Ganz seltsam war es, Sachen für den Knast zusammenzupacken – Interview mit der Roten Hilfe

Ein weiteres Interview. Das wiederholt sich natürlich, aber es muss ja niemand lesen. Mir dient annalist auch als Archiv, wo ich alles dokumentiere, so auch dies.

Bei diesem Interview wurden teilweise etwas andere Fragen gestellt als sonst in der Regel. Mir gefiel das ganz gut. Geführt wurde es im August 2008, und ist jetzt in einer neuen Broschüre der Roten Hilfe erschienen: "Wir sind alle 129a. Der Hunger des Staates nach Feinden". Für Internet-Ausdrucker das Interview hier auch als pdf. Update: Weil da ein falsches Datum drin und überhaupt dieses viel schöner ist: hier das ge-latex-te pdf von Bernd Brägelmann.

„Ganz seltsam war es, Sachen für den Knast zusammenzupacken“
Interview mit Anne Roth

Die Journalistin und Medienaktivistin Anne Roth ist über ihren Partner Andrej Holm vom mg-Verfahren mit betroffen. In ihrem Blog http://annalist.noblogs.org/ veröffentlicht sie hauptsächlich Texte zum staatlichen Antiterrorwahn und dem Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten.
Im folgenden Interview schildert sie ihre Erfahrungen mit dem 129a-Verfahren.

Am 31. Juli 2007 wurde dein Partner Andrej Holm im Rahmen des mg-Verfahrens verhaftet. Wie lief die Aktion ab?

Gegen sieben Uhr morgens hämmerte es an unsere Wohnungstür. Ich habe noch geschlafen und wachte auf, als mehrere Sachen gleichzeitig passierten: jemand rief „Polizei, Polizei!“, Andrej sprang aus dem Bett, streifte sich eine Hose über und rannte zur Tür. Er schaffte gerade noch, sie aufzumachen, und dann hörte ich ein sehr lautes dumpfes Geräusch. Später wurde mir klar, dass das hereinstürmende Kommando ihn zu Boden geworfen hatte. In der ganzen Wohnung verteilten sich Polizisten mit gezogenen Waffen, die die Wohnung „sicherten“, etwa so, wie das auch in Krimis zu sehen ist. Es war wahnsinnig laut und die Atmosphäre sehr aggressiv. Ich erinnere mich, dass ich mich länger nicht getraut habe, überhaupt etwas zu sagen aus Angst. Ich könnte gar nicht sagen, wovor genau, aber das reichte so weit, dass ich dachte, die schlagen mich, wenn ich jetzt was Falsches sage.

Gleichzeitig habe ich aber auch vor allem an unsere Kinder gedacht, weil ich natürlich nicht wollte, dass die beim Aufwachen als erstes ein Monster mit gezogener Waffe sehen. Es stimmt also nicht ganz, dass ich gar nichts gesagt habe, weil ich den Typ, der vor meinem Bett auftauchte, angeschrieen habe, dass Kinder in der Wohnung sind und dass sie damit aufhören sollen. Das Denken setzte erst viel später wieder ein.

Kurz danach wurde es etwas ruhiger, aber nicht weniger aggressiv. Mir wurde gesagt, dass ich mich und die Kinder anziehen und die Kinder in die Kita bringen solle. Ich erinnere mich an diesen Teil nicht sehr genau, das ist wie ein Film abgelaufen. Das Gefühl, mir selber wie in einem Film zuzugucken, hat übrigens erst wieder aufgehört, als Andrej nach gut drei Wochen wieder entlassen wurde.

Mir fehlt jede Zeiteinschätzung, aber ich hatte das Gefühl, dass ich erst sehr spät daran gedacht habe, eine Anwältin anzurufen. Vielleicht nach 15 Minuten? Normalerweise würdest Du ja denken, dass jedeR das als erstes macht, aber ich habe ziemlich lange gebraucht. Ich durfte auch nicht selber anrufen, sondern musste die Telefonnummer weitergeben und die haben das dann gemacht. Überhaupt durfte ich erstmal gar nichts alleine, das hat sich aber im Laufe des Tages ziemlich geändert. Zum Schluss haben sie sich überhaupt nicht mehr darum gekümmert, was ich gemacht habe.

Es war sehr eigenartig, in der eigenen Wohnung behandelt zu werden, als sei ich selber festgenommen – ich musste auch fragen, ob ich mal auf’s Klo darf, durfte nicht telefonieren, musste aushalten, dass ein bewaffneter Beamter neben meinen frühstückenden Kindern in der Küche stand – und kurz danach durfte (und sollte) ich mit den Kindern in die Kita und war wieder ganz allein. Dann ging ich zurück in die Wohnung und war wieder in diesem Film.

Wie bist du während und nach dem Polizeieinsatz mit der Situation umgegangen?

Ich war total geschockt. Ich habe mich angezogen, die Kinder angezogen, ihnen Frühstück gemacht und habe erstmal funktioniert, ohne nachzudenken – das ging eigentlich auch nicht, ich fühlte mich wie eingefroren. Als ich realisiert habe, dass Andrej halb angezogen mit Handschellen auf dem Rücken auf dem Sofa nebenan saß, habe ich gefragt, ob ich ihm Kaffee und was zum Anziehen bringen kann und das dann gemacht. Es standen überall Beamte rum, die hätten auch gern Kaffee gehabt, das war deutlich. Ich glaube, in dem Moment ist das erste Mal so ein Ansatz eines Gefühls bei mir aufgetaucht, dass ich jetzt mal gucke, welche Spielräume ich in der Situation habe und durchaus auch Befriedigung darüber, dass die ganz bestimmt keinen Kaffee kriegen. Da unser Sohn am Tag vorher Geburtstag hatte, hatten wir auch noch jede Menge Kuchen, den ich mit Freundinnen und Anwältinnen aufgegessen habe, die den Tag mit mir in der Wohnung verbracht haben.

Die Stürmung der Wohnung und Andrejs Festnahme war vom Berliner LKA gemacht worden, weil das BKA erst gegen 11 Uhr ankam. Die BKAler haben später erzählt, dass sie erst am frühen Morgen benachrichtigt worden waren, und weil die Abteilung Linksextremismus des BKA in Meckenheim (bei Bonn) sitzt, haben sie es nicht rechtzeitig geschafft. Die BKAler waren wesentlich entspannter und habe mir auch Sachen erzählt bzw. sich in meiner Gegenwart unterhalten. Z.B. hatten die einen Azubi dabei und der Einsatzleiter hat den irgendwann gefragt, ob der und der sein Ausbilder sei. Das war schon relativ spät abends und mir ist dann rausgerutscht, dass er sich das mit seinem Job ja noch mal überlegen kann, wenn er erst in der Ausbildung ist. Dann haben kurz alle gar nichts gesagt, und dann haben sie sich ganz normal weiter unterhalten. Das war also wie gesagt wirklich ganz anders als am Anfang.

Anfangs habe ich versucht, die Durchsuchung zu beobachten. Das war aber im Grunde völlig unmöglich, obwohl teilweise mehrere Anwältinnen gleichzeitig auch dabei waren. Es waren etwa 15 BeamtInnen überall in der Wohnung, im Keller, beim Auto und im Hof verteilt, und wir konnten immer nur in einzelnen Zimmern darauf achten, was die machen. Besonders eklig fand ich, dabei zuzugucken, wie meine persönlichen Sachen durchwühlt wurden, das ist schwer auszuhalten. Andererseits hatte ich durchaus Schadenfreude dabei, als ich die genervten oder angewiderten Gesichter derjenigen sah, die irgendwelche Mülleimer umstülpen oder die gesammelten Marx-Engels-Werke oben im Regal durchblättern mussten.

Ich habe erst jeden direkten Kontakt vermieden, ohne darüber nachzudenken, warum. Es war einfach sehr unangenehm, mit denen direkt zu tun zu haben. Später hat sich das geändert, etwa als ich mit dem Einsatzleiter darüber verhandelt habe, ob der gebrauchte Computer, den unser Sohn am Tag vorher geschenkt gekriegt hatte, wirklich abtransportiert werden muss. Deren Aggressivität mir gegenüber hatte da auch schon sehr nachgelassen. Glücklicherweise war ich nie allein, das hat es viel einfacher gemacht.

Ganz seltsam war auf jeden Fall, für Andrej Sachen für den Knast zusammenzupacken, das durfte er nicht selber machen. Was packst du ein, wenn du nicht weißt, was los ist und wie lange das dauert? Das war auch sehr schrecklich. Ich habe z.B. Fotos und auch eine Dose mit Kuchen dazu gepackt, und die Anwältin, die das für ihn mitgenommen hat (er war da schon abtransportiert) hat später gesagt, dass sie sich sehr gewundert hat, dass er das alles haben durfte.

Wie haben die Kinder auf das Geschehen reagiert? War es möglich, ihnen die Vorgänge zu vermitteln?

Den Kindern war keine Reaktion anzumerken. Unser Sohn hat den Einsatz zum Glück verschlafen und war vor allem sauer, dass er nicht mit seinen Geschenken spielen durfte, sondern ganz schnell in die Kita sollte. Sie haben die Festnahme überhaupt nicht gesehen und dann gedacht, dass Andrej verreist ist. Da kam nach ein paar Wochen dann schon mal die Bemerkung, dass schade ist, dass er nicht mal anruft. Sonst haben sie überhaupt nicht gefragt. Unsere Tochter war letzten Sommer erst zwei, die konnte außer ein paar Wörtern noch nicht reden und es ist ja sehr schwierig, bei Kindern in dem Alter festzustellen, was normal und was ungewöhnliches Verhalten ist. Unser Sohn hat nie danach gefragt, was passiert ist, obwohl wir ihm nach Wochen und Monaten immer mal wieder Brücken gebaut haben. Wir lesen seitdem immer wieder ein Kinderbuch vor, in dem der Vater eines kleinen Jungen ins Gefängnis muss. Das hat er sehr gern, aber ich weiß bis jetzt nicht, ob ihm klar ist, was vor einem Jahr passiert ist.

Ich habe ihm nicht erzählt, dass Andrej im Knast war, weil ich nicht wusste, wie ich ihm das erklären soll und hoffte, dass Andrej bald wieder rauskommt. Das ist ja zum Glück auch so passiert. Wir haben dann wegen des Widerspruchs der BAW gegen die Entlassung auf Kaution zwei Monate mit der Angst gelebt, dass Andrej in irgendeinem unvorhersehbaren Moment von der Straße weg wieder festgenommen wird und dann lange im Knast bleibt. Wenn das passiert wäre, hätte ich den Kindern auch erzählt, wo er ist. So war das nicht nötig, und wir sind irgendwann zu einer Kinderpsychologin gegangen und haben die gefragt, ob es besser ist, die Kinder damit zu konfrontieren oder nachzubohren, wie es ihnen geht. Die sagte, dass die von selber damit ankommen werden, wenn sie und wir „reif“ dafür sind. Anscheinend sind wir noch nicht soweit.

Von diesem Zeitpunkt an wart ihr ständiger Beobachtung ausgesetzt. Zusätzlich gab es noch eine weitere Durchsuchung. Wie schlug sich das in deinem Lebensgefühl und in alltäglichen Handlungen nieder?

Das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen, ist sehr ekelhaft, wirklich fast körperlich. Ich habe sehr lange gebraucht, bis so was wie Gewöhnung einsetzte, wobei man sich eigentlich nicht daran gewöhnt in dem Sinn, dass es Dir nichts mehr ausmacht. Du denkst nur irgendwann nicht mehr ständig darüber nach. Und ich denke, dass es vielleicht einfacher auszuhalten ist, wenn du weißt, dass da wer darauf achtet, ob du an der nächsten Ecke ein Auto klaust, was du eben einfach nicht machst. Wenn du aber wie in Andrejs Fall davon ausgehen musst, dass fast alles gegen Dich verwendet wird, ist das anders.

Wenn du nicht über etwas (egal was, du weißt ja nicht, wonach sie suchen) redest, steht in den Akten, dass Du Dich besonders konspirativ verhältst und deswegen bestimmt Terrorist/kriminell/… bist. Wenn du Scherze über irgendwas machst, was mit Politik im weitesten Sinn zu tun hat, nehmen sie es garantiert ernst und kommentieren dann, dass sich das sicher auf dies und jenes bezieht und allein die Tatsache, dass Du Dich damit beschäftigst… usw. Es ist also unmöglich, sich so zu verhalten, dass du das Gefühl hast, dass sie irgendwann einsehen, dass sie sich getäuscht haben, und sich lieber etwa mit Nazis beschäftigen, die tatsächlich massenhaft Menschen umbringen und in dem Sinne terroristisch sind, dass sie viele Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Resultat: Dir bleibt im Grunde keine Luft zum Atmen. Und das ist das wirklich Furchtbare daran.

Wir haben mit der ersten Akteneinsicht verstanden, dass die Überwachung schon mindestens ein Jahr lang stattgefunden hatte. Ich bin ja nur der „Kollateralschaden“, mich erwischt es eben mit, weil ich „zufällig“ mit Andrej zusammenwohne, genauso unsere Kinder und alle, die bei uns anrufen, mit uns verwandt sind oder vorbeikommen. Sie alle wurden und werden durchleuchtet mit der Fragestellung, ob irgendwas, was sie sagen oder tun, auf „terroristische Aktivität“ bei Andrej schließen lässt. Weil sein Vater bei einer Gewerkschaft arbeitet und irgendeine Erklärung der mg sich auf Arbeitskämpfe bezieht, wird allen Ernstes vermutet, sein Vater könne direkten Bezug dazu haben.

Es ist sozusagen alles denkbar, wenn diese Mühle einmal angeworfen ist. Und wenn du das verstanden hast, wird Dir klar, dass Du nicht mehr Du bist. Du wirst komplett durchleuchtet, alles wird von Menschen, die Dich aber doch überhaupt nicht kennen, in einer Weise interpretiert, wie es nicht der Realität entspricht. Und das ist Dir die ganze Zeit bewusst. Bei allem, was Du tust, denkst Du daran, wie „sie“ das jetzt interpretieren könnten, was sie darüber denken, was du tust. Du weißt nicht, ob Wanzen in der Wohnung sind und aufzeichnen, was Du im Schlafzimmer, in der Küche, im Streit oder mit Liebe sagst oder wenn Du mit Deinen Kindern schimpfst – und natürlich hast Du Dich weniger unter Kontrolle, wenn die Nerven so blank liegen. Aber Du versuchst, so kontrolliert wie möglich zu sein, keine Schwächen zu zeigen, nie. Das kann sich schnell zu einem Kreislauf entwickeln, der Dich wirklich wahnsinnig macht.

Ich habe verschiedene Dinge probiert, um das zu verhindern:

  • ich versuche, in bestimmten eher alltäglichen Dingen so normal wie möglich zu bleiben. Z.B. streite ich mich weiter mit Andrej am Telefon, auch über den Einkauf oder so was, wie es in einer Beziehung ganz normal ist. Natürlich ist es unangenehm zu wissen, dass andere bei so was zuhören, aber das müssen sie dann eben.
  • Ich beschäftige mich überhaupt nicht damit, was das für Menschen sind, die uns immer zuhören und überall dabei sind. Ich werde oft gefragt, warum ich die nicht fotografiere oder anspreche oder so was. Ich habe keine Lust, mich noch mehr mit denen auseinanderzusetzen als ich muss, und es interessiert mich tatsächlich nicht, was deren persönliches Motiv ist. Ich kann mir in etwa vorstellen, warum sie zur Polizei gegangen sind, und einiges davon kann ich sogar nachvollziehen (anderes sicher nicht). Wie es ihnen bei der praktischen Schnüffelei geht, will ich wirklich nicht wissen. Letzten Endes können sie einem wirklich auch ein bisschen Leid tun. Unser Alltag ist wahrscheinlich in weiten Teilen sehr langweilig. Beides sind zwei Seiten derselben Medaille: dem Versuch, normal zu bleiben.
  • Sehr wichtig war für mich, nicht alleine damit fertig werden zu müssen. Ich habe sehr bald entschieden, dass ich versuchen wollte, soviel Öffentlichkeit wie möglich zu erreichen. Weil ich wichtig fand, dass mehr Menschen verstehen, wie so eine Ermittlung stattfindet, aber vor allem auch, um nicht mit den Fragen und Zweifeln allein da zu sitzen. Ich glaube, wenn Du das mit Dir alleine ausmachst, drehst du ganz schnell durch.


Welche Reaktionen hast du aus eurem politischen Umfeld und aus eurem FreundInnenkreis erfahren? Haben manche Menschen den Umgang mit dir gemieden, um nicht selbst durch „Kontaktschuld“ in Verdacht zu geraten?

Wir haben wahnsinnig viel Glück gehabt. Wir haben sehr großartige FreundInnen, Verwandte, politische WeggefährtInnen und KollegInnen. Viele haben fast trotzig mit einem „Jetzt erst recht!“ (…verschlüssele ich meine E-Mails, erkläre ich nicht am Telefon, warum ich Dich treffen will) reagiert. Selbst die Eltern und ErzieherInnen in der Kita unserer Kinder, von denen ich das nicht unbedingt erwartet hätte, haben durchweg total entsetzt und dann unterstützend reagiert.

Schon während der ersten Hausdurchsuchung hat eine Freundin von mir, die als Ärztin im Krankenhaus arbeitet, ihren Job liegengelassen und ist sofort gekommen, um mir zu helfen – und ist natürlich als erste Sympathisantin registriert worden. Unsere Eltern haben sich auf den Kopf gestellt, um mir dabei zu helfen, mit dem öffentlichen Ansturm, der Festnahme und dabei allein mit den Kindern fertig zu werden. Viele FreundInnen genauso. Die ganze Riesenkampagne, die wir dann gestartet haben, wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht sehr viele, auch sehr unterschiedliche Leute geholfen hätten. Das war für alle sicher nicht einfach, und es wissen ja auch alle, was man sich damit einhandelt, wenn man sich an so was beteiligt: viel polizeiliche Aufmerksamkeit.
Wenn es Menschen gab, die den Umgang gemieden haben, dann habe ich es nicht gemerkt. Das liegt ja in der Natur der Sache, aber wenn es welche gab, dann waren es sehr wenige.

Problematischer war vermutlich der Umgang mit Nachbarn und entfernteren Bekannten, die dich plötzlich als „Terroristin“ wahrnahmen. Gab es entsprechende von Misstrauen oder Feindseligkeit geprägte Situationen?

Nein, wie beschrieben: die gab es tatsächlich überhaupt nicht. Gerade am Anfang hatte ich davor auch Angst, als noch gar nicht abzusehen war, wie die Geschichte ausgeht und nach dem verrückten Vorwurf nichts mehr unvorstellbar schien, auch nicht, dass Andrej damit dann auch noch verurteilt wird. Aber mir gegenüber gab es wirklich nur Unterstützung.

Durch die Verhaftung war auch dein Name überall in der Presse. Wie stark wurdest du durch diese plötzliche Bekanntheit beeinträchtigt?

Naja, soo groß ist die Bekanntheit ja auch nicht. In der Regel wissen nicht so viele Menschen aus meinem Alltag, dass „ich“ „die“ bin. Es ist mir bisher zweimal passiert, dass mich Leute erkannt und angesprochen haben, jeweils nach relativ großen Veranstaltungen. D.h. die Bekanntheit reduziert sich darauf, dass die Geschichte bekannt ist, aber mein Gesicht nicht so sehr, und damit spielt die Bekanntheit keine besondere Rolle. Geändert hat sich, dass ich mich täglich weiterhin mit dem Verfahren beschäftige. Anfangs mehr, jetzt weniger, aber es gibt weiterhin Anfragen, Veranstaltungen zu machen, Interviews, Diskussionen mit dem Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren wie auch anderen Menschen und Gruppen usw.

Ich blogge ja seit Oktober darüber, wie sich ein Leben mit so einer Ermittlung verändert. Inzwischen weniger über konkrete Details der Überwachung, weil sich da seit Monaten nicht besonders viel ändert, aber dafür mehr über Terrorismus-Verfahren, -Vorwürfe und -Debatten in der Öffentlichkeit. Das bringt mit sich, dass ich die relativ seltene Gelegenheit habe, als linke politische Aktivistin mit so einem Thema eine wesentlich breitere Öffentlichkeit zu erreichen, als sich normalerweise für so ein Igitt-Thema interessiert, und die nutze ich weidlich.
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich freue ich mich, dass jetzt so viel mehr Menschen darauf achten, was in diesem Bereich passiert. Ich habe mich auch schon vorher mit dem Thema Innere Sicherheit beschäftigt, sonst würde ich das vielleicht jetzt auch nicht so ausführlich tun. Auf der anderen Seite habe ich mir nicht selber ausgesucht, dass unser Leben dermaßen auf den Kopf gestellt wird und habe mich auch vor Andrejs Festnahme mit meinem Leben nicht gelangweilt. Das bedeutet, dass ich sehr viele Sachen, die ich vorher gemacht habe, jetzt nicht mehr schaffe, und das bedauere ich sehr.

Ein zusätzlicher Aspekt, der mich ziemlich überrascht hat, war, welche Rolle so eine unfreiwillige Bekanntheit in der linken politischen Szene spielt. Plötzlich haben manchen Menschen oder Gruppen nicht mehr mit mir, sondern über mich geredet. Mich nicht direkt gefragt, sondern mich auf Websites oder in Zeitungen öffentlich aufgefordert, zu diesem oder jenem Stellung zu beziehen. Das fand ich sehr anstrengend, aber das hat inzwischen zum Glück wieder nachgelassen.

Du warst in erster Linie auf die Rolle als „Partnerin von Andrej Holm“ festgelegt. Wie bist du mit dieser Zuschreibung umgegangen? Wie stark konntest du deine Darstellung in den Medien beeinflussen?

Schwieriges Thema. Meine Rolle hier ist ja tatsächlich, seine Freundin zu sein. Er ist beschuldigt, ich nicht und es ist nicht so, dass ich es gern umgekehrt hätte. Wir haben gemeinsam entschieden, dass er mit seinem vollen Namen in der Öffentlichkeit auftritt, dass wir diese breite Öffentlichkeit sinnvoll finden und brauchen und damit auch, dass er ziemlich bekannt wird. Indem ich selber auch öffentlich agiert habe – vor allem mit meinem Blog – gab es auch gelegentlich Interesse an mir, aber natürlich in wesentlich geringerem Ausmaß, was in der Natur der Dinge liegt. Und dieses Interesse basiert darauf, dass ich die Freundin von Andrej Holm bin, sonst gäbe es das nicht. Insofern ist das schon ok so.

Gleichzeitig ist es aber natürlich ausgesprochen befremdlich, plötzlich bekannt zu werden oder Interesse zu wecken, weil ich „die Freundin von …“ bin. Mich nervt es erheblich, dass vor allem bei Fernsehberichten ich im Grunde nur im Bild vorkomme, am liebsten in der Funktion der Mutter seiner Kinder. In der Regel machen wir so was nur, wenn ich entweder gar nicht auftauche oder aber auch was Inhaltliches sage, aber nicht als reine Statistin. Trotzdem wird dann ab und zu genau der eine Satz reingeschnitten, mit dem ich beschreibe, dass das alles schwer auszuhalten ist, dass die Kinderzimmer bewaffnet gestürmt wurden oder etwas Ähnliches. Da werden Geschlechterrollen schon sehr gezielt bedient: ich bin für’s Emotionale da, und den überwachungskritischen Inhalt legen sie allein Andrej in den Mund, was ja so nicht sein müsste.

Wenn man so will, ist das natürlich auch selbstgewählt: ich hätte mich ja nicht so öffentlich damit auseinandersetzen müssen. Ich hätte, nachdem sich abzeichnete, dass es für Andrej noch einigermaßen glimpflich abläuft, mich aus dem Verfahren und seiner Begleitung zurückziehen und mich meinem sonstigen Leben widmen können. Tatsächlich gab es diese Wahl für mich aber so nicht. Auch wenn die Ermittlung nicht gegen mich gerichtet war, betrifft sie mich ganz persönlich auch. Die Hausdurchsuchungen, die Zeit alleine, als Andrej im Knast war, die Beschlagnahmung meiner Sachen, Unterlagen, Computer, die Überwachung auch meiner Telefonanschlüsse, die Protokollierung der Telefonate etwa zwischen mir und meiner Mutter, das ließe sich noch sehr weit fortführen und erklärt, warum ich mich als persönlich betroffen wahrnehme und nicht nur als enge Angehörige von jemandem, der das alles abkriegt. Und wenn dann so eine mediale Wahrnehmung einsetzt, in der ich nur als Hausfrau vorkomme, dann ärgert mich das natürlich. Ihr seid die ersten, die danach fragen, und das finde ich sehr angenehm.

Du hast dich in der Soliarbeit für die Betroffenen der mg-Verfahren sehr stark engagiert. Welche Bereiche hast du dabei übernommen? Hattest du auch dabei als Partnerin eine Sonderrolle, oder konntest du dich dort mit anderen Angehörigen austauschen?

Ich habe mich vor allem in den Bereichen Öffentlichkeits- und Pressearbeit engagiert, sicher auch, weil mir das nicht neu war. Das hätte ich sicher auch gemacht, wenn ich nicht Freundin eines Beschuldigten wäre und aus irgendeinem Grund in so eine Soli-Kampagne „geraten“ wäre. Dabei hat eigentlich keine Rolle gespielt, dass ich Andrejs Freundin bin, aber natürlich hat es manchmal Sachen vereinfacht, einfach weil ich sehr nah an bestimmten Informationen war, die bei anderen erst später angekommen sind. Etwa Nachrichten von AnwältInnen oder Schreiben der BAW oder so was. Und da der Solikreis sich von Anfang an aus auch politisch sehr unterschiedlichen FreundInnen und KollegInnen der Beschuldigten zusammensetzte, war für mich einfacher, dass ich z.B. die verschiedenen Leute, die aus Andrejs Umfeld dazukamen, alle kannte, was sonst fast niemandem so ging. Damit hatte ich automatisch und eher nicht selbstgewählt eine relativ zentrale Rolle, zumindest am Anfang. Gleichzeitig war ich aber auch gerade in den ersten Wochen sehr stark überfordert, das war nicht unbedingt einfach.

Mit speziell anderen Angehörigen hatte ich gar nicht so viel Kontakt. Das hat aber vielleicht auch mit der recht speziellen Konstruktion des Verfahrens zu tun: wir kannten uns ja überhaupt nicht. Ich hatte durchaus engen Kontakt zu verschiedenen Leuten aus dem Einstellungsbündnis, aber nicht unbedingt zu welchen, die in die Kategorie Angehörige fallen (glaube ich; mir ist gar nicht ganz klar, wie sich dieser Begriff definiert: sind damit nur Verwandte bzw. PartnerInnen gemeint?). Teilweise fand ich das schade, aber da sich auch die Situation der Beschuldigten in verschiedener Hinsicht stark voneinander unterscheidet, gab es einfach niemand, deren Situation direkt mit meiner vergleichbar gewesen wäre.

Bis Ende August war Andrej im Knast; erst im Oktober wurde dann der Haftbefehl vom BGH endgültig aufgehoben. Wie lief der Kontakt mit ihm ab?

Unser Kontakt bestand aus einem Besuch in Moabit und fand ansonsten über die Anwältin statt, die ziemlich viel damit zu tun hatte, jeden organisatorischen Kleinkram, den wir zu regeln hatte, hin und her zu transportieren. Und das ist bei einer vierköpfigen Familie gar nicht so wenig. Briefe haben wir in der ja doch relativ kurzen Zeit kaum geschrieben, die brauchten über den Leserichter ziemlich lange, und mir fiel es enorm schwer, Briefe zu schreiben in dem Wissen, dass sie auch von anderen gelesen werden. Komischerweise war das etwas völlig anderes als zu telefonieren und zu wissen, dass wer zuhört.

Auch nach seiner Freilassung hörte die staatliche Überwachung nicht auf. Ihr wart gezwungen, den Umgang damit in euren Alltag zu integrieren. Welche Auswirkungen hat das auf euren Alltag?

Jetzt mittlerweile nicht mehr so viele, außer dass Andrej sehr viel häufiger als vorher zu Veranstaltungen eingeladen wird. Ein sehr positiver Effekt ist, dass sich plötzlich alle Welt für Gentrifizierung interessiert. Noch vor eineinhalb Jahren kannte kaum jemand den Begriff. Ganz unangenehm ist es, zu wissen, dass weiterhin immer protokolliert wird, wer bei uns anruft, wer uns besucht usw. Also das Wissen, dass wir in gewisser Hinsicht eine Gefahr für alle darstellen, die Kontakt zu uns haben. Jemand hat das mal so beschrieben: es ist, als ob Du die Grippe hast. Jedes Mal, wenn du jemanden anhustest, kriegt der das dann auch. Das Verfahren frisst unglaublich viel von unserer Zeit. Für Andrej passiert zwar wenig, aber die Ermittlungen gehen doch immer noch weiter. Das bedeutet, dass wir viel darüber nachdenken, ob und wie wir damit öffentlich umgehen oder ob wir etwa bestimmte Veranstaltungen oder Artikel anstoßen sollten.

Überhaupt keine Freude macht es, auf immer mal wieder vor allem aus der linken Szene auftauchende Vorwürfe oder Statements reagieren zu müssen (oder auch nicht), die zuweilen frei erfundene Behauptungen enthalten. Obwohl es doch so einfach gewesen wäre, vor der Veröffentlichung noch mal nachzufragen, ob dies oder jenes überhaupt stimmt. Das hinterlässt manchmal das fade Gefühl, dass wir auch von links für politische Ziele funktionalisiert werden, die mit unserem konkreten Fall nur bedingt zu tun haben. Leider können wir dem schlecht ausweichen und stehen dann jeweils vor der Wahl, ob wir auf so was gar nicht reagieren, weil es Quatsch ist, oder doch, einfach um zu verhindern, dass ganz Unbeteiligte diesen Quatsch glauben. Das ist ein anderes Problem als das der staatlichen Überwachung, hat aber die Parallele, dass wir beobachtet werden und in unser Leben Dinge hineininterpretiert werden, die wir so nicht erlebt haben.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview wurde im August 2008 geführt.

2 Gedanken zu „Ganz seltsam war es, Sachen für den Knast zusammenzupacken – Interview mit der Roten Hilfe

  1. Um auch die Internetausdrucker mit diesem bewegenden Text erreichen zu könnenn habe ich das Interview mit LaTeX gesetzt. Das PDF ist hier verfügbar. Viel Spass damit.

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