UN-Berichterstatter wirft britischen V-Leuten James-Bond-Methoden vor

In England tut sich Erstaunliches: Eine Debatte über den Einsatz von verdeckten Ermittlern in sozialen Bewegungen. Das ist in Deutschland noch einigermaßen undenkbar.

Anlass ist die Klage von acht Frauen gegen die Metropolitan Police im Dezember 2011, weil auf sie angesetzte Polizei-Spitzel mit ihnen sexuelle Beziehungen hatten, aus denen teilweise auch Kinder entstanden sind. Dazu gibt es inzwischen eine eigene Website Police Spies out of Lives.

Eveline Lubbers, die letztes Jahr ein Buch über Polizei- und Unternehmensspitzel in politischen Bewegungen veröffentlicht hat (Secret Manoeuvres in the Dark), hat dazu letzte Woche Post von der Londoner Polizei bekommen.

Presuming I have important information on the infiltration of London Greenpeace back in the 1980s, the Met wants me to get in touch to discuss the matter further.

Könnte man sagen: Gute Idee, da fragen sie endlich mal Leute, die sich auskennen. Andererseits: warum sollte Eveline Lubbers ausgerechnet jetzt an die Aufrichtigkeit derer glauben, die jahrelang und von Berufs wegen logen? In einem offenen Brief hat sie erklärt, was besser wäre:

I am open to discuss an exchange of information but not behind closed doors, hence this open letter. (…)

Everything I know about the infiltration of London Greenpeace is in my book Secret Manoeuvres.

And much of what I have on corporate and police spying on activists comes from the people who were targeted by infiltrators. These people feel betrayed, on every possible level: politically and personally. It took them time to overcome the trauma, and to stand up for their rights – to get the truth out. (…) For that reason, just sharing my knowledge with the police is not an option.

London Greenpeace? London Greenpeace, und zwar 1990-1997. Nicht zu verwechseln mit Greenpeace International. Von London Greenpeace gab es eine seit Mitte der 80er Jahre eine Kampagne zu McDonalds. Von McDonalds gab es im Gegenzug Spitzel, und zwar welche, die von McDonalds bezahlt wurden und zusätzlich welche von der Polizei, und schließlich ein Verfahren gegen die AktivistInnen wegen Verleumdung, dass sich zehn Jahre lang hinzog. 15 Jahre später, 2011, gelang es London Greenpeace, einen Polizei-Spitzel zu enttarnen. (Details im 4. Kapitel)

Und zu dessen Aktivitäten Mitte der 80er Jahre sind noch Fragen offen, die nicht nur die Polizei, sondern vor allem auch die Öffentlichkeit interessieren.

Das findet jetzt auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Recht auf Versammlungsfreiheit und Organisationsfreiheit, Maina Kiai.

United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association

Der hat zehn Tage Großbritannien besucht und am Mittwoch klare Worte gefunden:

I am deeply concerned with the use of embedded undercover police officers in groups that are non-violent and which exercise their democratic rights to protest and take peaceful direct action. The case of Mark Kennedy and other undercover officers is shocking as the groups in question were not engaged in criminal activities. The duration of this infiltration, and the resultant trauma and suspicion it has caused, are unacceptable in a democracy. (…)

I am also troubled by the definition of “domestic extremism” as it is presently too broad, and heard real fears from peaceful protesters that they could easily be grouped in this category, along with real extremists. Indeed, some police officials, while ostensibly differentiating between extremist groups and others that use direct action, often conflate them, especially when the protest groups are horizontal.

Inakzeptabel für Demokratien findet er u.a.

  • langandauernde Einsätze von verdeckten Ermittlern in Gruppen, die gewaltfreie Direkte Aktionen praktizieren
  • Demonstrationsverbote
  • das Einkesseln von Demonstrationen
  • das Sammeln von Daten von AktivistInnen und Demonstrierenden, die nicht selbst an Gewalt beteiligt waren
  • die Ausweitung der Definition von Extremismus
  • das Outsourcen von Polizeiarbeit an private Firmen, insbesondere im Kontext der zunehmenden Privatisierung öffentlicher Räume

Und wird dies in seinem Bericht bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats im Mai erwähnen.

Konkret zum Fall der Frauen, die von Ermittler sogar in bestehenden Beziehungen ausspioniert wurden, sagte er in der Londoner Pressekonferenz:

This is not a James-Bond-type movie issue. I think it is unacceptable that the state can pay somebody who will use women, and be part of their lives and then just devastate them and leave them. That’s unbelievable. (Guardian)

Den würde ich sehr gern mal nach Deutschland einladen. Insbesondere Sachsen. Und wüsste sonst gern mehr über V-Leute in sozialen Bewegungen hierzulande.

Bild: OEA-OAS, BY-NC-ND-Lizenz

Verfassungsschutz entscheidet in NRW über Gemeinnützigkeit

Wir waren alle empört, als wir im Sommer hörten, dass der Verfassungsschutz über die Gemeinnützigkeit von Vereinen entscheiden solle. Das wurde glücklicherweise in letzter Sekunde abgewendet.

Die Idee, versteckt im neuen Steuergesetz, war: wenn ein Verein im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird, ist er extremistisch und kann damit nicht mehr gemeinnützig sein. Hat in der Folge also deutlich weniger Aussicht auf Förderung und kann auch keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen, bekommt also ziemlich sicher auch weniger Spenden.

Und wir dachten, das sei jetzt erledigt. Pustekuchen.

Mit dem Steuerbescheid vom 14.12.12 teilte uns das Finanzamt Wuppertal mit, dass dem Verband ab 2010 die Gemeinnützigkeit entzogen wird.
(…) Die unverschämte Begründung: “Der Verein wurde im Verfassungsschutzbericht 2010 als Vereinigung erwähnt, bei der es belegbare Hinweise für eine Einstufung als extremistische Vereinigung gibt.“

..schreibt der Frauenverband Courage.

Ich habe dann in den Verfassungsschutzbericht geschaut – immerhin 300 Seiten bloß für Nordrhein-Westfalen – und gleich drei Hinweise auf Courage e.V. gefunden. (Vorsicht beim Klicken, wer weiß, in welchem Honeypot ihr landet).

moskauCourage e.V. sei eine Vorfeldorganisation der MLPD.

Ui. Die MLPD. (Gibt’s die noch?)

Könnten sich bitte mal alle bei mir melden, die glauben, die MLPD wäre willens und in der Lage, die Republik zu stürzen?

Courage selber schreibt im übrigen, sie seien nicht Teil der MLPD, lediglich „für den breiten Zusammenschluss der Frauenbewegung ohne antikommunistische Ausgrenzung.“ Das Verhältnis von Verfassungsschutz und Kommunismus habe ich ja letzten Sonntag beim 29c3 schon erklärt.

Und was machen die konkret so Verfassungsfeindliches? Der Verband, so der VS-Bericht

..konzentrierte seine Arbeit vor allem auf die Vorbereitung der 1. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen vom 4. bis 8. März in Caracas/Venezuela, in dessen Rahmen auch der 100. Internationale Frauentag am 8. März gefeiert wurde.

Und:

Am 8./9. Oktober 2011 trafen sich Teilnehmer aus dem In- und Ausland in Gelsenkirchen zum 2. Internationalen Umweltratschlag. In Plenumsdiskussionen, Foren und Workshops wurden umweltpolitische Fragen diskutiert. Maßgebliche Trägerorganisationen waren unter anderem die MLPD, ihr Jugendverband ‚Rebell*‘ und ihr ‚Frauenverband Courage*‘.

Das ist alles.

Ach ja, und zur MLPD an sich und warum die ein Problem ist:

Die 1982 aus dem ‚Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands‘ (KABD) hervorgegangene MLPD bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tse-tung und verbindet nach eigener Aussage „den Kampf um die Forderungen der Arbeiter- und Volksbewegungen mit dem Ziel der internationalen sozialistischen Revolution“. Die Zielsetzung der MLPD ist durch eindeutig verfassungsfeindliche Aussagen geprägt.

Hallo? Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden? Wird das nicht auch gern mal von konservativer Seite deklamiert? On the other hand – wer regiert gleich noch in Nordrhein-Westfalen? Liebe SPD- und Grünen-Mitglieder: findet Ihr das richtig?

Ich bin übrigens keine Kommunistin und halte Stalin für einen Verbrecher, falls irgendwie Missverständnisse aufkommen sollten.

Aber ich fände hilfreich, wenn anerkannt würde, dass der kalte Krieg vorbei ist, und es keine kommunistischen Vereinigungen in Deutschland mehr gibt, die von irgendwem ernstgenommen werden. Was wir allerdings haben, ist ein Nazi-Problem.

 

(Gibt es eigentlich noch mehr Fälle?)

Best of … Verfassungsschutz

Oder: Der Verfassungsschutz schützt die Verfassung so wie Zitronenfalter Zitronen falten.

Darüber habe ich eine Stunde Sonntag morgen beim 29c3, der jährlichen Konferenz des CCC gesprochen und das Video ist schon online:

Auch als mp4 (sha1) und torrent.

Leider habe ich nicht geschafft, das Ganze so zusammenzukürzen, dass am Ende Zeit für Fragen und Kommentare geblieben ist, was mich wirklich ärgert. Umso mehr würde ich mich über welche hier freuen. Ich hätte auch gern am Ende noch ein bisschen klarer gemacht, worauf ich hinaus wollte und was das Fazit der ganzen Angelegenheit ist, aber vielleicht erklärt sich das ja auch einigermaßen von selbst. An die Reformierbarkeit der Verfassungsschutz-Behörden glaube ich derzeit nicht.

Feedback zum Talk könnt Ihr auch sehr gern beim CCC hinterlassen, und zwar hier rechts unten, indem Ihr auf den quietschgrünen Button klickt.

Falls ich mir durch diesen Auftritt genauere Beobachtung durch den Verfassungsschutz eingehandelt haben sollte, was ja überhaupt nicht auszuschließen ist – jedenfalls ist es anderen so gegangen, nicht zuletzt Rolf Gössner, wie im Talk erwähnt -, dann müsste das ja sicherlich von der ebenfalls erwähnten G10-Kommission bzw. dem Parlamentarischen Kontrollgremium genehmigt werden. Liebe Mitglieder von G-10-Kommission und PKGr: ich baue darauf, dass Ihr Interesse daran habt, nach dieser Entscheidung gut schlafen zu können und also gut prüft, ob meine Meinung für die Verfassung tatsächlich ein Problem darstellt. Ich glaube das überhaupt nicht.

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Außerdem habe ich beim Kongress bei Deutschlandradio Kultur – Breitband über eher praktische Aspekte von Überwachung, meine Arbeit bei Tactical Tech und die kulturellen Differenzen zwischen Hackern und NGOs gesprochen, hier nachhörbar. Warum die Sendung Computer, Politik und Kochtöpfe #29C3 hieß, erschließt sich mir nicht, aber wenn wer den Kochtopf findet, wäre ich über eine Nachricht dankbar.

Die mp3 (8,9mb) – etwa ab Minute 18 bin ich dran.

Links zur Sendung:

Britischer Spitzel beim Sex von der Polizei vernachlässigt

1oo.ooo Pfund möchte Mark Kennedy von der britischen Polizei. Warum? Weil die ihn nicht davon abgehalten hat, sich zu verlieben.

?

Mark Kennedy war jahrelang undercover für verschiedenste Polizeien damit beschäftigt, politische Bewegungen auszuspionieren. Dabei hatte er auch sexuelle Beziehungen. Inzwischen klagen 10 Frauen und ein Mann deswegen gegen die britische Polizei. Nicht nur wegen Kennedy, es gab auch andere Fälle.

Und dafür will er jetzt Geld, denn

Mark Kennedy, who was known as Mark Stone until the activists discovered his identity in late 2010, filed a writ last month claiming damages of between £50,000 and £100,000 for personal injury and consequential loss and damage due to police „negligence“.

„I worked undercover for eight years,“ he told the Mail on Sunday. „My superiors knew who I was sleeping with but chose to turn a blind eye because I was getting such valuable information They did nothing to prevent me falling in love.“ (Guardian)

Vielleicht hilft das ja wenigstens, damit die zuständigen Behörden es sich nächstes Mal besser überlegen, und ein paar laufen offenbar noch herum: Deutsche Spitzel weltweit gut vernetzt.

 

Mark Kennedy war auch in Tarnac

Zu Mark Kennedy gehört auch seit kurzem die Pikanterie, dass er wohl auch mit der Terrorimus-Ermittlung gegen eine Gruppe aus Tarnac in Frankreich zu tun hatte. (Details u.a. in Giorgio Agamben über die neuen französischen ‘Terroristen’)

In Frankreich war seine Rolle erstmals im Februar 2011 im Wochenmagazin L’Express thematisiert worden. Anfang dieses Jahres tauchte er in einem Buch auf, das der Journalist Daniel Dufresne der Tarnac-Affäre widmete und für dessen Recherchen er sich sowohl mit den »Terrorverdächtigen« als auch mit Polizisten und Nachrichtendienstmitarbeitern getroffen hatte. Dufresne ist der Ansicht, die Affäre sei Gegenstand einer politisch-ideologischen Verblendung, die einerseits mit der Rolle der damaligen Innenministerin Michèle Alliot-Marie – die felsenfest an einen bevorstehenden »großen linksterroristischen Anschlag auf französischem Boden« glaubte – und ihrer fragwürdigen Berater zusammenhänge,… (…)

Das Material für diese Thesen lieferte unter anderem Kennedy. (Jungle World)

Seine Aktivitäten in Deutschland könnte sicher auch noch detaillierter untersucht werden:

There are particular concerns about his deployments in Germany, where he was twice arrested, once for committing an arson attack. (Guardian)

In Kanada z.B. hatte er

gegenüber der Presse erklärt, er sei damit beauftragt gewesen, wie die Spitzel in Kanada Aktivisten schwerere Tatvorwürfe anzuhängen, anstatt gegen sie lediglich wegen Delikten wie Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch zu ermitteln. (Telepolis)

Der Chef der Londoner Metropolitan Police meint übrigens, dass sexuelle Beziehungen zwischen Spitzeln und Überwachten nicht zu vermeiden sind.

Bild: Flickr, by bildpilot, CC-BY-NC-SA-Lizenz

Tracking von Frauen in Saudi-Arabien, oder: Wenn alle voneinander abschreiben

Das Netz ist schön dafür, dass alles vernetzt ist (sic!), dass es schnell geht, dass ich mitkriege, was geschieht (wenn ich will).

Haken: wenn alle voneinander oder den Agenturen abschreiben, spielen wir Stille Post.

Aktuelles Beispiel: die Meldung, dass Frauen aus Saudi-Arabien, die das Land verlassen, elektronisch an ihren Herrn und Gebieter verpetzt werden, der dann eine SMS kriegt. Grauenhaft auf allen Ebenen, keine Frage.

Geht überall rum, hat ja auch alles Potential: Überwachung, elektronisch, Frauenunterdrückung, irgendwo da unten.

Ist aber doch nicht ganz so, wenn dem Post auf Riyadh Bureau Glauben geschenkt werden kann:

Is the Saudi Government Monitoring Women?

An uproar broke out on Twitter last week when some Saudi women discovered that their male guardians began receiving text messages on their phones informing them that the women under their custody have left or entered the country.

Reporting on the uproar, AFP described it this way: “women in Saudi Arabia are now monitored by an electronic system that tracks any cross-border movements.” This description is inaccurate.

..

At first, I did not understand the uproar on Twitter because I thought this notification system has been in place for a couple of years now.

..

When I asked why the uproar now when this has been going on for at least a couple of years now, people told me that the difference is that in the past you had to register for the service to to receive the notification text messages. Now, they said, you get the messages even if you don’t register with the ministry.

This doesn’t make sense. How is it possible for the Ministry of Interior (MOI) to send you these messages if you don’t give them your number?

As you can see here, you opt for the service. If you don’t want to get the SMS notifications then simply don’t register with the ministry. If you registered and want to opt out, the TOCs say at the end that “Both, Subscriber and MOI have the right to end the subscription at any time without showing cause.” Opting out does not mean that your dependents would no longer need permission for travel, but rather that you would have to visit the passport office to issue the permit instead of doing that conveniently online.

Das ist auch alles nicht schön, in keinster Weise. Aber ein bisschen anders als: (nur) die saudischen Frauen kriegen neuerdings elektronische Fußfesseln.

Gehört auch zum echten Qualitätsjournalismus: nicht alles unbesehen abschreiben.

Disclaimer: ob das stimmt, was Riyadh Buereau schreibt, kann ich nicht beurteilen.

 

Bild: Flickr, CC-Lizenz, by Anduze traveller

Das kleine digitale Horrorkabinett

Alles so gefährlich im Internet, sagen die einen. Ihr habt keine Ahnung, sagen die anderen.

Hier eine Sammlung von Schauerlichkeiten, die mir in letzter Zeit im Netz begegnet sind:

The Independent: Activists warned to watch what they say as social media monitoring becomes ’next big thing in law enforcement‘

Kronanwalt John Cooper beschreibt die Bedeutung von Sozialen Netzwerken für die britische Polizei. In Deutschland sieht das nicht viel anders aus. Ich teile seine Einschätzung, dass Social Media für politisches Engagement Vorteile haben kann, wenn sie mit Bedacht genutzt werden. Dass Polizeien, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste ebenfalls zunehmend dort ermitteln, ist ja nicht überraschend.

Außerdem geht es um Cryptoparties, die britische Extremismus-Polizei-Datenbank, und Occupy London als terroristische Bedrohung.

„These social networks are all, in my opinion, forces for good; I am a great fan. But they are liable to abuse and misuse. And, not only are the police catching up, the courts are too. The Lord Chief Justice is very social media-aware and in fact allowed tweeting from court.

„It is right to say the criminal courts are social media friendly; the law is beginning to understand them. If people continue to use social media in a naïve way then legitimate individuals are probably going to give too much away.“

 

DLF: Online-Überprüfung potenzieller Straftäter. Kommunikationsanbieter helfen der Polizei

Dazu passt gut dieser Beitrag von Philip Banse im Deutschlandfunk, u.a. mit Ulf Buermeyer, über die Zusammenarbeit von Polizei und Social-Media-Plattformen.

Im zweiten Halbjahr 2011 etwa haben deutsche Behörden demnach über 1.400 Mal Nutzerdaten von Google-Kunden angefragt, in 45 Prozent der Fälle hat Google diese Daten auch geliefert. Ob es nach deutschem Recht erlaubt ist, diese Daten herauszugeben oder nicht, überprüft kein deutscher Richter, sondern allein Google. Sollen etwa ganze E-Mails beschlagnahmt werden, müsste das in Deutschland in der Regel ein Richter anordnen. Bei Google-Mail entscheidet das allein Google. Und so kann es durchaus vorkommen, dass deutsche Ermittler wesentlich mehr Daten bekommen als sie eigentlich angefragt hatten.

Zum Nachhören als MP3.

 

Nadir: Plötzlich plappern Anna und Arthur

Eins der Urgesteine des deutschen Digital-Aktivismus, Nadir.org, hat kürzlich im etwas schrulligen Stil der 80er mit der Faust auf den Tisch gehauen und daran erinnert, dass unabhängige Technik- und Kommunikations-Infrastruktur mal aus der Notwendigkeit entstanden ist, ohne staatliche Überwachung zu kommunizieren. Ich teile nicht alles, was sie sagen und vor allem das Vokabular macht mir Gänsehaut, aber ein wahrere Kern steckt schon drin.

Da wir uns seit Jahren mit dem Netz und Computern, Systemadministration, Programmieren, Kryptographie und einigem mehr beschäftigen und teils damit unser Geld verdienen, ist Facebook quasi ein natürlicher Feind für uns. Da wir uns außerdem als Linke verstehen, addiert sich dazu noch eine Analyse der politischen Ökonomie Facebooks, in der „User_innen“ zum Produkt werden, an das gleichzeitig auch verkauft wird.

 

Pro Publica: Yes, Companies Are Harvesting – and Selling – Your Facebook Profile

Wussten wir irgendwie, aber ein Brief zweier US-Kongress-Abgeordneter förderte kürzlich im Detail zutage, wie große Verbraucherdaten-Firmen Daten über NutzerInnen sammeln, auswerten und verkaufen. Kurz gesagt sammeln sie alles ein, was öffentlich zugänglich ist, werfen es in ihre Datenbanken, erstellen Personenprofile und verkaufen die dann je nach Bedarf. Je detaillierter, desto teurer.

Epsilon, a consumer data company that works with catalog and retail companies, said that it may use information about social media users’ “names, ages, genders, hometown locations, languages, and a numbers of social connections (e.g., friends or followers).”

It also works with information about “user interactions,” like what people tweet, post, share, recommend, or “like.” ..

Other companies, including Acxiom, include social media profile data as part of detailed profiles on individual consumers.

Die Kongress-Mitglieder sind empört.
(Die Annahme, sowas gebe es nur in den USA, halte ich für zu optimistisch. Sachdienliche Hinweise gern in die Kommentare)

 

Reuters: Social networks scan for sexual predators, with uneven results

Das ist aber nicht alles. Verschiedene Anbieter scannen auch den Inhalt der Kommunikation, die über Netzwerke läuft. Facebook sagt dazu, dass es besser ist, Inhalte von Programmen auf problematische Inhalte überprüfen zu lassen, als dass Facebook-Angestellte selbst die Chats und Postings mitlesen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz ist ein Problem, das real ist und für das es bisher keine von allen akzeptierten Lösungen gibt.

Facebook’s extensive but little-discussed technology for scanning postings and chats for criminal activity automatically flagged the conversation for employees, who read it and quickly called police.

Officers took control of the teenager’s computer and arrested the man the next day, said Special Agent Supervisor Jeffrey Duncan of the Florida Department of Law Enforcement. The alleged predator has pleaded not guilty to multiple charges of soliciting a minor.

Davon auszugehen, dass solche Software nur dazu benutzt wird, sexuelle Übergriffe bzw. die dazu nötigen Kontaktaufnahmen zu verhindern, ist allerdings unrealistisch. Gefüttert mit einer Vokabelsammlung aus dem Themenfeld ‚Extremismus‘ macht sich das für den polizeilichen Appetit im Bereich politische und soziale Bewegungen sicher hervorragend. Und dass bspw. deutsche Behörden viel Geld für Software für die Überwachung von Mail-Providern und Sozialen Netzwerken ausgeben, war ja neulich schon herausgekommen.

 

Sonst noch:

Baltimore Sun: MTA recording bus conversations to eavesdrop on trouble

Im US-Bundesstaat Maryland werden Gespräche in öffentlichen Bussen aufgezeichnet. Dazu werden Mikrofone in die Video-Kameras eingebaut, die in den Bussen sowieso installiert sind. Alles im Sinne der Verbrechens-Aufklärung und des Service, versteht sich. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU ist nicht begeistert – vor allem, weil genau dies 2009 schon explizit verboten wurde.

„People don’t want or need to have their private conversations recorded by MTA as a condition of riding a bus,“ said David Rocah, a staff attorney with the Maryland chapter of the ACLU. „A significant number of people have no viable alternative to riding a bus, and they should not be forced to give up their privacy rights.“

Das Argument, es müsse für mehr Sicherheit gesorgt werden, ist bekannt. Ungewöhnlich ist, dass die Baltimore Sun dem Artikel ein Video hinzufügt, das über homo-/transphobe Gewalt berichtet.

 

Deutsche Welle: E-Book is reading you

E-Books sind noch nicht im Bewusstsein überwachungssensibler Menschen angekommen. Daber haben sie jedes Potential. 25% der Deutschen besitzen E-Books, im ersten Halbjahr 2012 wurden 4,6 Mio. E-Books heruntergeladen. Und wievielen ist klar, dass nicht nur ihr Gerät weiß, wie schnell sie lesen und was sie dabei markieren?

E-Books haben zwar viele Vorteile, doch sie bringen auch Risiken mit sich, sagt Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz. Vor allem, wenn man die E-Books von den großen Anbietern herunterlädt. Denn durch eingebaute Synchronisierungsfunktionen in den Leseprogrammen haben diese einen detaillierten Einblick in das Leseverhalten ihrer Kunden. Weichert erklärt auch, warum das so ist:

„Es ist für Amazon oder für andere E-Book-Anbieter total spannend zu erfahren, wer ich bin und für was ich mich interessiere. Wie ich lese, wie schnell ich lese, wo ich Anmerkungen mache und welche sonstigen Lesegewohnheiten ich habe. Alles das kann man zumindest indirekt aus den Nutzungsdaten ableiten.“

 

Bild: Poster Boy NYC,  Flickr, CC-Lizenz

 

Liebe Marissa, .. wo zum Teufel bleibt das HTTPS für Yahoo-Mail?

Marissa Mayer, CEO von Yahoo!, hat heute Post bekommen. 26 AktivistInnen und Organisationen, die sich für digitale Sicherheit, Menschen- und Bürgerrechte einsetzen, fordern Yahoo in einem Offenen Brief auf, als letzter großer kommerzieller Mailanbieter endlich HTTPS für Webmail anzubieten.

Darunter Vertreter von EFF, Global Voices, Privacy International, Cyber Arabs, Reporter ohne Grenzen, IMMI, BigBrotherAwards und und und.
Disclaimer: auch Tactical Tech, für die ich arbeite.

Dear Ms. Mayer:

As privacy, security, and human rights advocates and organizations from around the world, we are writing to you to express our deep concern with Yahoo!’s continued delay in supporting encrypted connections to its vital communications services. As individuals who engage with at-risk communities targeted for surveillance and censorship, we see on a daily basis how this negligence endangers human rights activists who fight in some of the most repressive environments to protect the basic freedoms that we take for granted. (…)

Over the last several years, Yahoo! has repeatedly been urged by security experts to adopt HTTPS, but has taken no visible steps to do so. Unfortunately, this delay puts your users at risk, which is particularly disturbing since Yahoo! Mail is widely used in many of the world’s most politically repressive states. There have been frequent reports of political activists and government critics being shown copies of their email messages as evidence during interrogation sessions, underscoring the importance of providing basic measures to protect the privacy of e-mail.

Der Brief als pdf.

HTTPS verschlüsselt die Kommunikation zwischen Browser und Webserver, verhindert also, dass alles, was z.B. in Formulare aller Art eingetragen und abgeschickt wird, mitgelesen werden kann. Das betrifft alle, die ihre E-Mail nicht per Mail-Programm, sondern direkt im Browser als Webmail lesen. Wenn Ihr das im offenen WLAN macht, können Eure Nachbarinnen und Nachbarn mitlesen, mit minimalem Aufwand – das ist weder verboten noch kosten die Programme Geld, die dafür nötig sind.

Ob Eure Mails sicher übertragen werden, erkennt ihr daran, ob in der Adresszeile des Browsers httpS://.. statt http:// steht. Das Firefox-/Chrome-Addon HTTPS Everywhere des EFF hilft schon weiter: es aktiviert diese Option automatisch bei allen Websites, die https anbieten.

Alle anderen großen (Web-)Mailanbieter bieten HTTPS an. Yahoo-Mail wird immer noch viel benutzt, gerade auch in Ländern und Regionen mit hohem Überwachungsdruck. Für sie wäre HTTPS wichtig.

Für alle, denen spontan viel Besseres als HTTPS einfällt: Klar, besser wäre, sie würden den Anbieter wechseln. Klar, es gibt viele andere Methoden, die zu viel mehr Sicherheit in der Online-Kommunikation führen. Das wissen auch alle, die den Brief unterschrieben haben.

Es ist keine Entweder-Oder-Frage. Ein Brief an Yahoo hindert niemanden daran, GPG-Mailverschlüsselung oder Tor zu propagieren. Wenn aber Yahoo das kleine bisschen zusätzliche Sicherheit für seine NutzerInnen anböte, könnte vielleicht das eine oder andere Leben gerettet werden.

Support gern auch über Twitter: #DearMarissa

„Ich bin kein Terrorist“ – Überwachung von AktivistInnen in den USA

Demokratische Rechtsstaaten haben gern mal ein Problem damit zu erkennen, wer ihnen gefährlich ist. Das ist nicht nur bei uns so. Der ACLU Massachussetts, eine US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation, hat die Polizei von Boston verklagt, Dokumente über die Überwachung der Friedensbewegung zugänglich zu machen. Und hat die Auswertung der Dokumente jetzt veröffentlicht. (Der vollständige Bericht als pdf)

Nach dem 11. September wurden Anti-Terror-Aktivitäten verstärkt. Gerichtet haben sie sich in Boston gegen Antikriegs-Initiativen etwa von Veteranen und gegen die Occupy-Bewegung. Gruppen wurden überwacht, Demonstrationen gefilmt, AktivistInnen verhört. Einige der Überwachten berichten von ihren Erlebnissen und schildern auch, wie sich die Überwachung auf ihre politischen Aktivitäten auswirkt:

Bei uns ist die Terror-Gefahr ja irgendwie kein Problem mehr. Konjunktur hat Extremismus und auch das geht gerade im Versagen der Behörden bei der Verfolgung von Nazis unter. Trotzdem wird der Feind links gesucht, wie jüngste Beispiele eindrucksvoll demonstrieren.

Das ausgesprochen lesenswerte Blog „Green is the new Red“ hat Anfang Oktober eine Studie des Congressional Research Service (vergleichbar mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages) ausgegraben, der sich ebenfalls mit dem sog. ‚Inlandsterrorismus‘ befasst: “The Domestic Terrorist Threat: Background and Issues for Congress

Im Bericht werden u.a. die Anwendung von Gewalt durch rechte (Nazis, AbtreibungsgegnerInnen) und linke (Tierrechts- und Umwelt-)Gruppen verglichen. Rechte Gewalt nimmt auch in den USA zu, linke Gewalt wird als Terrorismus bezeichnet, auch wenn dabei keine Personen zu Schaden kommen.

Daher empfiehlt die Studie den US-Abgeordneten auch, sich damit zu befassen, auf welcher Grundlage etwas als Terrorismus definiert werden sollte:

  • Wie kommt es dazu, dass eine bestimmte Richtung von Opposition vom Justizministerium und FBI als Terrorismus-Bedrohung im Innern beschrieben werden?
    • Welche Kriterien werden dabei angewandt?
    • Welche Anzahl von Straftaten oder Anschlägen führen dazu, dass einer bestimmten Ideologie eine neue extremistische Bedrohung zugeschrieben wird? Spielt dabei eine Rolle, wie schwer die Verbrechen waren, die einer Ideologie zugeschrieben werden?
  • Ab wann gilt die Bedrohung durch einen ideologisch motivierten Inlandsterrorismus als beendet?
    • Sollte es die Möglichkeit für die Öffentlichkeit geben, die Regierung aufzufordern, bestimmten Bedrohungen als Ermittlungsprioritäten auszuschließen?

(Jerome P. Bjelopera: The Domestic Terrorist Threat: Background and Issues for Congress, Seite 10)

Fragen, die sich deutsche Parlamente gern auch mal stellen könnten. Nachdem der Verfassungsschutz abgeschafft wurde.

One year later: German police unable to develop ’state trojan‘

One year after the Chaos Computer Club found and analysed an illegal trojan virus used by German police, the so-called „state trojan“, and one year after the German Federal Minister of Justice, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger had promised „total transparency and clarification(DE) German police still don’t have an alternative to relying on software by private companies for the infiltration of computers.

Recent answers of the interior ministry to questions by Jan Korte (DE), MP Left party, clearly state that the ministry one year later is still lacking the capacity to do as promised: to develop a software for lawful interception that complies with a decision by Germany’s Federal Constitutional Court.

(Questions and answers in German, pdf)

The original „state trojan“ by Digitask did far more than what is allowed by German law:

The Chaos Computer Club (CCC) has recently received a newer version of the „Staatstrojaner“, a government spyware. The comparison with the older version, already analyzed by the CCC with the actual Sniffer-code from December 2010, revealed new evidence. Despite the claims of the responsible parties, the Trojan can still be remote-controlled, loaded with any code and also the allegedly „revision-proof logging“ can be manipulated. (CCC, 26 Oct 2011)

Also see Several German states admit to use of controversial spy software (Deutsche Welle).

The German minister of the Interior, Hans-Peter Friedrich, then promised that the software was going to be produced in-house (DE).

The new replies by the ministry prove him wrong:

The software by DigiTask GmbH that was used in the past for computer surveillance (lawful interception) is not currently being used by federal public authorities anymore.

The software that will be used for computer surveillance will be developed by a competence centre established within the Federal Criminal Police Office. It will be safeguarded that the source code will be audited regarding its range of functions by qualified experts. It will also be accessible for the relevant authorities for data protection (among others the Federal Commissioner for Data Protection).

For the time until the afore mentioned in-house development is completed the Federal Criminal Police Office is preparing a commercial interim solution. The source code of that software has to undergo extensive audits with respect to the demands by the Federal Constitutional Court. (my translation, A.R.)

In a reply to the second question by MP Korte the ministry states that it doesn’t know whether software by DigiTask or other commercial developers designed for lawful interception is being used by state police forces in Germany. Further details are classified and only accessible to MP Korte.

The spokesman on domestic policy of Angela Merkels conservative party in parliament, Hans-Peter Uhl, commented (DE):

The development of a software by the Federal Criminal Office is presumably going to take months if not years. We may even have to ruefully admit that we lack the capability completely.

 

 

Coverage in German media:

 

German police monitors Skype, GoogleMail and Facebook chat

The German government a while ago answered questions about expenditures by the federal ministry of home affairs for private service providers – hardly noticed by the English speaking world. The parlamentary enquiry („Minor interpellation“) no. 17/10077 by Jan Korte, MP of The Left party, has now been translated into English.

Download the document in English (pdf) or German (pdf).

The answers were far more detailed than one would expect.

There’s 43 pages (this includes questions), 20 of which are tables that list who was contracted, how much money was paid, what for and how each paid item was used. Even though 12 out of 30 answers were defined as classified information – e.g. questions regarding Germany’s domestic and foreign intelligence services or the Federal Office for Information Security (BSI) –  there’s still some interesting news to be found.

The German ministry for home affairs and thus the German police clearly state that they are monitoring Skype, Google Mail, MSN Hotmail, Yahoo Mail and Facebook chat if deemed necessary. Money is spent on trojan viruses and we can be quite certain which company produces the IMSI catchers used by German police. We know how much money was spent by the Federal Police on border control biometrics, on passenger information systems and telecommunications surveillance. Digitask, a company whose reputation was clearly damaged after its trojan virus was found and analysed by the Chaos Computer Club in 2011, seems to still be a regular contractor of German authorities. Altogether more than a billion Euro was spent on private services by German police and other public authorities in the realm of the ministry of home affairs in the years 2002 – 2012.

The translation into English, commissioned by MP Korte, leaves out the 20 pages that contain tables with data who was paid how much for what exactly. If your preferred translation website can’t be of help, let me know and I’ll do my best. I noticed one mistake in the translation of question no. 10: „Federal Agency for the Protection of the Environment (BfV)“ should instead be the domestic secret service „Bundesamt für Verfassungsschutz BfV“.

 

 

Picture: Toban Black, Flickr, CC licence