Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit

„Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit“ – zentraler Satz im heute vormittag vorgestellten Bericht der Untersuchungskommission 19-2. Denn: Der Freistaat Sachsen sieht das anders und nimmt daher die Stzblockaden zum Vorwand, den wohl unbestritten dringend nötigen Protest gegen Nazi-Aufmärsche jedes Jahr im Februar in Dresden in Grund und Boden zu kriminalisieren.

Heute vormittag hat die Untersuchungskommission 19-2, die sich mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Dresden am 19.Februar 2011 und dem Verhalten der sächsischen Polizei und Justiz beschäftigt hat, einen Bericht mit ihren Ergebnissen vorgestellt. Weil es schneller geht und weil die Kommission sich damit auch Mühe gemacht hat, schreibe ich die Pressemitteilung dazu nicht um. Der komplette Bericht steht als PDF unten drunter.

Versammlungsfreiheit – ausschlaggebende Grundlage der Verfassung

Die „Untersuchungskommission 19. Februar“ hat heute in Berlin die Ergebnisse ihrer Recherchen zum sächsischen Umgang mit den Demonstrationen und Gegendemonstrationen im Februar 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Verfasser hoben zusammenfassend hervor:

  • Entgegen den polizeilichen und regierungspolitisch geschürten Darstellungen war Dresden im Februar 2011 nicht von Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten aus den Gegendemonstrationen gekennzeichnet. Im Gegenteil:
    Dresden zeichnete sich dadurch aus, dass Zehntausende Bürger und Bürgerinnen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit „gewaltfrei und ohne Waffen“ in ihre Hände nahmen. Sie waren auf der Straße, um gegen die braunen,  nationalistischen und rassistischen Bestrebungen ein deutliches Zeichen zu setzen.
  • Das Trennungskonzept der Polizei, das den Gegendemonstrierenden von vorneherein und systematisch ihr Recht auf Versammlungsfreiheit verweigerte, erzeugte fast zwangsläufig Konfrontationen. Nicht die Versammlungsbehörde, sondern die Bürger und Bürgerinnen müssen entscheiden können, wo und wann sie demonstrieren. Die Aufgabe der Polizei muss es sein, dies absichernd zu unterstützen. Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit.
  • Überwachungen und Datenerfassungen im Kontext dieser Demonstrationen überschreiten jedes demokratisch erträgliche Maß. Mit Verfahren nach § 129 StGB (Kriminelle Vereinigung) wurden Bürger und Bürgerinnen, die die Proteste vorbereiteten, schon im Vorhinein kriminalisiert. Die willkürliche Verdachtskonstruktion eröffnet der Polizei vor allem Eingriffs- und Überwachungsrechte. Interessierte und engagierte Bürger muss solches Vorgehen davor abschrecken, sich politisch zu beteiligen. Auch mit der Kriminalisierung der Beteiligten nach Versammlungsgesetz und nach § 125 StGB (schwerem Landfriedensbruch) soll vor allem von politischer Teilhabe abgeschreckt werden. Das aber gefährdet die Demokratie in ihren Fundamenten. Mit der Funkzellenabfrage, die einmal zur Abwehr terroristischer Angriffe gedacht war, ist jedes rechtsstaatliche Maß überschritten worden.

Rechtsanwalt Peer Stolle vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein gab zu bedenken: „Der Bericht ist erst der Anfang einer langwierigen und umfangreichen Aufarbeitung.“

Ringo Bischoff, Bundesjugendsekretär der ver.di jugend erklärte: „Der Umgang der sächsischen Behörden mit dem Versammlungsrecht sowie die Kriminalisierung von zivilgesellschaftlichem Engagement zeugt von einem vordemokratischen Zustand in diesem Bundesland.“

Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie betonte abschließend: „Eine der vornehmsten demokratischen Praktiken besteht im demonstrativen Handeln. Wer dieses gefährdet – wie es die sächsische Regierung und „ihre“ Polizei getan haben – gefährdet  eine der ausschlaggebenden Grundlagen der Verfassung.“

Der „Untersuchungskommission 19. Februar“ gehören an:

  • Friedemann Bringt (Koordinator BAG Kirche & Rechtsextremismus)
  • Sabine Friedel (SPD, MdL Sachsen)
  • Corinna Genschel (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Kerstin Harzendorf (Beraterin für Rechtspolitik der grünen Landtagsfraktion)
  • Kampagne Sachsens Demokratie
  • Kerstin Köditz (Die Linke, MdL Sachsen)
  • Katharina König (JG-Soligruppe, Die Linke, MdL Thüringen),
  • Stefan Lange (Büroleiter Bundesvorstand Bündnis 90/DIE Grünen bei Astrid Rothe-Beinlich)
  • Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen, MdL Sachsen),
  • Albrecht Maurer (BT Linke)
  • Wolf-Dieter Narr (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Thomas Ott (Aktionsnetz Jena, Legalteam, Rechtsanwalt)
  • Kristin Pietrzyk (Rechtsanwältin, Jena, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)
  • Michael Plöse (akj-berlin)
  • Wolfhard Pröhl (Bündnis Dresden-Nazifrei)
  • Martina Renner (Die Linke, MdL Thüringen)
  • Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis 90/Die Grünen, Bundesvorstand, MdL Thüringen und Vize-Präsidentin des Thüringer Landtags)
  • Christine Schickert (Bündnis 90/Die Grünen, Dresden)
  • Elke Steven (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Danilo Starosta (Kulturbüro Sachsen e.V.)
  • Peer Stolle (Rechtsanwalt, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)

Der komplette Bericht der Untersuchungskommission 19-2 als PDF-Datei

Ganz normale Polizeigewalt

Im Trubel etwas untergegangen sind zwei Fälle von Polizeigewalt im Januar, die ich hier nochmal rauskrame. Wohl auch, weil sie in Orten ohne Twitteria oder Hauptstadtpresse stattfanden. Besonders ungewöhnlich nicht, skandalös auf jeden Fall.

Nr. 1 – Die Demo am 7. Jahrestag des Todes von Oury Jalloh

Oury Jalloh war Flüchtling und lebte bis zu seinem Tod in Dessau. Er verbrannte unter bis heute ungeklärten Umständen, an Armen und Beinen gefesselt, nach seiner Festnahme in einer Polizeizelle am 7.1.2005. Dabei lag er auf einer Matratze aus schwer brennbarem Material und war vorher durchsucht worden. Dabei war kein Feuerzeug gefunden worden.

Am 7. Januar 2012 fand in Dessau eine Gedenk-Demonstration statt. Zum dabei getragenenen Plakaten mit der Aufschrift „Oury Jalloh – Das war Mord“ hatte der Innenminister von Sachsen-Anhalt vorher erklärt,

dass die Polizei keinen Strafantrag wegen des Slogans „OUR JALLOH _ DAS WAR MORD“ stellen werde, um „weitere Eskalationen“ zu verhüten. Er verwahre sich aber „gegen die Aussage, dass unsere Polizisten Mörder sein sollen“. (Pressemitteilung The Voice)

Dennoch war dieser Satz der Vorwand für die Anwendung von Gewalt durch die Polizei – gegen eine friedliche Demo. Zur Erinnerung:

Das elektronische Journal, das alle Vorgänge auf dem Polizeirevier erfasst, wurde gelöscht. Das Gericht konnte nicht klären, weshalb. Das Feuerzeug, mit dem Jalloh sich selbst angezündet haben soll, wurde nicht bei der ersten Durchsuchung der ausgebrannten Zelle entdeckt. Es ist erst nachträglich in die Asservatenliste eingetragen worden. (taz)

Aus einem Offenen Brief der Internationalen Liga für Menschenrechte und des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Gleich zu Beginn der Demonstration wurden Teilnehmer und Teilnehmerinnen von der Polizei verletzt. Darunter die  Initiatoren der Demonstration und der Versammlungsleiter Mouctar Bah. Im Anschluss an die friedlich verlaufene Demonstration wurden die nach Berlin zurückkehrenden Vorstandsmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh von in der Eingangshallte wartenden Polizeibeamten erkennungsdienstlich kontrolliert, körperlich angegriffen und verletzt. Mouctar Bah wurde bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert.

Zusammengefasst: der Innenminister sagt vorher, der Satz ist ok und der Anmelder (gleichzeitig Gründer der Initiative Oury Jalloh) wird während der Demo dafür von der Polizei bewusstlos geschlagen. Rein zufällig handelt es sich beim Anmelder wie beim Toten um Schwarze.

Auch dazu:

Magdeburger Sonntag: Scharfe Kritik am Polizeieinsatz in Dessau
FR: Überwacht endlich die Überwacher!
Umbruch Bildarchiv: Polizeiübergriffe am Gedenktag (Fotos)

Update: In Dessau ging es nach der Demo sehr gruselig weiter: Zwei Wochen, die Dessau überforderten

Hintergrund: Wer klärt den Fall Oury Jalloh auf? (WDR)

 

Nr. 2 – Polizeieinsatz an der Uni Göttingen

Drei Tage später, am 10. Januar, verprügelten niedersächsische (sic!) BeamtInnen Leute, die gegen den Auftritt von Innenminister Schünemann samt Göttinger Polizeipräsident Kruse bei einer Veranstaltung des konservativen Studenten-Verbands RCDS protestierten (nicht deswegen, sondern wegen der niedersächsischen Abschiebepolitik).

Linke AktivistInnen blockierten den Zugang zu dem Hörsaal, in dem Schünemann und Göttingens Polizeipräsident Robert Kruse sprachen. Die Polizei räumte den Eingangsbereich, wobei die Demonstrierenden geschlagen, getreten, gewürgt und mit dem Kopf gegen die Wand geschleudert wurden. (taz)

Und wie war nun die Stimmung vor dem Hörsaal? Mit einem Wort: friedlich. Da standen nämlich keine vermummten Autonomen mit Pflastersteinen in der Hand und blockierten den Eingang, sondern ganz normale politisch Interessierte wie Vertreter der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die sich insbesondere gegen die rigorose Abschiebepraxis des Innenministers wandten und unter dem Eindruck des Rechtsterrorismus den Finger in die Wunde Verfassungsschutz legten. Die Demonstranten drängten auch nicht in den Hörsaal – da stand nicht nur eine Gruppe Uniformierter, auch die massiven Türen gehen nämlich nur nach außen auf… (RegJo Südniedersachsen)

Alles klar. Videos gibt’s beim NDR. Und ratet mal, wer hinterher die Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Landfriedensbruchs und Körperverletzung gekriegt hat?

Als ich studierte, reichte es für einen gewaschenen Skandal, dass überhaupt Polizei auf dem Uni-Gelände war.

Benjamin Laufer (@rakeede), der neben dem taz- auch einen SPON-Artikel schrieb, hat das ganze noch ausführlicher in seinem Blog: Der lange Weg zur Wahrheit / Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

„Routinemäßig schrieben sie anschließend eine Anzeige gegen das niedergeschlagene Opfer“

Gestern begann in Berlin der Prozess gegen zwei Berliner Polizisten, die einen Teilnehmer der „Freiheit-statt-Angst“-Demo 2009 verprügelt und dann angezeigt hatten. Weil es Video-Aufnahmen gab, die vom CCC direkt danach online gestellt wurden, gab es für den Fall erheblich mehr Aufmerksamkeit als sonst bei vergleichbaren Gewalttätigkeiten der Polizei üblich.

Update: Die nächsten Gerichtstermins sind 23.01., 06.,27.02., 05.03.12 (Danke @josh_k_phisher)

Darum geht’s:

Die Verteidiger der beiden Beamten einer Berliner Einsatzhundertschaft scheinen der Meinung zu sein, dass Leute, die schon bei anderen Demonstrationen waren, sich nicht zu wundern brauchen, wenn sie verprügelt werden..?

Die Verteidiger deuteten an, dass Oliver H. keineswegs ein unerfahrener Demonstrant sei. Er habe auch schon bei Kundgebungen vor dem Flughafen Tempelhof und vor dem Roten Rathaus Beamte provoziert und sich ihren Anordnungen widersetzt.

 

Er habe ihn am Fahrrad festhalten wollen und schließlich am T-Shirt gepackt, gab der 26-jährige Polizeiobermeister Dirk K. zu Protokoll. Andere Demonstranten hätten sich eingemischt und Oliver H. befreien wollen. Er habe dann keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als den Mann durch einen „Nasenpressdruckgriff ruhig zu stellen“, heißt es bei Dirk K. Und als er sich noch immer wehrte, habe er ihm „einen Faustschlag gegen die Stirn“ versetzt, worauf er „zusammensackte“. (Morgenpost)

Die andere Perspektive:

Aus Sicht des Opfers spielte sich das Geschehen so ab: Oliver hatte beobachtet, wie eine Demonstrantin in ein Polizeiauto gezerrt wurde – unberechtigt, wie sich später herausstellte. Oliver erkundigte sich nach den Namen der Beamten, das wurde ihm verweigert. Als er sich dann die Nummern der Uniformierten notieren wollte, wurde er zurückgezerrt und mit kräftigen Hieben zu Boden geschlagen.

Seine Besinnung erlangte er erst im Polizeifahrzeug wieder. Später musste er im Krankenhaus operiert werden. Seine Lippe war abgerissen und wurde angenäht, das Gesicht war aufgequollen, das Gebiss schief. Auch zweieinhalb Jahre nach der Attacke leidet er noch immer unter den Folgen des Polizeiangriffs. Seinen Rucksack hat er später wieder zurückbekommen – es fehlten allerdings die Aufzeichnungen mit den Nummern der eingesetzten Polizisten. (Neues Deutschland)

Die beiden Beamten, die in einer Einsatzhundertschaft ja sicher öfter mal in vergleichbare Situationen geraten, könnten irgendwie nicht anders:

»Ich habe mir zur Durchsetzung der Festnahme nicht anders zu helfen gewusst«, hieß es in der Erklärung des jüngeren Polizisten. Routinemäßig schrieben sie anschließend, wie in solchen Fällen üblich, eine Anzeige gegen das niedergeschlagene Opfer – wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. (auch ND)

Die erste Runde des Prozesses fand im Sommer statt („Schwamm drüber„). Ob dies jetzt die Berufung war, lässt sich den Berichten nicht entnehmen – weiß das wer?

Das brennt jetzt ein bisschen

Pfefferspray. Klingt fast niedlich, so wie „Das brennt jetzt ein bisschen“. Eigentlich müsste es Chili-Spray heißen, oder, ganz korrekt: Chemiewaffe.

Wenn ein Soldat Pfefferspray einsetzt, verstößt er gegen das Genfer Biowaffenabkommen.

Stand gestern in der Berliner Zeitung: Auf Knopfdruck Schmerz. Außerdem die Erklärung, dass der Begriff ‚Pfefferspray‘ ein Übersetzungsfehler ist, sozusagen, denn das englische Pepper heißt sowohl Pfeffer als auch Paprika als eben auch Chili.

Ein lesenswerter Artikel, der (mal wieder) die Frage aufwirft, warum das Zeug überhaupt erlaubt ist. Als Alternative zur Schusswaffe, sagt die GdP. Bloss: wenn immer alternativ geschossen würde, wenn aktuell „Pfefferspray“ eingesetzt wird, wäre die Demokratie hier auch der Form halber inzwischen aufgelöst. Während der Castor-Proteste 2010 z.B. versprühte die Polizei allein 2190 Dosen.

Pfefferspray ist tödlich: Der Spiegel berichtete 2009 von 3 Toten in einem halben Jahr. Die Berliner bezieht sich auf die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU, die von ’93-’95 26 Todesopfer zählte, das amerikanische Justizministerium 2003 insg. 63 Tote (pdf). So ähnlich stand es letzte Woche bereits im österreichischen Standard.at: Pfefferspray – Der neue Wasserwerfer (Vorsicht, drastische Bilder)

2011 ist das Jahr des Pfeffersprays – Wenn Demokratien gegen Demonstranten vorgehen, greifen sie zu dem Reizgas, das harmlos aussieht, aber töten kann (Standard)

Wer’s gern ganz ausführlich hat, kann sich eine Anhörung im Bundestag zum Thema als Video ansehen: Pefferspray pro und contra, 2 Stunden lang.

Sich gegen Pefferspray zu schützen, ist übrigens verboten: Skibrillen gelten laut Versammlungsgesetz (dem Berliner wahrscheinlich?) nicht nur als Vermummung, sondern auch als ‚Schutzwaffe‘. Früher hieß das ‚passive Bewaffnung‘, oder? Strafe: bis zu ein Jahr Haft.

Am besten, Ihr lasst das endlich mit dem Demonstrieren.

 

Foto: Jonathan McIntosh, w:de:Creative CommonsNamensnennung

Fragen zu Auto-Brandstiftungen

Es gibt Geschichten, die könnte das Leben nicht besser schreiben.

Andre H. aus Berlin-Moabit also hat die Autos angezündet. Dass bei uns heute noch nicht das Telefon geklingelt hat, liegt wohl nur daran, dass er kein Soziologie-Student, sondern Hartz IV-Empfänger ist. James Braun hat ihn gefangen.

Seit der Erfolg der Berliner Polizei gemeldet wurde, frage ich mich, wann denn ein bisschen Demut seitens der verbalen Brandstifter zu sehen sein wird? Noch in der Aktuellen Stunde zu linksextremistisch motivierter Gewalt letzten Donnerstag im Bundestag wurden wieder die linksextremen TäterInnen beschworen. Das ist an sich schon eine demagogische Schweinerei, weil ja selbst die Polizei sagt, dass sie in der Regel nicht wissen können, wer die Autos anzündet. Und dann eben ab einer bestimmten Preisklasse davon ausgeht, dass es wohl ein politisches Motiv sei, ergo: Linksextremisten.

Für die Fahnder bestätigt sich mit der Festnahme die oft geäußerte Vermutung, dass der Großteil der Brandstiftungen nicht von extremistischen Tätern begangen wurde. (Berliner Morgenpost)

Wird dann jetzt eigentlich die Statistik korrigiert, die mit den Prozentzahlen zu linken TäterInnen??

Andererseits: der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei ist pflegt, von Fakten unbeeindruckt, das Stereotyp:

Brandanschläge bleiben ein Mittel der öffentlichen Aufmerksamkeit auch für extremistische Kräfte. (Focus)

Das Motiv, der Sozialneid des Hartz-IV-Empfängers, der mit seiner kranken Mutter in einer Wohnung lebt, könnte natürlich auch politisch interpretiert werden. So weit zu gehen, den Ärger der Armen als linksextrem zu definieren, sind wir allerdings noch nicht.

Und dann lese ich, dass der Täter seit dem 23. August bekannt war. Seit Ende August dann wurden die 150 Berliner FahnderInnen von der Bundespolizei unterstützt (Handelsblatt). Einen Monat vor der Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin. Hallo?

Die verschiedenen mit großer Fanfare präsentierten ‚echten‘ Linksextremen wurden doch immer gleich auf der Straße festgenommen, ohne sich weiter groß mit Beweisen aufzuhalten – und jetzt wird zwei Monate gewartet? Wie erklärt sich das denn?

Zugegeben hat der die Taten „nach beharrlichen Befragungen“ (Berliner Zeitung, Print).  Hat den ein Arzt gesehen hinterher?

Und schließlich: Im Spiegel ist von insgesamt 470 beschädigten Fahrzeugen in Berlin in diesem Jahr die Rede, in Brand gesteckt worden seien 341. In der Berliner Zeitung ist im selben Artikel von 550 beschädigten Fahrzeugen  und dann in einem zusätzlichen Kasten von 470 angezündeten plus 183 beschädigten Autos die Rede (macht 653). Der schon zitierte GdP-Sprecher der Festgenommene behauptet, der Festgenommene sei nicht mal für ein Zehntel der Brandstiftungen verantwortlich. Damit wäre wir bei mindestens 700-1000 Autos dieses Jahr, je nach Zählweise.

Mal sehen, wie das bis zur Ernennung des neuen Berliner Innensenators weitergeht.

Frontal 21 über die Ermittlung gegen Lothar König und Handygate

Lothar König, Jugendpfarrer im thüringischen Jena, fühlt sich an Willkür und Rechtlosigkeit in der DDR erinnert. Die sächsische Justiz verdächtigt den Geistlichen, Rädelsführer einer linken Schlägertruppe zu sein. Dabei hatte Jugendpfarrer König mit seiner Jungen Gemeinde im Februar 2011 lediglich versucht, einen Neonazi-Aufmarsch in Dresden mit friedlichen Mitteln zu blockieren, so wie 20.000 weitere Demonstranten auch. [mehr]

Das Video in der ZDF-Mediathek und das Manuskript als PDF.

 

„2000 Euro für eine Woche Krankschreibung“

… betitelt die RP-Online einen Artikel, der Licht auf die regelmäßig beeindruckenden Zahlen verletzter PolizistInnen wirft.

Die Vorgeschichte: am 14. Juni gab es einen brutalen Angriff auf zwei Polizisten aus Oberhausen.

Schien es. Immerhin häufen sich die Angriffe auf Polizisten ja auch immerzu.

Dann allerdings, zwei Monate später, gab es Zweifel, ob es den Angriff wirklich gegeben hatte.

Die beiden Beamten wurden vorläufig vom Dienst suspendiert. Ein Ermittlungsverfahren ist eingeleitet. (RP-Online, 23.8.)

Und was war’s? Versicherungsbetrug! Ist ja auch eine ziemliche Versuchung, bei 10 Euro Monatsbeitrag für eine Woche Krankschreibung 2000 Euro extra zu kriegen. Gibt’s exklusiv bei der PVAG-Versicherung, „ein Gemeinschaftsunternehmen von Signal-Iduna und GdP“.

(Danke für den Hinweis!)

Vernetzung der Polizei-DNA-Datenbanken

Ich war gestern bei einer Veranstaltung, bei der mehrmals der Satz fiel: „Eigentlich.. verstehen wir nicht, warum sich die netzpolitische Community nicht für uns interessiert“. Ich auch nicht, das ist ein großes Versäumnis.

E s geht um das Thema Vernetzung von Polizei-DNA-Datenbanken, die Kampagne dazu heißt fingerwegvonmeinerdna.de und hat ein sehr charmantes Maskottchen: das Wattestäbchen Willi Watte, ehemals im Dienst der Polizei. Alles wesentliche steht in den FAQ zur Speicherung von DNA-Daten.

Gestern abend (nein, es gibt keine Aufzeichnung) berichtete Constanze Kurz, CCC, allgemein über die Verwendung von Biometrie, Uta Wagenmann, Gen-ethisches Netzwerk, beschrieb, wie DNA-Analyse funktioniert (die schrillsten Folien ever), Eric Töpfer, Cilip, sprach über die Polizei-Datenbanken und Sönke Hilbrans, RAV über die juristische Praxis dazu. Jeder der vier Vorträge hätte Dokumentation verdient.

Viel zum Thema steht in der Februar-Ausgabe des GID (Gen-ethischer Informationsdient): Gespeicherte Körperspuren. Zur Expansion von Polizei-DNA-Datenbanken.

Die Kampagne hat schon ein paar sehr hübsche Sachen unternommen – neben der klassischen Aufklärung -, z.B. eine Umzingelung des BKA. Mit Wattestäbchen.

Morgen (Freitag) um 12 findet eine Kundgebung in Berlin statt, vor der Europäischen Kommission. Anlass hier ist der morgen geplante Start der technischen Vernetzung der DNA-Datenbanken. (s. auch netzpolitik.org). Eric Töpfer berichtete allerdings, dass auch diese Datenbank-Vernetzung der Polizeien auf EU-Ebene an technischen Schwierigkeiten leidet und deswegen nicht nicht so weit ist, wie sich die InnenpolitikerInnen das ausgedacht hatten.

Ich hören nebenbei Chaosradio beim Berliner Radio Fritz, zum selben Thema, mit Sill vom CCC und Uta Wagenmann und Susanne Schultz vom Gen-ethischen Netzwerk. Das wird es sicherlich hinterher auch als Podcast geben, selbe URL.

Was mir bei den vielen Infos der Veranstaltung besonders in Erinnerung geblieben ist, ist ein Satz von Sönke Hilbrans:

Die jungen Leute müssen lernen ‚Nein‘ zu sagen.

Denn oft sind DNA-Abnahmen der Polizei nicht verpflichtend, es wird aber natürlich reichlich psychisch manipuliert, um die Einwilligung zu erreichen. Dass es eine gute Idee ist, alles abzulehnen, was die Polizei ohne Staatsanwalt oder Richterin vorschlägt, ist vielen leider nicht so klar. Selbst die Teilnahme an Massen-Gentests ist nicht verpflichtend.

Das Gen-ethischen Netzwerk hält die möglichen Folgen der Vernetzung der polizeilichen Gen-Datenbanken für drastischer als etwa den Austausch von Flauggastdaten.

Wer freitags nicht spontan um 12 in der Berliner Mitte sein kann, kann auch noch diesen Offenen Brief: DNA-Sammelwut stoppen! unterzeichnen.

 

 

Genua 2001

http://www.fandango.it

 

„OP Genua 2001 – Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ entstand während der Begleitung des Prozesses, der 25 italienischen AktivistInnen stellvertretend wegen der Krawalle am 20. Juli in Genua gemacht wurde. An diesem Tag wurde auch Carlo Giuliani erschossen. Sie wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Das Genau-Rechtshilfeteam hat u.a. durch das sekundengenaue Zusammenschneiden von Videoaufnahmen und Polizeifunk nachgewiesen, dass die italienische Polizei maßgeblich für das Entstehen der Auseinandersetzungen verantwortlich ist.

Download bei archive.org. Die DVD mit Untertiteln und Begleitheft kann für 9 Euro beim Genua-Rechtshilfebüro bestellt werden: GENOA LEGAL FORUM via San Luca 15/7, 16124 Genova info@processig8.org

 

http://www.youtube.com/watch?v=LQp1Cu0QxxE

http://www.diazilfilm.it/

Kritische Anmerkungen zum Diaz-Film bei Aufsmaulsuppe 123, auch dazu die taz.

 

Filme, Filme, Filme:

Processi G8 Processi G8 (YouTube) KanalB

Gipfelstürmer

 

 

Zum besseren Verständnis der Kategorien „Links“ und „Rechts“ in der Polizei-Statistik

Die Zählweise, was jeweils linke oder rechte Straftaten, wahlweise linker oder rechter Extremismus ist, ist nicht immer einfach zu durchschauen. Der bayrische Verfassungsschutz möchte seit Oslo sogar einen neuen Extremismus einführen, denn rechts kann das ja nicht gewesen sein. Ob die Berliner Autos von linken oder anderen oder einfach Pyromanen angezündet werden, ändert sich je nach politischer Großwetterlage.

Hilfreich für das Verständnis fand ich „Ins linke Licht gerückt“ vom berlinpankowblogger. Darin wird über eine Anfrage der Grünen zu ‚politisch motivierten Straftaten‘ in Berlin Neukölln im Jahr 2010 berichtet. Das Ergebnis sagt eigentlich alles, was es zu diesem Thema zu sagen gibt:

16. Oktober 2010, 15.20 Uhr (Tatzeit): Ca. 15 Personen liefen durch die McDonalds Filiale und spielten dabei lautstarke Musik, aus einer mitgeführten Musikanlage, ab. Na, erraten? Richtig! Linke Straftat.

23. September 2010 9.00 Uhr: Unbekannte bewarfen die Schaufensterscheiben des Quartiersmanagement Reuterplatz mit unbekannten Gegenständen. Na? Richtig. Linke Straftat.

9. September 2010, 11.35 Uhr: Eine Gruppe demonstrierte auf dem Gehweg vor dem Jobcenter. Eine männliche Person hielt ein Plakat, auf welchem die Namen von Mitarbeitern des Jobcenters vermerkt waren, drei weitere Personen verteilten Handschriften. Jetzt wird´s schwer, oder? Linke Straftat.

11. Juli 2010, 23.30 Uhr: Ca. 50 Personen führten eine Demonstration ohne Anmeldung durch. Klar, das machen keine Rechten. Linke Straftat.

29. Oktober, 13.15 Uhr: In der Moschee des Tekke-i Kadiriyye Mescidi e.V. erscheinen immer wieder Personen die versuchen, Mitglieder für die Weltanschauungen der verbotenen Hizb ut Tahrir zu begeistern. Na? Logo, linke Straftat.

14. Juni 2010, 2.15 Uhr: Unbekannte Tätergruppe entwendet eine am Spätkaufladen angebrachte Deutschlandfahne. Wer nun denkt, für den nächsten Nazi-Aufmarsch, denkt falsch. Linke Straftat.

8. Mai 2010, 14.10 Uhr: Im Rahmen der Eröffnung des Tempelhofer Feldes konnten drei Personen beobachtet werden, welche ein Transparent und 2 Thermokübel mit sich führten. Linke Straftat.

3. Januar 2010, 11.30 Uhr: Der Geschädigte ist jüdischen Glaubens, daher kam es vermehrt zu Streitigkeiten mit antisemitischem Inhalt zwischen ihm und dem Beschuldigten arabischer Herkunft. Eindeutig, oder? Steht aber unter: Linke Straftat.

12. Januar 2010: Eine unbekannte Person klingelte nach Angabe des Anzeigenden an der Haustür der Geschädigten und äußerte auf deutsch mit arabischen Akzent: Hier ist die Hizb Allah, wir wissen, was ihr tut. Richtig geraten. Linke Straftat.

Es wird aber noch besser. Unter „sonstige motivierte Straftaten“ werden all jene erfasst, welche die zuständigen Bearbeiter nicht zuordnen konnten. Kann man verstehen. Manche Straftaten kann man einfach nicht zuordnen. Wie diese hier:

7. März 2010, 4.40 Uhr: im Verlauf einer Streitigkeit soll der Beschuldigte den rechten Arm zum Hitlergruß gehoben und laut „Heil Hitler“ gerufen haben. Sonstige Straftat.

3. Juni 2010, 0.30 Uhr: Anlässlich eines Hausfriedensbruchs im Hotel „Estrel“ leistete der Beschuldigte Widerstand. Dabei äußerte er mehrfach „Sieg Heil“. Sonstige Straftat.

14. Oktober 2010, 12.10 Uhr: Der Beschuldigte befand sich in Begleitung dreier Personen und rief dreimal laut die Worte „Sieg heil“ und zeigte dabei den Deutschen Gruß. Sonstige Straftat. (berlinpankowblogger)

 

Die gesamte Kleine Anfrage (pdf) samt Anhang (pdf) mit den einzelnen Vorfällen samt Einordnung, auch bei der  BVV Neukölln.