldaten der Fahrer ebenso verlangte wie Auskünfte über Zahlungsmodalitäten, Mietverträge und die Kopien der Ausweise der jeweiligen Anmieter. … Damit nicht genug: Die Polizei interessierte sich auch für die Kontakte von Fahrgästen in den Pausen, Gesprächsinhalte sowie die detaillierten Tages- und Streckenabläufe.

Das Neue Deutschland berichtet, dass die Zahl der Datensätze inzwischen von 138.ooo auf 800.000, bei 17.000 betroffenen Personen gestiegen ist (Wievielen Menschen leben in Sachsen?)

Auf die sächsischen Gerichte rollt eine Klagewelle zu: Klagen wollen

Das Bündnis Dresden-Nazifrei ruft im Rahmen der Kampagne gegen den Datenskandal alle potentiell Betroffenen dazu auf, Auskunft über möglicher Speicherung der eigenen Daten zu bentragen (dort gibt es die nötigen Formulare). Damit sind insbesondere auch AnwohnerInnen gemeint, die gar nicht bei der Demo waren.

Die Linke im Landtag hat eine Untersuchungskommission beantragt, für die der ehemalie Bundesinnenminister Gerhart Baum im Gespräch ist.

Heute fand in Berlin eine Pressekonferenz statt, bei der folgende markante Dinge gesagt wurden:

Albrecht Schröter (Oberbürgermeister von Jena / SPD):

„Wir sind nicht in der DDR auf die Straße gegangen, um jetzt in einem Staat zu leben, wo so etwas möglich ist. Was da in Dresden passiert ist, war Rechtsbeugung. Ich werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen um das feststellen zu lassen.“

Ringo Bischoff (ver.di Bundesjugendsekretär):

„Das schweißt uns zusammen. Wir bleiben Teil des Bündnisses und werden weiterhin gegen Naziaufmärsche protestieren. Ziviler Ungehorsam ist dafür ein legitimes und erfolgreiches Mittel.“

Henning Obens (Interventionistische Linke):

„Kollektiver Regelübertretungen der BürgerInnen haben sich seit Heiligendamm 2007 etabliert. Es existiert eine neue Kultur der Zusammenarbeit und Konfliktbereitschaft, die auch die Erfolge von Dresden ermöglichten. Polizeigewalt und frivoler Rechtsbruch zeigen nur, dass die staatlichen Stellen nur repressive Antworten auf diese Herausforderung haben. Das hat sich in Stuttgart, Dresden und bei den Castortransporten gezeigt. Wir werden die Nazis weiter blockieren.“

Konstantin Wecker (Liedermacher):

„Entscheidend ist: Wie geht die Demokratie mit den Menschen um, die sich nicht nur empören, sondern Widerstand dort leisten, wo es nötig ist? Wir sollten uns das nicht bieten lassen. Ich rufe zu Spenden für das Bündnis Dresden-Nazifrei auf, damit der Rechtsstreit finanziert werden kann.“

Radio Corax hat Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, befragt:

Und schließlich hat sich auch Anonymous geäußert:

Die Parallelwelt der InnenpolitikerInnen trifft sich derweil in Frankfurt/Main. Die Polizeigewerkschaft frohlockt: Innenminister setzen richtige Akzente. Kampf gegen Linksextremismus muss endlich ernst genommen werden

Moe Hierlmeier ist tot

Moe Hierlmeier ist tot. Er ist letzten Freitag an einem Herzinfarkt gestorben. Es macht mich traurig. Persönlich und auch, weil uns politisch jemand verloren gegangen ist, der wichtig war. Ich habe Moe im Rahmen des Buko (jetzt: der Buko) kennengelernt, als unglaublich witzigen, lebenslustigen und klugen Menschen. Menschen wie ihn brauchen wir so dringend, um nicht zu vergessen, dass es eine Alternative gibt zwischen dem Aufgeben vor den scheinbar nicht zu ändernden Verhältnissen und dem Sich-Verlieren in vor allem mit sich selbst beschäftigten politischen Blasen. Moe hat mir mal erzählt, dass er Hauptschullehrer war, gern und aus Überzeugung. Damit allein hat er wahrscheinlich mehr geändert als viele andere. In Erinnerung bleiben wird mir sein lautes, unüberhörbares Gelächter.

 

Ein Nachruf seiner politischen WegbegleiterInnen:

Radikaler Internationalismus

Moe Hierlmeier ist tot

Dass Moe nicht mehr da sein soll, ist für uns noch nicht zu begreifen. In seiner typisch ironischen Art schrieb er noch im Frühling, nachdem wir uns länger nicht gesehen hatten: „Sollen wir uns in diesem Leben noch mal treffen?“ Kürzlich in Nürnberg erzählte er von den Entwicklungen in der Interventionistischen Linken, wir sprachen über die BUKO und er skizzierte sein Projekt, angeregt durch die Lektüre von Rancière, Badiou und Zizek sowie durch das Kommunismus-Buch seines engen politischen Freundes Thomas Seibert mittelfristig und ohne Zeitdruck ein Buch zum Thema politisches Ereignis zu verfassen. Seine späte und nicht bereute Entscheidung, Hauptschullehrer in Nürnberg zu werden, hat ihm für solche Projekte weniger Zeit gelassen, was ihn nicht daran hinderte, sie mit Nachdruck zu verfolgen.

Gerade hatten Franziska und Moe Renovierung und Ausbau ihrer Wohnung abgeschlossen. Beim kürzlichen Treffen zeigte er froh den Sessel, auf dem er zum Lesen, Denken und Schreiben kommt. Den enorm dichten Rhythmus früherer Tage ? fast jedes Wochenende in politischen Dingen unterwegs, mehrere Tageszeitungen lesend, die radikal-linke Literatur sowieso, sich nie um organisatorische Aufgaben drückend – wollte er so nicht mehr halten. Und dennoch war er dort, wo er sich engagierte, menschlich, organisatorisch und inhaltlich-strategisch immer ein Aktivposten.

1959 geboren und in Schierling aufgewachsen, wollte Moe zuerst Priester werden, trat dann mangels Alternativen auf dem Land der Jungen Union bei und wurde in den 1970er Jahren zum Linken. Nach seinem Umzug nach Nürnberg engagierte er sich in der Anti-AKW- Bewegung, in der Mobilisierung gegen die Massenverhaftungen im KOMM 1981 sowie in der Anti-Kriegsbewegung. In diesen Zusammenhängen stieß er auf die Aktiven des Kommunistischen Bundes (KB) Nürnberg. Anfang der 1980er Jahre integrierte er sich in der für diese Organisation häufigen „fließenden“ Art und Weise in der KB-Ortsgruppe und schied in den späten 1980er Jahren in ähnlicher Art und Weise wieder aus. Will sagen, man arbeitete vorher und nachher in sozialen Bewegungen zusammen und zog häufig an einem Strang. Es veränderten sich Akzente, Einschätzungen und Vorgehensweisen, die Zielvorstellungen wirkten ebenso einend wie vielfältige und enge persönliche Beziehungen.

Moe verfügte über ein enormes Wissen, er äußerte sich über die deutsche Romantik ebenso qualifiziert wie über den französischen Poststrukturalismus. Ein BUKO-Genosse sagte vor Jahren bei einer gemeinsamen Wanderung, Moe sei der erste Universalgelehrte seit Leibniz. Alle lachten schallend, am lautesten lachte Moe selbst.

Vor allem war Moe ein außerordentlich belesener Ideengeschichtler des Internationalismus. Dabei kam es ihm immer darauf an, Ideen nicht zu musealisieren, sondern sie in den Zusammenhang von früheren und aktuellen Kämpfen zu stellen. Moe interessierte sich für das radikale Denken, das früher oder heute an den Rändern der Gesellschaft entsteht und auf emanzipatorische Veränderung zielt. Das zeigen seine vielen Buchbesprechungen, etwa der neuaufgelegten Bücher von Lefort oder Castoriadis. Er kritisierte das dichotome Weltbild des „alten Internationalismus“ und analysierte das bisweilen katastrophale Scheitern von emanzipatorischen Ideen und Projekten, um daraus für aktuelle Auseinandersetzungen zu lernen. Diese kritische Reflexivität übertrug er auf seine eigenen Arbeiten. So leitete er sein Internationalismus-Buch mit der Bemerkung ein, es sei aus der „Perspektive eines linken Aktivisten“ geschrieben, „der seit 25 Jahren in sozialen Bewegungen ständig seine nächsten Irrtümer vorbereitet. (…) Es sind zum Teil meine eigenen Irrtümer, die im Folgenden kritisiert werden.“ Allerdings resultierte seine Einsicht in die Vorläufigkeit der eigenen Einschätzung niemals in Relativismus, politischer Enthaltsamkeit oder gar Resignation, vielmehr war sie für ihn geradezu die Voraussetzung für eine klare emanzipatorische Positionierung. Dem entsprach, dass man mit Moe immer auch politisch quer liegen konnte, dass man wirklich mit ihm streiten konnte ? ohne dass es jemals zu einer Situation des definitiven persönlichen Bruchs gekommen wäre. Es war dies nicht nur Ausdruck seiner intellektuellen Kapazität, sondern eine besondere subjektive Qualität, die en der Linken leider selten ist.

Seine Bedeutung für die BUKO (Bundeskoordination Internationalismus), in der wir viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Spätestens seit 1990, als er den Kongress des damals noch Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen genannten Zusammenhangs in Nürnberg mitorganisierte, spielte er in unterschiedlichen BUKO-Zusammenhängen eine tragende Rolle. In einer Zeit, als durch den Epochenbruch 1989 die NGOisierung der Internationalismusbewegung drohte, verkörperte er gleichsam die Erinnerung an die basisdemokratische Geschichte der BUKO, die er zu fortzuführen half. Lange abendliche Diskussionen beim Jahreskongress oder bei unzähligen BUKO-Seminaren mit ihm waren politische, intellektuelle und menschliche Highlights. Sich die und den BUKO ohne Moe vorzustellen, fällt uns schwer.

Aus seiner umfassenden Kenntnis der Internationalismusbewegung entwickelte Moe ein Gespür für das Mögliche und Notwendige. Dazu gehörte etwa, dass er Ende der 1990er Jahre – also in einer Zeit, als radikale Kritik zumindest in Deutschland noch im Global-Governance-Geraune unterging bzw. von einer rot-grünen Modernisierungseuphorie marginalisiert wurde – den Anstoß für die Gründung des BUKO-Arbeitsschwerpunktes Weltwirtschaft gab, dessen Arbeit er selbst wesentlich prägte. 2002 war er – im Rahmen seines Engagements bei der Zeitung analyse & kritik (ak), zu deren regelmäßigen Autoren er zählte – an der Gründung des Zeitschriftenprojekts Fantômas beteiligt. Die dreizehn Ausgaben, die bis zum Sommer 2008 erschienen, sind ohne ihn gar nicht denkbar, ohne seine Artikel, seine Beiträge zu den Planungsdebatten jeder einzelnen Nummer, ohne seine Mitwirkung bei der Fertigstellung der Hefte, zu der sich die Redaktion stets für drei lange Tage und Nächte in Hamburg traf, in den Souterrainräumen der ak. Auch hier bleiben besonders sein Witz und sein Lachen unvergessen, während der langen Stunden vor den Computern ebenso wie im Morgengrauen, wenn die Redaktion, müde, doch zufrieden mit dem Geschriebenen, noch einmal zum Hafen aufbrach, um dann, nach kurzer Pause, ein letztes Mal die Folge der Beiträge zu diskutieren.

Zur Rehabilitierung radikaler Kritik und ihrer wieder stärker wahrnehmbaren Artikulierung in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre hat er einen zentralen Beitrag geleistet. Immer wieder war er an den Initiativen beteiligt, plurale linke Diskussions- und Handlungsräume zu schaffen: bei den erwähnten Publikationen, als Mitherausgeber des BUKO-Buches „radikal global“ 2003, lange Jahre neben der BUKO auch im Nürnberger Lateinamerikakomitee, später beim Nürnberger Sozialforum. Er war Mitinitiator und Mitveranstalter der „Beratungstreffen“, zu denen sich ab 1999, nach den schwachen Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Köln, eine stetig wachsende Schar radikaler Linker verschiedener Herkunft traf, zunächst zur Aufarbeitung der zurückliegenden Jahre und zur Verständigung über Perspektiven des Weitermachens, schließlich zur Debatte, dann zur konkreten Vorbereitung des neuerlichen Versuchs einer bundesweiten Organisierung. Ab 2004 wurde daraus die Interventionistische Linke (IL), und auch hier war Moe in prägender Weise „mittendrin“. Er half, Auseinandersetzungen zu einem guten Ende zu führen, nicht zuletzt durch sein Vermögen, dann moderierend einzugreifen, wenn es hoch her ging ? oder andersherum eine Diskussion erst „auf Touren“ zu bringen, die nicht so recht vom Fleck wollte. Noch im Mai hat er ein Treffen mit 80 GenossInnen in Nürnberg mitorganisiert. Als der Fortgang der Versammlung am Ärger des Hausmeisters zu scheitern drohte, war es Moe, der für das notwendige Verständnis für „Vorkommnisse“ sorgte, die nicht so ganz der Hausordnung entsprachen.

Radikale Kritik bedeutete für Moe nicht eine abstrakte Infragestellung von Herrschaft, sondern Kritik im Handgemenge. Moe wusste seine grundsätzliche Kritik an den bestehenden Verhältnissen praktisch werden zu lassen und mit konkretem politischem Engagement zu verbinden. Besonders bemerkenswert ist das alles, wenn man bedenkt, dass Moe – von einer kurzen Zeit in der BUKO-Geschäftsstelle abgesehen – niemals Vollzeit-Aktivist war, sondern seinen politischen Aktivitäten neben seiner Arbeit bei Quelle, seinem Studium und seiner Tätigkeit als Hauptschullehrer nachging. Er stellte somit in seiner eigenen Arbeit das her, was den globalisierungskritischen Initiativen in Deutschland zumindest in der Anfangzeit fehlte – die alltagspraktische Verankerung der Kritik an der neoliberalen Globalisierung.

Es waren nicht nur sein großes Wissen und sein politisches Gespür, von dem die BUKO und die radikale Linke profitierten, sondern seine ganze Persönlichkeit. Moe konnte in seinen Texten enorm scharf formulieren, er hatte einen bissigen, im positiven Sinne herausfordernden Humor. Gleichzeitig strahlte er gerade in einer Situation der Krise sozialer Bewegungen, wie sie für die BRD der 1990er Jahre kennzeichnend war, eine informierte Gelassenheit aus, die keinen Zweifel daran ließ, dass für emanzipatorische Projekte auch wieder bessere Zeiten anbrechen würden.

 

Moe Hierlmeier ist am 17. Juni an einem Herzinfarkt gestorben. Wir haben mit ihm einen Freund und einen unserer wichtigsten politischen Mitstreiter verloren.

 

Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen aus der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und aus der Interventionistischen Linken (IL), die Redaktionen analyse & kritik und Fantômas.

Es gibt zwei weitere Nachrufe, von Radio Z und  Assoziation A.

Polizei Sachsen: Because we can!

By Cepheiden (Own work) [GFDL (www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dresden_-_Polizeipraesidium_--_Haupteingang.jpgUpdate: Der sächsische Daten-Gau weitet sich zum Super-GAU aus: Nach Recherchen des MDR ist die massenhafte Datenspeicherung mind. seit 2009 in Sachsen Usus. Für die Handy-Daten-Überwachung ist ein Sonderbericht des Innenministeriums bis Freitag angekündigt.

Selbstbewusst verkündet heute die Polizeidirektion Dresden die „rechtmäßige“ Auswertung von 138.000 Handyverbindungs-Datensätzen, erhoben am 19. Februar 2011. Das sehen nicht alle so: „Der massive Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht verblüfft sogar die Staatsanwaltschaft.“ (Süddeutsche). Auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist nicht amüsiert, immerhin hat er erst aus der taz von der Angelegenheit erfahren, und hat der Dresdner Staatsanwaltschaft bis Donnerstag Zeit gegeben, sich zur Sache zu äußern.

Das Ganze lässt sich ziemlich einfach zusammenfassen: In Sachsen gibt es ein Nazi-Problem, nicht erst seit gestern und tatsächlich ernst. Einige mutige Menschen versuchen, dort die Demokratie zu retten und Sachsen wieder zu einem Land zu machen, in dem alle (über-)leben können. Viele versuchen das regelmäßig im Februar, wenn es jedes Jahr einen Nazi-Aufmarsch gibt, der sich mit meiner Vorstellung von Demokratie jedenfalls nur schlecht vereinbaren lässt. Und wer wird mit Verfahren überzogen, zuletzt knapp 40 Personen wegen angeblicher Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB? Jedenfalls nicht die Nazis. Das alles spricht Bände über das Rechtsstaatsverständnis der sächsischen Innenbehörden.

Und nun das: Bei Protesten gegen Neonazis wurden in Dresden zehntausende Handydaten erfasst, schrieb die taz.de gestern. Konnte die PD Dresden nicht auf sich sitzen lassen und korrigierte: 138.000!

Da durch die Provider ausschließlich die Verbindungsdaten der gesamten Funkzelle mitgeteilt werden, kann nicht vorab unterschieden werden, ob es sich bei dem Anschlussinhaber um Anwohner, Gäste oder aber Zeugen oder gar Beschuldigte handelt. Dies ergibt sich erst im Verlauf der weiteren Ermittlungen.

Unser aller Regierung findet, dass das jetzt rechtlich untermauert gehört und plant gerade die gesetzliche Grundlage für die nächste Fassung der Vorratsdatenspeicherung. Und voran schreiten singend die Post-Privacy-Jünger und fordern: Vorratsdaten für alle! Stellt Euch nicht so an!

Die parlamentarische oppositionelle Empörung bricht sich  Bahn: Handy-Überwachung hat Nachspiel.

Ich frage mich, wann Sachsen als solches im Verfassungsschutzbericht auftaucht.

Die Berichte vom Tage:

Bild: By Cepheiden (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0 , via Wikimedia Commons

c’t Online Talk über Anonymous und Hacktivismus

Bei DRadio Wissen gab es gestern den c’t Online Talk zum Thema Hacktivismus. Zukunft der politischen Aktion. Mit Jürgen Kuri (stellv. Chefredakteur der c’t), André Meister (netzpolitik.org und Digitale Gesellschaft) und Jan-Keno Janssen (c’t-Redakteur) habe ich über Anonymous und neue Politikformen diskutiert.

Zum Nachhören:

oder Runterladen & Mitnehmen (mp3, 25mb)

Zum Thema Anonymous gibt es viel Material, hilfreich finde ich u.a. den Talk der Anonymous-Forscherin Gabriella Coleman bei der re:publica 2011 „Geek Politics and Anonymous„:

Auch von Gabriella Coleman: Anonymous: From the Lulz to Collective Action

Hier das letzte Video von Anonymous, in dem „The plan“ verkündet wird, der Plan für’s nächste Jahr. Darin taucht auch der im Talk von mir zitierte Grüne Daumen auf..

http://www.youtube.com/watch?v=j_9T1SPJXRI

Über (Medien über) Frauen im Netz

Zwei banale Alltäglichkeiten haben mir gestern die Laune versaut: erst die Ankündigung, dass die deutsche Ausgabe der Wired erscheint (prima), als Beilage der GQ (kotz). In schwarz-rot-gold. m(.

Gleich hinterher wurde ein neuer Elektrischer Reporter bekannt, Thema u.a. ‚Frauen und Männer‘. Stimmte nicht, Thema sind ‚Frauen im Netz‘. Gefühltes Fazit: Ist doch alles prima, es gibt doch genausoviele Frauen im Netz wie Männer. Mitgeteilt von einer Frau, die durchaus feministische Autorität ist bei dem Thema: Anke Domscheit-Berg.

Ich war platt. Anke auch.

Und der Aufreger? No. 1 teilt mit, dass Netzthemen in Deutschland was für Männer sind. No. 2 teilt mit, dass es keinen Grund gibt zu nörgeln, weil, ist ja alles prima. Weil das Gefühl, immer mal wieder von durchaus intelligenten Menschen mit dem kleinen Finger in die gesellschaftliche (Gender-)Steinzeit zurückgeschoben zu werden, eine wiederkehrende kalte Dusche ist, wollte ich nichts dazu schreiben. (Auch, weil die Kommentare zu sowas so unterirdisch sind). Dazu passt sehr gut Femischismus, von liva2loxIch wollte mich wirklich gerne nicht feministisch äußern.

Glücklicherweise hat Antje Schrupp das Problem gut zusammengefasst: Die Männer-Frauen-Endlosschleife. Da war dann auch der Platz für meinen Kommentar dazu.

Heute hat das Team vom Elektrischen Reporter das ungeschnittene Interview mit Anke Domscheit-Berg nachgeschoben, und das beleuchtet die Frage, wie zu erwarten war, sehr gut.

Für weitere Denkanstöße zum Rätsel, wieso Frauen so anders sind, empfehle ich noch: When did Girls start wearing pink?

Für die Kommentare wünsche ich mir, das erst gedacht und dann geschrieben wird. Die bekannten Variationen von a) „es gibt kein Problem“ b) „Ihr Feministinnen unterdrückt in Wahrheit uns Männer“ c) „wenn Ihr nicht über das Problem reden würdet, gäbe es kein Problem“, fliegen raus.

 

Gegen Terror ist jedes Mittel recht

Im Berliner Abgeordnetenhaus (Landesparlament) wurde Ende Mai über den sog. S-Bahn-Anschlag debattiert und der grüne Abgeordnete Benedikt Lux hielt eine Rede, die ich den Grünen irgendwie doch nicht zugetraut hätte. Aber wer gern schwarz-grün regieren möchte, muss wohl Abstriche in bestimmten Bereichen machen.

Disclaimer, weil das ja immer kommt: Mir geht es hier nicht um den S-Bahn-Anschlag und ich fand auch, dass es in dem Bereich keine Anschläge mehr braucht, denn das macht die BVG S-Bahn GmbH ja schon sehr schön alleine. Mir geht es um den Ton, der sich wenig von konservativen Innenpolitik-Hardlinern unterscheidet.

Die Highlights:

Dieser Anschlag hatte zur Folge, dass Zehntausende Berlinerinnen und Berliner nicht so leben, arbeiten und sich so in der Stadt bewegen konnten, wie sie es gewohnt sind. (..) Deswegen ist für meine Fraktion klar, dass fast die gesamte Stadt Opfer und Geschädigte dieses Anschlags war, wir waren es alle.

Zu Recht prüft jetzt die Generalbundesanwaltschaft – wie sie es auch nach dem Anschlag auf den Polizeiabschnitt in Friedrichshain getan hat –, ob hier nicht terroristische Zusammenhänge vorliegen, denn die Tätergruppen sind sehr konspirativ vorgegangen.

Terrorismus? Selbst die Bundesanwaltschaft hat mittlerweile abgelehnt. Seit wann suchen die Grünen unter jedem Stein nach Terroristen? Waren die nicht auch mal Bürgerrechtspartei?

Der 1. Mai, die „revolutionäre“ Demo ist halbwegs friedlich gewesen, aber das ist kein Grund zur Entwarnung, denn die Tätergruppen werden konspirativer, kleiner, sie stehen sich nicht mehr Mann gegen Mann auf der Straße gegenüber – so hat es auch ein Staatsschützer ausgedrückt –, sondern sie planen feige Anschläge, die hohen Schaden verursachen können, dem Gemeinwohl empfindlich schaden.

Mann gegen Mann?!? Und wenn – wäre das die wünschenswertere Form der Auseinandersetzung?

Deswegen muss ein Signal ausgehen, dass wir in dieser Stunde, in der so feige Anschläge mit diesem Schaden verübt werden, als Parlament zusammenstehen, und zwar alle Fraktionen, dass wir diesen feigen Anschlag verurteilen (…)

Warum diese starke Betonung des ‚Wir alle gegen DIE‘ nötig war, ist mir unklar. Es war ja sicher nicht zu befürchten, dass sich irgendwer im Parlament hinstellt und die Bevölkerung zu weiteren ähnlichen Anschlägen aufhetzt? Die mehrfache Wiederholung dieses „Wir“ erinnert mich an militaristische Rhetorik.

Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, unsere empfindliche Infrastruktur zu schützen, sie sicherer zu machen. (..) Damit wird niemand vom Opfer zum Täter gemacht, sondern es geht darum, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, unsere Bevölkerung, unsere freie Gesellschaft zu schützen. Jedes zulässige Mittel, das den Schutz dieser Infrastruktur zum Ziel hat, ist recht.

Jedes Mittel für unsere freie Gesellschaft? Auweia.

Und dann ein Klassiker – wenn härter durchgegriffen werden soll, werden gern die vermeintlich Schwachen betont, die geschützt werden müssen:

Es kann nicht sein, dass sich jede zweite Frau in diesem Bundesland fürchtet, wenn sie den öffentlichen Nahverkehr benutzt.

Und schließlich: Videoüberwachung für den Klimaschutz!

Wir als Grüne setzen große Hoffnung darauf, dass er (der Nahverkehr, A.R.) unsere Mobilität künftig klimaschonender machen wird. Der öffentliche Nahverkehr muss attraktiv, günstig und insbesondere sicher sein. Ich erinnere nur an zwei Beispiele, nämlich die schon erwähnte Abschaffung der Doppelstreifen und die Weigerung von Innensenator Körting, Rechtsgrundlagen für den öffentlichen Nahverkehr einzuführen, die eine Videoüberwachung zur Folge haben.

Die Rede gibt’s beim RBB auch als Video.

 

Für den besseren Gesamteindruck die gesamte Rede aus dem Protokoll:
Berliner Abgeordnetenhaus, 83. Sitzung, 26. Mai 2011, S. 7984 (pdf)

Benedikt Lux (Grüne):

Danke schön, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten  Damen und Herren! In der Nacht zum Montag ist ein Anschlag auf eine Kabelbrücke am Ostkreuz verübt worden. Dieser Anschlag hatte zur Folge, dass Zehntausende Berlinerinnen und Berliner nicht so leben, arbeiten und sich so in der Stadt bewegen konnten, wie sie es gewohnt sind. Sie kamen zu spät oder gar nicht zur Arbeit. Tausende konnten nicht telefonieren, nicht ins Internet gehen, und selbst in Krankenhäusern konnte nicht telefoniert und kommuniziert werden, weil dieser Anschlag solch fatale Folgen hatte. Deswegen ist für meine Fraktion klar, dass fast die gesamte Stadt Opfer und Geschädigte dieses Anschlags war, wir waren es alle. Deswegen ist er unumwunden zu verurteilen.

[Beifall bei den Grünen –
Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Zu Recht prüft jetzt die Generalbundesanwaltschaft – wie sie es auch nach dem Anschlag auf den Polizeiabschnitt in Friedrichshain getan hat –, ob hier nicht terroristische Zusammenhänge vorliegen, denn die Tätergruppen sind sehr konspirativ vorgegangen. Sie hatten möglicherweise sogar Insiderwissen. Diese Prüfung sollten wir aber auch in aller Nüchternheit abwarten, Herr Kollege Dr. Juhnke. Die Entscheidung obliegt nicht uns als Parlament, sondern einer unabhängigen Justiz. Dann werden wir sehen, wie dieser Anschlag genau zu qualifizieren ist.

Nach dem 1. Mai, der relativ friedlich war, haben nicht alle Entwarnung gegeben. Sie selbst und auch Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen saßen zusammen und haben gesagt: Der 1. Mai, die „revolutionäre“ Demo ist halbwegs friedlich gewesen, aber das ist kein Grund zur Entwarnung, denn die Tätergruppen werden konspirativer, kleiner, sie stehen sich nicht mehr Mann gegen Mann auf der Straße gegenüber – so hat es auch ein Staatsschützer ausgedrückt –, sondern sie planen feige Anschläge, die hohen Schaden verursachen können, dem Gemeinwohl empfindlich schaden. Das planen sie in sehr konspirativem Kreis. Das haben die Innenpolitiker dieses Hauses gesehen. Deswegen muss ein Signal ausgehen, dass wir in dieser Stunde, in der so feige Anschläge mit diesem Schaden verübt werden, als Parlament zusammenstehen, und zwar alle Fraktionen, dass wir diesen feigen Anschlag verurteilen und uns da nicht auseinanderdividieren lassen, denn diesen gefallen sollten wir den Tätern nicht tun. Wir müssen gegen diesen Anschlag zusammenstehen und ihn so hart wie erforderlich verurteilen.

[Beifall bei den Grünen –
Vereinzelter Beifall bei der SPD –
Beifall von Björn Jotzo (FDP)]

Niemand in der Bevölkerung versteht, wenn wir uns hierzu gegenseitig Vorwürfe machen. Wer hätte da etwas besser machen können? Wer hat da noch den Hauch von Sympathie? – Hier im Parlament hat niemand für diese feigen Attentäter Sympathie. Alle versuchen vielmehr, diesen Schaden für das Allgemeinwohl abzuwenden. Das sollten wir gemeinsam tun.

Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, unsere empfindliche Infrastruktur zu schützen, sie sicherer zu machen. Dazu hat der Kollege Kleineidam etwas gesagt. Dieser Hinweis muss erlaubt sein. Damit wird niemand vom Opfer zum Täter gemacht, sondern es geht darum, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, unsere Bevölkerung, unsere freie Gesellschaft zu schützen. Jedes zulässige Mittel, das den Schutz dieser Infrastruktur zum Ziel hat, ist recht. Wir sind angreifbar. Wir waren zu angreifbar. Deswegen ist es richtig, die freie Gesellschaft zu schützen, indem wir eine Debatte darüber führen, wie wir – erstens – die Täter bekommen und – zweitens –, wie wir unsere empfindlichen Infrastrukturen schützen. Diese Fragen müssen erlaubt sein.

[Beifall bei den Grünen]

Deutlich davon zu trennen ist die Frage, wie wir mit Gewalt im öffentlichen Nahverkehr umgehen. Das sind ganz  andere Täterkreise. Man darf das nicht vermischen. Das ist eine andere Klientel, eine andere Bedrohungslage, die
bei Passagieren Angst auslöst. Es kann nicht sein, dass sich jede zweite Frau in diesem Bundesland fürchtet, wenn sie den öffentlichen Nahverkehr benutzt. Das ist aber eine völlig andere Debatte als die über vermeintlich Linksextreme. Wir haben lange über den Einsatz von mehr Polizei im öffentlichen Nahverkehr gesprochen. Ich erlaube mir an dieser Stelle, dem rot-roten Senat ein Versäumnis vorzuhalten: In den letzten zehn Jahren erschien es so, als behandele der rot-rote Senat den öffentlichen Nahverkehr wie einen privaten Raum. Öffentlicher Nahverkehr ist – das sagt bereits der Name – der Verkehr, den die Öffentlichkeit braucht. Wir als Grüne setzen große Hoffnung darauf, dass er unsere Mobilität künftig klimaschonender machen wird. Der öffentliche Nahverkehr muss attraktiv, günstig und insbesondere sicher sein. Ich erinnere nur an zwei Beispiele, nämlich die schon er- wähnte Abschaffung der Doppelstreifen und die Weigerung von Innensenator Körting, Rechtsgrundlagen für den öffentlichen Nahverkehr einzuführen, die eine Video-überwachung zur Folge haben. Er hat immer gesagt, das betreffe das private Hausrecht. An dieser Haltung zeigt sich sehr deutlich, dass der öffentliche Nahverkehr von der BVG selbst geschützt werden muss, dass sich der Staat dort heraushält. Das aber kann nicht sein. Öffentlicher Nahverkehr ist öffentlicher Raum, und der muss vom Staat und der Gesellschaft geschützt werden. Was in letzter Zeit passiert, nämlich dort Einsatzreserven hinzuschicken, geschieht reichlich spät und in zu geringem Umfang. Das muss der amtierende Senat noch in dieser Legislaturperiode ändern. Es ist ganz klar: Die Berlinerinnen und Berliner haben es verdient, dass der öffentliche Nahverkehr sicherer wird.

[Beifall bei den Grünen]

Ich würde mich freuen, wenn wir in dieser Debatte weiterhin Lösungsvorschläge erarbeiten, wie wir erstens mit dem immer konspirativer werdenden vermeintlichem Linksextremismus umgehen. Lassen Sie mich persönlich hinzufügen: Ich als jemand, der seit Beginn seiner politischen Aktivitäten immer gegen Atomkraft gewesen ist, empfinde es als eine maßlose Unverschämtheit, wenn sich dort Personen rühmen, gegen Atomkraft zu sein oder auch andere politische Ziele zu verfolgen, indem sie Zehntausende von Berlinerinnen und Berlinern beeinträchtigen, indem sie einen feigen Anschlag verüben. Das kann nicht sein! Denen müssen wir jegliche politische Legitimität, wenn sie sie denn überhaupt noch haben, entziehen. Ich weigere mich, das als Politik anzuerkennen, was dort passiert ist. Das muss das ganze Haus gemeinschaftlich tun. Das werden die Berlinerinnen und Berliner auch tun. Niemand hat ein Interesse daran, dass, nur weil es bestimmte Missstände in der Bundesrepublik gibt, so ein empfindlicher Anschlag mit so weit reichenden Folgen verübt werden darf.

[Beifall bei den Grünen –
Beifall von Andreas Gram (CDU)
und Volker Thiel (FDP]

Insofern darf ich mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion):
Bedanken Sie sich nicht, Herr Lux!]

und hoffen, dass Objektivität in die Debatte kommen wird und wir hier weiter nüchtern und sachlich auch über die
Gefahren für die innere Sicherheit diskutieren können. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

 

Freiheit für die Kartoffel und kein Berufsverbot für Barbara Van Dyck!

Die belgische Uni KU Leuven hat am 3. Juni die Forscherin Barbara Van Dyck entlassen, weil die – Sonntags, in ihrer Freizeit – am 29. Mai öffentlich eine Aktion gegen gentechnisch manipuliert Kartoffeln unterstützt hatte.

Es lebe der Elfenbeinturm!

Es gibt einen Offenen Brief (in diversen Sprachen) an die Uni Leuven, der gegen die Entlassung protestiert und sich auf akademische Freiheit und kritische Wissenschaft beruft. Bitte weiterreichen.

Am Freitag 3. Juni 2011 hat die Katholische Universität Leuven die Forscherin Barbara Van Dyck entlassen, weil sie öffentlich die Aktionen des Field Liberation Movements (FLM) unterstützt hat, die im Zusammenhang einer Aktion gegen ein genetisch modifiziertes Kartoffelfeld in Wetteren in Belgien am Sonntag 29. Mai stehen. Ob man die Ziele und Taktiken dieser Aktion unterstützt oder nicht, die Sanktion ist unverhältnismäßig und verstößt gegen die akademische Freiheit und gegen die Meinungsfreiheit. Wir wenden uns daher an Akademiker weltweit, dieser Entlassung entgegenzustehen und diesen offenen Brief zu unterzeichnen. …

Hier kann unterschrieben werden (Google Spreadsheet)

Bald Nacktscanner für die ganze EU

Bei Statewatch bin ich über den Hinweis gestolpert, dass der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments (EP) den Einsatz von Bodyscannern für die gesamte EU befürwortet. Weil nämlich.. die Terror-Gefahr nach dem Tod von Bin Laden so gestiegen ist!

Allerdings scheint den EU-ParlamentarierInnen bewusst zu sein, dass das heikles Terrain ist, und so verkleiden sie ihren Beschluss in bürgerrechtsbewusstes Gesäusel: „EU-Abgeordnete stellen Bedingungen für den Einsatz von Ganzkörperscannern“ ist der Titel der dazugehörigen Pressemitteilung. Auch das eigens erstellte Filmchen geht auf die Datenschutz-Emfindsamkeiten ein (mit Untertiteln in allen EU-Sprachen!)

Der Beschluss basiert auf einem Bericht (pdf) des spanischen Abgeordneten Luis de Grandes Pascual von der Europäischen Volkspartei.

Derzeit, so die Pressemitteilung, werden Nacktscanner in den Niederlanden und Großbritannien eingesetzt, und ich nehme mal an, dass es seit den ersten Aufregungen dazu ein paar Besuche der Nacktscanner-Herstellerfirmen in Brüssel gegeben hat.

Allerdings, findet der Verkehrsausschuss: „Menschenwürde, Privatsphäre und persönliche Daten der Passagiere müssen geschützt werden.“ Ich bin gespannt, wie die Nacktscanner das machen.

Aber, sagt de Grandes Pascual: „Ich glaube, dass die Menschen bereit sind, ein wenig von ihrer Privatsphäre für mehr Sicherheit aufzugeben.“

Das Europäische Parlament wird am 23. Juni über die Nacktscanner für alle abstimmen.

Falls Ihr den Abgeordneten Eure Bedenken vorher noch mitteilen wollt: die Mitglieder des Verkehrsausschusses des EP und alle deutschen und österreichischen Mitglieder des EP. Bei Abgeordnetenwatch könnt Ihr über die Postleitzahl auch die Abgeordneten raussuchen, die Euch geografisch am nächsten sind

 

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Unterschriftenaktion für den Schutz von Flüchtlingen aus Nordafrika

Hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer vermisst. Wieder. Dieses Wochenende. Sie kommen aus Nordafrika und scheitern in den Grenzen der Festung Europa. Wir lassen es darauf ankommen, dass sie dann eben ertrinken. Die EU hat eine eigene Agentur zur Abwehr der Flüchtlinge, Frontex – Kommentar einer Kommissarin neulich im Tatort: Klingt wie ein Insektenvernichtungsmittel. Soll es wohl auch.

Es gibt eine Unterschriftenaktion von Pro Asyl, medico international, Borderline Europe, Afrique-Europe-Interact, Welcome to Europe, Komitee für Grundrechte und Demokratie – bitte unterschreibt und reicht sie weiter.

Die geretteten Flüchtlinge wurden in das Flüchtlingslager Choucha (Tunesien) zurückgebracht.

Warum kommen jetzt soviele? U.a. weil Libyen nicht mehr, wie bisher, für die EU die Drecksarbeit erledigt und die Flüchtlinge, die von weiter südlich in Nordafrika ankommen, von der Weiterreise abhält (gegen Geld). Und jetzt?

5.000 Menschen warten seit Wochen und Monaten unter unerträglichen Bedingungen in dem Lager des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) in Choucha.

Sie alle konnten dem eskalierenden Bürgerkrieg in Libyen entkommen. Viele waren dort als ArbeitsmigrantInnen beschäftigt, andere hatten Zuflucht vor den Kriegs- und Krisenzonen im subsaharischen Afrika gesucht. Überlebende von gekenterten Flüchtlingsbooten begegnen in Choucha denjenigen, die sich aus Verzweiflung und allen Gefahren zum Trotz wieder Richtung libyscher Grenze auf den Weg machen, um die gefährliche Überfahrt nach Europa zu wagen. Als vier Flüchtlinge aus Eritrea am 21.05.2011 bei einem Feuer in der improvisierten Zeltstadt sterben, kam es zu spontanen Protesten und Straßenblockaden. Das tunesische Militär reagierte mit Tränengas, Anwohner überfielen das Lager. Mindestens zwei Flüchtlinge wurden erschlagen, viele trugen schwere Verletzungen davon.

Die Flüchtlinge in Choucha hofften und hoffen auf Hilfe und Unterstützung durch den UNHCR, der in den letzten Wochen u.a. die europäischen Staaten mehrfach um die Aufnahme von zumindest 6.000 Flüchtlingen aus Libyen gebeten hatte. Vergeblich. Vielmehr wird die europäische Grenzschutzagentur Frontex verstärkt in Stellung gebracht, und die neuen demokratischen Regierungen in Nordafrika werden mit Geldangeboten gelockt, damit sie auch in Zukunft die Wachhunde vor Europas Grenzen bleiben.

Die Situation in Choucha muss im Kontext der Vorverlagerung des europäischen Grenzregimes nach Nordafrika gesehen werden. In der Abwehr von Flüchtlingen und MigrantInnen haben die europäischen Staaten jahrelang schamlos mit den Despoten des Maghreb zusammengearbeitet, insbesondere mit Ben Ali in Tunesien und Gaddafi in Libyen. Nun wird zwar der demokratische Wandel begrüßt, aber all jenen die Hilfe verweigert, die in den tunesischen Flüchtlingslagern strandeten und für die es kein Zurück mehr gibt.

Die Stimmen von Choucha stehen für das verzweifelte Aufbegehren gegen eine Politik der flagranten Menschenrechtsverletzungen, wie sie sich tagtäglich an vielen Brennpunkten der europäischen Außengrenzen abspielen. Ein Bruch mit dieser Politik ist notwendig, um das Sterben auf See und in der Wüste zu beenden. Die Demokratiebewegungen in Nordafrika bieten die Chance für einen Neuanfang. Statt tödlicher Ausgrenzung und grotesker Bedrohungsszenarien muss Offenheit und Solidarität die Zukunft des mediterranen Raumes prägen. Es braucht Brücken statt Mauern für ein neues afrikanisch-europäisches Verhältnis, damit Europa ein Raum wirklicher Freiheit, allgemeiner Sicherheit und der gleichen Rechte für Alle wird.

Die Aufnahme von Flüchtlingen aus Choucha in Europa würde in diesem Sinne ein erstes, nicht nur symbolisches Zeichen setzen.

Wir fordern daher die politisch Verantwortlichen auf europäischer Ebene, in Bund, Ländern und Gemeinden auf,

  • Soforthilfemaßnahmen zur Flüchtlingsaufnahme zu ergreifen und die Flüchtlinge aus Choucha und den anderen vorübergehenden Flüchtlingslagern in Europa aufzunehmen.
  • Humanitäre Unterstützung für jene Subsahara-MigrantInnen zu leisten, welche bereits aus Libyen bzw. Tunesien ausgeflogen wurden. Z.B. sind allein in Mali seit Beginn des Libyen-Kriegs über 10.000 Flüchtlinge angekommen.
  • Die bisherige Abschottungspolitik an den Außengrenzen zugunsten einer humanen und freizügigen Asyl- und Einwanderungspolitik aufzugeben, die im Einklang mit den Rechten von Flüchtlingen und MigrantInnen steht.
  • Die demokratischen Aufbrüche in Nordafrika ernsthaft zu unterstützen und sie als eine Chance zu einer veränderten Nachbarschaftspolitik zu begreifen.

Hier kann unterschrieben werden.