„It’s good to know you looked the beast in the eye and didn’t flinch“

Diese Zitat von Steve Kurtz aus dem Film „Strange Culture“ würde auch zu Nick Merrill passen.

Mir haben in den Jahren nach Andrejs Verhaftung öfters Menschen gesagt, dass sie große Achtung für unsere Courage hatten, dem Wahnsinn zu widerstehen. Das hat uns gefreut und uns auch viel Kraft gegeben. In diesem entscheidenden Jahr nach der Festnahme hatte ich nicht das Gefühl, bewusst und aktiv Widerstand gegen irgendwas zu leisten. Gefühlt gab gar keine Alternative.

Das würde vielleicht auch auf Nick Merrill zutreffen, nur dass sich unsere im Vergleich zu seiner Situation ziemlich unspektakulär ausnimmt.

Und die Geschichte geht weiter: Nick wurde von Rop Gonggrijp zum 27. Kongress des CCC eingeladen. Heute erschien in der New York Times ein Artikel dazu, welche Bedeutung es auch im aktuellen Fall des Suppoenas gegen Twitter zu Wikileaks hat, das Nick sich erfolgreich gegen ein FBI Gag Order gewehrt hat: Twitter Shines a Spotlight on Secret F.B.I. Subpoenas

Nick hat beim 27c3 einen extrem beeindruckenden Talk gehalten: The importance of resisting Excessive Government Surveillance

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US-Justiz holt die Netze ein

Das US-Justizministerium hat Twitter aufgefordert, Informationen über die Accounts nicht nur von Brigitta Jonsdottir, Mitglied des isländischen Parlaments, auszuhändigen. Die hatte das gestern schon ziemlich empört getwittert („Ist denen klar, dass ich in Island Abgeordnete bin?“). Und zwar schon am 14.12.

Salon.com veröffentlichte heute morgen (nach europäischer Zeit) die Namen der anderen Betroffenen: Julian Assange, Bradley Manning, Rop Gonggrijp, außerdem für jeden Accounts, der zu Wikileaks gehört oder damit assoziiert wird, sowie dem Account @ioerror (Jacob Appelbaum). Dazu das Subpoena (Vorladung) selbst (pdf).

Rop Gonggrijp schrieb dazu, ebenfalls heute morgen, dass er gestern eine Mail von Twitter bekommen habe, in der er darüber informiert wurde, dass Twitter das Subpoena erhalten hat und ihm nachkommen wird, es sei denn, er sei in der Lage, dem auf juristischem Wege zu begegnen. Dazu die Empfehlung, vielleicht den EFF (Electronic Frontier Foundation) oder den ACLU (American Civil Liberties Union) zu kontaktieren – was ein netter Zug ist.

Die Staatsanwaltschaft will Informationen über Mail-Adressen, Konten, Verbindungsdaten, IP-Adressen und mehr ab November 2009. Glenn Greenwald geht bei Salon.com davon aus, dass der Hintergrund der Maßnahme die Beteiligung an der Veröffentlichung des Collateral Murder-Videos durch Wikileaks ist. Daran waren sowohl Brigitta Jonsdottir als auch Rop Gonggrijp beteiligt. Beide hatten ihre Aktivitäten mit Wikileaks seitdem deutlich eingeschränkt bzw. eingestellt (darüber sprach Rop auch in seiner Keynote zum CCC-Kongress).

Wikileaks, schreibt der Guardian, hat inzwischen Google und Facebook aufgefordert mitzuteilen, ob sie ebenfalls entsprechende Aufforderungen des Justizministeriums erhalten haben. Twitter musste übrigens erst juristisch klären lassen, dass es den Inhalt des Subpoenas bekannt geben darf – zunächst war das Dokument ’sealed‘, also geheimzuhalten. Das erklärt vermutlich den zeitlichen Abstand zwischen Erhalt (14.12.) und den Mails an die Betroffenen (7.1.).

Der Guardian vermutet, dass die Subpoenas als Hinweis darauf gesehen werden können, dass es eine Grand Jury gibt, die herausfinden soll, ob und welche Personen gemeinsam mit Bradley Manning wegen „Verschwörung zum Diebstahl geheimer Dokumente“ strafrechtlich verfolgt werden können. Eine Grand Jury ist eine höchst eigenwillige Konstruktion des US-Rechts mit sehr weitreichenden Ermittlungsrechten, gegen die sich Betroffene kaum wehren können.

Robert Meeropol, Sohn von Ethel und Julius Rosenberg, die 1953 umgebracht wurden, nachdem sie die Todesstrafe erhalten hatten, schrieb Ende Dezember, dass zu befürchten ist, dass Julian Assange nach demselben Spionage-Gesetz angeklagt werden könnte wie schon seine Eltern: My Parents Were Executed Under the Unconstitutional Espionage Act — Here’s Why We Must Fight to Protect Julian Assange. Der dazu vorher nötige Vorwurf der „Verschwörung“ scheint einige unappetitliche Ähnlichkeiten zum hiesigen §129a StGB zu haben.

Sarrazins Zahlen sind falsch

Falls Ihr gelegentlich hilflos vor dem Argument stecken bleibt, der alte Mann mit dem typisch deutschen Namen habe doch aber recht: Hier ist das Gegenmittel! Nehmt es in Eure Bookmarks an prominenter Stelle und es wird Euch geholfen.

In der Berliner Zeitung, die offenbar den DuMont-Schock überwunden hat und mit guten Artikeln versucht, dem Zeitungssterben auszuweichen, erschien heute Nachgerechnet, ein Bericht über eine Studie zu Sarrazins Zahlen.  Das Forschungsprojekt „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle (HEYMAT)“ (großartiger Name!), unter der Leitung von Naika Foroutan, hat kurz vor Weihnachten eine Studie veröffentlicht, die die Zahlen auseinandernimmt.

Sarrazin durfte neulich in der FAZ behaupten „Die von mir genannten Statistiken und Fakten hat keiner bestritten.

Das stimmt nicht. Die Politologin Naika Foroutan, die an der Berliner Humboldt-Universität das Forschungsprojekt „Hybride Identitäten in Deutschland“ leitet, hat schon im September in einer Fernsehdebatte mit Sarrazin dessen Statistiken und Fakten in Frage gestellt.

Im Artikel geht es um gemachte Schulabschlüsse, Bildungsaufstieg, Kopftücher, ums Heiraten (wer wen) und um Gewalt. Zur angeblich hohen Gewalt junger Migranten schrieb Naika Foroutan einen Brief an den Berliner Polizeipräsidenten. Aus der Antwort:

8,7 Prozent der Gewaltkriminalität in der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden im Jahr 2009 von Tatverdächtigen begangen, die entweder türkischer Nationalität oder dem arabischen Raum zuzuordnen waren. Erweitert man die Personengruppe um die Personen, deren Nationalität als ,unbekannt‘ oder ,keine Angaben‘ erfasst wurden, was zumindest häufig für eine Herkunft aus dem arabischen Raum sprechen kann, erhöht sich die Zahl der Fälle auf 2509, was dem Anteil von 13,3 Prozenten an allen Fällen der Gewaltkriminalität entspricht.

Die ganze Studie als PDF:

Naika Foroutan (Hrsg.), Korinna Schäfer, Coskun Canan, Benjamin Schwarze: Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand (1,6mb)

Telefonüberwachung bei der Zollfahndung Frankfurt

Das Leben der Einen

Ich bin in den vergangenen Jahren oft gefragt worden, wie das mit der Telefonüberwachung wirklich gemacht wird. Zweite Frage ist in der Regel, ob es zu merken ist. Ich weiß es nicht wirklich, weder das eine noch das andere. Ich habe vielleicht etwas stichhaltigere Vermutungen.

In der Frankfurter Neuen Presse erschien nach Weihnachten So hören die Fahnder die Telefone ab. Darin erfahren wir, dass und wie die Telefonate tatsächlich von echten Beamten abgehört werden.

Und:

Früher betraf die Telefonüberwachung lediglich Gespräche zwischen zwei oder mehreren Menschen. Wegen der Möglichkeiten der digitalen Technik gehören heute auch Sprachnachrichten, SMS, E-Mails, Fotos und Videos dazu. «Alle Gespräche, die hier auflaufen, müssen 1:1 angehört werden», sagt Hans-Jürgen Schmidt, Sprecher der Zollfahndung.

Das Leben der Abhörer ist nicht leicht, denn

die Abgehörten nähmen keine Rücksicht auf Zuhörer: «Viele Kriminelle rechnen sogar damit, dass sie belauscht werden, und verständigen sich deshalb mit Codewörtern.

An der ständig steigenden Zahl abgehörter Telefone sind wir übrigens selber schuld. Also, nicht wir, sondern die Kriminellen.

Um ihre Machenschaften zu verschleiern, benutzten sie häufig verschiedene Mobiltelefone, berichtet Schmidt. «Außerdem kommt es vor, dass sie Handykarten oder Handys untereinander austauschen, was dazu führt, dass wir nachschalten müssen.»

Das ist wahrscheinlich der Tip, den ich im ersten Jahr nach Andrejs Festnahme am häufigsten bekommen habe. Die Kriminellen jedenfalls haben es auch nicht leicht. Wenn sie, wie die ‚Sauerland-Terroristen‘ sich trotz offensichtlicher Überwachung nicht drum scheren und einfach ganz normal weiter telefonieren, passt das ja auch nicht ins Bild. Wobei ich bei denen bis heute glaube, dass entweder die gesamte Geschichte ein Fake ist oder aber denen fest versprochen war, dass ihnen nichts passiert.

Den Zollfahndern jedenfalls ist auch eine Lösung dafür eingefallen, dass sich die

Ganoven mit Migrationshintergrund in ihren Muttersprachen unterhielten,..

Sie arbeiten mit ÜbersetzerInnen! (Die wahrscheinlich eigentlich DolmetscherInnen sind)

Und so weiter, lest selbst. Einiges ist so albern wie gerade zitiert, aber die Beschreibung, wie das Abhören tatsächlich stattfindet, ist schon interessant.

Alle, die jetzt denken, dass Zollfahnder sicher die ‚richtig echten Kriminellen‘ jagen, muss ich enttäuschen. Anlässlich der Geschichte unserer zweiten Hausdurchsuchung, des legendären Schwarzen Beutels, waren Beamte des sächsischen Zolls auf Andrejs Eltern angesetzt. Die keine Zigaretten schmuggeln.

Auch noch dazu:

Computerwoche: Zehn Anzeichen, dass Sie abgehört werden

10. Es gibt keine Anzeichen

Selbst wenn Sie keine der aufgeführten Anzeichen feststellen, können Sie sich nicht unbedingt in Sicherheit wiegen: Die beschriebenen Signale beziehen sich auf Amateurspione, Profis der Regierung besorgen sich die gewünschten Informationen dagegen meist über eine offizielle Anfrage direkt beim Carrier.

Wie immer: stichhaltige Hinweise zu Überwachungstechniken bitte in die Kommentare. Dabei gilt mein Interesse den Informationen, die auf Faktenwissen basieren, Hypothesen habe ich schon genug.

Baden-Württemberger LKA-Spitzel ent-deckt

Die Antifaschistische Initiative Heidelberg, selbst vom im Dezember in Baden-Württemberg enttarnten Spitzel betroffen, erklärte heute, dass dessen Identität aufgeklärt worden sei:

Die Identität des Mannes, der unter der falschen Identität als „Simon Brenner“ über ein Jahr für das Landeskriminalamt Baden-Württemberg in Heidelberg legal arbeitende linke Gruppen ausspioniert hat, ist geklärt.

Die Hackergruppe „Spitzel sind das Allerletzte“ hat den Beamten nun als Polizisten aus Radolfzell am Bodensee identifiziert. Weitere Details und Belege sind unter der Internetadresse http://linksunten.indymedia.org/de/node/31404 veröffentlicht.

Es ist bezeichnend, dass solche informelle Aufklärungsarbeit nötig ist, weil sich LKA und Innenministerium mit Schweigen aus der Affäre ziehen zu können glauben. Wir fordern das Innenministerium erneut auf, die illegalen Machenschaften des LKA restlos aufzuklären. Wir fordern die baden-württembergische Landesregierung des weiteren auf, endlich die Verantwortung für den Skandal zu übernehmen und politische und personelle Konsequenzen zu ziehen.
Ein Innenminister Heribert Rech, in dessen Zuständigkeit eine solche Aushebelung rechtsstaatlicher Standards geschieht und der durch sein Schweigen die Aufklärung aktiv zu verhindern versucht, ist nicht mehr tragbar.

Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD)

Für Nachfragen wenden Sie sich bitte – möglichst mit Rückrufnummer – an die e-mail-Adresse aihd@gmx.de

Auch dazu:

FAZ: Der Verdacht

Neues Deutschland: Es wird zurückermittelt

Rop Gonggrijp fünf Jahre nach „We lost the war“

Das mir die Keynote von Rop Gonggrijp gefiel, stand hier schon. Jetzt gibt es sie auch zum Angucken. Englisch, gut erzählt, roter Faden, rund – lohnt sich:

Fünf Jahre nach „We lost the war“ ist er nicht mehr ganz so pessimistisch. Bzw. schon pessimistisch, aber deswegen nicht mehr so schlecht gelaunt.

Diana McCarty hat ihn beim Kongress für Reboot FM interviewt. Dem Interview ist ein bisschen anzumerken, dass so ein Kongress zu viele Interviewanfragen generiert..

(Die gesamte Sendung bei Soundcloud)

Daniel Domscheit-Berg über IMMI, die Icelandic Modern Media Initiative

Der 27. Kongress des CCC ist zuende. Es gab jede Menge interessante Vorträge und Diskussionen, die es alle auch als Video geben wird. Was mir am besten gefiel werde ich hier nach und nach vorstellen und euch wärmstens empfehlen.

Mit Abstand am meisten Presse-Interesse gab es für Daniel Domscheit-Berg. Der sprach über die Isländische Initiative zu Modernen Medien (IMMI). Heute auch noch über das neue Projekt OpenLeaks, aber das gibt’s noch nicht als Video, deswegen kommt das später.

„Weniger politisch motivierte Straftaten“

Für den Fall – nur falls -, dass sich irgendwelche PolitikerInnen nächstes Jahr zu der Aussage hinreißen lassen, dass die Verschärfung von Gesetzen nötig sei, weil der Extremismus / die Gefahr durch gewalttätige Chaoten / … weiter steige, hier ein Zitat aus der Berliner Zeitung von heute:

Ein Viertel weniger politische motivierte Straftaten

Die Polizei verzeichnete 2010 im Vergleich zum Vorjahr einen deutlichen Rückgang im Bereich der politisch motivierten Straftaten. Die Fallzahlen seien um rund ein Viertel zurückgegangen, die Anzahl der Gewalttaten habe sich in etwa halbiert, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch. Dies gelte sowohl für die linksextremistisch als auch für die rechtsextremistisch motivierten Taten. Die Zahl der politisch motivierten Brandstiftungen ist von über 150 Fällen im Jahr 2009 auf unter 50 Taten zurückgegangen. (dapd)

Dass diese kleine Meldung in der Randspalte der Lokalzeitung zwischen Weihnachten und Neujahr erscheint, passt zu dem, was Fefe und Frank Rieger gestern im Fnord-Jahresrückblick gesagt haben: unbeliebte Neuigkeiten erscheinen gern, wenn sie niemand bemerkt.

Update:

Die taz dazu: Weniger politische Gewalt. Schläger gehen gezielter vor

We come in peace – 27c3

Es ist diese Zeit im Jahr. Zwischen Weihnachten und Neujahr. Chaos Communication Congress, vier Tage lang. Diese Zeit, in der überall Berichte über diese … Trommelwirbel … Hacker erscheinen.

Ich kann den Besuch nur empfehlen, wobei der Kongress für dieses Jahr ausverkauft ist, falls sich noch wer auf den Weg machen wollte. Alle Veranstaltungen werden aber gestreamt, können also live überall per Internet verfolgt werden. Es ist nicht erforderlich, große technische Kenntnisse zu haben, aber ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber pickeligen Nerds hilft.

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Der Auftakt-Vortrag („Keynote“) wurde von Rop Gonggrijp (sprich: Chongchreip) gehalten und famos – und sicher nicht ganz unabsichtlich – falsch verstanden. Zusammen mit dem  mehrdeutigen Kongress-Motto „We come in peace“ steht im deutschen Blätterwald sinngemäß zu lesen, er hätte die Hacker aufgefordert, jetzt aber wieder lieb zu sein.

Ich glaube, das war ein Missverständnis. Was er eigentlich gesagt hat, kann nachgelesen werden: Rop Gonggrijp – My Keynote at 27c3. Lohnt sich auch ohne Missverständnis sehr.

Danach gab es zwei Vorträge, die ich leider verpasst habe: Jérémie Zimmermann über EU-weite netzpolitische Themen und Alvar Freude über deutsche Netzpolitik des letzten Jahres. Die Aufzeichnungen (wie von allen anderen Veranstaltungen) wird es später geben.

Dann ging es um die bevorstehenden Volkszählung, die uns nächstes Jahr beschäftigen wird. Nehmt das nicht erst zur Kenntnis, wenn Ihr die Bögen in der Hand habt, die ausgefüllt werden müssen. Es ist schonmal gelungen, eine Volkszählung zu verhindern und die war Pippifax im Vergleich zu dem, was jetzt kommt.

Zur Netzneutralität gab es eine Diskussion zwischen Falk Lueke, Andreas Bogk und Scusi, die live vom Deutschlandfunk gestreamt und auch moderiert wurde. (Überhaupt begleitet der DLF den Kongress ziemlich aufwendig, schade, dass das auf der DLF-Website nicht so einfach zu finden ist).

Was bei Podiumsdiskussionen Seltenheitswert hat, fand zur Netzneutralität statt: es wurde kompetent und kontrovers diskutiert und Unterhaltungswert hatte es auch.

Meine letzte Veranstaltung des Tages war das Podium zum Stand der Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene. Der war die Lobby-Organisation im Rücken deutlich anzumerken, aber das ist ja nicht schlecht, wenn das Ziel ist, bei EU-Institutionen tatsächlich was zu erreichen. Und es gibt viel zu tun: die EU-Direktive zur Vorratsdatenspeicherung wird jetzt evaluiert. Davon hängt ab, wie es damit weitergeht. Die Pro-VDS-Organisationen sind sehr aktiv, deswegen sollten wir das auch sein.

Wintermärchen

Nicht mehr taufrisch sind zwei Studien, die Anfang Dezember kurz durch die Nachrichten blitzten und uns sicher noch eine Weile beschäftigen werden. Nicht unbedingt die Studien, aber sicher ihr Inhalt.

Erkenntnis Nr. 1: Die Terrorberichterstattung schürt die Angst vor Muslimen

KommunikationswissenschaftlerInnen der Uni Jena haben die Hauptfernsehnachrichten von August 2007 bis Februar 2009 untersucht. Das Ergebnis, stark vereinfacht: Terrorwarnungen werden als reale Gefahr wahrgenommen = Terror wird inszeniert (dies war lange vor De Maizières jetzt-aber-wirklich-Warnungen im November). Die TV-Nachrichten berichten über „Taten und Aktivitäten“, weniger über Ursachen.

Doch die Berichterstattung in allen Sendern setzt ihren Schwerpunkt darauf, dass „die größte Gefahr vom islamischen Terrorismus ausgeht„, hat Prof. Frindte ermittelt, wenngleich dies vor allem von den Zuschauern der Privatsender so gesehen wird. Verbunden wird diese unterschwellige Nachricht mit der Botschaft, nur eine Verstärkung der militärischen und Sicherheitsmaßnahmen würde dagegen helfen. Damit verknüpften die Medien – noch weit vor der Sarazzin-Debatte – das Thema Terrorismus und Muslime und schürten so die Angst vor Muslimen.

Erkenntnis Nr. 2: Die Islamfeindlichkeit nimmt bei Reichen und Linken zu

Seit zehn Jahren untersucht Wilhelm Heitmeyer plus Team Deutsche Zustände. Ergebnis im letzten Band: Mehr Menschen fühlen sich durch die wirtschaftlichen Entwicklungen bedroht, Islamfeindlichkeit nimmt in der politischen Mitte und links der Mitte zu, außerdem bei Besserverdienenden.

In linken Milieus verliere die Norm der Toleranz, sonst fester Bestandteil der politischen Einstellung, beim Thema Islamfeindlichkeit an Wirkung. (Beate Küpper im Tagesspiegel)

Die Tagesschau nennt das „deutliche Vereisung des sozialen Klimas“, rohe Bürgerlichkeit und einen zunehmenden Klassenkampf von oben.

Aus Heitmeyers Vorwort:

Gegen Ende des Jahrzehnts, seit 2008, treten durch den radikalen Kapitalismus, insbesondere den Finanzkapitalismus, produzierte Krisen auf, die ganze Volkswirtschaften in den Abgrund stürzen können. Diese Erschütterungen hinterlassen entsprechend tiefe Spuren, zumal sie von der Regierung auch noch mit einer Politik der offenen und verdeckten Umverteilung zu Lasten sozial Schwacher begleitet werden, was die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreibt.(…)

Ein weiterer Akzent dieser Folge liegt auf der Beobachtung des Agierens der Eliten, die sich in der zynischen Abwertung bestimmter schwacher Gruppen üben, eine »aktivierende«, man könnte auch sagen »peitschende« Politik betreiben oder sich in wertlosen Wertedebatten, getragen von »kostenloser« Moral, ergehen. (Leseprobe bei Suhrkamp, pdf)

 

Vervollständigt wird das Ganze durch eine Studie (pdf) der Friedrich-Ebert-Stiftung, nach der sich „bereits jeder vierte Deutsche eine rechtsautoritäre Diktatur als Antwort auf das Versagen der Politik wünscht“ (Telepolis: Die Verrohung der Mittelschicht).

Derweil hat die FAZ nichts besseres zu tun, als Sarrazin zu Weihnachten die erste Seite des Feuilletons als Podium anzubieten. Passt ja in gewisser Weise gut zu den gerade beschriebenen Entwicklungen. Ich hätte bloß nicht gedacht, dass wir schon so weit sind.

Angela Merkel lächelt, Kristina Schröder sucht weiter Linksextremisten und Deutschland beschäftigt sich mit dem Schnee.

Jetzt wäre noch Gelegenheit, etwas zu tun. Aktiv gegen Islamfeindlichkeit vorzugehen etwa. Irgendwann ist es vielleicht zu spät.