Warum Bluesky statt Mastodon?

Eine fliegende Möwe von hinten vor blauem Himmel. Am unteren Rand ein dunkelblauer Streifen Meer.

Für einen Text über Bluesky hatte mich Markus Reuter gestern für netzpolitik.org um ein paar Einschätzungen gebeten. Die sind in seinen Text Warum Bluesky gerade durch die Decke geht – und was Mastodon daraus lernen kann eingeflossen.

Zu jeder seiner Fragen hätte ich noch mehr sagen können, aber es war klar, dass es nur um ein paar Sätze geht. Ich habe mich also bewusst einigermaßen kurz gefasst.

Warum gibt es jetzt diesen Run auf Bluesky?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste: Weil es geht. Bisher sind Invites nötig und wie wir während der Pandemie gelernt haben: Exponentielles Wachstum geht ganz schön schnell, wenn eine bestimmte Menge erreicht ist. Das ist offenbar gerade der Fall.

Dazu kommt die Twitter-Flucht. Das kennen wir schon von Mastodon: Wenn Elon Musk etwas ändert oder ewas besonders Abstoßendes äußert, setzt eine Welle ein weg von Twitter. Sein Tweet kürzlich zur Seenotrettung war ganz offensichtlich so ein Auslöser.

Und schließlich schreiben viele, dass sie mit Mastodon nicht warm geworden sind und hoffen, dass Bluesky ihre Twitter-Alternative wird.

Warum erscheint BlueSky Deiner Meinung nach attraktiver für relevante Teile der (deutschen) Twitter-Öffentlichkeit als Mastodon damals?

Viele schreiben, dass sie Bluesky weniger umständlich, weniger kompliziert finden und spontan besser damit klarkämen. Der zweite Grund, der viel genannt wird: Die Rechthaberei bei Mastodon, die ungebetenen Erklärungen und dazu die Schwierigkeit, dort die passende Community (wieder-) zu finden.

Interessant ist, wieviel Zuversicht es gibt, dass Bluesky all das einlöst. Aktuell im Beta-Stadium funktioniert vieles nicht, was von Twitter gewohnt ist: Keine DMs, keine Hashtags, keine Gifs oder Videos und die Verifizierung des eigenen Accounts ist noch komplizierter als bei Mastodon. Es gibt wenig Möglichkeiten, sich vor Angriffen zu schützen, denn der eigene Account kann nicht auf ‚protected‘ umgestellt werden und alles am eigenen Verhalten ist öffentlich, selbst die Blocklisten. Trotzdem scheint allein die Ästhetik der Plattform zu vermitteln, dass alles so wird wie von Twitter gewohnt. Ich bin mir da nicht so sicher.

Witzig finde ich, dass es an Twitter ja auch immer viel Kritik gab, aber was ich überhaupt nicht lese: Wünsche, was bei Bluesky anders werden sollte oder könnte als bei Twitter – außer der Hoffnung, dass dieses genauso kommerzielle Unternehmen nicht auch von einem wie Musk zerstört wird.

Was müsste Mastodon tun, um attraktiver zu werden und um noch mehr vom Twitter-Exodus zu profitieren?

Ganz offensichtlich spielt UI/UX eine zentrale Rolle, also Usability, gewissermaßen die ‚Haptik‘ bei der Benutzung. Da würden eingefleischte Fediverse-Fans sagen: Es steht ja allen frei, alles kann angepasst werden, aber das ist der Mehrzahl der Nutzer*innen natürlich nicht mal eben so einfach möglich.

Tatsächlich wünschen sich viele, dass die Benutzung einfacher wird und da beißt sich die Katze ein bisschen in den Schwanz: Dann müsste es mehr Vorgaben und weniger Optionen geben, was natürlich immer mit sich bringt, dass es welche gibt, die andere Entscheidungen besser fänden.

Mastodon hat bewusst keine Algorithmen und nur eine rein chronologische Timeline. Für alle, die Social Media für mehr als das reine Geplauder in der kleinen eigenen Community benutzen, ist das ein Problem. Wenn ich nicht den ganzen Tag davor sitze, verpasse ich vermutlich viele wichtige Infos. Twitter hatte für viele auch den Zweck, sich über Nachrichten zu informieren, die nicht über den dpa-Ticker gelaufen sind: Internationale und Bewegungs-News, spezifische Themen. Über die Algorithmen konnte ich relativ sicher sein, dass ich relevante Entwicklungen auch mitkriege, wenn ich tagsüber arbeiten muss. Das fehlt mir persönlich am meisten.

Und dann sind da die ‚Erklärbären‘: Sehr, sehr häufig gibt es zu Posts bei Mastodon ungebetene Erklärungen, oft von oben herab, klassisches Mansplaining. Gern gemixt mit pseudo-ironischen Witzchen, doppelt und dreifach. Es fühlt sich manchmal an wie der IT-Altherren-Stammtisch. Ich weiß nicht, ob es inzwischen belastbare Zahlen gibt, aber alles deutet darauf hin, dass die große Mehrzahl der Nutzer*innen ältere weiße Männer mit IT-Hintergrund sind und mein Eindruck ist, dass Mastodon bzw der Teil des Fediverse, den ich erlebt habe, in die typische Abwärtsspirale gerutscht ist: Wenn eine Community zu homogen ist, ist das kein angenehmer Ort für alle anderen, von denen immer mehr lieber woanders hingehen. Da gegenzusteuern, ist nicht einfach und bräuchte eine sehr bewusste gemeinsame Anstrengung. (Wikipedia lächelt leise.) (*)

Allerdings stellt sich ja auch die Frage, ob Mastodon (wer wäre das eigentlich?) das überhaupt will. Mir haben jedenfalls immer wieder Leute erklärt, dass es ja eben explizit nicht das Ziel sei, Twitter zu ersetzen oder überhaupt ein Angebot für ‚Twitter-Flüchtlinge‘ zu sein.

Warum gehen die Leute nach den Erfahrungen mit Musk jetzt zur nächsten potenziell kommerziellen Plattform und nicht zur föderierten, nicht-kommerziellen Alternative?

Warum benutzen Leute Macs statt Linux? Weil es einfacher zu benutzen ist und ansprechender aussieht. Weil sie andere Themen haben im Leben und ihnen das einfach nicht so wichtig ist. Ich finde das bedauerlich, aber ich glaube, dass wir alle ständig solche Entscheidungen treffen und nicht immer sind die konsequent durchdacht. Was essen wir, wie reisen wir, was konsumieren wir – letztlich ist das dieselbe Frage.

Ich bin gespannt, ob der aktuelle Bluesky-Hype anhält und die neue Plattform hält, was sich viele von ihr versprechen. Ich glaube, die Karten werden nochmal neu gemischt, wenn die Invites wegfallen und sich bestimmte Dynamiken wiederholen, die es bei Twitter schon gab.

(*) Hierzu würde ich gern im Nachhinein noch ergänzen, dass ich natürlich weiß, dass es auch ganz andere Communities und Instanzen gibt. Wie Menschen die Kommunikation bei Mastodon erleben, ist extrem unterschiedlich. Ich beschreibe hier nur einen Ausschnitt, der mir allerdings immer wieder begegnet und der mir auch von vielen anderen beschrieben wurde.

2 Gedanken zu „Warum Bluesky statt Mastodon?

  1. Schade, dass so viele zum „aktuellen Bluesky-Hype“ lediglich das offensichtliche beschreiben. Weder Markus B. noch Markus R. noch Du haben was dazu geschrieben, wer eigentlich hinter Bluesky steckt (Jay & Jack). Wer diese Menschen sind, was sie bisher gemacht haben, und welche Pläne sie erklärtermaßen für Bluesky haben.

    Siehe zB. https://www.coindesk.com/business/2021/08/16/twitter-picks-crypto-developer-jay-graber-to-run-decentralized-social-media-wing/

    Dann würde auch klarer, warum sich das Team hinter Bluesky so wenig für Moderations-Probleme interessiert:

    https://peopleofcolorintech.com/articles/bluesky-users-question-platforms-safety-after-failure-to-protect-black-software-engineer-from-threats/
    oder https://finance.yahoo.com/news/inside-twitter-rival-bluesky-first-205239947.html

    „But in June, Bluesky found itself embroiled in its own controversy after a user signed up for the service with a racist handle incorporating the N-word, and had apparently been permitted to use the platform for weeks without anyone at the company seeming to object.“

    Solche Probleme soll dann alsbald der (web3/crypto)-Markt lösen:

    „Control how you see the world through an open **market** of algorithms.“
    https://atproto.com/ Unter: „Algorithmic choice“

    „Decentralized social networks that have integrated cryptocurrencies can easily add micropayments to user actions.“
    https://jaygraber.medium.com/designing-decentralized-moderation-a76430a8eab

    • Danke fürs Lesen und den Kommentar!

      Ich finde Algorithmen nicht per se schlecht. Faktisch sind es Regeln aller Art und die können sehr hilfreich sein.

      Aber davon abgesehen hast du völlig recht, dass wenig hingeguckt wird, wo die Macher*innen von Bluesky noch so hinwollen. Ich habe hier ja nur die Fragen beantwortet, die mir gestellt wurden, und da ging’s nicht wirklich darum. Ich habe es ein bisschen hiermit angedeutet „Es gibt wenig Möglichkeiten, sich vor Angriffen zu schützen, denn der eigene Account kann nicht auf ‚protected‘ umgestellt werden und alles am eigenen Verhalten ist öffentlich, selbst die Blocklisten.“

      Luca Hammer weist ab und zu auf diese Probleme hin, u.a. hier https://bsky.app/profile/luca.run/post/3kaset2sskp2j (leider nicht öffentlich und nur für Bluesky-Nutzer*innen lesbar, fürchte ich).

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