Da waren’s nur noch vier – weitere Einstellungen im mg-Verfahren

(Oder fünf, oder so. Wer weiß das schon)

Da ist er nun, der Artikel, und das ist ein schöner Grund, die Urlaubspackerei noch kurz zu unterbrechen:

Spiegel Online: Bundesanwälte blamieren sich mit überzogener Überwachung

Das Verfahren gegen die drei Freunde von Andrej, gegen die seit September 2006 wg. Mitgliedschaft in der mg ermittelt wurde, ist im Juni eingestellt worden. Die Post brauchte dann noch drei Wochen, bis sie bei den AnwältInnen ankam, aber wir wollen ja nicht pingelig sein. Die BAW hat es auch nicht leicht. Wahrscheinlich fehlte wieder das Personal, um den Brief einzuschmeissen (Datum des Schreibens: 23. Juni, Eingang: 14. Juli).

Leider haben sie irgendwie vergessen, das Verfahren gegen Andrej einzustellen, dem ja original das Gleiche wie seinen drei Freunden vorgeworfen wird. Bis auf die zwei Treffen mit einem der drei anderen, denen die versuchte Brandstiftung vorgeworfen wird.

Die Schmankerl: Bis zu 180.000 Euro in den Sand gesetzt, um von einem forensischen Institut in Münster DNA-Proben der Beschuldigten mit ca. 180 Seiten Papier abzugleichen, auf denen sog. SBS (Selbstbezichtugungsschreiben) der mg standen. Ergebnis: negativ.

Jetzt verstehe ich, warum die Auswertung der DNA-Proben so lange gedauert hat. Ist ja auch ein bisschen peinlich. (siehe: DNA-Proben, Spucke für Frau Harms, Die BAW und die DNA)

Oder:

Bei der Hausdurchsuchung im Sommer 2007 beschlagnahmten die Ermittler
dann ein Buch des russischen Revolutionärs Leo Trotzki, das Mitglieder
der "mg" zu einem ihrer akademisch-länglichen Traktate als
Literaturhinweis aufgeführt hatten.

Das kannte ich noch gar nicht, erinnert mich aber sehr an die bei uns durchsuchende Ordnungskraft, die ihren Chef fragen musste, ob Bourdieu "relevant" sei, als sie ihn aus dem Bücherregal zog.

Ob das Elend nun damit (für die drei) ein Ende hat, wird sich zeigen.

Wiederaufgewärmter Anti-Atom-Terrorismus

In Berlin wurden z.B. gerade zwei Leute, deren §129a-Verfahren aus den 90ern schon lange eingestellt ist, als ZeugInnen für das sog. Tarnac-Verfahren vorgeladen – das ist das Verfahren in Frankreich, wo sie den Philosophen Julien Coupat als Texteschreiber verfolgen. Der musste nach Monaten auch wieder aus der Haft entlassen werden, weil schon vor der Festnahme bekannt war, dass sich wer anders die Sachen für sich reklamierte, die den Beschuldigten vorgeworfen werden.

Die Verfolgungsbehörden sind ja relativ fantasielos. Ständig wiederkehrendes Motiv: wenn irgendwo der Bahnverkehr gestört wurde, müssen Terroristen am Werk gewesen sein. Warum eigentlich immer ausgerechnet die Eisenbahn? Und Atommülltransporte. Und die Zeitschrift Radikal, die ja gerade wieder zu Ehren gekommen ist. Hochnotgefährlich, das alles.

Jedenfalls existiert die "Goldene Hakenkralle" noch, die schon damals benutzt wurde, um sich gegen die Verfahren zu wehren. Ich erinnere mich dunkel an sehr hübsche Kabarett-Nummern vor ca. 10 Jahren, in denen die von der BAW so titulierten "Autonomen Führungskader" eine wesentlich Rolle spielten.

Die beiden jetzt Vorgeladenen haben die Aussage verweigert und einer von beiden soll dafür 800 Euro "Ordnungsgeld" bezahlen.

Wir sehen: wo die BAW mal zugebissen hat, entwickelt sie einen Beißkrampf und lässt nicht los. Das verspricht nichts Gutes.

Ferien

Plauer See

Wir sind dann mal offline. Dringende Kommentare solange am besten per Mail.

Es ist einiges liegengeblieben, aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend.

Geht mal raus!

Veröffentlicht unter mixed

„Linksradikales Lieblingsfahndungsobjekt mg“

Kurz vor dem 50. Verhandlungstag gegen die, von denen die Bundesanwaltschaft denkt, sie wären die militante gruppe (mg) und also eine ernste Bedrohung für die Bundesrepublik, kommt Bewegung auf. Vor einer Woche ist eine Zeitung erschienen, die radikal heißt (und verboten ist), mit einem Interview, in dem die Auflösung der mg erklärt wird. Und dass die mg jedenfalls nicht die drei Angeklagten sind.

(Genau jetzt bedauere ich sehr, dass hier keine IP-Nummern geloggt werden, denn das gibt bestimmt ein ordentliches Aufkommen an Behördenzugriffen.)

Es steht aber auch alles in der Presse. Selbst Bild. Ein gewisser lästerlicher Unterton gegenüber Frau Harms‘ Bemühungen hie und da ist nicht zu übersehen.

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Blogger privat / Trackback

Fünf Minuten annalist bei Trackback, dank der Empfehlung des Reifenwechslers.

http://noblogs.org/flash/mp3player/mp3player.swf
mp3/5mb – ogg/4,4mb

TRACKBACK ist eine wöchentliche Radiosendung bei FRITZ (Frequenzen gibt es hier, den Livestream dort), die sich mit Themen rund um Blogs und Podcasts
beschäftigt. Die Show wird jeden Samstag von 18:00 bis 20:00 Uhr live
bei FRITZ ausgestrahlt und geht danach als Podcast ins Netz.

Darin gibt es die Rubrik "Blogger privat", heute mit mir. Die ganze Sendung, mit Links und zum hören hier.

Für die Audios gilt eine  -Lizenz, wobei mir nicht ganz klar geworden ist, ob die Rechte bei ganz Fritz, bei der Sendung Trackback oder bei Markus Richter liegen, der die Sendung macht. 

Nächste Woche dann Andrejs Gentrificationblog.

 

Ganz seltsam war es, Sachen für den Knast zusammenzupacken – Interview mit der Roten Hilfe

Ein weiteres Interview. Das wiederholt sich natürlich, aber es muss ja niemand lesen. Mir dient annalist auch als Archiv, wo ich alles dokumentiere, so auch dies.

Bei diesem Interview wurden teilweise etwas andere Fragen gestellt als sonst in der Regel. Mir gefiel das ganz gut. Geführt wurde es im August 2008, und ist jetzt in einer neuen Broschüre der Roten Hilfe erschienen: "Wir sind alle 129a. Der Hunger des Staates nach Feinden". Für Internet-Ausdrucker das Interview hier auch als pdf. Update: Weil da ein falsches Datum drin und überhaupt dieses viel schöner ist: hier das ge-latex-te pdf von Bernd Brägelmann.

„Ganz seltsam war es, Sachen für den Knast zusammenzupacken“
Interview mit Anne Roth

Die Journalistin und Medienaktivistin Anne Roth ist über ihren Partner Andrej Holm vom mg-Verfahren mit betroffen. In ihrem Blog http://annalist.noblogs.org/ veröffentlicht sie hauptsächlich Texte zum staatlichen Antiterrorwahn und dem Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten.
Im folgenden Interview schildert sie ihre Erfahrungen mit dem 129a-Verfahren.

Am 31. Juli 2007 wurde dein Partner Andrej Holm im Rahmen des mg-Verfahrens verhaftet. Wie lief die Aktion ab?

Gegen sieben Uhr morgens hämmerte es an unsere Wohnungstür. Ich habe noch geschlafen und wachte auf, als mehrere Sachen gleichzeitig passierten: jemand rief „Polizei, Polizei!“, Andrej sprang aus dem Bett, streifte sich eine Hose über und rannte zur Tür. Er schaffte gerade noch, sie aufzumachen, und dann hörte ich ein sehr lautes dumpfes Geräusch. Später wurde mir klar, dass das hereinstürmende Kommando ihn zu Boden geworfen hatte. In der ganzen Wohnung verteilten sich Polizisten mit gezogenen Waffen, die die Wohnung „sicherten“, etwa so, wie das auch in Krimis zu sehen ist. Es war wahnsinnig laut und die Atmosphäre sehr aggressiv. Ich erinnere mich, dass ich mich länger nicht getraut habe, überhaupt etwas zu sagen aus Angst. Ich könnte gar nicht sagen, wovor genau, aber das reichte so weit, dass ich dachte, die schlagen mich, wenn ich jetzt was Falsches sage.

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Treffer.. versenkt.

"V-Mann 123" will mit Wolf Wetzel über alles mögliche geredet
haben. Sagte der Verfassungsschutz. Wolf Wetzel war auch so ein gefährlicher Terrorist. In der allgemein weltbekannten Terrorgruppe Autonome Rhein-Main-Koordination ARMK. Das Verwaltungsgericht Berlin hielt
das gestern für Quatsch und erklärte die Überwachung durch den
Verfassungsschutz für illegal.

Folgt man dem Verfassungsschutz, beichtete Wetzel (..) nicht nur
psychische und arbeitsrechtliche Probleme, verriet Anschlagspläne und
-ziele, plauderte gar über mögliche Mitstreiter. Auch soll er –
angeblicher Mitgründer einer angeblich hoch konspirativen Bande – dem
nicht zur Gruppe gehörenden Mann anvertraut haben, sein "Traumberuf"
sei "Berufsrevolutionär". "Das gibt’s nicht mal bei James Bond", sagt
Wetzel.

Und weil dann nach §129a ermittelt wurde, wurde komplett überwacht.
Wolf Wetzel erfuhr das acht Jahre später und klagte dagegen. Las in den
Akten, was "V-Mann 123" angeblich gesagt hatte, was Wolf Wetzel
angeblich gesagt hatte. Nur: Wolf Wetzel hatte dieses Gespräch nie
geführt.

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Klage gegen §129a-Überwachung Mittwoch in Berlin

Am Mittwoch findet in Berlin eine Verhandlung in einem ganz bizarren Verfahren statt. Wir landen in der ganz grauenhafte §129a-Mottenkiste.

Entweder hat ein V-Mann des Verfassungsschutzes (VS) die Gründe für eine §129a-Überwachung erfunden, oder der VS gleich den ganzen V-Mann. Und hat dabei ein paar Fehler gemacht. Sagt Wolf Wetzel, der Überwachte, und klagt jetzt dagegen (auch einer, der viel schreibt).

1998 wurde im Rahmen eines Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung (nach § 129a) vom Bundesamt für
Verfassungsschutz/BfV Maßnahmen zur Telefon- und Briefüberwachung
beantragt.

Ein solcher Eingriff erfolgt – der geltenden Rechtsprechung folgend –
nicht aufgrund der politischen Einstellung, sondern durch Darlegung
›tatsächlicher Anhaltspunkte‹, was – immerhin – einem Wirklichkeitsgrad
von plus/minus 50 % entspricht.

V-Mann 123

In seinem Blog Eyes Wide Shut beschreibt Wolf Wetzel, wie der Verfassungsschutz die "tatsächlichen Anhaltspunkte" mangels Anhaltspunkten eben erfunden habe:

Ein V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes will just vor Beantragung
oben erwähnten Eingriffs ein Gespräch zwischen mir und anderen Personen
mitbekommen haben. (..)

Der V-Mann, der makabrerweise auch noch ›V-Mann 123‹ heißt, existiert gar nicht. Er ist eine Erfindung, das Gespräch wurde nie geführt.

Das abgehörte Telefonat, das die intensiven Beziehungen
terroristischer Mitglieder belegen soll, würde das Gegenteil beweisen,
wenn der Inhalt nicht unterschlagen worden wäre.

Überwachung durch den Verfassungsschutz muss durch den G10-Ausschuss des Bundestages genehmigt werden.

Offensichtlich ging der G-10-Auschuss davon aus, das es sich um eine
Telefonat zwischen ›Terroristen‹ handelte und verlängerte die
G-10-Maßnahmen um weitere drei Monate. Auch diese drei Monate vergingen
und ergaben nichts. Danach wurde keine weitere G-10-Maßnahme beantragt
bzw. genehmigt. Das 129a-Verfahren wurde eingestellt.

Wolf Wetzel hat gegen die Überwachung geklagt. Es geht ihm darum nachzuweisen, dass es den V-Mann gar nicht gab. 

Alles weitere am Mittwoch, 8.7., 10:30, im Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstr. 7, 10557 Berlin.

„Bei Terror verkleben allen die Synapsen“

Guter Kommentar von Mely Kiyak in der Frankfurter Rundschau:

Liebe Terroristen,

Was denn nun? Plant ihr einen Anschlag vor der
Bundestagswahl oder nicht? Ihr müsst ein bisschen vorsichtig sein, weil
unser oberster Terrorfahnder August Hanning der Presse am Donnerstag in
die Mikrofone diktierte: "Erhöhte Terrorgefahr vor Bundestagswahl."

Alle, wirklich alle haben es dann auch brav genauso aufgeschrieben,
angefangen von der Bildzeitung bis hin zur Frankfurter Allgemeinen
Zeitung, die Süddeutsche, die Online-Redaktionen von Spiegel und Zeit,
die Welt, ja, auch die FR. Wäre Deutschland eine Diktatur, würde ich
sagen, dass unsere Medien die Propagandazentrale des Innenministeriums
sind.

Es muss sich nur ein Staatssekretär hinstellen und genauso umständlich
wie geheimnisvoll etwas verkünden und, zack , steht es am nächsten Tag
genauso da, wie man sich das vorher in der Presseabteilung des BMI
nicht perfekter hätte vorstellen und planen können.

Keine Nachfragen, kein kritisch reflektiertes Denken, bei Terror
verkleben allen die Synapsen. Hier sind die sensationellen
Ermittlungsergebnisse:

Es könnte in Deutschland ein Anschlag verübt werden. Ein möglicher
Grund wäre, dass man damit den Rückzug der deutschen Truppen in
Afghanistan erpressen will. Die Attentäter sind entweder Islamisten,
Terroristen oder islamistische Terroristen, in allen drei Fällen sind
sie "potenziell gefährlich". Auf jeden Fall gehören sie zur El Kaida.
Dazu zählt jeder, der eine Sure murmelt, bevor er die Lunte im Rucksack
zündet. Auch der "Rückkehrer", der ein Terrorcamp in Pakistan besucht
und mit einem Attentäterdiplom nach Deutschland zurückkehrt, könnte
gefährlich sein.

Eine ganze Menge "eventuell", "könnte", "vielleicht" und "vermutlich"
sind dabei im Spiel, unsere Sicherheitsleute sind keine 007-Kerle,
sondern Beamte.

Mich irritiert, dass niemand sich darüber aufregt, dass der
Öffentlichkeit so ein diffuser Pudding aus Angstmache serviert wird.
Wer genau hält sich denn in Deutschland auf, der ein solches Terrorcamp
besucht hat? Plant er etwas? Wenn ja, warum ist er noch nicht
festgenommen? Weil er doch nichts plant oder weil es ihm niemand
nachweisen kann?

Oder gibt es konkrete Ermittlungsergebnisse, die man aber aus
taktischen Gründen nicht verbreiten sollte? Weshalb werden der Presse
dann Mitteilungen gemacht? Können nicht alle Sicherheitsbehörden
einfach still und gewissenhaft ihre Arbeit erledigen? Offensichtlich
nicht.

Liegt der Grund darin, dass man sich jetzt schon die Hände reinwaschen
will, für den Fall, dass in Deutschland ein Anschlag verübt wird? Geht
man etwa davon aus, dass man es nicht verhindern kann? Darf man das
gegenüber der Öffentlichkeit nicht zugeben, weil der Steuerzahler dann
natürlich zu Recht den gesamten Sicherheitsapparat in Frage stellt?

Das allerabsurdeste aber ist, dass August Hanning nach all dem
Gefahrenszenario, das er zeichnete, vor einer Alarmstimmung warnte. Ja,
mehr noch, er sagte, dass es keine konkreten Hinweise für einen
Anschlag gibt. Wird irgendjemand daraus klug? Wahrscheinlich nur ihr
Terroristen. Vielleicht sitzt ihr in einer Grube im Sauerland und
denkt, Wahnsinn, unsere Propagandazentrale im BMI funktioniert prima.
Wir schicken ein Video, verbreiten ein paar Gerüchte und, zack, machen
sich alle in die Hosen!

Mein Gott, ist das alles abstoßend.