Über Twitter bin ich heute auf eine relativ neue Broschüre gestoßen, die sich gegen Linksextremismus richtet. Gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern
Es scheint sich ja gerade die Erkenntnis durchzusetzen, dass von rechts deutlich größere Gefahr für die Gesellschaft droht als von links, und beides vielleicht doch nicht das Gleiche ist.
Die Broschüre ist vorher entstanden und weil Eckhard Jesse die wissenschaftliche Beratung übernommen hat, ist keine Besserung zu erhoffen.
(Beachte die Videokamera auf dem Titelbild, auch die Bewegung gegen Überwachung ist latent linksextrem?)
Ziel der Broschüre ist, Lehrerinnen und Lehrer mit Material zu versorgen. Ich will hier nicht behaupten, sie enthielte demagogische Ansätze, aber einiges war schon .. überraschend. Ein paar Highlights:
Alle Varianten des Extremismus negieren demzufolge die Pluralität der Interessen, das damit verbundene Mehrparteiensystem und das Recht auf Opposition.
Angesichts der genuin oppositionellen Haltung der gemeinhin als linksextremistisch eingestuften Gruppen sehe ich hier einen Widerspruch.
Linksextremistische Parteien wiederum streben zwar ein kommunistisches Endziel an,…
„Endziel“ ..?!?
Zitate, die in die Nähe zu Linksextremismus gerückt werden:
„Durch radikale Umverteilung müssen soziale Unterschiede beseitigt werden.“
„Nur ein Zusammenschluss aller Unterdrückten dieser Welt führt zu einer besseren Gesellschaft.“
Für das Beispiel Rechtsextremismus gibt es an dieser Stelle z.B.
„Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet.“
„Den Juden geht es heute vor allem darum, ihre finanziellen Vorteile aus der deutschen Vergangenheit zu ziehen.“
Die Gewalt:
Chaostage
Seit den 1980er-Jahren kommt es in Deutschland zu sogenannten Chaostagen in verschiedenen Städten, bei denen Punks, Autonome und andere linksextreme Gruppen mit Hooligans und Skinheads Verwüstungen in einigen Stadtteilen anrichten.
Gibt es die tatsächlich noch? Ich habe davon seit gefühlt Mitte der 90er nichts mehr gehört?
Hausbesetzer
Die Szene der Hausbesetzer ist vielfältig. Darunter sind Punks, Idealisten, Linksextreme und Obdachlose. Die Gründe für die Hausbesetzung sind oft identisch: Sie besetzen Wohnraum bzw. ganze Wohnhäuser aus vermeintlich sozialen Gründen. Hausbesetzer grenzen sich bewusst von gesellschaftlichen Normen ab (Schutz des Privateigentums), versuchen alternative Formen des Zusammenlebens zu entwickeln und üben im Zusammenhang mit Räumungen zum Teil auch Gewalt gegenüber der Polizei aus.
Wie gesagt, Überschrift hier ist ‚Linksextremistische Gewalt‘. Das Thema Hausbesetzungen (plus Gentrifizierung) taucht später auf einem eigenen Arbeitsblatt für die Schülerinnen und Schüler wieder auf.
Die Aktionsformen reichen von offener Agitation bis hin zu verdeckt begangenen, teilweise auch schweren Gewalttaten, wobei einzelne autonome Zusammenhänge auch die Verletzung von Personen in Kauf nehmen.“
Mein Vorschlag für eine Fragestellung an Schülerinnen und Schüler hier wäre: „Vergleiche mit dem rechtsextremistischen Spektrum.“
Ich rede hier nicht Verletzung von Personen schön; das lässt sich mit meinem Verständnis von Links-sein nicht vereinbaren. Die Betonung liegt bei „einzelne“ und „in Kauf nehmen“.
Danach folgt, was mich kalt erwischt hat: ein Absatz zur ‚militanten gruppe‘:
Nachdem 2007 einige Mitglieder der mg auf frischer Tat ertappt wurden, gab die Gruppe im Juli 2009 ihre Auflösung bekannt – einige Mitglieder sind jedoch weiterhin aktiv.
Aktiv? In welcher Form denn? Heißt das, dass es immer noch Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in der mg gibt?
Ein Schmankerl ist auch enthalten:
Antideutsche treten zum Teil intellektuell auf …
(Die sind auch linksextrem.)
Linksextremistische Medien: u.a. das Neue Deutschland. Das ist ja sicher einiges, aber linksextrem? Belege fehlen leider.
Dazu sei angemerkt, dass linksextremistische Medien hauptsächlich parteiisch und parteilich berichten.
Das machen andere zum Glück ja überhaupt nicht.
Weil gerade vermehrt darauf hingewiesen wird, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist, dafür links aber genau guckt, fand ich diese Grafik zur Illustration linksextremistischer Gewalt interessant. Beachte das „vermeintliche Rechtsextremisten“. Wie solche Statistiken zustande kommen, lässt sich etwa aus dem heute bei sueddeutsche.de erschienen Artikel „Staat und Zivilcourage. Neonazi-Gegner im Visier“ nachlesen. (Ich hoffe, dass die Süddeutsche des Linksextremismus‘ einigermaßen unverdächtig ist.)
Ganz kurz sah es während der heutigen Bundestagsdebatte so aus, als ob Kristina Schröder die Unterstützung verliert: Streit über Extremismusklausel im Bundestag. Union stellt Schröders “Gesinnungs-TÜV” zur Debatte (ebenfalls Süddeutsche). Anscheinend haben sich die Reihen aber inzwischen wieder geschlossen.
Die gesamte Broschüre lässt sich downloaden (pdf).
Können sich Eltern eigentlich dagegen wehren, dass ihre Kinder auf diese Weise indoktriniert werden?