Ganz normale Polizeigewalt

Im Trubel etwas untergegangen sind zwei Fälle von Polizeigewalt im Januar, die ich hier nochmal rauskrame. Wohl auch, weil sie in Orten ohne Twitteria oder Hauptstadtpresse stattfanden. Besonders ungewöhnlich nicht, skandalös auf jeden Fall.

Nr. 1 – Die Demo am 7. Jahrestag des Todes von Oury Jalloh

Oury Jalloh war Flüchtling und lebte bis zu seinem Tod in Dessau. Er verbrannte unter bis heute ungeklärten Umständen, an Armen und Beinen gefesselt, nach seiner Festnahme in einer Polizeizelle am 7.1.2005. Dabei lag er auf einer Matratze aus schwer brennbarem Material und war vorher durchsucht worden. Dabei war kein Feuerzeug gefunden worden.

Am 7. Januar 2012 fand in Dessau eine Gedenk-Demonstration statt. Zum dabei getragenenen Plakaten mit der Aufschrift „Oury Jalloh – Das war Mord“ hatte der Innenminister von Sachsen-Anhalt vorher erklärt,

dass die Polizei keinen Strafantrag wegen des Slogans „OUR JALLOH _ DAS WAR MORD“ stellen werde, um „weitere Eskalationen“ zu verhüten. Er verwahre sich aber „gegen die Aussage, dass unsere Polizisten Mörder sein sollen“. (Pressemitteilung The Voice)

Dennoch war dieser Satz der Vorwand für die Anwendung von Gewalt durch die Polizei – gegen eine friedliche Demo. Zur Erinnerung:

Das elektronische Journal, das alle Vorgänge auf dem Polizeirevier erfasst, wurde gelöscht. Das Gericht konnte nicht klären, weshalb. Das Feuerzeug, mit dem Jalloh sich selbst angezündet haben soll, wurde nicht bei der ersten Durchsuchung der ausgebrannten Zelle entdeckt. Es ist erst nachträglich in die Asservatenliste eingetragen worden. (taz)

Aus einem Offenen Brief der Internationalen Liga für Menschenrechte und des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Gleich zu Beginn der Demonstration wurden Teilnehmer und Teilnehmerinnen von der Polizei verletzt. Darunter die  Initiatoren der Demonstration und der Versammlungsleiter Mouctar Bah. Im Anschluss an die friedlich verlaufene Demonstration wurden die nach Berlin zurückkehrenden Vorstandsmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh von in der Eingangshallte wartenden Polizeibeamten erkennungsdienstlich kontrolliert, körperlich angegriffen und verletzt. Mouctar Bah wurde bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert.

Zusammengefasst: der Innenminister sagt vorher, der Satz ist ok und der Anmelder (gleichzeitig Gründer der Initiative Oury Jalloh) wird während der Demo dafür von der Polizei bewusstlos geschlagen. Rein zufällig handelt es sich beim Anmelder wie beim Toten um Schwarze.

Auch dazu:

Magdeburger Sonntag: Scharfe Kritik am Polizeieinsatz in Dessau
FR: Überwacht endlich die Überwacher!
Umbruch Bildarchiv: Polizeiübergriffe am Gedenktag (Fotos)

Update: In Dessau ging es nach der Demo sehr gruselig weiter: Zwei Wochen, die Dessau überforderten

Hintergrund: Wer klärt den Fall Oury Jalloh auf? (WDR)

 

Nr. 2 – Polizeieinsatz an der Uni Göttingen

Drei Tage später, am 10. Januar, verprügelten niedersächsische (sic!) BeamtInnen Leute, die gegen den Auftritt von Innenminister Schünemann samt Göttinger Polizeipräsident Kruse bei einer Veranstaltung des konservativen Studenten-Verbands RCDS protestierten (nicht deswegen, sondern wegen der niedersächsischen Abschiebepolitik).

Linke AktivistInnen blockierten den Zugang zu dem Hörsaal, in dem Schünemann und Göttingens Polizeipräsident Robert Kruse sprachen. Die Polizei räumte den Eingangsbereich, wobei die Demonstrierenden geschlagen, getreten, gewürgt und mit dem Kopf gegen die Wand geschleudert wurden. (taz)

Und wie war nun die Stimmung vor dem Hörsaal? Mit einem Wort: friedlich. Da standen nämlich keine vermummten Autonomen mit Pflastersteinen in der Hand und blockierten den Eingang, sondern ganz normale politisch Interessierte wie Vertreter der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die sich insbesondere gegen die rigorose Abschiebepraxis des Innenministers wandten und unter dem Eindruck des Rechtsterrorismus den Finger in die Wunde Verfassungsschutz legten. Die Demonstranten drängten auch nicht in den Hörsaal – da stand nicht nur eine Gruppe Uniformierter, auch die massiven Türen gehen nämlich nur nach außen auf… (RegJo Südniedersachsen)

Alles klar. Videos gibt’s beim NDR. Und ratet mal, wer hinterher die Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Landfriedensbruchs und Körperverletzung gekriegt hat?

Als ich studierte, reichte es für einen gewaschenen Skandal, dass überhaupt Polizei auf dem Uni-Gelände war.

Benjamin Laufer (@rakeede), der neben dem taz- auch einen SPON-Artikel schrieb, hat das ganze noch ausführlicher in seinem Blog: Der lange Weg zur Wahrheit / Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

5 Gedanken zu „Ganz normale Polizeigewalt

  1. Immer wieder schön deine Artikel zu lesen, ich dachte schon, ich sei der einzige, der letzteres überhaupt bemerkt hat.

    ps.: Interpunktion ist aber auch schwierig. Wer Kommafehler findet, darf sie behalten.

  2. Pingback: CENTRO SOCIALE » Blog Archive » die tagesnotizen

  3. Interessant finde ich, wie unterschiedlich die Beiträge in der taz und in SPON ausfallen. Sie stammen vom gleichen Journalisten, und die Unterschiede sind nicht allein damit zu erklären, dass der SPON-Beitrag zwei Tage nach dem taz-Beitrag erschienen ist und damit die Recherchen weiter gediehen waren.

    Versucht da jemand, Erwartungen zu erfüllen? Wieso wird in der taz en détail beschrieben, welcher Art die Gewaltausübung der Polizisten war (geschlagen, getreten, gewürgt und mit dem Kopf gegen die Wand geschleudert […] verlor nach einem Faustschlag ins Gesicht das Bewusstsein, […] erlitt eine Gehirnerschütterung), zwei Tage später im Spiegel nicht mehr?

    Und einen Sprachschnitzer hat er sich in der taz auch erlaubt: Niedersachsens Abschiebepolitik ist gerade nicht restriktiv, sondern exzessiv. Restriktiv ist dort der Umgang mit den Flüchtlingen selbst.

  4. Hallo Anne,

    hier noch kurz was aus der Schweiz:
    Bei uns gibts zwar selten Tote durch Polizeieinsätze, aber regelmässig Verletzte.

    In Bern wurde eine Demo noch vor dem Start brutal gestoppt und die Leute (ohne dass eine Straftat vorlag) stundenlang festgehalten:
    http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Personen-waren-gezwungen-in-die-eigenen-Kleider-zu-urinieren/story/26820905

    Dass die schweizer Armee gegen das eigene Volk aufgeboten wird, ist auch nichts mehr neues bei uns: (1918 tötete die schweizer Armee das letzte mal Demonstrationen)
    http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Militaer-startet-GrossMobilisierung-fuer-das-WEF/story/22858527

    Gruss
    Alex

    PS: Hab leider den Vortrag von Andrej hier in Zürich verpasst. Ich hoffe, es hat ihm gefallen in Zürich.

  5. Pingback: Annelen kruse | Kgagatbilar

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