Inzwischen machen sich viele Menschen Gedanken über seltsames Verhalten ihrer Telefone. Weil die z.B. lange brauchen, um Verbindungen herzustellen, weil sie die falschen Nummern anrufen, weil seltsame Geräusche in den Mailboxen gespeichert werden, weil wildfremde Menschen eigentlich andere anrufen wollten…. Ich werde hingegen gefragt, ob ich nicht unnötig Angst verbreite unter Menschen, die ja sicher gar nicht überwacht werden. Wenn dem so sein sollte, tut mir das Leid. Die Angst, überwacht zu werden, ist sicher nichts, was ich irgendwem wünsche.
Letzte Woche rief mich eine Freundin an, die in meinem Bekanntenkreis sicher zu denen Letzten gehört, die in den Verdacht geraten, irgendwas Verbotenes zu tun. Möglicherweise wurde dieser Eindruck kurzfristig getrübt, als sie am 31.7. letzten Jahres ihren Job als Ärztin im Krankenhaus morgens spontan stehen und liegen ließ, um mir bei der bei uns stattfindenen Hausdurchsuchung samt Festnahme Händchen zu halten, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Auch ihr Telefon macht jetzt komische Sachen – in ihrem Fall werden alle Einstellungen gelegentlich gelöscht. Ich kann mir, wie gesagt, nicht vorstellen, dass sie abgehört wird, andererseits trifft das wahrscheinlich auch auf größten Teil der in Deutschland abgehörten ca. 40.000 Telefonanschlüsse zu (Statistik der Bundesnetzagentur, April ’07)
Was ist vernünftig? Keine Angst zu verbreiten, weil Angst ja letzten Endes genau das Ziel der Überwachungsgesellschaft ist? Darüber reden, auch wenn man’s nicht ganz genau weiß, weil nicht drüber reden noch viel schlimmer ist? Spekulieren über das, was gar nicht so spekulativ ist, weil es in Akten (wie bei uns) oder in Statistiken steht (wie bei den 40.000)?
Bei der Transmediale habe ich die Tochter eines ehemaligen Richters am Bundesgerichtshofs kennengelernt. Sie schockte alle am Tisch damit, dass sie niemals irgendwas wichtiges oder persönliches unverschlüsselt per Mail verschicken würde. Weil sie ja als Kind und Jugendliche mit der Überwachung aufgewachsen ist und zu ihrem Alltag gehörte, dass ihr Telefon abgehört wurde. Sie geht ganz automatisch davon aus, dass mitgehört wird.
Die BGH-Richter werden alle abgehört und wissen das auch. Es dient der gegenseitigen Kontrolle. Wundert sich jetzt noch irgendwer, dass deutsche Richter so leichtfertig Überwachungsmaßnahmen gegen andere unterschreiben?
Über Telefonüberwachung wurde ausführlich geredet und geschrieben in Bezug auf einen schwarzen Beutel, der in unserem Leben die unrühmliche Rolle hatte, Auslöser einer weiteren Hausdurchsuchung im letzten August zu sein. Weil Andrej darin nach seiner Haftververschonung die ihm gerade ausgehändigten Ermittlungsakten nachhause transportierte. Den Beutel hatte er von seiner Mutter, einer dieser Drogeriemarkt-Schlüsselanhänger für einen Euro. Und die Hausdurchsuchung gab’s, weil die Bundesstaatsanwältin glaubte, dass wenn seine Mutter am nächsten Tag am Telefon sagt, dass sie beim nächsten gemeinsamen Kaffeetrinken Sonntags gern über den Inhalt des schwarzen Beutels reden möchte, die einzige mögliche Erklärung sein kann, dass a) Andrej weiter Terrorist ist, b) seine
Eltern irgendwie mit drin stecken, c) gefährliches Beweismaterial bei sich zuhause in der Wohnung aufbewahren, d) ihm das jetzt zum Kaffee mitbringen und diskutieren wollen und e) das alles am Telefon ankündigen. Dieser Glaube resultierte aus dem mitgehörten Telefonat und ist deutlicher Beweis für die sehr unterschiedlichen Lebenswelten derjenigen, die Überwachung betreiben und anordnen und derjenigen, die davon betroffen sind.
Auf jeden Fall beschäftigt auch uns das Thema Überwachung weiter. Zuletzt in Form eines Schreibens der Bundesanwältin an Andrejs Eltern bzw. deren Anwältin. Die hatte sich nämlich darüber beschwert, dass die des schwarzen Beutels wegen eine ganze Woche observiert werden sollten und sogar eine Hausdurchsuchung erwogen worden war. Wegen des oben beschriebenen Telefonats! Aber die Antwort ist eigentlich noch schöner. Eigentlich hätte ich gedacht, dass die Reaktion vielleicht nicht direkt kleinlaut ausfällt, aber doch in irgendeiner Form etwas signalisiert, das schon in den Gesichtern der ausführenden Beamtinnen in unserer Wohnung zu erkennen war: dass die ganze Aktion vielleicht doch ein bisschen am Ziel vorbei geschossen ist, welches auch immer das ist. Über diese Geschichte haben sich inzwischen unübertrieben tausende Menschen totgelacht. Aber weit gefehlt: die BAW hat immer recht.
Das fand anscheinend auch Herr Griesbaum von der BAW letzte Woche bei einer Veranstaltung des Deutschen Anwaltsvereins zu „Terrorabwehr und §129a StGB – Die Bedeutung dieser Vorschrift„. Auch er wurde dort gefragt, ob sich die BAW mit ihren mg-Fangversuchen nicht ein bisschen vertan hat, aber er war fest von sich und seiner Behörde überzeugt. (Wenn jemand, der/die dort war, noch ein bisschen mehr über diese Veranstaltung aufschreiben könnte, wäre das sehr willkommen).
„Die angegriffene Anordnung war rechtsmäßig„, so die Begründung, warum Frau V., Bundesanwältin, Observation der Eltern samt Durchsuchung ohne schriftlichen Durchsuchungsbefehl völlig in Ordnung findet. Auch, weil Andrejs Mutter am Telefon nicht z.B. sagte ‚Lass uns über die Ermittlungsakten sprechen‘, sondern ‚Lass uns über den Inhalt des schwarzen Beutels sprechen‘. Das ist doch konspirativ! Die wusste doch, dass das BKA zuhört und nur deswegen hat sie sich so ausgedrückt! Die „gewählte, konspirativ wirkende Verklausulierung „schwarzer Beutel“ (sprach) gegen einen legalen und beweisunerheblichen Inhalt des Beutels„. Und wie vollkommen ungewöhnlich auch, dass Andrej sich mit seinen Eltern ein paar Tage nach seiner Haftverschonung über die Vorwürfe unterhalten wollte, denkt Frau Anwältin. Das machen normale „erwachsene Beschuldigte“ nicht, die reden nämlich über sowas ausschließlich mit ihrem Anwalt. Nicht nur ist er Terrorist, der will auch noch mit! seinen! Eltern!! darüber reden!
Spricht Bände über das Familienleben der Frau Staatsanwältin.
Am Rande fand ich erstaunlich, dass dies so stattfinden musste, weil es „grundrechteschonend“ war. Die Grundrechte unserer Kinder, die zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen mit aggressiven PolizeibeamtInnen in der Wohnung konfrontiert waren und mit offenem Mund die laute Auseinandersetzung zwischen uns und denen beobachten mussten, ob das jetzt schon wieder sein muss, spielen offenbar eine eher zweitrangige Rolle. „Eine Durchsuchung zur Unzeit oder am falschen Ort hätte einen vermeidbaren, wesentlich weitergehenden Eingriff in die Rechtsphäre der Betroffenen mit sich gebracht (..)„. Na vielen Dank.
Bemerkenswerte Wortwahl teilweise: „Immerhin war auch einzukalkulieren, dass der „schwarze Beutel“ schon auf dem Weg einer der Beteiligten zu dem vorgesehenen Besprechungstermin abgegriffen (…) werden konnte.“ ‚Abgegriffen‘ – wer hätte gewusst, dass das ordentlich juristisches Vokabular ist?
Ich bin gespannt, wie der Herr Ermittlungsrichter das nun alles findet.
Zum Schluss noch ein Lesetip in einer verwandten Angelegenheit, der Durchsuchung des Internet-Projektes Labournet vor zwei Jahren. Die waren schließlich sehr entnervt von der Absurdität der Dinge, die über sie hineinbrachen und haben einen sehr schönen Text darüber geschrieben, wie das alles passieren konnte:
„Nur eine klitzekleine Sache macht uns bei dem Ganzen etwas skeptisch: Wir haben lange darüber nachgedacht, warum, warum ich, warum wir und warum ausgerechnet wegen dieses Flugblattes und warum ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? Kein Mensch, auch nicht unsere Rechtsanwälte, haben uns bisher einigermaßen klar machen können, warum die Bochumer Justiz wegen dieses Flugblattes eine solche Maschinerie in Gang gesetzt hat. Für ein Flugblatt, für das wir, im schlimmsten Fall vielleicht zu einer Geldstrafe von 100 oder 500 oder auch „egal“, zu 1000 Euro verurteilt worden wären. Letztendlich, und das ist das Schreckliche, gibt es dafür nur drei Möglichkeiten:
Die Erste ist menschlich, aber peinlich. Rein theoretisch wäre es natürlich möglich und ganz ausschließen wollen wir dies an dieser Stelle auch nicht, dass man als Staatsanwalt wirklich nicht zwingend Karl Marx oder gar seinen Schwiegersohn kennen muß. Aber ein bisschen Recherchieren und dann Nachdenken, dürfte doch wirklich nicht zuviel verlangt sein – es sei denn, man kann es nicht. Aber zwei Staatsanwälte, eine Staatsanwältin und ein Richter gleichzeitig in einem solchen Zustand? Oder ist es gar eine hinreichende und notwendige Bedingung für eine Karriere im höheren Justizdienst im Raum Bochum (oder überall?)?
Die zweite Möglichkeit ist ebenfalls menschlich oder sollten wir besser sagen „deutsch“, dafür aber historisch konstant: Die mögen uns einfach nicht! Wir sind „Linke“ oder „Radikale“ oder „radikale Linke“, also kurz und gut „verfolgenswert“. Wir ärgern sie, sie ärgern uns. Bekannte Sandkastenspiele der Justiz, mit manchmal schrecklichen Folgen. Aber wirklich wahrscheinlich? Den ganzen Aufwand, um uns zu ärgern? Vielleicht in Kombination mit dem ersten Argument – dann schon eher.
Die dritte Möglichkeit ist eher langweilig, wenn auch bitter! „Die“ (genauere Definition überlassen wir der Phantasie unserer Leserschaft) wollten unsere Daten, mit wem wir Kontakt haben, mit wem wir zusammenarbeiten, wer aus den Arbeitsagenturen oder dem autonomen Spektrum uns mit Informationen beliefert.
Ja verdammt noch mal, wofür haben wir denn einen Verfassungsschutz, was tun denn diese Menschen? Die können doch eh schon alle unsere Telefone abhören, unsere Mails und unsere Post lesen. Warum sollten sie dann um 6:00 aufstehen und unsere Wohnungen durchsuchen und dann alles mühevoll die Treppen – und es sind verdammt viele – runterschleppen? Nicht besonders logisch.
Bleibt nur noch eines übrig: Die Kombination macht’s. Wie bei einem Multivitamin-Mixgetränk. Irgendjemand sieht endlich mal wieder eine Möglichkeit, es einem dieser „Linken“ mal so richtig zu zeigen. Er beginnt mit Ermittlungen, wird bedauerlicherweise im Zuge der Nachforschungen an eine andere Stelle versetzt und gibt die Sache an einen Kollegen ab. Dem mangelt es dann wirklich an der nötigen „Substanz“, aber der zieht das durch und findet einen Richter auf seiner „Wellenlänge“. Gemeinsam sind sie nicht zu schlagen. Sie ermitteln (wenig), durchsuchen (vieles) und beschlagnahmen (alles), wundern sich über die einbrechende Protestwelle, dachten Presse- und Grundgesetz seien eh schon lange abgeschafft, und fallen in Trance. (…)“
(Mag Wompel und Ralf Pandorf: „Recht auf Dummheit“ oder „Recht auf Daten“?)