Die Hör-Woche

Wer nach den Logbuch Netzpolitik noch nicht genug von mir gehört hat, hatte diese Woche noch zweimal die Gelegenheit.

Am Donnerstag war ich gemeinsam mit Torsten Grote, Axel Kossel (c’t) und Max Winde 1,5 Stunden beim Deutschlandfunk in der Sendung Marktplatz „Das digitale Zuhause schützen“  und habe versucht, allgemein verständlich zu erklären, wie sich Menschen im Netz vor Überwachung schützen können, jedenfalls ein bisschen.

Zum Hören als mp3 (61mb) oder Flash

Einen Tag später habe ich mich wieder mit Max Winde und dazu Mspro unterhalten, ca. 2,5 Stunden lang, für den Podcast ‚Wir müssen reden‚.

Als mp3 (72mb), mp4, ogg

Dabei ging es u.a. um

  • unsere Überwachung im Kontext des Terrorismus-Verfahrens gegen Andrej Holm
  • Indymedia und die Anfänge des Internet’s zum Mitmachen (auch 2.0 genannt)
  • NSA, Verfassungsschutz, die Regierung(en) und was jetzt eigentlich passieren müsste
  • Tactical Tech, Krypto-Tools und Krypto-Pädagogik und die OHM

Viel Vergnügen und ich freue mich wie immer sehr über Meinungen dazu.

 

Logbuch Netzpolitik zu OHM, Noisy Square, NSA, Snowden und dem Wahlkampf

Es ist NSA, und bei annalist steht .. nichts. Eigentlich müsste ich wohl täglich zweimal bloggen, wenn doch Überwachung eins der zentralen Themen dieses Blogs ist und ein Leak nach dem anderen Geschichte macht.

Ich war im Urlaub, in zwei Camps und dann.. hatte ich erstmal das Gefühl, dass die Neuigkeiten ja auf den relevanten Newswebsites standen. Es liegt mir nicht, überall meinen Senf dazu zu geben nur um auch was zu sagen. Oder jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie  es rundrum schon reichlich zu beobachten war. Und präsent ist es ja wirklich ausreichend.

Und da setzt jetzt, nach dem Ende meines persönlichen Sommerlochs, allmählich das Bedürfnis ein, doch was dazu zu sagen. Schalten Sie also wieder ein, hier gibt’s demnächst wieder mehr zu sehen.

Ich war gestern Gast im ‚Logbuch Netzpolitik‘, einem Podcast von Linus Neumann und Tim Pritlove‘ und weil der über zwei Stunden lang ist, hatte ich Gelegenheit, alles zu besprechen, was mich in den letzten zwei Wochen beschäftigt hat. Es ging um

  • das Hackercamp OHM in den Niederlanden und die Konflikte, die sich daraus ergaben, dass einer der Hauptsponsoren Überwachungstechnologie produziert und exportiert,
  • ein sehr sympathisches neues Netzwerk aus vielen Organisationen, die ein Camp im Camp gebildet haben (das Noisy Square) und die verbindet, auf unterschiedliche Weise Technologie für ‚den guten Zweck‘ zu entwickeln oder bekannt zu machen. U.a. waren das EFF, IMMI, Torservers, Riseup, Fairphone, Bits of Freedom, Tactical Tech und viele andere.
  • das Neueste vom NSA, Snowden und Lavabit und das Glas eigentlich halbleer oder halbvoll ist, wenn sich in Deutschland kaum wer aufregt, aber in den anderen Ländern überhaupt nicht darüber geredet wird
  • und wie die Parteien im Wahlkampf um das Thema herumtänzeln

Hören könnt Ihr das hier Politische Reise nach Jerusalem,

Als Download gibt es das in 5 Formaten (u.a. m4a, mp3, ogg)

 

Überhaupt nicht geht es darin übrigens um Feminismus und so. Das freut auch einen Kommentator sehr

Okay, bei den Themen kann Anne ja hoffentlich nicht von Quoten, Gender und Patriarchat anfangen. 🙂

und damit haben wir sogar was gemeinsam. Ich rede nämlich auch viel lieber über andere Sachen, bloß leider ist die Lage ja meistens so, dass es nicht anders geht.

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Wer gern noch mehr von mir hören will, kann Interview mit dem WDR hören, dass ich letzte Woche zu unserer Überwachung und XKeyScore hatte:

WDR 2: Beobachtet und belauscht

 

Nächste Woche geht’s dann weiter mit dem ‚Marktplatz‘ im Deutschlandfunk zum Thema „Das digitale Zuhause schützen„, und vielleicht noch einem Podcast.

 

 

 

Überwachungsstaat – Was ist das?

Eine gute und sehr kompakte Erklärung des Überwachungsstaates. Wir sind auch kurz mit drin (und ein kleiner sachlicher Fehler: es ging nicht um angezündete Polizei-Autos, sondern um welche der Bundeswehr. Was aber hier auch nicht so wichtig ist).

Online-Talk zu Prism, NSA und was das Besondere daran ist

Heute vormittag gab’s wieder c’t Onlinetalk, diesmal mit Claudia Kreil, Ulf Buermeyer, Max Winde und dem moderierenden Philip Banse. Thema: NSA & Prism. Spitzel auf dem digitalen Spielplatz

Es ging u.a. darum, welche Bedeutung Prism für Menschen in Deutschland hat, was sich jetzt ändert oder ob überhaupt, was an der Vorratsdatenspeicherung schlimmer ist als an der NSA-Überwachung und ob PGP zu kompliziert ist.

Zum Schluß auch noch ein bisschen um irgendwas mit Apple, das außerhalb meiner Filterbubble stattfand.

mp3 downloaden (51mb)

Naked Citizens – new documentary about surveillance technology

By accident I found this new documentary out about surveillance, police using drones, legally extracting information form phones, FinFisher, CCTV, the NSA, Wikileaks and new trends in surveillance technology: Naked Citizens, Journeyman Pictures.

With Jacob Applebaum, Birgitta Jónsdóttir, Smári McCarthy, Henrietta Williams, George Gingell, James Orwell, many others, and us.

Cory Doctorow on BoingBoing:

Journeyman Pictures‘ short documentary „Naked Citizens“ is an absolutely terrifying and amazing must-see glimpse of the modern security state, and the ways in which it automatically ascribes guilt to people based on algorithmic inferences, and, having done so, conducts such far-reaching surveillance into its victims‘ lives that the lack of anything incriminating is treated of proof of being a criminal mastermind:

http://www.youtube.com/watch?v=VZxd8w11YSA

From the film’s website:

„I woke up to pounding on my door“, says Andrej Holm, a sociologist from the Humboldt University. In what felt like a scene from a movie, he was taken from his Berlin home by armed men after a systematic monitoring of his academic research deemed him the probable leader of a militant group. After 30 days in solitary confinement, he was released without charges. Across Western Europe and the USA, surveillance of civilians has become a major business. With one camera for every 14 people in London and drones being used by police to track individuals, the threat of living in a Big Brother state is becoming a reality. At an annual conference of hackers, keynote speaker Jacob Appelbaum asserts, „to be free of suspicion is the most important right to be truly free“. But with most people having a limited understanding of this world of cyber surveillance and how to protect ourselves, are our basic freedoms already being lost?

Das gefährliche G-Wort. Das Thema „Mieten“ in Berlin

In der trotz CL-Finale halbvollen Volksbühne wurde gestern der Film „Betongold. Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam“ gezeigt.

Das Haus in Berlin-Mitte, in dem Regisseurin Katrin Rothe lebt, bekommt wechselt eines Tages den Besitzer. Dieser Investor erscheint zunehmend als übermächtiger Feind, dem die Mieter hilflos gegenüber stehen – trotz ihrer Mietverträge. Eine Dokumentation über den europäischen Immobilienboom, Angst und die Unsicherheit der Betroffenen. (Arte)

Berliner MietshäuserLäuft auch Donnerstag nacht um 23:30 bei Arte. Im Film wird u.a. erzählt, mit welchen Methoden alte MieterInnen aus Häusern rausterrorisiert werden: anonyme Anrufe, bei denen auch ‚andere Methoden‘ angekündigt werden, wenn nicht endlich unterschrieben wird, die doppelte Miete nach der Sanierung zu zahlen.

Bekannt. Wer es wissen will, weiß schon lange, dass das überall in Berlin so ist. Da läuft schonmal Wasser von oben in die Wohnung und wird nicht mehr abgestellt, oder das eigene Wasser wird ganz abgestellt, es kommen kräftige Männer vorbei und drohen Prügel an, und nebenbei läuft ein ganz legaler Rechsstreit, der sämtliche Nerven kostet. Ab und zu brennt auch einfach das Dach ab. Alles schon vorgekommen. (Mehr Details stehen im Gentrification-Blog.)

Gestern abend jedenfalls gab es noch eine lebhafte Podiumsdiskussion, bei der auch von Firmen erzählt wurde, die dabei helfen, renitente MieterInnen loszuwerden.

Geworben wird mit Erfahrung von „Konfliktlösung bei der Entmietung von Objekten“, wobei sich Schreiber damit brüstet, dass „auch schon einmal über eine Hauswand geklettert werden muss“. (MieterEcho 354 / Mai 2012)

Als wir uns heute morgen beim Frühstück über den Film und die Erlebnisse von Katrin Rothe unterhielten, kam mir spontan der Gedanke, dass es nötig wäre, solche Firmen mal ein bisschen in die Öffentlichkeit zu zerren und damit wenigstens der Kritik für ihre pseudo-legalen Machenschaften auszusetzen.

Und das habe ich mir dann ganz schnell wieder anders überlegt.

 

Rhetorische Aufrüstung

Extremisten veröffentlichen im Internet Adressen von Wohnungseigentümern, Unternehmern und Politikern – und rufen zu Gewaltaktionen auf. Die Bedrohung wirkt wie ein Gift auf das freie Lebensgefühl in dieser Stadt. (Ich stehe auf der Liste, Tagesspiegel, 25. Mai)

Schreibt einer, der fürchtet, Opfer zu werden. Die im Artikel zitierte Website „Berliner Liste“ sammelt Namen und Adressen von teuren Bauprojekten, Verantwortlichen, Wohnungsbaugesellschaften etc. und ruft zu „kreativen Aktionen“ auf. Das kann man so und so verstehen. Auf der Website selbst steht:

Ob ein negatives Outing in der Nachbarschaft, ob das kollektive Überreichen eines Protestbriefes, ob eine kreative Fassadenumgestaltung eines Büros, ein Sit-In oder ziviler Ungehorsam bei einer Räumung – wir sammeln hier alles, was den Druck auf die Gegenseite erhöht und unseren Dissens sichtbar macht. Wir freuen uns über gut recherchierte Infozettel zu einzelnen Mitglieder*innen der Liste, aber auch über unzählige, kreative, militante, radikale, bunte, auffällige, gute Aktionen. Dabei sollte das Ziel einer solidarischen, gemeinschaftlichen/friedlichen Gemeinschaft nicht aus den Augen verloren gehen. (Unterstreichung von mir, A.R.)

Recherchen zu crowdsourcen ist an sich eine feine Sache, so lange es nicht um das  ‚falsche‘ Thema geht. Gentrifizierung war bis 2007 eine Art Schmetterlingsthema, das kaum jemand kannte. Mit Andrejs Festnahme wurde das anders, und parallel wuchs die Bedeutung bezahltbarer Mietpreise in Berlin. Das Thema Mieten dominiert jeden Wahlkampf, und es gibt mittlerweile (wieder) eine soziale Bewegung dazu. (Vielleicht ist die Kausalkette auch andersrum). Inzwischen ist es wieder gefährlich, sich mit Gentrifizierung zu beschäftigen.

Denn die Beschäftigung mit Gentrifizierung wird inzwischen vom polizeilichen Staatsschutz in Berlin beobachtet.

Allein die oben genannte „Berliner Liste“ zu verlinken, führt also sicherlich zu einem Eintrag bei Staatsschutz. Das ist nicht allen bekannt, aber ja, es gibt auch in Deutschland eine politische Polizei (neben dem Verfassungsschutz, der dieselbe Aufgabe hat).

Der Autor des Tagesspiegel-Artikels fühlt sich von der Berliner Liste bedroht und hat Anzeige erstattet:

Gegen Terror nutzen keine rationalen Argumente. Wer versucht, sich herauszureden, ist schon eingeschüchtert. Angst, das ist für Extremisten die halbe Miete.

Ich kann verstehen, dass er sich unwohl fühlt, wenn seine Adresse genannt wird. Er beschreibt einen Fall, bei dem einem Arzt Steine durchs Fenster geworfen wurden und im Kinderzimmer landeten (Details dazu würden mich sehr interessieren: wann und wo ist das passiert? Worum ging es?).

Dass allerdings ein Tagesspiegel-Redakteur eine derart naive Sicht auf gesellschaftliche Prozesse hat, ist überraschend:

Ich lebe seit 23 Jahren in Berlin und habe nie jemanden verdrängt. Wir haben hier eine Familie gegründet, wir arbeiten hier, wir lieben diese Stadt.

Mit dieser Sichtweise finden sich in Berlin wahrscheinlich keine fünf Personen, die selbst an Verdrängung beteiligt sind. Findet sie deswegen nicht statt? Oder ist es eine Art Naturkatastrophe, für die niemand etwas kann?

Ich fühle mich von der Extremismus-Rethorik nicht minder bedroht. Natürlich stellt sich die Frage, ob das SEK dann bei uns demnächst wieder vor in der Tür steht, wenn wir nicht mal die Themen wechseln.

 

Gentrifizierung und Extremismus

Mittlerweile kommt vor, dass das Berliner LKA bei Vermietern anruft und sie vor ihren eigenen Mietern warnt:

Selbst das LKA hat bei unserem Vermieter angerufen, um Ihm mitzuteilen, dass der Schreiber dieser Zeilen [der übrigens keines der Demovorbereitungstreffen besucht hat] einer der „Rädelsführer“ bei der Linienstraßendemo vom 13.04. sei – wahrscheinlich um so noch zusätzlichen Druck auszuüben, damit wir auch wirklich hier bleiben können.

Geschrieben von einem Beschäftigten der Kneipe BAIZ, einer der letzten Kneipen der vielgerühmten Berliner Subkultur, die es in Berlin-Mitte noch gibt und die sich gerade gegen die Kündigung wehrt.

+++ Die Werbung:  +++ Wenn Ihr beim Bier trinken was Gutes tun wollt, trinkt im BAIZ, Tor- Ecke Christinenstraße +++ Und unterschreibt die Petition! +++

Bei anderen MieterInnen zeigt die rabiate Zusammenarbeit von VermieterInnen, Polizei und Presse schon Wirkung. In Moabit gibt es seit einer Weile den Runden Tisch Gentrifizierung, der u.a. dokumentiert, wo in Moabit MieterInnen von Verdrängung bedroht sind. Ein Ziel neben anderen ist, den Bezirk Mitte in einer Konferenz davon zu überzeugen, dass Gentrifizierung in Mitte ein Problem ist (zu Mitte gehören die alten Bezirke Mitte, Wedding und Tiergarten mit Moabit – alle betroffen). Offiziell ist nämlich in Mitte alles in Ordnung.

Dazu werden Fälle gesammelt und veröffentlicht. Allerdings haben viele MieterInnen inzwischen Angst vor ihren VermieterInnen bzw. den Firmen, die die Häuser kaufen, sanieren und in Eigentum umwandeln. Viele wollen nicht, dass irgendetwas öffentlich über sie bekannt wird. So steht dann im Bericht bspw. nur noch: „Ein Haus aus dem Gebiet nördlich der Turmstraße“.

Wir alle wissen, wie Politik und Journalismus funktionieren: ohne Homestory, ohne Geschichte, ohne rührende Rentnerin, die schon immer da wohnt, bewegt sich gar nichts.

 

Eine neue kriminelle Vereinigung

Mich erreichte letzte Woche, während ich in Warschau bei einer Konferenz war, diese Facebook-Message eines Mitgliedes des Berliner Abgeordnetenhauses:

Falls Sie es sich ganz kurzfristig einrichten können, ich habe da eine Presseanfrage zu dem was der GBA heute gemacht hat und würde mich über einen kurzen Anruf freuen.

(Mit GBA ist der Generalbundesanwalt, der höchste Staatsanwalt der Bundesrepublikg, gemeint).

Ich hatte keine Ahnung, worum es ging. Atmete durch, googelte, und erfuhr, dass es eine Art Neuauflage des Verfahrens gibt, das vor sechs Jahren gegen die militante gruppe bekannt wurde und im Rahmen dessen gegen Andrej und andere ermittelt wurde, die sich mit Gentrifizierung beschäftigten.

300 Beamte allein in Berlin, neun Verdächtige, Durchsuchungen von 21 Wohnungen in vier Städten. Spiegel Online entblödet sich nicht, vom „linken Untergrund“ zu schreiben. („Untergrund“.. wo habe ich das kürzlich noch gehört..?). Es geht um eine Gruppe, die die Nachfolgerin der militanten gruppe sein soll und RAZ heißt, ausgerechnet. Klingt, als wäre es die dritte Neuverfilmung von etwas, was schon im Original nicht überzeugte.

Es hatte auch einen Anschlag auf Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegeben. (Unter „Anschlag“ ist hier zu verstehen, dass es davor brannte, lese ich. Nicht etwa, dass die Senatsverwaltung in die Luft geflogen wäre, oder so. Das soll das nicht kleinreden, sondern der Klärung dienen – mit „Anschlag“ sind ja zuweilen auch Farbbeutel gemeint.)

Womit jedenfalls klar wäre, dass die Gentrifizierungsgegner echt zu allem bereit sind. Alle. Gebt die Polizei-Datenbanken frei.

Foto: Dan Kori via photopin CC-BY-NC-SA-Lizenz

Deutsche Software hilft bei der Überwachung von AktivistInnen weltweit

You only click twice: FinFishers's Global Proliferation

Wenn es für den Export von Waffen aus guten Gründen Beschränkungen und Kontrollen gibt, warum dann nicht für Software? Wenn Regierungen Software gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, sie dann überwacht, festnimmt, foltert und ermordet, gibt es keinen Grund, den Verkauf nicht genauso zu reglementieren. Eigentlich.

Zur Praxis hat Reporter ohne Grenzen letzte Woche zum diesjährigen Welttag gegen Internetzensur den »Bericht über die „Feinde des Internets“« veröffentlich.

Zu den Feinden des Internets zählt der Bericht auch die IT-Sicherheitsfirmen GAMMA INTERNATIONAL (UK/Deutschland), TROVICOR (Deutschland), HACKING TEAM (Italien), AMESYS (Frankreich) und BLUE COAT (USA). Mit Produkten dieser Firmen spüren autoritäre Regime kritische Journalisten auf, nehmen sie fest und blockieren ihre Webseiten. Die Anbieter verkaufen ihre Software entweder selbst an solche Regierungen und nehmen Übergriffe damit in Kauf, oder sie haben es versäumt, den Export ihrer Software so zu kontrollieren, dass Missbrauch ausgeschlossen ist. (Reporter ohne Grenzen)

Einen Tag später erschien ein neuer Bericht von Citizen Lab: You Only Click Twice: FinFisher’s Global Proliferation. Es ist nicht einfach nachzuweisen, wer in welche Länder Überwachungssoftware verkauft. CitizenLab hat in 25 Ländern FinFisher-Server lokalisiert, die von Gamma International betrieben werden.

Server auf der ganzen Welt funktionieren als Kommando-Zentralen für den kommerziellen Staatstrojaner FinFisher/FinSpy. Das geht aus einem Bericht des Citizen Lab hervor, der 33 Server in 25 Staaten auflistet. Das verstärkt die Vermutung, dass diese deutsche Überwachungstechnologie auch in Staaten eingesetzt wird, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. (netzpolitik.org)

Ich hatte vor einem Monat schon über FinFisher geschrieben: Fin’s Fisher fischt frische Fishe

Citizen Lab nennt zwei Beispiele, in denen FinFisher gegen AktivistInnen eingesetzt wurde: gegen Oppositionelle in Äthiopien. Die Variante für Mobiltelephone wurde in Vietnam gefunden – beides wird im Bericht ausführlich beschrieben.

Die Firmen, die die Software verkaufen, gehen sind nicht erpicht auf Öffentlichkeit. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, wird darauf verwiesen, dass die Software nicht an Diktaturen verkauft werde und sowieso: „Software foltert keine Leute.“ Sowas hatten wir von den Erfindern der Atombombe auch schonmal gehört. (Auch dieser Link wird demnächst dem neuen Gesetz zum ‚Leistungsschutzrecht‘ zum Opfer fallen)

Eine Ausnahme gab es Ende Februar bei der RSA-Konferenz, wo es ein Podium mit dem amerikanischen Vertreter der italienischen Firma Hacking Team gab, die auch zu den von Reporter ohne Grenzen definierten ‚Feinden des Internets‘ gehört. Mit ihm diskutierten Dale Beauchamp (US Homeland Security), Jacob Appelbaum (Tor Project), Kurt Opsahl (EFF) und Claudio Guarnieri (Rapid7): The spy within: researchers, hackers spar over state-sponsored malware,  von Quinn Norton in The Verge. Darf Überwachungssoftware überhaupt eingesetzt werden? Gegen wen? Wer legt fest, wer die Terroristen sind? Beauchamp, der Vertreter der US-Sicherheitsbehörden, ließ nichts aus:

„Believe it or not, if [Hacking Team] doesn’t sell the tool, [its clients] are going to do what they’re doing. So let’s not attack the tool, let’s attack what they’re doing,“

Auch dazu Spitzelsoftware-Hersteller: „Des einen Terrorist ist des anderen Aktivist“ (SpOn). (Auch dieser Link wird demnächst dem neuen Gesetz zum ‚Leistungsschutzrecht‘ zum Opfer fallen)

Die Aufnahme dieser Veranstaltung würde ich SEHR gern sehen.

The Young Turks pointiert (leider sehr schnell gesprochen) über FinSpy:
‚Finspy‘ Hijacks Activist Computers – Are You Being Monitored?

Überwacht wird natürlich nicht nur mit Trojanern wie FinFisher. Auch Skype reicht dazu oft völlig aus. Aus Russland wurde gerade bekannt, dass die Sicherheitsbehörden seit Jahren über Skype dessen NutzerInnen überwachen. Skandalös, würde man denken. Frankreich, unumstritten der stabilere Rechtsstaat, prüft gerade, ob es gegen Skype juristisch vorgehen kann, weil Skype die Überwachungsmöglichkeiten nicht offiziell mitliefert.

Und schließlich scheint es einen neuen ‚Sport‘ zu geben, der darin besteht, andere heimlich über Kamera ihrer Laptops zu beobachten – und die Aufnahmen hinterher ins Netz zu stellen: Meet the men who spy on women through their webcams. Also: immer schön die Kamera zukleben, und das Mikrofon ausschalten!

 

Fin’s Fisher fischt frische Fishe

all-seeing-eyeTypische Reaktion, wenn jemand mein Laptop sieht und bemerkt, dass die Kamera zugeklebt ist: Gekicher. Oder ein salopper Spruch, der suggeriert, dass das jetzt aber doch ein wenig übertrieben ist..?

Weniger denn je.

Zur OECD-Beschwerde gegen Gamma & Trovicor hatte ich letzte Woche schon was geschrieben – die Firmen also, die Überwachungssoftware herstellen und vermutlich an alle verticken, die sie haben wollen. In der Süddeutschen ist gestern dazu noch ein guter Bericht über Martin Münch erschienen, mit dem harmlosen Titel „Spam vom Staat“.

Martin Münch (manchmal auch Muench) ist deutscher Geschäftsführer von Gamma International in München und entwickelt Software:

Sie infiziert das digitale Gedächtnis, sie schnüffelt in der virtuellen Intimsphäre. Polizei und Geheimdienst können dank ihr sehen, welche Krankheitssymptome der Überwachte im Web googelt. Sie hören, was er mit der Mutter über das Internet-Telefon-Programm Skype bespricht. Sie lesen seinen Einkaufszettel auf dem Smartphone. Der Trojaner, der das alles kann, heißt Finfisher.

Konkret:

Zuerst wählt der Nutzer das Betriebssystem aus, das er angreifen will: ein iPhone von Apple, ein Handy mit Googles Betriebssystem Android oder einen PC mit Windows oder dem kostenlosen System Linux? Der Ermittler kann eingeben, über wie viele Server in verschiedenen Ländern der Trojaner Haken schlägt, bis auch technisch versierte Opfer nicht mehr nachvollziehen können, wer sie da eigentlich überwacht. (…)

Dann darf der Ermittler auswählen, wie fies der Trojaner werden soll, was er können darf: das Mikrofon als Wanze benutzen. Gespeicherte Dateien sichten und sichern, wenn sie gelöscht oder geändert werden. Mitlesen, welche Buchstaben der Nutzer auf der Tastatur drückt. Den Bildschirm abfilmen. Skype-Telefonate mitschneiden. Die Kamera des Rechners anschalten und sehen, wo das Gerät steht. Handys über die GPS-Ortungsfunktion zum Peilsender machen. Finspy präsentiert die überwachten Geräte als Liste. Flaggen zeigen, in welchem Land sich das Ziel befindet. (Süddeutsche.de)

Dieses Zeug also fand sich auf Rechnern in Bahrain. International spielt sich derzeit ein Krimi ab, der für die, die ihn verfolgen, spannender ist als das gesamte Sonntagabend-Fernsehprogramm. AktivistInnen etwa von Privacy International besuchen Waffen-Messen, um herauszukriegen, was an wen verkauft wird. Andere sammeln und analysieren gefundene Trojaner (also FinFisher), tragen Informationen zusammen und fordern schließlich von Regierungen, den Verkauf dieser Sofware mindestens durch ähnliche Exportkontrollen einzuschrängen, wie sie auch für Waffen gelten. Oder die Produktion ganz zu verbieten.

Die deutsche Regierung präsentiert sich gern als ausgesprochen menschenrechtsfreundlich, ist de facto aber mit dafür verantwortlich, wenn Software wie FinFisher in Regimes wie Bahrain und anderen gegen Bewegungen wie den arabischen Frühling eingesetzt wird. Und deswegen Menschen gefoltert und ermordet werden. Dies ist inzwischen nachgewiesen – daher die Beschwerde bei der OECD. Was aktuell fehlt: eine Bewegung, die laut fordert, dass das aufhören muss.

Not in My Name verdient Deutschland Geld damit, dass anderswo legitime Proteste und Bewegungen unterdrückt, und AktivistInnen inhaftiert, gefoltert, ermordert werden.

Das Sahnehäppchen ist aktuell übrigens, dass Deutschland den Trojaner FinFisher auch für den Einsatz in Deutschland gekauft hat.

 

Foto: un untrained eye / Flickr, BY-NC-Lizenz

Hat alles seine Ordnung. Ein ganz normaler Tag in Deutschland.

Artikel 5 GrundgesetzIch werde gern ab und zu danach gefragt, was ich von unserem Rechtsstaat halte. Mehr als von anderen, aber ansonsten können sich gern alle selbst eine Meinung bilden. Zum Beispiel heute:

Mehr als 100 PolizistInnen durchsuchen die Räume von 8 Fotografen in in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Fotografen werden wegen nichts beschuldigt – es sollen Bilder von einer Banken-Demonstration letztes Jahr in Frankfurt beschlagnahmt werden.

Der gesunde Menschenverstand hätte jetzt nach der Pressefreiheit gefragt, und was für Richter eigentlich solche Durchsuchungsbeschlüsse unterschreiben. Ich nehme an, wir werden noch davon hören.

Mehr dazu:

Usw. usw.

Sachsen lässt Ex-Punk in Baden-Württemberg durchsuchen

Dann: eine Durchsuchung wegen eines 30 Jahre alten Punk-Songs. Der jetzt den sächsischen Staatsschutz so mitgenommen hat, dass er die Suche nach rechtsradikaler Musik liegen ließ und sich einem inzwischen ergrauten Ex-Punk und jetzt Handwerker in der Nähe von Waiblingen zuwandte. Sehr schön beschrieben in Hausdurchsuchungen bei den Normahl-Punks:

Heutzutage käme kein Winnender Polizist mehr von sich aus auf die Idee, Besa für sein „Bullen“-Lied zu verfolgen. Schließlich braucht auch ein Uniformierter mal schnelle Hilfe beim Wasserrohrbruch.

Muss man zu Sachsen noch was sagen? Kann man zu Sachsen noch was sagen? Ich fürchte ja. Die juristische Realität dort ist so unglaublich nicht mehr demokratie-tauglich, dass eigentlich die gesamte Regierung samt Justiz ausgetauscht werden müsste. Das Schöne ist, dass wir das immerhin sagen dürfen. Tragisch, dass sich nichts ändert, und das meine ich nicht ironisch.

 

OECD-Beschwerde gegen Hersteller von Überwachungssoftware

Schließlich war ich heute morgen bei einer Pressekonferenz wegen eines noch düsteren Themas: Es ist völlig legal, dass deutsche Firmen Überwachungssoftware an Regime wie beispielsweise Bahrain verkaufen, wo die dann gegen AktivistInnen eingesetzt wird, die ähnliche Ziele wie der arabische Frühling verfolgen.

Ihre Smartphones und Computer werden abgehört, ihre Nachrichten mitgelesen, die Mikrofone und Kameras aus der Ferne eingeschaltet, um ihre Gespräche mitzuhören.

Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind insbesondere seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 in dem arabischen Golfstaat Bahrain verwendet worden, um Dissidenten festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen.

„Die Opfer wurden mit Sätzen konfrontiert, die sie in vertraulichen Telefonaten oder E-Mails geäußert hatten“, sagte Maryam al-Khawaja, geschäftsführende Präsidentin des Bahrain Center for Human Rights. „Es gibt Belege für Menschenrechtsverletzungen auf breiter Front, bei denen auch mit Hilfe des Internets  gegen Dissidenten vorgegangen wurde. Um diese Übergriffe zu stoppen, müssen auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu ihnen beigetragen haben.“ (Reporter ohne Grenzen)

Der Verkauf und dann das Einsetzen solcher Software ist sehr schwer nachzuweisen – das ist der einzige Grund, warum nicht gegen die Firmen geklagt wird. Die OECD-Beschwerde ist ein relativ stumpfes Schwert, aber derzeit die einzige Möglichkeit. Bekannt ist immerhin, dass die deutsche Firma Trovicor, ehemals Nokia Siemens, vermutlich

… in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können. (Reporter ohne Grenzen)

Mindestens nötig wären Exportkontrollen für diese Überwachungstechnologien, die in Deutschland immerhin verfassungswidrig sind. Warum darf in andere Länder verkauft werden, was hier verboten ist? Bloß: dafür ist das Wirschaftsministerium zuständig und das steht traditionell Unternehmen näher als Menschenrechtsorganisationen.

Mehr dazu:

Oder auch Syrien bekommt Überwachungstechnik von Siemens

Und sowieso: Big Brother Inc.. A global investigation into the international trade in surveillance technologies, von Privacy International.

Foto: Prinsessan_J / Flickr, BY-NC-ND-Lizenz