Im Badeanzug duschen

Für Heise Online hat Detlef Borchers eine neue BKA-Studie ausgegraben, die ich gerne mal ganz lesen würde:

In Hinblick auf Berichte zu einem Verfahren
gegen einen Berliner Soziologen mag die Mahnung der Autoren zur
Einzelfallbetrachtung mutmaßlicher terroristischer Aktivitäten wichtig
sein: So seien Brandstiftungen an Gebäuden und Sachen mit durchaus
hohen Sachschäden nicht geeignet, einen Umsturz des politischen Systems
herbeizuführen, würden also keinen terroristischen Hintergrund haben.
Anders sei der Fall gelagert, wenn Betriebe oder Institutionen
ausländischer Mitbürger angegriffen würden.

Schön, dass die das jetzt auch festgestellt haben. Allerdings wüsste ich gern, warum das bei ‚ausländischen Mitbürgern‘ anders ist. Und wie wohl erst, wenn die keine ‚Mitbürger‘ sind?

Auch wenn der Staat offenbar aktuell von linken Terroristen nicht ernstlich gefährdet wird, wollen sie trotzdem gern selber nachgucken:

Bezogen auf die Wohnraumüberwachung kommt die Studie zu dem Schluss,
dass dieses Instrument der "einzige erfolgversprechende"
Ermittlungsansatz im linksextremistischen Bereich darstelle.

Ob das heißt, dass wir demächst wieder allein telefonieren können, aber dafür besser im Badeanzug duschen?

Französischer "Terrorist" nach sechs Monaten frei

Auch in Frankreich hat es offenbar Erkenntnisgewinne gegeben: Der böse Bahn-Oberleitungsterrorist Julien Coupat, der sechs Monate in U-Haft saß, ist seit Donnerstag wieder frei. Warum? Weil die Ermittlungen ergaben, dass Deutsche die Verantwortung für die Anschläge übernommen hatten, die ihm vorgeworfen wurden. Das war der Polizei offenbar schon bei der Festnahme bekannt, sagte Julien Coupat in einem schriftlichen Interview mit Le Monde, dass Dienstag erschien.

Julien Coupat’s arrest and the charges of terrorist activities filed
against him have sparked off a general outcry among opposition party
members and human rights associations in France. (Radio France Inter)

Sowas habe ich auch schonmal gehört..

Und warum?

Mir wird immer wieder die Frage gestellt: Und warum machen die das alles? 

In der Süddeutschen ist gerade ein Interview mit Klaus Wagenbach erschienen (via), zum Mord an Benno Ohnesorg. Der ist inzwischen 78 und gibt seit ’65 linke Bücher heraus. Und hat viel Erfahrung mit dem Verhältnis des Staats zur Linken:

Jetzt stellen Sie sich vor, Sie radeln, wie ich damals, aus Italien
zurück, Sie kommen aus dem Land, in dem die Zitronen und die Künste
blühen und wo es diese wunderbaren Schriftsteller wie Italo Calvino und
Elio Vittorini gibt, die alle in der kommunistischen Partei waren, und
sind wieder in Deutschland, wo die Kommunisten Untermenschen sind.

Es gab öfters Durchsuchungen des Verlags:

Ich sehe noch, wie die Polizisten Buch für Buch herausnehmen, sie
wieder reinstellen und dann die Hände so zusammenklopfen, als müssten
sie Staub abschütteln. Die dachten wahrscheinlich, sie fänden zwischen
Giorgio Manganelli und Franz Kafka Maschinenpistolen.

SZ: Langsam, Herr Wagenbach, Sie haben auch das Manifest der RAF veröffentlicht.

Richtig. Es interessierte mich (und ein paar andere), was da in den
Köpfen vorging. Aber es siegte die Tradition: Verbieten. Statt Birne –
Abrissbirne.

Wagenbach wurde später als Einziger im Zusammenhang mit dem Mord an Benno Ohnesorg verurteilt: weil er den Mord Mord genannt hatte. Das ging gegen die "Ehre" der Polizei.

Insgesamt hat sich nicht viel geändert, würde ich sagen.

Sie sind wieder da

Monatelang war Ruhe. Gestern hat das erste Mal seit langem unser Fernseher beim telefonieren wieder Ssssst..ssssst..sssssst gemacht (wem das jetzt seltsam vorkommt, möge bitte etwa meine Erzählungen dazu beim 24C3 anhören (lang) oder den Polylux-Clip (kurz)).

Ich konnte die Mutter eines Freundes unseres Sohnes nur unter Mühen erreichen, weil mehrmals in den letzten Tagen die Leitung beim ersten Versuch besetzt war, obwohl bei denen überhaupt niemand zuhause war.

Heute abend habe ich drei Anläufe gebraucht, um mit Andrejs Vater die innerfamiliäre Kinderbetreuung telefonisch sortieren zu können: Beim ersten Mal klingelte es einmal, dann brach die Leitung ab. Beim zweiten Mal hielt sie genau so lange, bis ich erwähnte, dass so auffälliges Telefonverhalte schon länger nicht mehr vorkam und ob wohl im BKA die Praktikanten gewechselt haben. Beim dritten Versuch ging’s.

Hat mal jemand sich die Mühe gemacht, zu recherchieren, ob sowas in einem zeitlichen Verhältnis steht zu möglichen Personalwechseln? Also ob etwa alle drei, oder sechs, Monate die zuständigen Leute in den Behörden wechseln und jeweils neu lernen, wie man das macht? Oder gibt es Handbücher dazu, wie oft dezent deutlich gemacht werden sollte, dass sie noch da sind, damit es wirkt?

Aber womöglich ist das ja auch alles bloss Zufall.

Die Erde ist eine Scheibe

SchlapphutBrigitte Zypries wurde für die Frankfurter Rundschau zum Thema Überwachung interviewt und siehe: wir haben alles falsch verstanden. Der Bundestag hat heute eine ganze Serie neue Gesetze im Bereich Strafrecht beschlossen, u.a. auch das berüchtigte Terrorcamp-Gesetz. Dazu hatte Heribert Prantl im Januar einen passenden Kommtar geschrieben: Per Mausklick zum Terrorist. Dazu Frau Zypries: 

Frau Zypries, müssen die Bürger fürchten, bald schon durch einen falschen Mausklick zum Terrorist zu werden?

Nein, wie kommen Sie denn auf diese absurde Idee?

Ist mir auch vollkommen unerklärlich. 

Das neue Gesetz verlegt die Strafe aber weit ins Vorfeld einer
Straftat. Schon vage Vorüberlegungen, einen Anschlag zu begehen, werden
justiziabel. Sind wir damit nicht auf dem Weg in eine Gesinnungsjustiz?

Der Vorwurf ist völlig übertrieben. Wir bestrafen keine Gesinnung – mag
sie noch so fragwürdig sein -, sondern konkrete
Vorbereitungshandlungen. Überdies habe ich in den Debatten mit der
Union und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble stets darauf beharrt,
dass der Täter die Absicht haben muss, einen Anschlag zu begehen.

Mmmh. Und was wollte Schäuble? Dass es reicht, wenn der Täter mal abstrakt an Anschläge dachte?

Mit der Vorratsdatenspeicherung ist

..die Kontrolle von Surfern (…) damit so gut wie gar nicht möglich – das wollen wir ja auch nicht.

Es will auch niemand Telefone abhören oder Bundestrojaner einsetzen, völlig abwegig! (Wir werden darauf zurückkommen). Dafür will sie mit uns (= "Internetgemeinde") diskutieren. Wir sind gespannt.

Und wieder: was ist eine terroristische Vereinigung?

Terrorflaschen by ephaOb Greenpeace der Frage "Was ist Terrorismus" aufgeschlossener gegenüber steht, seit sie in Dänemark selber deswegen verurteilt wurden? In der Rubrik "tagesthemen" der Website des Greenpeace Magazins gibt es einen Artikel zu einem interessanten Revisionsverfahren, das morgen vom Bundesgerichtshof verhandelt wird. Und da geht es mal wieder um die Frage, was die terroristische Vereinigung ausmacht:

Das zweite Problem des Revisionsprozesses dürfte noch spannender sein:
Was ist eigentlich unter einer strafbaren «terroristischen Vereinigung»
zu verstehen? Das OLG war sich nicht so ganz sicher, ob El Kaida,
damals von US-amerikanischen Soldaten aus Afghanistan vertrieben und
organisatorisch wohl am Boden, seinerzeit überhaupt eine «Vereinigung»
gewesen sei. Denn das deutsche Strafrecht ist hier streng: Nur wenn
eine Gruppe straff genug organisiert ist, geht sie als «terroristische
Vereinigung» durch.

Deshalb griff das OLG auf einen EU-Rahmenbeschluss von 2002 zurück, der
den Begriff deutlich weicher interpretiert. Ein bisschen Vorausplanung
und Koordinierung soll schon genügen, außerdem ein paar Regeln zur
gemeinsamen Willensbildung. Sollte sich diese Lesart durchsetzen,
dürften sich die Terrorermittler der Bundesanwaltschaft die Hände
reiben; Ermittlungen, die schon jetzt weit im Vorfeld möglicher
Terrorpläne ansetzen, wären noch einfacher einzuleiten.

In dem Zusammenhang ist interessant, dass Schäuble höchstselbst (naja, wahrscheinlich eher einE ReferentIn) bei abgeordnetenwatch.de gerade bei der Frage nach der Terrorismusdefinition auf just diese EU-Definition verwies.

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„Die Berliner Polizei ist ein sinkendes Schiff“

Seyfried-Cartoon mit vielen grünen UniformenEs gibt lichte Momente im Lauf eines Tages. Zum Beispiel, wenn ich nach einem langen Bürotag geschafft auf die Straße trete und ein schlacksiger junger Streifenpolizist an der Ampel neben mir einen Satz wie diesen sagt: "Die Berliner Polizei ist ein sinkendes Schiff".

Ganz ausnahmsweise hoffte ich auf eine lange Rot-Phase, die mir beschert war.

Der unzufriedene Staatsdiener hatte offenbar gestrichen die Nase voll und erklärte seiner ununiformierten Begleitung dann "Mit Polizei brauchst Du mir überhaupt nicht mehr zu kommen". Die beiden diskutierten dann noch, ob Ausweichen nach Bayern, oder "irgendwo in Süddeutschland" eine Alternative wäre. Gar keine schlechte Idee. Vielleicht spricht es sich rum.

Kleine Lauschangriffe & die fürsorgliche Belagerung

Anja Reich hat ein unangenehmes Problem schön gelöst: die Gestaltung des Magazins der Berliner Zeitung dieses Wochenende zum Thema "Grundgesetz". Sehr unterschiedliche unterschiedlich bekannte Leute beschreiben ihr Verhältnis zu den Grundrechten. Andrej Holm gehört zu der illustren Gesellschaft – zum Post- und Telekommunikationsgeheimnis -, andere sind u.a. Angela Merkel, Hans-Jürgen Papier (Präsident des Bundesverfassungsgerichts), Kai Diekmann (Chefredakteur der Bild), Dieter Hundt (Arbeitgeberpräsident). Und ein Meerschweinchenzüchter, eine alleinerziehden Mutter und noch andere.

Kleine Lauschangriffe

von Andrej Holm

Ich telefoniere immer mit dem BKA, wenn ich telefoniere. Nicht, dass
mich die Beamten persönlich anrufen oder überhaupt mir mir sprechen
wollten. Seit September 2006 wird wegen der angeblichen Mitgliedschaft
in einer erst terroristischen, dann kriminellen Vereinigung gegen mich
ermittelt: Meine Telefongespräche werden abgehört, meine E-Mails
gelesen und selbst Kneipenabende im Rahmen sogenannter. "Kleiner
Lauschangriffe" aufgenommen. (…)

Vielleicht haben sie jetzt aufgehört, mich zu überwachen. Vielleicht
nicht. Wir leben mit der Gewissheit, dass wir uns keine Mühe geben
müssen, etwas für uns zu behalten, dass immer jemand mithören kann. Da
hilft auch die beste Verfassung nicht viel.

Ich selber bin wesentlich weniger spektakulär zum selben Thema zu lesen, im Kölner Stadtanzeiger vom Donnerstag:


Meine fürsorgliche Belagerung

(…). Ich glaube schon, dass die Bundesanwaltschaft auch von dem Interesse
geleitet wird, Daten zu sammeln. Wird so ein Verfahren gegen jemanden
geführt, werden Freunde und Bekannte mit durchleuchtet. Da kann man
Profile von politischen Szenen erstellen. Vielleicht vermutet man ja,
dass demnächst die Republik von linken Terroristen gestürzt wird.
Obwohl ich die seit Jahrzehnten nicht mehr wahrnehme. Es gibt auch die
Theorie, dass sich die Abteilung „Linksterrorismus“ beim BKA nicht
auflösen möchte, weil keiner Lust hat, Arabisch zu lernen.

Warum sich die Redaktion hier für die Vokabel "fürsorglich" im Titel entschieden hat, entzieht sich mir allerdings ein bisschen.

Schäuble in Jena gestört

Protest gegen Schäuble in JenaZur Nachahmung empfohlen: am Mittwoch besuchte Schäuble auf Einladung des RCDS Jena und redete über "das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit".

Das motivierte allerhand Leute, ihre Meinung beizutragen, vor dem Hotel und auch drinnen.

Einen ausführlicheren Bericht gibt es bei Qbi.

Außerdem dazu die Ostthüringer Zeitung: Polizei, Demo und Bienenschwarm und die Thüringische Landeszeitung: "Ich bin da abgehärtet".
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„Der innere Innenminister“ in Berlin

Gestern abend, als ich eigentlich Folien für die SIGINT vorbereiten wollte und verdrängend lieber Wäsche aufgehängt habe, habe ich nebenbei ein Hörspiel gehört und mich damit getröstet, dass ich mich ja gewissermaßen auch auf eine Veranstaltung vorbereite.Der innere Innenminister

Ich weiß nicht, wie ich den "Inneren Innenminister" von Bernadette La Hengst und Till Müller-Klug bisher verpassen konnte: es ist großartig (und das wirklich nicht nur, weil unsere Geschichte darin auch eine Rolle spielt). Es gibt für BerlinerInnen noch Gelegenheiten:

  1. Sonntag abend findet in Berlin die Veranstaltung "Der gläserne Mensch. Traumatisierung und ständige Beobachtung" als fünfter Teil der Reihe "Traumatisierung und Widerstand" statt. Zu Beginn wird das knapp einstündige Hörspiel zu hören sein. 19 Uhr im Statthaus Böcklerpark, Prinzenstr. 1.
  2. Außerdem hatte es gerade Premiere als Theaterstück in den Berliner Sophiensaelen. Nochmal zu sehen vom 4.-6. Juni. Sehr ärgerlich, dass ich das nicht mitgekriegt habe, denn im Juni bin ich nicht da. Das hätte ich gern gesehen.

Die Beschreibung von http://www.lahengst.com:

3 bis 5 Prozent der Deutschen hören Stimmen. Das kann beängstigend sein
oder auch tröstlich. Die Musikerin Bernadette La Hengst hört eine ganz
bestimmte Stimme: die des deutschen Innenministers. Und das ist
ziemlich anstrengend. Der innere Innenminister mischt sich beim
Musikmachen ein, zettelt verfängliche Tischgespräche an und will
politische Einsichten über die „linke Bewegung“ gewinnen.

Freiheit durch oder ganz ohne Sicherheit? Den obersten Schirmherrn der
inneren Sicherheit im Kopf zu haben – da kann man ganz schön unsicher
werden. Ist der Innenminister eine paranoide Halluzination oder testet
er die Überwachungstechnologien von übermorgen? Ist es Zufall, das er
ausgerechnet im Kopf der politisch engagierten Musikerin auftaucht,
oder will er vom Gegner lernen?

Die Kunstfigur des inneren Innenministers ist zu 100 Prozent aus O-Tönen des aktuellen Amtsinhabers zusammengesetzt.

Das Hörspiel lief im Herbst bei 1LIVE/wdr, und dort habe ich auch den einzigen Audio-Schnipsel gefunden, der online zu haben ist (?):

 
http://noblogs.org/flash/mp3player/mp3player.swf

 
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Herr Dr. Schäuble und Herr Dr. Holm

Bisher 16 Interessierte warten auf die Antwort vom Innenminister auf die folgende Frage bei Abgeordnetenwatch. Wir auch:

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

schon seit längerer Zeit verfolge ich die Geschehnisse um den Fall
"Andrej Holm". In meinen Augen kommt da einiges an Ungerechtigkeit
zutage. Z.B. gab es auch einen sehr erschreckenden (auch etwas
stilistisch überspitzten, aber trotzdem schockierenden) Kurzfilm in der
Kurzfilmreihe "Deutschland 09", die zum Monatsanfang in den Kinos lief,
der die Geschehnisse schilderte.

Vor zwei Wochen wurde das Thema auch in der ZDF-Dokumentation "Der
gläserne Deutsche" behandelt. Diese wirft bei mir aber nur weitere
Fragen in Richtung staatliche Willkür auf.
Ich bin also der Meinung, dass eine Stellungnahme zu dem Fall und
möglicherweise bezüglich der Thematik ansich von staatlicher Seite
dringend nötig wäre, um ein Mindestmaß an staatlicher Transparenz
gegenüber den (zumeist unbescholtenen) deutschen Bürgern zu
gewährleisten.

Ich muss zugeben, dass ich mit keiner konstruktiven Antwort rechne,
würde mich aber freuen, wenn Sie mich in dieser Hinsicht überraschen
würden.

Das Ende von Opel

Ganz zufällig stand ich heute in Berlin daneben, als Opel demontiert wurde. Passend ungefähr zum gleichen Zeitpunkt, als die Frist für’s Einreichen der Übernahmeangebote ablief.

Opel-Abbau in Berlin

Opel-Abbau in Berlin

Opel-Abbau in Berlin

© Anne Roth

Ein bisschen themenfremd, aber da kam ich nicht dran vorbei. Leider hatte ich bloss mein Handy und keine anständige Kamera dabei.

Ganz ausnahmsweise sehe ich hier mal von der CC-Lizenz ab: die Rechte für diese Bilder liegen bei mir. Bei netten Anfragen mache ich Ausnahmen.

Kommerzielle Medien können sich gern vertrauensvoll an mich wenden, ich habe auch noch mehr davon.

Veröffentlicht unter mixed