Die Kriminalstatistik. Im Leben derjenigen Menschen, die sich mit Polizei und anderem Unbill beschäftigen, gibt es ein paar Fixpunkte. Neben den zyklisch wechselnden Geißeln der Menschheit (als da wären der Terrorismus, die Organisierte Kriminalität, die Fußball-Hooligans, die MigrantInnen und wieder von vorn) sind das die Jahrespressekonferenz der Frau Generalbundesanwalt, die Verfassungsschutzberichte, die Datenschutzberichte und.. die Polizeiliche Kriminalstatistik.
Und da ist sie nun, frisch vorgestellt (Link zum Innenministerium). Ich hatte mit allem möglichen gerechnet, aber nicht mit lauter Schlagzeilen dazu, dass die Kriminalität gesunken ist. Muss die Bevölkerung beruhigt werden? Selbst Bild: Verbrechensrate in Deutschland weiter gesunken.
Gerechnet hatte ich mit Gruselmeldungen dazu, dass der Linksextremismus ständig wächst und die Gewalt von links immer bedrohlicher wird. Das zumindest ist der Tenor der Berichterstattung des Qualitätsjournalismus seit die ehemalige Extremismus-Expertin der CDU Familienministerin wurde, und damit ja prädestiniert für Extremismus-Bekämpfung. (Vielleicht endlich zur Rettung der Familien mal ein Extremismusprogramm für Elite-Internate und den Katholizismus?).
Ich warte gespannt auf die im Druck befindliche nächste Ausgabe von Bürgerrechte &
Polizei/CILIP. Die beschäftigt sich mit Gewalt durch und gegen die Polizei, und wird u.a. einen Artikel enthalten, der sich mit der vielzitierten „Studie“ des Berliner Verfassungsschutzes zum Linksextremismus auseinandersetzt; außerdem geht es um die aktuellen Verwendung des Extremismus-Begriffs.
Meine These ist, dass genauso willkürlich, wie angezündete Autos mal mit, mal ohne politisches Motiv statistisch erfasst werden („Wir wissen es einfach nicht“) auch die Zahlen über den Linksextremismus zustande kommen. Und bisher fehlt eine vernünftige
Interpretation der Polizeistatistiken.
Das „ehemalige Nachrichtenmagazin“ (Fefe) hat in der gedruckten Ausgabe passend vorweg Montag einen brandaktuellen Artikel mit dem Gruseltitel „Linksradikale. Feuer und Flamme“ gedruckt. Neben einer Aneinanderreihung von bekannten Plattheiten wusste der „Spiegel“, dass der Minister bei der Vorstellung der Statistik „vor allem über die Linksextremisten reden“ würde.
Ich weiß nicht, was er gesagt hat, aber wenn dass das zentrale Thema war, dann finde ich die Berichterstattung jedenfalls erstaunlich. Da geht es um den Anstieg der ‚Computerkriminalität‘ und die Abnahme der Kriminalität insgesamt. AutobesitzerInnen sind auch bedroht, aber nicht wegen der Brandgefahr, sondern weil soviele Autos geklaut werden. Tja.
Wie dem auch sei, der Spiegel weiß:
Seit Monaten arbeiten die Sicherheitsbehörden auf de Maizières Anweisung deshalb an einem neuen Konzept, mit dem der Staat auf das Phänomen reagieren will.
Das Phänomen ist der wachsende Linksextremismus. Allerdings ist es gar nicht so sicher, ob der Linksextremismus tatsächlich wächst. Es könnte sein, dass er gewachsen ist nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm. Es könnte aber auch sein, dass das nur so aussieht. So sei das nämlich mit schwächelnden Bewegungen, und die Autonomen nähmen seit den 90ern zahlenmäßig ständig ab.
Von den angeblich identifizierten 6600 militanten Aktivisten kennen die Verfassungsschützer namentlich nur 1055 Personen. Der Rest: ein Dunkelfeld.
Worum es sich beim Linksextremismus handelt:
Der Kampf ist ein Mix aus traditionellem Randaleritual, linker Propaganda und einer Art moderner Kriegführung. In Antifa-Camps werden junge Sympathisanten in Kampfsporttechniken trainiert, Anwälte beraten die Aktivisten, Investoren in alternativen Stadtteilen werden im
Handelsregister abgecheckt, potentielle Käufer per Hausbesuch abgeschreckt.
„Anwälte beraten Aktivisten“ gehört auch zum linksextremen Potential?
Interessant fand ich neben der ganzen Geschichtenerzählerei vor allem den Schluss. Weil die Gefahr zwar groß ist, aber keiner weiß, worum es sich handelt, wird sie erforscht:
Innenminister de Maizière hat seine Beamten ein „Konzept zur Bekämpfung linker Gewalttaten“ verfassen lassen, es soll helfen, das Milieu zu durchleuchten. Die Verfassungsschützer wollen sogenannte Leitfiguren identifizieren und „Nahbeobachter“ im Milieu
platzieren, die von Szenetreffpunkten berichten. In großem Stil sollen Informanten angeworben, Verdächtige observiert, Telefone abgehört werden. Eine der umstrittensten Ideen ist der Einsatz von „virtuellen Agenten“ im Internet. Dahinter steckt hier die Idee, Beamte in das Milieu einzuschleusen, die „durch den Aufbau von Blogs bestimmte Personengruppen ansprechen und zur Teilnahme an Diskussionen anregen sowie Kontakte knüpfen„.
Als ersten Schritt wollen die Behörden ihre Listen mit den Namen der Aktivisten überarbeiten und die Lücken füllen. Wenn man wüsste, mit wem man es zu tun hat, wäre das ja schon ein Erfolg. (Unterstreichungen von mir, A.R.)
Ich bin gespannt auf die neuen Blogs.