Sächsische Farce

Der Prozess gegen Lothar König enttäuscht die Erwartungen nicht. Staatsanwältin und Richter kündigen einen dreifachen Salto mit Schraube an und wir sind alle sehr auf die Landung gespannt. Wenn’s nicht so ernst wäre, wäre es fast komisch:

Es sieht so aus, als ob der Ausgang des Prozesses entscheidend von den selbstgedrehten Filmaufnahmen abhängt. Verschiedene Prozessbeobachter, darunter mehrere Professoren, äußern deutliche Zweifel an der Rechtstaatlichkeit.

Großen Applaus an die Soligruppe der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte, die den Prozess mit Veranstaltungen, Demos, Ticker und Pressearbeit begleitet. Das sieht erstmal nach nicht viel aus, ist aber ’so nebenbei‘ zum normalen Alltag eine ziemliche Leistung. Kostet natürlich auch Geld, das nicht vom Himmel fällt, deswegen:

Spendet, bitte!

Hier nochmal die Chronik zum Verfahren.

Und ausgesuchte Berichte:

 

Sächsische Justiz gegen Lothar König

gemeintsindwiralleHeute war der erste Prozesstag im Verfahren gegen Lothar König. Schön, dass darüber breit berichtet wurde, aber ein paar Sachen wollte ich hier nochmal zusammensammeln. Auf die Presseberichterstattung zu verlinken ist ja seit dem Leistungsschutzrecht leider für die meisten Presseerzeugnisse verboten (stimmt zum Glück nicht, siehe Kommentare), aber zum Glück hat die Soligruppe der Jungen Gemeinde Jena eine gute Übersicht. Überhaupt reicht eigentlich eine Weiterleitung nach dort. Die JG hat sowohl live getickert als auch schon einen Bericht vom ersten Prozeßtag. Worum es geht, steht in der Chronik der Ereignisse.

Einen weiteren Live-Ticker gab’s beim Neuen Deutschland. Sein Anwalt Johnny Eisenberg, von Metronaut auch als ‚Sturmgeschütz‚ bezeichnet, war heute optimistisch:

Ich glaube, dass Lothar König freizusprechen ist. Vielleicht nicht hier bei diesem Amtsgericht Dresden, aber da gibt es eine eindeutige Rechtssprechung des Verfassungsgerichts. (Video)

Spiegel Online:

Die sächsische Justiz hat bei diesem Verfahren einen schweren Stand. Zum einen hat das Amtsgericht Dresden bereits mit Tim H. einen ersten, mutmaßlichen Rädelsführer vom 19. Februar 2011 zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt – mit einer Begründung, die ihresgleichen sucht.

Zum anderen sitzt da nun ein Jugendseelsorger vor Gericht, der Zeit seines Lebens den Rechtsextremismus bekämpft, dessen Engagement von vielen als selbstlos bezeichnet wird. Ein Freispruch im Fall König würde die Verurteilung Tim H.s torpedieren. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach im Zusammenhang mit dem Verhalten der Behörden bei der Anti-Nazi-Demo von „sächsischer Demokratie“.

Feine Sahne Fischfilet, selbst auch der antifaschistischen Aktivität verdächtig und deswegen vom Verfassungsschutz beobachtet, konnten nicht dabei sein und haben deswegen Grüße geschickt:

Sämtliche Berichte klingen, als ob die sächsische Justiz wie gewohnt nicht gut aussah. Ob denen sich das wie gewohnt völlig egal ist, wird sich noch zeigen. Die nächsten Prozesstermine sind der 24. April und der 13., 28.-30. Mai, jeweils um 9 Uhr im Amtsgericht Dresden.

 

 

 

 

 

Prozess gegen Lothar König scheitert an sächsischer Justiz

Ohne Dich ist alles doof

Champagner.

Eigentlich hätte am Dienstag der Prozess wegen “schwerem, aufwieglerischem Landfriedensbruchs” (§125a StGB) gegen Lothar König, den Stadtjugendpfarrer von Jena, begonnen. Am Montag ist der Start des Prozesses an der Dämlichkeit der sächsischen Behörden gescheitert. Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum Schreien komisch.

Was ist passiert? Kurz vor Prozessbeginn ist ein Stapel Material in den Prozessakten aufgetaucht, den die Verteidigung noch nie gesehen hatte. Wie kam der dahin? Warum war der vorher nicht da?

Dass Prozessakten nicht vollständig sind, ist nicht ungewöhnlich. Das ist nicht vorgesehen und immerhin haben wir ja einen Rechtsstaat und so, aber faktisch passieren trotzdem in deutschen Gerichten die bizarrsten Dinge, weil, guckt ja niemand so genau hin. Wo wir doch den Rechtsstaat…

Dass allerdings ausgerechnet in diesem Prozess mal eben ein

etwa 100 Blatt starkes ungeordnetes Konvolut von Lichtbildmappen, CD-Rom mit anklagerelevanten Videomaterial und polizeilichen Auswertungsmaterialien (JG Stadtmitte)

vom Himmel fällt, bestätigt alle Vorurteile über die sächsische Justiz. Es gibt eigentlich nur zwei mögliche Interpretationen: die StaatsanwältInnen plus Polizei sind sich sehr sicher, dass ihnen da niemand reinpfuscht. Oder haben den Bezug zu den letzten Resten demokratischer Rechtsstaatlichkeit vollständig verloren. (Jedesmal, wenn ich über die schreibe, frage ich mich, ob ich bei der nächsten Einreise festgenommen werden. Deswegen, liebe Zensoren: das sind Vermutungen, keine Behauptungen. Ok?)

Nun ist es aber so, dass die ganze Republik diesen Prozess beobachtet. Und Lothar König einen Anwalt hat, der in Berlin als Kettenhund des Politischen Prozesses bekannt ist: Johnny Eisenberg, der schon aus kleineren Anlässen größere Skandale fabriziert. Der hat dann kurz die Augenbrauen hochgezogen und das Gericht in Dresden hat den Prozess jetzt verschoben. Ich bin sehr gespannt, wie das weitergeht.

Noch ein bisschen zum Prozess an sich. Die FR fasst das so zusammen:

Ein Pfarrer aus Jena kämpft seit Jahren gegen den Einfluss von Neonazis. Jetzt muss er vor Gericht, weil er an einer Demonstration teilgenommen hat, die sich gegen den größten Aufmarsch von Neonazis in Europa richtete.

Mehr über Lothar König:

Er selbst dazu:

Seit der Wohnungsdurchsuchung im August 2011 ist mir eine ungeahnte Solidarisierung zuteilgeworden. Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet; aus Antifagruppen, Kirchen, Gewerkschaften, aus allen Parteien und allen Altersgruppen haben mir geschrieben und/oder für die Prozeßkosten gespendet. Das hat mir mein Engagement und das Durchhalten wesentlich erleichtert. Nur wenigen konnte ich bisher ein Dankeschön zurückgeben.

Ich will aber nicht verhehlen, daß die Vorbereitungen auf den anstehenden Prozeß zeitlich und kräftemäßig an den Rand der Belastbarkeit führen. Die Ungewißheit seines Ausganges und die drohende Vergeblichkeit aller Anstrengungen führen an die Grenzen, was ich gegenüber mir und anderen verantworten kann . Hinzu kommt der enorme finanzielle Aufwand.

Ein Scheitern ist immer möglich. Doch trotz aller Ohnmacht, trotz eigener Zweifel und Fragen , trotz drohender Sinnlosigkeit aller Bemühungen sage ich: „ . . . nichts, nichts was ich hätte tun oder lassen, wollen oder denken können, hätte mich an ein andres Ziel geführt. “ (Christa Wolf)

So ist die Verurteilung von Tim H. und die drohende von mir kein Scheitern von uns. Es ist das Scheitern einer Justiz, die antifaschistisches und demokrat- isches Engagement kriminalisiert.

Jena, im Februar 2013, Lothar König, Pfarrer

Wer spenden möchte, kann das hier machen: www.prozesskostenhilfe-lothar.de

Hat alles seine Ordnung. Ein ganz normaler Tag in Deutschland.

Artikel 5 GrundgesetzIch werde gern ab und zu danach gefragt, was ich von unserem Rechtsstaat halte. Mehr als von anderen, aber ansonsten können sich gern alle selbst eine Meinung bilden. Zum Beispiel heute:

Mehr als 100 PolizistInnen durchsuchen die Räume von 8 Fotografen in in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Fotografen werden wegen nichts beschuldigt – es sollen Bilder von einer Banken-Demonstration letztes Jahr in Frankfurt beschlagnahmt werden.

Der gesunde Menschenverstand hätte jetzt nach der Pressefreiheit gefragt, und was für Richter eigentlich solche Durchsuchungsbeschlüsse unterschreiben. Ich nehme an, wir werden noch davon hören.

Mehr dazu:

Usw. usw.

Sachsen lässt Ex-Punk in Baden-Württemberg durchsuchen

Dann: eine Durchsuchung wegen eines 30 Jahre alten Punk-Songs. Der jetzt den sächsischen Staatsschutz so mitgenommen hat, dass er die Suche nach rechtsradikaler Musik liegen ließ und sich einem inzwischen ergrauten Ex-Punk und jetzt Handwerker in der Nähe von Waiblingen zuwandte. Sehr schön beschrieben in Hausdurchsuchungen bei den Normahl-Punks:

Heutzutage käme kein Winnender Polizist mehr von sich aus auf die Idee, Besa für sein „Bullen“-Lied zu verfolgen. Schließlich braucht auch ein Uniformierter mal schnelle Hilfe beim Wasserrohrbruch.

Muss man zu Sachsen noch was sagen? Kann man zu Sachsen noch was sagen? Ich fürchte ja. Die juristische Realität dort ist so unglaublich nicht mehr demokratie-tauglich, dass eigentlich die gesamte Regierung samt Justiz ausgetauscht werden müsste. Das Schöne ist, dass wir das immerhin sagen dürfen. Tragisch, dass sich nichts ändert, und das meine ich nicht ironisch.

 

OECD-Beschwerde gegen Hersteller von Überwachungssoftware

Schließlich war ich heute morgen bei einer Pressekonferenz wegen eines noch düsteren Themas: Es ist völlig legal, dass deutsche Firmen Überwachungssoftware an Regime wie beispielsweise Bahrain verkaufen, wo die dann gegen AktivistInnen eingesetzt wird, die ähnliche Ziele wie der arabische Frühling verfolgen.

Ihre Smartphones und Computer werden abgehört, ihre Nachrichten mitgelesen, die Mikrofone und Kameras aus der Ferne eingeschaltet, um ihre Gespräche mitzuhören.

Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind insbesondere seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 in dem arabischen Golfstaat Bahrain verwendet worden, um Dissidenten festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen.

„Die Opfer wurden mit Sätzen konfrontiert, die sie in vertraulichen Telefonaten oder E-Mails geäußert hatten“, sagte Maryam al-Khawaja, geschäftsführende Präsidentin des Bahrain Center for Human Rights. „Es gibt Belege für Menschenrechtsverletzungen auf breiter Front, bei denen auch mit Hilfe des Internets  gegen Dissidenten vorgegangen wurde. Um diese Übergriffe zu stoppen, müssen auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu ihnen beigetragen haben.“ (Reporter ohne Grenzen)

Der Verkauf und dann das Einsetzen solcher Software ist sehr schwer nachzuweisen – das ist der einzige Grund, warum nicht gegen die Firmen geklagt wird. Die OECD-Beschwerde ist ein relativ stumpfes Schwert, aber derzeit die einzige Möglichkeit. Bekannt ist immerhin, dass die deutsche Firma Trovicor, ehemals Nokia Siemens, vermutlich

… in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können. (Reporter ohne Grenzen)

Mindestens nötig wären Exportkontrollen für diese Überwachungstechnologien, die in Deutschland immerhin verfassungswidrig sind. Warum darf in andere Länder verkauft werden, was hier verboten ist? Bloß: dafür ist das Wirschaftsministerium zuständig und das steht traditionell Unternehmen näher als Menschenrechtsorganisationen.

Mehr dazu:

Oder auch Syrien bekommt Überwachungstechnik von Siemens

Und sowieso: Big Brother Inc.. A global investigation into the international trade in surveillance technologies, von Privacy International.

Foto: Prinsessan_J / Flickr, BY-NC-ND-Lizenz

22 Monate Haft für Megafon-Ansagen bei „Dresden Nazifrei“

Auf dem linken Auge ist jedenfalls niemand blind: 22 Monate Haft ohne Bewährung für Megafon-Ansagen für Tim H., 36, aus Berlin.

Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft ihm vor, den Durchbruch durch eine Polizeisperre an der Bamberger/Bernhardstraße mit Megafon-Ansagen regelrecht organisiert und koordiniert zu haben. (taz)

Am 19. Februar letzten Jahres, bei „Dresden-Nazifrei“. Bundesland: Sachsen.

Bei den Auseinandersetzungen waren vier Polizisten verletzt worden, einer wurde als „Nazischwein“ beschimpft.

Ja dann. (Nicht vom Angeklagten allerdings, jedenfalls wurde ihm das nicht nachgewiesen).Dass die Dresdner Staatsanwaltschaft vom Blockieren von Nazis nichts viel hält, ist ja nicht neu und offensichtlich hat sie nichts dazu gelernt. Die Demos gegen Nazis seien nämlich nur der

Deckmantel für Attacken auf Polizisten.

Alles klar. Weil Tim H. außer dem Megafon nichts vorgeworfen wird, musste noch Rädelsführerschaft dazugedichtet werden und fertig ist der schwere Landfriedensbruch. Identifiziert wurde er übrigens durch seine Körpergröße:

Ein Zeuge hatte ihn im Gericht nicht identifizieren können. Der Staatsanwalt verweist auf ein Polizeivideo. Dort sei ein Mann zu sehen, dessen Statur der des Angeklagten gleicht. (Neues Deutschland)

Ich weiß nicht, inwiefern das der Wahrheitsfindung diente, aber der Richter fand

Irgendwann hat die Bevölkerung in Dresden es mal satt (ND).

Dann könnte den Nazis das Marschieren ja auch einfach verboten werden – da hätten alle was davon.

Die Berliner Morgenpost inszeniert das Ganze übrigens als Gewaltorgie hübsch mit steineschmeißenden Vermummten und viel Feuer. Im Verfahren war von brennenden Barrikaden allerdings keine Rede.

 

Die Extremismusklausel ist illegal

Mal wieder rettet ein Gericht die Demokratie vor der Regierung: das Verwaltungsgericht Dresden (!) hat die Extremismusklausel für rechtswidrig erklärt. Die Ohrfeige gönne ich der eh schon nicht mehr so richtig beliebten Extremismus– Familienministerin Schröder von Herzen.

Im Wortlaut:

Die von Zuwendungsempfängern im Rahmen des Bundesprogramms »TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN» geforderde »Einverständniserklärung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung«, die sog. Extremismusklausel oder Demokratieerklärung, ist rechtswidrig. Dies entschied das Verwaltungsgericht Dresden mit Urteil vom heutigen Tag (Az. 1 K 1755/11).

Das Gericht ließ sich auch nicht nehmen, explizit mit Link auf die Website der illegalen Extremismusklausel hinzuweisen.

Geklagt hatte das sächsische Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AKuBiZ e.V.), das schon 2010 Schlagzeilen gemacht hatte, weil es den sächsischen Demokratiepreis abgelehnt hatte. Bedingung für die Preisverleihung wäre auch gewesen, dass die Extremismusklausel unterschrieben wird.

Mit dem Thema Extremismusklausel habe ich mich schon öfter beschäftigt, deswegen lasse ich die Erklärung weg, warum die Klausel ein Problem ist. Dass mich die Entscheidung freut, wird niemanden groß überraschen.

Das AKuBiZ selbst:

Bei aller Freude über das Urteil, so ist es traurig, dass wir es überhaupt erstreiten mussten. Die Extremismusklausel ist eine aktive Behinderung der wichtigen Arbeit gegen Rechts vor Ort. Die Auffassung des Gerichts bestätigt, dass Demokratiearbeit nicht mit Misstrauen begegnet werden darf.“

Details u.a. bei Publikative oder (links)extremismus.

Das Betreuungsgeld ist ja gerade auch nicht so eine Erfolgsstory; die Meldung, dass sie dem BKA schonmal meldet, dass bei Twitter über sie gesprochen wird, auch nicht. Mal sehen, wie lange sie sich noch hält.

 

Bild: Frank Hamm, Flickr, CC-Lizenz

Dresden bleibt nazifrei

Publikative hat dankenswerterweise alles Nötige:

In Dresden planen heute Tausende Menschen Proteste gegen den jährlichen Aufzug von Neonazis. Die Rechtsextremen wollen ab 18.00 Uhr mit Fackeln durch die Stadt ziehen. Hier die wichtigsten Links zu dem Tag in Dresden.

Hier der Demoticker sowie der Ticker von Dresden nazifrei. Dort gibt es auch einen mobilen und einen Twitter-Kanal:

http://ticker.dresden-nazifrei.com
http://wap.dresden-nazifrei.com
Twitter-Kanal

Infotelefon:
0351 – 418 88 922

Coloradio Frq: 98.4 & 99.3
13. Februar ab 18 Uhr
18. Februar ab 12 Uhr

Ermittlungsausschuss
0351 – 899 60 456
Ausschließlich Melden von Festnahmen!

Demo-Sanis
0177 – 621 82 42

Alle weiteren Informationen finden sich auf der Seite “Block Dresden 2012“. Dort werden auch Karten für die Proteste am 13. und 18. Februar bereitgestellt.

Wer wissen möchte, was die Nazis vorhaben, der kann die  Infotelefone der Berufsopfer anrufen: 0174/7842672 und 0152/59533896 (ACHTUNG: Infotelefon der Nazis!!!) 

NS-Propaganda und selektive Wahrnehmung

Hier ein Gespräch mit Henning Fischer über den Ursprung und Wandel des “Mythos Dresden” auf Publikative.org.

Am 18. Februar planen die Rechtsextremen einen großen Aufmarsch, dieser soll erneut blockiert werden.

«Protest zwischen legitimer Aktion und illegitimer Repression»

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat das Video des Abschluss-Panels des IL-Kongresses zum Zivlen Ungehorsam fertig. Am Anfang sind ein paar ‚Highlights‘ rausgeschnitten, danach kommt dann die komplette Aufzeichnung.

Es reden miteinander: Martin Kaul, die tageszeitung, Bodo Ramelow, MdL DIE LINKE, Corinna Genschel, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Prof. Andreas Fisahn, Uni Bielefeld, Alexander Schneider Sächsische Zeitung und ich.

Ich fand das Podium ein bisschen ungleichmäßig besetzt: vier Leute, die ‚den Protest‘ vertraten ‚gegen‘ einen Redakteur der Sächsischen Zeitung, der gewissenmaßen als Vertreter Sachsens da saß und sich ziemlich tapfer geschlagen hat. Um die Rolle habe ich ihn nicht beneidet. Insgesamt war es aber ganz informativ, hoffe ich.

Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit

„Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit“ – zentraler Satz im heute vormittag vorgestellten Bericht der Untersuchungskommission 19-2. Denn: Der Freistaat Sachsen sieht das anders und nimmt daher die Stzblockaden zum Vorwand, den wohl unbestritten dringend nötigen Protest gegen Nazi-Aufmärsche jedes Jahr im Februar in Dresden in Grund und Boden zu kriminalisieren.

Heute vormittag hat die Untersuchungskommission 19-2, die sich mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Dresden am 19.Februar 2011 und dem Verhalten der sächsischen Polizei und Justiz beschäftigt hat, einen Bericht mit ihren Ergebnissen vorgestellt. Weil es schneller geht und weil die Kommission sich damit auch Mühe gemacht hat, schreibe ich die Pressemitteilung dazu nicht um. Der komplette Bericht steht als PDF unten drunter.

Versammlungsfreiheit – ausschlaggebende Grundlage der Verfassung

Die „Untersuchungskommission 19. Februar“ hat heute in Berlin die Ergebnisse ihrer Recherchen zum sächsischen Umgang mit den Demonstrationen und Gegendemonstrationen im Februar 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Verfasser hoben zusammenfassend hervor:

  • Entgegen den polizeilichen und regierungspolitisch geschürten Darstellungen war Dresden im Februar 2011 nicht von Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten aus den Gegendemonstrationen gekennzeichnet. Im Gegenteil:
    Dresden zeichnete sich dadurch aus, dass Zehntausende Bürger und Bürgerinnen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit „gewaltfrei und ohne Waffen“ in ihre Hände nahmen. Sie waren auf der Straße, um gegen die braunen,  nationalistischen und rassistischen Bestrebungen ein deutliches Zeichen zu setzen.
  • Das Trennungskonzept der Polizei, das den Gegendemonstrierenden von vorneherein und systematisch ihr Recht auf Versammlungsfreiheit verweigerte, erzeugte fast zwangsläufig Konfrontationen. Nicht die Versammlungsbehörde, sondern die Bürger und Bürgerinnen müssen entscheiden können, wo und wann sie demonstrieren. Die Aufgabe der Polizei muss es sein, dies absichernd zu unterstützen. Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit.
  • Überwachungen und Datenerfassungen im Kontext dieser Demonstrationen überschreiten jedes demokratisch erträgliche Maß. Mit Verfahren nach § 129 StGB (Kriminelle Vereinigung) wurden Bürger und Bürgerinnen, die die Proteste vorbereiteten, schon im Vorhinein kriminalisiert. Die willkürliche Verdachtskonstruktion eröffnet der Polizei vor allem Eingriffs- und Überwachungsrechte. Interessierte und engagierte Bürger muss solches Vorgehen davor abschrecken, sich politisch zu beteiligen. Auch mit der Kriminalisierung der Beteiligten nach Versammlungsgesetz und nach § 125 StGB (schwerem Landfriedensbruch) soll vor allem von politischer Teilhabe abgeschreckt werden. Das aber gefährdet die Demokratie in ihren Fundamenten. Mit der Funkzellenabfrage, die einmal zur Abwehr terroristischer Angriffe gedacht war, ist jedes rechtsstaatliche Maß überschritten worden.

Rechtsanwalt Peer Stolle vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein gab zu bedenken: „Der Bericht ist erst der Anfang einer langwierigen und umfangreichen Aufarbeitung.“

Ringo Bischoff, Bundesjugendsekretär der ver.di jugend erklärte: „Der Umgang der sächsischen Behörden mit dem Versammlungsrecht sowie die Kriminalisierung von zivilgesellschaftlichem Engagement zeugt von einem vordemokratischen Zustand in diesem Bundesland.“

Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie betonte abschließend: „Eine der vornehmsten demokratischen Praktiken besteht im demonstrativen Handeln. Wer dieses gefährdet – wie es die sächsische Regierung und „ihre“ Polizei getan haben – gefährdet  eine der ausschlaggebenden Grundlagen der Verfassung.“

Der „Untersuchungskommission 19. Februar“ gehören an:

  • Friedemann Bringt (Koordinator BAG Kirche & Rechtsextremismus)
  • Sabine Friedel (SPD, MdL Sachsen)
  • Corinna Genschel (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Kerstin Harzendorf (Beraterin für Rechtspolitik der grünen Landtagsfraktion)
  • Kampagne Sachsens Demokratie
  • Kerstin Köditz (Die Linke, MdL Sachsen)
  • Katharina König (JG-Soligruppe, Die Linke, MdL Thüringen),
  • Stefan Lange (Büroleiter Bundesvorstand Bündnis 90/DIE Grünen bei Astrid Rothe-Beinlich)
  • Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen, MdL Sachsen),
  • Albrecht Maurer (BT Linke)
  • Wolf-Dieter Narr (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Thomas Ott (Aktionsnetz Jena, Legalteam, Rechtsanwalt)
  • Kristin Pietrzyk (Rechtsanwältin, Jena, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)
  • Michael Plöse (akj-berlin)
  • Wolfhard Pröhl (Bündnis Dresden-Nazifrei)
  • Martina Renner (Die Linke, MdL Thüringen)
  • Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis 90/Die Grünen, Bundesvorstand, MdL Thüringen und Vize-Präsidentin des Thüringer Landtags)
  • Christine Schickert (Bündnis 90/Die Grünen, Dresden)
  • Elke Steven (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Danilo Starosta (Kulturbüro Sachsen e.V.)
  • Peer Stolle (Rechtsanwalt, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)

Der komplette Bericht der Untersuchungskommission 19-2 als PDF-Datei