Werbung: Radio hören am Dienstag

Montag Dienstag um viertel nach Sieben abends gibt es ein Feature im Deutschlandfunk, das ich jedenfalls hören werde und hiermit genau dafür auch empfehle:

Kafka, Kanzler und da knackt nichts

Aus dem Inneren eines Überwachungsstaates

Von Holger Siemann

Ein
junger Mann erfährt durch eine Panne bei seinem Mobilfunkbetreiber,
dass er von Verfassungsschutz und BKA abgehört wird. In einer Zeitung,
der Polizisten die Abhörprotokolle verkauft haben, liest er ein
Gespräch seiner Freundin im Wortlaut. Die Schlagzeile, seine Verhaftung
als angeblicher Gründer der terroristischen Vereinigung "Militante
Gruppe" stehe unmittelbar bevor, lässt ihn wochenlang bei jedem
Geräusch hochschrecken.

Nach sieben Jahren vergeblicher Bemühung um Aufklärung, nach
Hausdurchsuchung und schließlich doch noch erfolgter Verhaftung zieht
das Bundesverfassungsgericht eine Grenze. Der "Terrorist" erhält
Akteneinsicht, das Verfahren wird eingestellt. Obwohl die Geheimdienste
sich der Aufklärung verweigern, lässt sich die paranoide Geisteshaltung
der Ermittler anhand ihrer eigenen Aufzeichnungen nachvollziehen. Ist
das ein seltener Glücksfall? Oder ist es ein Unglücksfall – weil alles
andere als selten? In Deutschland wird 30-mal mehr abgehört als in den
USA.

 

§129 – Der Stand der Dinge

Beschluss des BGH Okt 2009Vor einer Weile wurde ein Dokumentarfilm zum Thema Innere Sicherheit für’s Schulfernsehen gedreht. Wir haben einen halben Tag mitgespielt, haben von Andrejs Verfahren und von Überwachung erzählt und sind malerisch durch den sonnig-herbstlichen Tiergarten gelaufen. 

Das Filmteam erzählte putzige Anekdoten von abbrechenden Telefonaten und einem Hausbesuch beim Tontechniker (oder war’s der Kameramann?) am Morgen, nachdem sie beim Berliner GTAZ (Terror-Abwehrzentrum) gefilmt hatten. Da kam mal eben das LKA zuhause vorbei (dem gehörte das Auto, das sie benutzt hatten) und fragte, was das denn war. Das fand das Filmteam schon nur noch eingeschränkt putzig.

Heute rief der Filmemacher an und sprach Andrej Folgendes auf die Mailbox:

Ich habe der Bundesanwaltschaft eine Frage gestellt: Ob das Verfahren gegen Dr. Andrej Holm jetzt abgeschlossen ist oder nicht, und wenn nein, warum nicht.

Ich habe heute, am 21.12. folgende Antwort bekommen: Das Ermittlungsverfahren gegen Dr. Andrej Holm ist noch nicht abgeschlossen. Näheres Angaben zu dem offenen Verfahren können wegen möglicher Gefährdung des Ermittlungserfolgs nicht gemacht werden.

Soweit zum Stand der Dinge.

Weiterlesen

Von Twin Towers, Zwillingen und anderem Terror

Vor etwa zwei Jahren riefen wir dazu auf, sich am Preisausschreiben "Was ist Terrorismus" zu beteiligen. Es kamen viele wunderbare Einsendungen und ich ärgere mich bis heute enorm, dass wir zu wenige waren und zuviel anderes zu tun hatten, um das ordentlich zu Ende zu bringen. Immerhin gab es eine sehr gute Ausstellung im Tacheles. Ein sehr früher Beitrag, der definitiv Aussichten auf einen Preis gehabt hätte, ist dieser:

Für die Eine ist es nur ein harmloser Fußabdruck im Sand,
für den Anderen der Beginn einer wunderbaren Karriere
Von Twin Towers, Zwillingen und anderem Terror

Queer Terrorism
Sandburgen bauen, Sandburgen …
(Irgendwie hatte Terror in den 80ern immer diesen Gelbstich)

 
 
Als ich klein war, da war ich sicher: "Touris" ist die Abkürzung für Terroristen. Und Terroristen sind nur so halb gut – das weiß doch jedes Kind. Vor allem der gemeine Neckermann-Terrorist, der ist irgendwie gar nicht gut.  
 
Weiterlesen

Urteil im mg-Verfahren

Freitag wurden in Berlin die Urteile im mg-Verfahren verkündet. Die AnwältInnen hatten auf Plädoyers verzichtet:

In diesem Verfahren ging es nie um eine unvoreingenommene Beweisaufnahme.

Schon der Zeitplan – Mittwoch sollten die Plädoyers gehalten, Freitag das Urteil verkündet werden – deutete an, dass der Richter sich nicht lange mit der Reflektion der Argumente der AnwältInnen hätte aufhalten wollen. Hat er auch wirklich gar nicht, sondern genau die Strafen beschlossen, die die Bundesanwaltschaft beantragt hatte: 3,5 bzw. 3 Jahre ohne Bewährung. 

Es ging um zwei Sachen: die versuchte Brandstiftung an Bundeswehr-LKW einerseits und die Mitgliedschaft in der ‚militanten gruppe (mg)‘ andererseits, angeklagt nach §129 StGB. Schon der Nachweis der Brandstiftung ist nicht unumstritten, was eine gewisse Ironie enthält, da ja offenbar nicht wenige Beamte quasi dabei gewesen waren. Trotzdem haben sie nichts richtig gesehen und eindeutige Spuren gibt es auch nicht. Ich kenne die drei Beschuldigten auch nicht besonders gut, aber dass sie Bundeswehrfahrzeuge nicht mögen und grundsätzlich Sympathie für Antimilitarismus in allen Erscheinungsformen empfinden, kann wohl als gesichert gelten.

Weiterlesen

Zwei Jahre

Vor zwei Jahren haben sie unsere Wohnng vor einer Stunde verlassen.

Gestern ist unser Sohn sieben geworden. Wahrscheinlich haben alle Eltern an Geburtstagen ihrer Kinder irgendwann an eine kurze Rückblende dazu, wie es gerade vor .. Jahren war. Ich auch. Bei uns ist das seit zwei Jahren an die Ereignisse am nächsten Tag gekoppelt. Fühlt sich an, als sei es zehn Jahre her.

Was habe ich eigentlich vorher gemacht? Und was ist aus meinem früheren Leben geworden? Ich würde nicht sagen, dass mich das am meisten ärgert, aber es ärgert mich auch sehr, dass diese Sachen, die mir wichtig waren, sehr weit weg gerückt sind. 

Wegen eines Haufens unfähiger Vollidioten.

Der Geburtstag war trotzdem schön.

mg für Fortgeschrittene

Die Komplexität der mg-Verfahren verwirrt selbst diejenigen JournalistInnen, die bemüht sind, die Dinge korrekt darzustellen. Es wurde allerhand darüber berichtet, dass die Ermittlungen gegen weitere vier Beschuldigte eingestellt wurden. Aber welche jetzt? Dass die meisten (nachvollziehbarerweise) nicht besonders erpicht darauf sind, namentlich genannt zu werden, macht das Ganze nicht einfacher. 

Das Verfahren gegen Andrej wurde jedenfalls nicht eingestellt.

13 Beschuldigte – 5 Aktenzeichen – 8 Einstellungen

Das Einstellungsbündnis hat dankenswerterweise diese Grafik zur Illustration gebastelt und auch erklärt.

Grafik mg-Verfahren

Weiterlesen

Da waren’s nur noch vier – weitere Einstellungen im mg-Verfahren

(Oder fünf, oder so. Wer weiß das schon)

Da ist er nun, der Artikel, und das ist ein schöner Grund, die Urlaubspackerei noch kurz zu unterbrechen:

Spiegel Online: Bundesanwälte blamieren sich mit überzogener Überwachung

Das Verfahren gegen die drei Freunde von Andrej, gegen die seit September 2006 wg. Mitgliedschaft in der mg ermittelt wurde, ist im Juni eingestellt worden. Die Post brauchte dann noch drei Wochen, bis sie bei den AnwältInnen ankam, aber wir wollen ja nicht pingelig sein. Die BAW hat es auch nicht leicht. Wahrscheinlich fehlte wieder das Personal, um den Brief einzuschmeissen (Datum des Schreibens: 23. Juni, Eingang: 14. Juli).

Leider haben sie irgendwie vergessen, das Verfahren gegen Andrej einzustellen, dem ja original das Gleiche wie seinen drei Freunden vorgeworfen wird. Bis auf die zwei Treffen mit einem der drei anderen, denen die versuchte Brandstiftung vorgeworfen wird.

Die Schmankerl: Bis zu 180.000 Euro in den Sand gesetzt, um von einem forensischen Institut in Münster DNA-Proben der Beschuldigten mit ca. 180 Seiten Papier abzugleichen, auf denen sog. SBS (Selbstbezichtugungsschreiben) der mg standen. Ergebnis: negativ.

Jetzt verstehe ich, warum die Auswertung der DNA-Proben so lange gedauert hat. Ist ja auch ein bisschen peinlich. (siehe: DNA-Proben, Spucke für Frau Harms, Die BAW und die DNA)

Oder:

Bei der Hausdurchsuchung im Sommer 2007 beschlagnahmten die Ermittler
dann ein Buch des russischen Revolutionärs Leo Trotzki, das Mitglieder
der "mg" zu einem ihrer akademisch-länglichen Traktate als
Literaturhinweis aufgeführt hatten.

Das kannte ich noch gar nicht, erinnert mich aber sehr an die bei uns durchsuchende Ordnungskraft, die ihren Chef fragen musste, ob Bourdieu "relevant" sei, als sie ihn aus dem Bücherregal zog.

Ob das Elend nun damit (für die drei) ein Ende hat, wird sich zeigen.

Wiederaufgewärmter Anti-Atom-Terrorismus

In Berlin wurden z.B. gerade zwei Leute, deren §129a-Verfahren aus den 90ern schon lange eingestellt ist, als ZeugInnen für das sog. Tarnac-Verfahren vorgeladen – das ist das Verfahren in Frankreich, wo sie den Philosophen Julien Coupat als Texteschreiber verfolgen. Der musste nach Monaten auch wieder aus der Haft entlassen werden, weil schon vor der Festnahme bekannt war, dass sich wer anders die Sachen für sich reklamierte, die den Beschuldigten vorgeworfen werden.

Die Verfolgungsbehörden sind ja relativ fantasielos. Ständig wiederkehrendes Motiv: wenn irgendwo der Bahnverkehr gestört wurde, müssen Terroristen am Werk gewesen sein. Warum eigentlich immer ausgerechnet die Eisenbahn? Und Atommülltransporte. Und die Zeitschrift Radikal, die ja gerade wieder zu Ehren gekommen ist. Hochnotgefährlich, das alles.

Jedenfalls existiert die "Goldene Hakenkralle" noch, die schon damals benutzt wurde, um sich gegen die Verfahren zu wehren. Ich erinnere mich dunkel an sehr hübsche Kabarett-Nummern vor ca. 10 Jahren, in denen die von der BAW so titulierten "Autonomen Führungskader" eine wesentlich Rolle spielten.

Die beiden jetzt Vorgeladenen haben die Aussage verweigert und einer von beiden soll dafür 800 Euro "Ordnungsgeld" bezahlen.

Wir sehen: wo die BAW mal zugebissen hat, entwickelt sie einen Beißkrampf und lässt nicht los. Das verspricht nichts Gutes.

„Linksradikales Lieblingsfahndungsobjekt mg“

Kurz vor dem 50. Verhandlungstag gegen die, von denen die Bundesanwaltschaft denkt, sie wären die militante gruppe (mg) und also eine ernste Bedrohung für die Bundesrepublik, kommt Bewegung auf. Vor einer Woche ist eine Zeitung erschienen, die radikal heißt (und verboten ist), mit einem Interview, in dem die Auflösung der mg erklärt wird. Und dass die mg jedenfalls nicht die drei Angeklagten sind.

(Genau jetzt bedauere ich sehr, dass hier keine IP-Nummern geloggt werden, denn das gibt bestimmt ein ordentliches Aufkommen an Behördenzugriffen.)

Es steht aber auch alles in der Presse. Selbst Bild. Ein gewisser lästerlicher Unterton gegenüber Frau Harms‘ Bemühungen hie und da ist nicht zu übersehen.

Weiterlesen

Ganz seltsam war es, Sachen für den Knast zusammenzupacken – Interview mit der Roten Hilfe

Ein weiteres Interview. Das wiederholt sich natürlich, aber es muss ja niemand lesen. Mir dient annalist auch als Archiv, wo ich alles dokumentiere, so auch dies.

Bei diesem Interview wurden teilweise etwas andere Fragen gestellt als sonst in der Regel. Mir gefiel das ganz gut. Geführt wurde es im August 2008, und ist jetzt in einer neuen Broschüre der Roten Hilfe erschienen: "Wir sind alle 129a. Der Hunger des Staates nach Feinden". Für Internet-Ausdrucker das Interview hier auch als pdf. Update: Weil da ein falsches Datum drin und überhaupt dieses viel schöner ist: hier das ge-latex-te pdf von Bernd Brägelmann.

„Ganz seltsam war es, Sachen für den Knast zusammenzupacken“
Interview mit Anne Roth

Die Journalistin und Medienaktivistin Anne Roth ist über ihren Partner Andrej Holm vom mg-Verfahren mit betroffen. In ihrem Blog http://annalist.noblogs.org/ veröffentlicht sie hauptsächlich Texte zum staatlichen Antiterrorwahn und dem Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten.
Im folgenden Interview schildert sie ihre Erfahrungen mit dem 129a-Verfahren.

Am 31. Juli 2007 wurde dein Partner Andrej Holm im Rahmen des mg-Verfahrens verhaftet. Wie lief die Aktion ab?

Gegen sieben Uhr morgens hämmerte es an unsere Wohnungstür. Ich habe noch geschlafen und wachte auf, als mehrere Sachen gleichzeitig passierten: jemand rief „Polizei, Polizei!“, Andrej sprang aus dem Bett, streifte sich eine Hose über und rannte zur Tür. Er schaffte gerade noch, sie aufzumachen, und dann hörte ich ein sehr lautes dumpfes Geräusch. Später wurde mir klar, dass das hereinstürmende Kommando ihn zu Boden geworfen hatte. In der ganzen Wohnung verteilten sich Polizisten mit gezogenen Waffen, die die Wohnung „sicherten“, etwa so, wie das auch in Krimis zu sehen ist. Es war wahnsinnig laut und die Atmosphäre sehr aggressiv. Ich erinnere mich, dass ich mich länger nicht getraut habe, überhaupt etwas zu sagen aus Angst. Ich könnte gar nicht sagen, wovor genau, aber das reichte so weit, dass ich dachte, die schlagen mich, wenn ich jetzt was Falsches sage.

Weiterlesen

Interview bei Radio Netwatcher vom 26. Juni

Und gleich noch ein Audio-Interview.

Radio Netwatcher, eine wöchentliche Sendung des Freien Radio Orange 94.0 aus Wien, hat am Freitag ein Interview ausgestrahlt, dass sie mit mir im Dezember beim 25c3, dem 25. Kongress des Chaos Computer Club, geführt haben. Die ganze Sendung dauert eine Stunde. Ich habe das Interview rausgeschnitten – wer die ganze Sendung hören möchte, bitte hier entlang.

Es geht um den Stand der Dinge des Verfahrens, darum, wie unsere Kinder das alles verkraften und auch um ähnliche Verfahren in Österreich und Frankreich (die mehrfache Erwähnung meines angeblich existierenden "Fan-Clubs" hätte von mir aus nicht sein müssen..)

http://noblogs.org/flash/mp3player/mp3player.swf
  mp3 (ca. 20 Min.)