TED-Talk: Wie aus politischen Bewegungen Terrorgefahren werden

Hätte er ja wissen können. Journalist Will Potter schloss sich 2002 einer Gruppe an, die sich mit Flugblättern gegen Tierversuche engagierte. Er wurde festgenommen, freigelassen, und kurz darauf vom FBI kontaktiert, das ihn vor die Wahl stellte, Spitzel zu werden oder auf einer Liste von Terror-Verdächtigen zu landen.

Seitdem beschäftigt er sich, wie Tierrechts-Aktivismus zur Top-Terror-Bedrohung innerhalb der USA geworden ist, und schreibt darüber auf Green is the new Red. Zum Thema des TED-Talks gibt es auch eine kommentierte Leseliste.

Act of Terror – Ein Film über das Filmen von Polizisten. Und was dann passiert.

Gemma Atkinson hat in der Londoner U-Bahn gefilmt, als ihr Freund angehalten und durchsucht wurde. Das reicht schon, um gegen das britische Terrorismus-Gesetz zu verstoßen. Dachte jedenfalls die beteiligte Polizei.

Tatsächlich steht im Gesetz, dass es in Großbritannien verboten ist, PolizistInnen zu fotografieren oder zu filmen – wenn die Aufnahmen terroristisch nutzbar sind. Ich vermute, dass das eine ziemlich dehnbare Definition ist.

Sie hat sich vor Gericht dagegen gewehrt, dass sie in Gewahrsam genommen und mit Handschellen gefesselt wurde. Und hat gewonnen. Das Geld aus dem Verfahren hat sie in diesen kurzen Film gesteckt:

Nebenbei wird auch sehr anschaulich gezeigt, warum nur wenige Leute die Nerven haben, juristisch gegen die Polizei vorzugehen. Das ist hier nicht anders.

(via The Guardian)

Anti-Terror-Datei jetzt ohne Anti

http://twitter.com/andreasdotorg/status/326993186318860288

 

Letzten Mittwoch hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Anti-Terror-Datei verkündet. Das Ergebnis: es darf weiter gespeichert werden, die Zusammenführung der Arbeit von Verfassungsschutz und Polizeien ist kein Problem. Dies und das wurde eingeschränkt – ob das in der Praxis etwas ändert, werden wir sicher nie erfahren.

Bisher sind 18.000 Personen darin gespeichert – darunter auch Menschen, denen überhaupt nichts vorgeworfen wird. Sie sind lediglich Kontaktpersonen von welchen, die vielleicht.. usw. Ob das mit angezeigt wird, wenn sie versuchen, ganz legal einzureisen oder sich auf einen Job mit Sicherheitsüberprüfung bewerben, ist dann wahrscheinlich Glücksache. Die meisten der 18.000 sind nämlich keine Deutschen, was ihnen sicherlich nicht erleichtert herauszufinden, warum sie plötzlich unerklärliche Probleme mit deutschen Behörden haben. Bisher konnte auch das pauschale Befürworten von Gewalt zum Eintrag führen. Die Kriterien der Feld-, Wald- und Wiesenpolizisten hierfür würden sicher hübsche satirische Beiträge generieren. An diesem Punkt hatten die RichterInnen einen 4:4-Patt, d.h. da haben die Grundrechte sehr knapp verloren.

Immerhin wurde auch festgehalten, dass der ‚Kampf gegen den Terror‘ kein Krieg ist und hierzulande mit rechtsstaatlichen Mitteln geführt zu werden hat. Das musste offensichtlich explizit erwähnt werden.

Wer’s genau wissen möchte: die Pressemitteilung und die Entscheidung zur Anti-Terror-Datei des Bundesverfassungsgerichts vom 24.4.13

Noch ohne genau zu wissen, was drin stand, wurde ich von den Volontären von Radio Bremen dazu befragt. Nachdem ich genauer gelesen habe, was entschieden wurde, würde ich mich jetzt kritischer dazu äußern, aber wer möchte, kann das Interview hier nachhören (mp3)

(Danke an die VolontärInnen von Radio Bremen und die Electronic Media School)

 

Vera Bunse hat für „Kaffee bei mir“ die Urteilsverkündung mitgeschnitten:

 

Lesenwert fand ich noch

Es gibt sicher noch mehr: gern in die Kommentare.

„Ich bin kein Terrorist“ – Überwachung von AktivistInnen in den USA

Demokratische Rechtsstaaten haben gern mal ein Problem damit zu erkennen, wer ihnen gefährlich ist. Das ist nicht nur bei uns so. Der ACLU Massachussetts, eine US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation, hat die Polizei von Boston verklagt, Dokumente über die Überwachung der Friedensbewegung zugänglich zu machen. Und hat die Auswertung der Dokumente jetzt veröffentlicht. (Der vollständige Bericht als pdf)

Nach dem 11. September wurden Anti-Terror-Aktivitäten verstärkt. Gerichtet haben sie sich in Boston gegen Antikriegs-Initiativen etwa von Veteranen und gegen die Occupy-Bewegung. Gruppen wurden überwacht, Demonstrationen gefilmt, AktivistInnen verhört. Einige der Überwachten berichten von ihren Erlebnissen und schildern auch, wie sich die Überwachung auf ihre politischen Aktivitäten auswirkt:

Bei uns ist die Terror-Gefahr ja irgendwie kein Problem mehr. Konjunktur hat Extremismus und auch das geht gerade im Versagen der Behörden bei der Verfolgung von Nazis unter. Trotzdem wird der Feind links gesucht, wie jüngste Beispiele eindrucksvoll demonstrieren.

Das ausgesprochen lesenswerte Blog „Green is the new Red“ hat Anfang Oktober eine Studie des Congressional Research Service (vergleichbar mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages) ausgegraben, der sich ebenfalls mit dem sog. ‚Inlandsterrorismus‘ befasst: “The Domestic Terrorist Threat: Background and Issues for Congress

Im Bericht werden u.a. die Anwendung von Gewalt durch rechte (Nazis, AbtreibungsgegnerInnen) und linke (Tierrechts- und Umwelt-)Gruppen verglichen. Rechte Gewalt nimmt auch in den USA zu, linke Gewalt wird als Terrorismus bezeichnet, auch wenn dabei keine Personen zu Schaden kommen.

Daher empfiehlt die Studie den US-Abgeordneten auch, sich damit zu befassen, auf welcher Grundlage etwas als Terrorismus definiert werden sollte:

  • Wie kommt es dazu, dass eine bestimmte Richtung von Opposition vom Justizministerium und FBI als Terrorismus-Bedrohung im Innern beschrieben werden?
    • Welche Kriterien werden dabei angewandt?
    • Welche Anzahl von Straftaten oder Anschlägen führen dazu, dass einer bestimmten Ideologie eine neue extremistische Bedrohung zugeschrieben wird? Spielt dabei eine Rolle, wie schwer die Verbrechen waren, die einer Ideologie zugeschrieben werden?
  • Ab wann gilt die Bedrohung durch einen ideologisch motivierten Inlandsterrorismus als beendet?
    • Sollte es die Möglichkeit für die Öffentlichkeit geben, die Regierung aufzufordern, bestimmten Bedrohungen als Ermittlungsprioritäten auszuschließen?

(Jerome P. Bjelopera: The Domestic Terrorist Threat: Background and Issues for Congress, Seite 10)

Fragen, die sich deutsche Parlamente gern auch mal stellen könnten. Nachdem der Verfassungsschutz abgeschafft wurde.

Terror-Überwachung in Chile

Gestern ist ein Text bei Cryptome.org veröffentlicht worden, der über ein neues Terrorismus-Verfahren gegen HausbesetzerInnen und AnarchistInnen in Chile berichtet. Die Überwachungsmaßnahmen werden sehr detailliert beschrieben.

Der Text ist anonym veröffentlicht, es ist also nicht möglich, zu überprüfen, ob stimmt, was drin steht. Ein Grund dafür sei, dass Teile der Informationen nicht legal erhalten wurden und die Anonymität dem Quellenschutz dient. Der Text richtet sich vor allem an die Netz-Community, die mit der Entwicklung und Weitergabe von Werkzeugen beschäftigt ist, die für sichere Online-Kommunikation nötig sind – vor allem aktuell für den ‚Arabischen Frühling‘.

Comments from Chile

(Ab hier beschreibe ich, was im Text steht. Der Lesbarkeit halber nicht alles im Konjunktiv)

Im August 2010 wurden diverse besetzte Häuser durchsucht, 14 BewohnerInnen landeten mit Terrorismus-Vorwurf im Knast. Es war vier Jahre lang ermittelt worden, 2012 wurden die 14 ohne Anklage freigelassen.

Bereits im Mai 2011 ist eine Liste von 200 Namen veröffentlicht worden, die mit in das Verfahren gezogen und dann auch überwacht wurden.

Einige der Details der Überwachung von Online-Kommunikation. Es gab in den ersten Akten:

  • Screenshots von Hotmail-Accounts
  • Screenshots von Passwörtern von Gmail-Accounts
  • Oberflächliche Analysen von Websites: flickr.com, blogspot.com, entodaspartes.org, santiago.indymedia.org, valparaiso.indymedia.org, nodo50.org wordpress.com, indymedia.org, riseup.net.
  • Transkripte von OTR-Chats und PGP-E-Mails (wobei hierfür nicht die Verschlüsselung an sich geknackt wurde)

In den Akten von 2012:

  • mindestens vier Fälle von transkribierten Crypto.Cat-Chats
  • weitere Zugriffe auf Gmail- und Facebook-Accounts
  • Beschwerden über OTR und PGP, hier wurde das FBI um Hilfe gebeten.
  • Intensive Beschäftigung mit Websites; dazu wurden auch Medien-AktivistInnen von der Polizei aufgesucht. Großes Interesse gab es an riseup.net: von Software, E-Mail-Adressen und Source Code bis zu den Gruppen, die Riseup benutzen.

Der Text enthält auch Vermutungen, wie auf die Crypto.Cat-Chats zugegriffen worden sein könnte – entweder über Spyware oder über eine Kooperation mit italienischen und US-Sicherheitsbehörden. Hier bleibt das Ganze allerdings ziemlich vage: sind ja wohl auch nur Vermutungen.

Zum Schluss ein Absatz, den ich persönlich gut nachvollziehen konnte:

Yes, we can face defeats, but it really demoralizing to see 30 police officers breaking your home and exposing all your life just because your political and life position … all broadcasted by television. None of them was related to the bombs, none of us is related to the bombs, that’s just an excuse to fuck our lives. We need you to keep working on this, and educate people everywhere. Our dictatorship ended in 1990, but before that the only way to survive as resistence was to share knowledge and practices, we need to keep that today.

 

Bizarrerweise gab es ausgerechnet heute diesen Text in der taz: Sicheres Chatten mit Crypto.Cat. Der Katzenkryptograf

Am Montag hatte Christopher Soghoian ausführlich erklärt, warum Technik-JournalistInnen besser vorsichtiger wären, wenn sie neue Sicherheits-Software anpreisen: Tech journalists: Stop hyping unproven security tools. Mit spritzigen Beispielen aus Guardian, Wired, Forbes und New York Times. Hätte Burkhard Schröder besser vorher gelesen.

Urteile in Neuseelands erstem neuen Terrorismus-Verfahren

Terrorismus als Schreckgespenst ist schon wieder aus dem Bewusstsein gerutscht, aber die Folgen der neueren Anti-Terror-Gesetze sind gelegentlich spürbar. Auch Neuseeland hatte in der Folge des 11. September ein neues Anti-Terror-Gesetz beschlossen. 2007 wurde das erste Verfahren nach dem neuen Gesetz gestartet. Jetzt im Mai wurden die Urteile gesprochen, am Freitag die letzten Strafen festgelegt.

Von den ursprünglich 19 Beschuldigten waren zum Schluss vier übrig geblieben. Zwei Maori, Taame Iti und Rangi Kemara, die zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden, die sie bereits absitzen, und zwei Weiße, Emily Bailey und Urs Signer, die am Freitag zu neun Monaten „Hausarrest“ verurteilt wurden. (Update: auch Emily ist Maori)

Urs Signer sagte dazu selbst im neuseeländischen Fernsehen am Freitag, dass das gesamte Verfahren durch und durch rassistisch gewesen sei (Video).

Haha / Regan Tanamui @ May Lane, St Peters – Sydney

Über die Vorgeschichte habe ich 2008 schon geschrieben: Nächster Schritt im neuseeländischen “Terror”-Verfahren . Hintergrund und Juristisches finden sich auf der Website der UnterstützerInnen der Urewera Four, October 15 Solidarity (auch bei Facebook).

Auch von den Durchsuchungen betroffen war Valerie Morse, die einen guten Artikel darüber geschrieben hat: Land of the Long White Lie: The New Zealand Terror Raids

In June of last year, I published a book detailing the New Zealand government’s involvement in the ‚war on terrorism.‘ In it, I suggested that both dissidents and Maori were targets of the war, along with refugees and migrants. It was not without a sense of bizarre irony and a certain grim satisfaction that I sat in my prison cell and congratulated myself on being right.

Ihr Buch Against Freedom. The war on terrorism in everyday NZ life als PDF.

Es gibt inzwischen einen Film darüber, Operation 8, den ich gern mal sehen würde. Falls also irgendwo ein Programm-Kino, ein Film-Festival, ein Kulturzentrum.. das Thema Terror-Verfahren gegen AktivistInnen wieder aufnehmen möchte und sich für diesen Film entscheidet, würde ich mich über eine Nachricht sehr freuen.

 

Das Verfahren in Neuseeland hat fast gleichzeitig zum Terrorismus-Verfahren gegen Andrej und die anderen Beschuldigten in Berlin begonnen. Für uns ist das lange vorbei. Alles Gute an Urs und Emily, Taame und Rangi und an alle anderen, die von diesem Verfahren betroffen sind.

Rechtsterrorismus? Bielefeld!

Wegen erheblicher Erkältung (meine erste in dieser Saison!) kann ich gerade keine schönen Dinge schreiben. Aber es gibt ja viele andere gute Sachen im Netz:

http://www.youtube.com/watch?v=IYFl4GGUsxk

Dazu passt auch

http://www.youtube.com/watch?v=73WYiOpQPYY

Solange sowas noch erlaubt ist, verzweifele ich nicht vollends.

Allerdings: wieso dieser gesamte Verfassungsschutzskandal einfach aussgesessen werden kann und niemand auch nur auf die Idee kommt, es könnte mal zurückgetreten werden, wenn die Behörde schon nicht wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen in Gänze verklagt wird – das ist wohl nur mit Bahnsteigkarten zu erklären.

Ach ja: gegen Lothar König ist jetzt Anklage erhoben worden.

Rechter Terror – A Work in Progress II

Einen aus RSS-Feeds gespeisten Live-Ticker gibt es bei Twitter: @nsuwatch

Dienstag, 22. November

tagesschau.de: Debatte über Rechtsextremismus im Bundestag. Betroffenheit, Vorwürfe und am Ende Einigkeit

Die Debatte war kontrovers, doch am Ende waren sich alle einig. In einer gemeinsamen Erklärung aller Fraktionen – eine Seltenheit im Bundestag – zeigten sich die Abgeordneten bestürzt über die Mordserie und baten die Angehörigen um Entschuldigung. Streit gab es um Ministerin Schröder.

Bernd Kastner, Süddeutsche: Neonazi-Gegner im Visier

Jetzt, da die rechtsterroristische Mordserie bekannt geworden ist, fordern Politiker jeder Couleur ein hartes Vorgehen gegen Neonazis. In München haben Nazi-Gegner aus dem linken Lager, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft, immer wieder zu spüren bekommen, dass einem der Protest gegen Rechtsextreme recht viel Ärger einbringen kann. Bisweilen gehen Polizei und Justiz mit bemerkenswerter Akribie gegen bürgerliche Courage und zivilen Ungehorsam vor.

Thomas Denkler, Süddeutsche: Streit über Extremismusklausel im Bundestag. Union stellt Schröders „Gesinnungs-TÜV“ zur Debatte

Hat die Familienministerin kein Herz für den Kampf gegen Rechtsextreme? Kristina Schröder sieht sich in der Bundestagsdebatte um Rechtsterrorismus heftigen Angriffen der Opposition ausgesetzt. Sagen will sie nichts. Das macht dann CDU-General Hermann Gröhe für sie. Und stellt indirekt in Frage, wofür Schröder lange gekämpft hat.

Montag, 21. November

Andreas Förster, Berliner Zeitung: Terror-Spur führt ins Erzgebirge

Das Zwickauer Trio erhielt offenbar Hilfe von der rechtsextremen Szene in Sachsen. Trotz neuer Spuren sehen sich die Ermittler noch weit von einem Durchbruch entfernt.

Sondersitzungs des Innenausschusses

taz, 21.11.11: Appell gegen Neonazis. Was jetzt zu tun ist

Vor-Ort-Initiativen gegen rechte Gewalt und Projekte zur Hilfe von Opfern fordern eine Umkehr in der Politik staatlicher Behörden gegen Rechtsradikalismus.

1. Eingreifen und einmischen statt wegsehen
2. Mehr Demokratie statt mehr Verfassungsschutz
3. Zivilgesellschaftliche Expertisen anerkennen und nutzen
4. Staatliche Alimentierung der Neonazis beenden, V-Leute abschaffen
5. Lückenlose Aufklärung und Konsequenzen auf allen Ebenen
6. Nebelkerze NPD-Verbot ad acta legen
7. Engagement gegen Rechts braucht Anerkennung und Unterstützung statt Diffamierung und Kriminalisierung
8. „Extremismusklausel“ abschaffen
9. Langfristige Planungssicherheit für Projekte gegen Rechtsextremismus und Ausweitung der bewährten Beratungsprojekte in den alten Bundesländer
10. Rassismus endlich beim Namen nennen

Die zehn Punkte sind im Text ausführlicher erläutert.

Sonntag, 20. November:

Nils Minkmar, FAZ: Hauptsache, es macht Peng!

Zehn Menschen könnten noch leben, wenn die Geheimdienste ihre Arbeit getan hätten. Es ist Zeit, sie abzuschaffen.

Außerdem:

JG Stadtmitte Jena, 21.11.11: Broschüren über Rechtsextremismus in Jena

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Ausländerfeindliche und rechtsextremistische Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland im September 2011“ (pdf)

Viele Online-Auftritte haben Sonderseiten eingerichtet:

Rechter Terror – A Work in Progress

Mein Versuch, den Überblick zu behalten. Nicht vollständig, aber informativ (hoffe ich). Die Sammlung wird laufend erweitert, sachdienliche Hinweise bitte gern in die Kommentare!

Disclaimer: Es ist natürlich nicht so, dass ich alles für richtig halte, was hier steht. Interessant, ja. Aber denkt bitte weiter und bildet Euch jeweils eine eigene Meinung. (Manches ist sogar ziemlich verschwörungstheoretisch. Wie gesagt: selber denken). Update: Ich hab’s mir überlegt, Verschwörung & Co. bleiben, wo sie sind. Danke für’s Feedback!

Weitere Links gibt es bei netz-gegen-nazis.de

Dienstag, 8.11.

JG Stadtmitte Jena: Jenaer Notizen

Jena gehört zu jenen ostdeutschen Städten, in denen Neonazis auch vor 1989 aktiv waren.

In einer Art „Jahresrückblick“ des Oberbürgermeisters auf das Jahr 1998 wiederholte er seine Kritik an den „Radikalen von Links und von Rechts“, die die Stadt Jena „zum Aufmarschgebiet“ machen würden. (Ostthüringer Zeitung und Thüringer Landeszeitung vom 28. Dezember 1998)

Es zeigt sich in Jena insgesamt das Bild einer Kommunalpolitik, die zwar das Auftreten rechter Organisationen und Parteien ablehnt, dem aber linksalternative Gruppen und Veranstaltungen umstandslos gleichstellt und damit schon ihre eigene Unfähigkeit zur Analyse der tatsächlichen Situation

unter Beweis stellt. Zeigen antifaschistische Gruppen und Persönlichkeiten rechte Zusammenhänge auf oder protestieren dagegen öffentlich, laufen sie

Gefahr, in Verkehrung der Tatsachen zum eigentlichen Ärgernis zu werden.

Freitag, 11.11.

Bettina Gaus: Realität schlägt Fantasie

Interessant zu erfahren wäre auch, weshalb eigentlich im Zusammenhang mit toten Migranten stets so schnell die Rede war von möglichen Kontakten der Opfer zum kriminellen Milieu. Stehen Minderheiten hierzulande unter Generalverdacht, selbst wenn sie umgebracht werden?

Christian Rath, taz: Bundesanwaltschaft ermittelt. Polizistenmord Teil rechter Mordserie

Doch was verband die Opfer, außer der ethnischen Herkunft und dass sie in kleinen Läden arbeiteten? Die Polizei tappte im Dunkeln und ermittelte in alle Richtungen: Schutzgelderpressung, Mafia, Rassisten.

Gegen 2006 stellten Polizei-Profiler die These auf, dass es wohl ein fanatischer Einzeltäter sein müsse, der aufgrund eines persönlichen Erlebnisses einen tödlichen Hass auf Türken entwickelt habe.

Andreas Förster, Berliner Zeitung: Spur führt zu „Döner-Morden“

Der amtierende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum sagte, es seien in den Trümmern des Zwickauer Hauses unter anderem ein auf DVDs kopierter Film gefunden worden, in dem eine Gruppe mit dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ eine Rolle spielt und der Bezüge zu den Döner-Morden enthält. Die DVDs sollen zum Teil versandfertig verpackt gewesen sein.

Samstag, 12.11.

Tom Strohschneider, der Freitag: Zehn Tote und der rechte Terror

 

Bisher gingen die Ermittler im Zusammenhang mit den „Döner-Morden“ von allen möglichen Varianten aus – nur die Möglichkeit einer organisiert rassistischen Anschlagsserie kam den Behörden offenbar nicht in den Sinn. Erst war von Mafia die Rede, später von einem gestörten Einzeltäter.

Sonntag, 13.11.

Tom Strohschneider, der Freitag: Schafft das Amt ab!

Wozu braucht die Bundesrepublik diesen Verfassungsschutz überhaupt? Allein das Bundesamt verschlingt im Jahr fast 174 Millionen Euro – für die jährliche Herausgabe eines Heftes, in dem nachzulesen ist, was man auch anderswo erfahren kann? Zur Verhinderung einer der schlimmsten politischen Mordserien der vergangenen Jahrzehnte reichte es jedenfalls nicht.

Günther Lachmann und Florian Flade, Welt Online: Die mögliche Verbindung der Täter zum Geheimdienst

Bis heute bestreitet der Verfassungsschutz die drei angeworben zu haben. Die jetzt in dem vom Terror-Trio gemeinsam bewohnten Haus in Zwickau gefundenen Papiere erhärten allerdings den Verdacht, dass es doch eine Verbindung gegeben haben könnte.

Nach Informationen der „Bild“-Zeitung stellten Sicherheitsbeamte in den Trümmern des Hauses sogenannte „legale illegale Papiere“ sicher. So werden von Geheimdiensten für Spionagezwecke ausgestellte Ausweispapiere bezeichnet.

Spiegel TV: Das Video der Zwickauer Terrorzelle

Montag, 14.11.

Andreas Förster, Berliner Zeitung: Der Verfassungsschutz subventionierte die Neonaziszene

Geld spielte offenbar keine Rolle – im Verfassungsschutz-Haushalt waren in den 90er-Jahren bis zu 800.000 Mark jährlich für V-Leute eingeplant.

Einer dieser Informanten – der Top-Nazi Tino Brandt – hatte 1994 die „Anti-Antifa-Ostthüringen“ gegründet, aus der zwei Jahre später der „Thüringer Heimatschutz“ (THS) hervorging, dem sich auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe anschlossen. 80 gewaltbereite Neonazis rechnete das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) damals der THS zu.

Die Zahl dürfte ziemlich genau sein, da der 1994 als V-Mann Nr. 2045 mit dem Decknamen „Otto“ angeworbene Brandt den Geheimdienst über die THS auf dem Laufenden hielt. Einige seiner Meldungen waren sogar so wertvoll, dass sie an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet wurden. Der Lohn war üppig – bis zu seinem Abschalten 2001 kassierte Brandt bis zu 40.000 Mark jährlich. Einen Großteil der insgesamt 200.000 Mark Spitzellohn investierte der V-Mann nach eigenen Angaben in den Aufbau des THS.

Frank Janssen, Zeit/Tagesspiegel: Die ungelösten Fragen über das Neonazi-Trio

Heribert Prantl, Süddeutsche: Nehmt die braune Gefahr endlich ernst!

Mord und Mord und Mord und Mord. Es ist unbegreiflich und unendlich verstörend: Jahrelang konnte eine rassistische Terrorbande durch Deutschland ziehen und Einwanderer exekutieren. Sie konnte Anschläge planen, Bomben bauen und werfen. Sie konnte all das auch deswegen tun, weil Polizei, Staatsschutz und Staatsanwaltschaft rassistische Motive überwiegend ausgeschlossen haben. Die Verbrechen wurden als Terrorakte nicht erkannt, es hieß, es handele sich um Einzeltaten, sie seien nicht zusammengehörig, angeblich nicht politisch motiviert.

Paul Wrusch, taz: Verfassungsschutz und Naziszene. Thüringer Kameraden

Helmut Roewer, bis zum Jahr 2000 Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, hielt sich V-Leute aus der Naziszene. Heute schreibt er für einen rechten Verlag

M. Bartsch & P. Beucker & W. Schmidt, taz: Thüringer Rechtsterroristen Ungelöste Fälle werden neu aufgerollt

Am Montagnachmittag hielten alle Chefs der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern eine Krisenschalte ab. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte eine Umstrukturierung des Verfassungsschutzes.

Dienstag, 15.11.

Andreas Förster, Berliner Zeitung: Ein viel zu klares Bild

Denn je genauer man die Ereignisse der letzten Tage betrachtet, desto mehr verschwimmt die scheinbar klare Kontur dieses Falls. Es beginnt mit dem angeblichen Selbstmord der beiden Bankräuber in ihrem Wohnmobil.

Andreas Förster, der Freitag: Späte Suche nach den braunen Wurzeln

Dabei gab es schon Ende der 60er Jahre Berichte in westdeutschen Medien, dass frühere Nazis ihre Beamtenkarriere beim Verfassungsschutz fortsetzen konnten, obgleich sie direkt oder mittelbar an Gräueltaten des Hitler-Regimes beteiligt waren. Lanciert hatte diese Erkenntnisse häufig die ostdeutsche Stasi, die in DDR-Archiven lagernde Personalakten des NS-Regimes ausgewertet hatte.Diese Unterlagen – von denen viele noch heute im Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde aufzufinden sind – belegen, dass eine Reihe ehemaliger Nazis sogar Spitzenposten im Kölner Bundesamt bekleideten.

Julia Jüttner, Spiegel Online: Die Rätsel von Zwickau

DLF: Streetworkerin Kathrin Schuchardt über Rechtsextremismus in Ostdeutschland: „Man kannte die Namen, man kannte die Gesichter“

Johannes Radke, Störungsmelder/Zeit Online: Nazi-Spitzel außer Kontrolle

Klar ist: Schon Ende der neunziger Jahre lief der Einsatz von V-Leuten in der Thüringer Naziszene, in der das mörderische Trio radikalisiert wurde, gehörig aus dem Ruder. Drei Jahre nach dem Abtauchen von Beate Z., Uwe M. und Uwe B. titelte die Thüringer Allgemeine: “Verfassungsschutz bezahlt weiter rechte Führungskräfte, NPD finanziert Aufmärsche aus der Thüringer Staatskasse.”

hr online: „Kleiner Adolf“ beim Verfassungschutz

Der Mann, der zur rechten Szene gehört, ist nach wie vor Mitarbeiter des Landes Hessen, wie bei einer Sitzung im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages (PKG) bekannt wurde. „Er arbeitet im Augenblick bei der Bezirksregierung in Hessen“, sagte der PKG-Vorsitzende Thomas Oppermann über den ins Zwielicht geratenen hessischen Verfassungsschützer.

Thomas Holl, Katharina Iskandar, FAZ: Verdächtiger Verfassungsschützer. Spitzname „kleiner Adolf“

Der Verfassungsschützer, der sich am Tatort eines Mordes der Neonazi-Terrorgruppe befand, hegte wohl rechtes Gedankengut. Er war unter dem Spitznamen „kleiner Adolf“ bekannt. In seiner Wohnung wurden Waffen und Auszüge aus Hitlers „Mein Kampf“ gefunden.

Lutz Schnedelbach, Berliner Zeitung: Verdächtige Gegenstände neben rechtsradikalen Flugblättern gefunden

In der Einfahrt eines Parkhauses an der Bismarckstraße in Charlottenburg ist heute morgen eine gelbe Einkaufstüte aus Plastik entdeckt worden. Sie war gefüllt mit einer Flüssigkeit. Ob es sich dabei um Benzin handelte, teilte die Polizei bisher nicht mit. Neben der Tüte lag ein Zettel, auf dem stand: „Ausländer raus!“

Peter Carstens, FAZ: Im Zweifel gegen den Zweifel

Man sei, sagt Wiefelspütz, im Bereich Rechtsextremismus offenbar „nicht einmal ansatzweise richtig aufgestellt“. In den kommenden Wochen und Monaten seien die vergangenen mehr als dreizehn Jahre – so lange hatten die drei Jenaer Neonazis des NSU unentdeckt eine Blutspur durch Deutschland gezogen – „Tag für Tag neu aufzuhellen“. Schon nach wenigen Ermittlungstagen ist bereits abzusehen: Am Ende werden die Sicherheitsbehörden nicht gut dastehen.

Mittwoch, 16.11.

Jörg Schindler, Berliner Zeitung: Mord unter Aufsicht

Gleichwohl seien die Ermittlungen gegen den Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der suspendiert wurde und heute im Regierungspräsidium Kassel tätig sein soll, im Januar 2007 eingestellt worden. Man habe es zu seinen Gunsten ausgelegt, dass sich der Mitarbeiter „nur“ in der Nähe von sechs der neun Mord-Tatorte befunden hätte.

Florian Gathmann, Matthias Gebauer, Veit Medick, Spiegel Online: Neonazis hatten auch Politiker im Visier

… Namen und Adressen von 88 Personen – darunter mindestens zwei Politiker des deutschen Bundestags und auch Vertreter türkischer und islamischer Organisationen. Insgesamt soll es sich um rund tausend Datensätze handeln, hieß es aus dem Umfeld der Ermittler.

Jochen Bittner, Christian Denso, Michael Kraske, Toralf Staud, Zeit Online: Verbrecher und Versager

Nur eines scheint dieser Tage sicher. Allein haben die drei Verdächtigen nicht gehandelt. Das Bild einer vollkommen abgekapselten Killer-Sekte führt offenbar in die Irre. »Es muss eine Struktur bereitgestanden haben«, sagt ein hochrangiger Ermittler, der mit dem Fall befasst ist.

Julia Kuttner, tagesschau.de: „Dieses Gelaber ist so unwürdig“ Interview mit Anetta Kahane

„Ich finde das den Opfern gegenüber total unwürdig. Diese ganze Streiterei, ob das nun rechtsextrem motiviert ist, ist unwürdig. Da war ein Nazi, da war ein gewisses atmosphärisches Umfeld, da ist ein Opfer und dann zu sagen: ‚Naja, das Opfer war ja betrunken, und wer weiß…‘, das ist einfach unwürdig. Das ist ein Teil des grundsätzlichen Problems, das wir haben.

Donnerstag, 17. November

Heribert Prantl, Süddeutsche: Wenn der Staat versagt

Eine Duldsamkeit gegenüber dem Rechtsextremismus und die Unduldsamkeit gegenüber dem Linksextremismus könnte mit dem Kalten Krieg zu tun haben, in dem ein Teil der Verfassungsschützer groß geworden ist.

deStandard.at: Weitere Liste mit tausenden Namen bei Neonazis entdeckt

Bei den neuen Unterlagen handle es sich um eine Sammlung von Daten, die für die Zwecke der Rechtsextremisten offenbar relevant gewesen seien, zitierte die „Passauer Neue Presse“ aus Kreisen von Sicherheitsbehörden. Demnach sei nicht von „Todeslisten“ die Rede gewesen.

stern.de: … und der braune Mob darf marschieren. Interview mit Bodo Ramelow, Chef der Linksfraktion Thüringen

„Lesen Sie mal nach, was der sächsische Politologe Eckhard Jesse sagt, der regelmäßig viele Veranstaltungen für die Verfassungsschutzämter macht. Zu Jesses Schülern gehört zum Beispiel Mario Voigt, CDU-Generalsekretär in Thüringen. Jesse redet vom weichen Extremismus der Linken, der gefährlicher sei als die NPD. Das sagt der auch öffentlich. Kein Wunder, dass von der sächsischen CDU die Menschen kriminalisiert werden, die gegen braunen Ungeist auf die Straße gehen.“

W. Schmidt & A. Speit, taz.de: Verbindungen des Nazi-Terrortrios. Der Staat, der Terror und die Partei

Die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe soll 2004 an einer NPD-Weihnachtsfeier teilgenommen haben. Auch andere Spuren verbinden das Trio mit der Partei.

Freitag, 18. November

Frank Jansen, Tagesspiegel.de: Ermittler prüfen Hintergrund nicht aufgeklärter Taten

Zehn Morde, 14 Banküberfälle und ein Anschlag mit einer Nagelbombe werden dem Jenaer Neonazi-Trio bislang angelastet. Welche Taten könnte es noch begangen haben?

Martina Borusewitsch, T-Online.de: Jagdszenen auf dem Weihnachtsmarkt. Wie Beate Zschäpe zuschlug

Aber es war hellichter Tag, als Katharina König, Tochter einer Pfarrersfamilie, zusammengeschlagen wird – auf dem Rückweg von einem Fußballspiel. Niemand griff ein. „Die anderen Fußballfans liefen vorbei und guckten zu“, erinnert sie sich. Niemand habe das ernst genommen, die Vorfälle seien als „rivalisierende Jugendgruppen“ abgetan worden.

In diesem Umfeld seien Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt zu verorten – „und zwar in der ersten beziehungsweise zweiten Reihe in Jena“, so König. Zu regelrechten Treibjagden kam es jedes Jahr auf dem Jenaer Weihnachtsmarkt – auf dem Zschäpe eine Freundin Königs zusammengeschlagen habe.

Sebastian Gierke, Süddeutsche: Debatte um Extremismusklausel. Wie Ministerin Schröder den Kampf gegen rechts erschwert

Nur ein halbes Jahr war „die Wand der Toleranz“ in Limbach-Oberfrohna unbefleckt – bis Mittwochnacht. Dann wurde sie mit weißer und schwarzer Farbe übermalt. Statt des Symbols für ein friedliches, tolerantes Miteinander in der westsächsischen Stadt: schwarze Balken, gesprüht von Neonazis, eine braune Machtdemonstration.

 

Außerdem

DISSkursiv: V-Leute bei der NPD. Geführte Füh­rende oder Füh­rende Geführte? (2002)

DISSkursiv: Zum Thema NPD-Verbot.. (2008)

7h3linguist’s journey:  Rechtsmotivierter Terror in Deutschland seit 1945

Große Anfrage, Antwort vom 27.9.11: Mindestens 137 Todesopfer rechter Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland seit 1990 (pdf)

Amadeu-Antonio-Stiftung: 182 Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt seit 1990

Insgesamt wurden seit 1990 182 Menschen Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Die offiziellen Statistiken sprechen allerdings nur von 47 Opfern.

Mut gegen rechte Gewalt: 182 Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt seit 1990

Todesopferliste aktualisiert: Seit 1990 wurden in Deutschland 182 Menschen Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt. Die rassistische Mordeserie von 2000 bis 2007 zeigt einen würdelosen Umgang der staatlichen Behörden mit rechtsextremer Gewalt.