„Routinemäßig schrieben sie anschließend eine Anzeige gegen das niedergeschlagene Opfer“

Gestern begann in Berlin der Prozess gegen zwei Berliner Polizisten, die einen Teilnehmer der „Freiheit-statt-Angst“-Demo 2009 verprügelt und dann angezeigt hatten. Weil es Video-Aufnahmen gab, die vom CCC direkt danach online gestellt wurden, gab es für den Fall erheblich mehr Aufmerksamkeit als sonst bei vergleichbaren Gewalttätigkeiten der Polizei üblich.

Update: Die nächsten Gerichtstermins sind 23.01., 06.,27.02., 05.03.12 (Danke @josh_k_phisher)

Darum geht’s:

Die Verteidiger der beiden Beamten einer Berliner Einsatzhundertschaft scheinen der Meinung zu sein, dass Leute, die schon bei anderen Demonstrationen waren, sich nicht zu wundern brauchen, wenn sie verprügelt werden..?

Die Verteidiger deuteten an, dass Oliver H. keineswegs ein unerfahrener Demonstrant sei. Er habe auch schon bei Kundgebungen vor dem Flughafen Tempelhof und vor dem Roten Rathaus Beamte provoziert und sich ihren Anordnungen widersetzt.

 

Er habe ihn am Fahrrad festhalten wollen und schließlich am T-Shirt gepackt, gab der 26-jährige Polizeiobermeister Dirk K. zu Protokoll. Andere Demonstranten hätten sich eingemischt und Oliver H. befreien wollen. Er habe dann keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als den Mann durch einen „Nasenpressdruckgriff ruhig zu stellen“, heißt es bei Dirk K. Und als er sich noch immer wehrte, habe er ihm „einen Faustschlag gegen die Stirn“ versetzt, worauf er „zusammensackte“. (Morgenpost)

Die andere Perspektive:

Aus Sicht des Opfers spielte sich das Geschehen so ab: Oliver hatte beobachtet, wie eine Demonstrantin in ein Polizeiauto gezerrt wurde – unberechtigt, wie sich später herausstellte. Oliver erkundigte sich nach den Namen der Beamten, das wurde ihm verweigert. Als er sich dann die Nummern der Uniformierten notieren wollte, wurde er zurückgezerrt und mit kräftigen Hieben zu Boden geschlagen.

Seine Besinnung erlangte er erst im Polizeifahrzeug wieder. Später musste er im Krankenhaus operiert werden. Seine Lippe war abgerissen und wurde angenäht, das Gesicht war aufgequollen, das Gebiss schief. Auch zweieinhalb Jahre nach der Attacke leidet er noch immer unter den Folgen des Polizeiangriffs. Seinen Rucksack hat er später wieder zurückbekommen – es fehlten allerdings die Aufzeichnungen mit den Nummern der eingesetzten Polizisten. (Neues Deutschland)

Die beiden Beamten, die in einer Einsatzhundertschaft ja sicher öfter mal in vergleichbare Situationen geraten, könnten irgendwie nicht anders:

»Ich habe mir zur Durchsetzung der Festnahme nicht anders zu helfen gewusst«, hieß es in der Erklärung des jüngeren Polizisten. Routinemäßig schrieben sie anschließend, wie in solchen Fällen üblich, eine Anzeige gegen das niedergeschlagene Opfer – wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. (auch ND)

Die erste Runde des Prozesses fand im Sommer statt („Schwamm drüber„). Ob dies jetzt die Berufung war, lässt sich den Berichten nicht entnehmen – weiß das wer?

Nichts zu verbergen? – Ermittlungen in Sozialen Netzwerken

Nicht, dass das niemand geahnt hätte, aber es ist ja auch immer wieder schön, schwarz auf weiß nachzulesen, dass und vor allem wie in Sozialen Netzwerken ermittelt wird. Wenn wir davon ausgehen, dass es die Aufteilung in ‚echte‘ und ‚virtuelle‘ Welt (bald) keinen Sinn mehr macht, müssen wir uns auch wenig wundern.

Die USA machen es vor und wenn das BKA nicht schon Tagungen dazu veranstaltet hat, fresse ich den bekannten Besen.

Bei Futurezone und Heise gab es Freitag Artikel zur Klage der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation EPIC gegen Homeland Security (DHS), das amerikanische „Heimatschutz“-Ministerium. EPIC hatte DHS im April 2011 augefordert, Informationen über sein Program zur Überwachung Sozialer Netzerke zu veröffentlichen. Nach dem US-amerikanischen Freedom-of-Information-Act (FOIA) (Informationsfreiheitsgesetz) ist das DHS verpflichtet, die Informationen herauszugeben. Weil das nicht geschah, wird jetzt geklagt. Die Klage kann bei Cryptome eingesehen werden (pdf). Ebenfalls bei Cryptome eine Übersicht zur Aktualisierung der Aktivitäten des DHS DHS Updates Social Media Monitoring.

Wer wird regulär überprüft?

Neben Facebook, Twitter, MySpace, YouTube und Flickr finden sich unter anderem auch WikiLeaks und Cryptome auf der geheimen Liste des US-Heimatschutzministeriums, die Anfang Jänner 2012 unter anderem von Cryptome (PDF) veröffentlicht wurde. Die Liste, die vor über einem Jahr erstellt wurde, beinhaltet auch diverse Nachrichten-Websites wie Global Voice oder die Huffington Post, weitere Video-Dienste wie Hulu, sowie Blogs, Karten- und Fotodienste. (Futurezone)

Was fehlt sind Informationen darüber, wie in den Netzwerken ermittelt wird. Es gibt eine Liste von Schlagworten, darunter „Body Scanner“, „Cops“, „Exercise“, „Homeland Security“, „North Korea“, „Telecommunications“, „Border“, „Terror“, „Social Media“, „Rootkit“, „Keylogger“ und und und.

Die Menschen, die diese (insgesamt 365) Schlagwörter benutzen, werden genauer durchleuchtet und deren Informationen werden für bis zu fünf Jahre gespeichert. Sämtliche Informationen können zudem mit anderen Regierungseinrichtungen jederzeit geteilt werden. (Futurezone)

Klar (und wenig überraschend) ist, dass Beamte mit falschen Identitäten in den Netzwerken recherchieren.

Laut EPIC soll das NOC zur Überwachung von Facebook-Accounts auch falsche Nutzerprofile anlegen, mit denen es Personen eine Freundschaftsanfrage schickt und auf diesem Weg auch zu privaten Daten der Nutzer kommt. Auch andere US-Bürgerrechtsorganisationen warnten daher bereits davor, unbekannte Personen auf Facebook als Freunde zu akzeptieren.

Laut dem früheren FBI-Agenten Brad Garrett müsse das NOC solche Methoden gar nicht anwenden. „Menschen geben heutzutage viele ihrer Gedanken und Gefühle zu verschiedenen Themen von sich preis. Das ist immer wieder erstaunlich, wie viel man davon öffentlich zugänglich online findet. Es ist aber ein falsches Gefühl der Sicherheit, wenn jemand glaubt, dass er anonym ist, nur weil er vor einem Computerbildschirm sitzt“, so Garrett.

Und das ist ein Problem weil..

„Wenn die Regierung jedes Wort, das man von sich gibt, beobachtet, wird man ab einem gewissen Punkt aufhören, über gewisse Dinge zu sprechen“, so Amie Stepanovich von EPIC. (Futurezone)

Schon letzten Herbst schlug die Nachricht Wellen, dass der CIA in den Netzwerken recherchiert:

http://www.youtube.com/watch?v=ShQPF-KywXs

Die deutsche Polizei braucht immer ein bisschen länger, was wir ihr nicht vorwerfen wollen, aber .. Polizei erwägt bundesweite Facebook-Fahndung.

Um das Gruselkabinett abzurunden, hier die Aufnahme einer Radiosendung vom 10.1. mit Lori Andrews (Jura-Professorin und Autorin des gleichnamigen Buchs) , Marc Rotenberg (EPIC) und Jeff Jarvis (Jeff Jarvis) über das neverending Netz-Lieblingsthema „Ich habe nichts zu verbergen“:

„I Know Who You Are and I Saw What You Did: Social Networks and the Death of Privacy“
(Die Moderatorin spricht sehr langsam, das klingt am Anfang ungewöhnlich, ist aber kein Fehler der Aufnahme)

Freies Land für freie Nazis

Ok, nicht ganz, ein paar sitzen ja (noch). Trotzdem ist sich nach einem Skandal, der die Demokratie in einer Weise in Frage gestellt hat, wie selten seit Gründung der Republik, die Ruhe weitgehend wieder hergestellt.

Mely Kiyak hat das heute in ihrer Kolumne in der Berliner Zeitung beschrieben:

Deutscher Neonazi sein – das wär“s! Gibt es etwas Herrlicheres? Zwei Monate ist es her, dass das Serienkillerkommando NSU aufflog. Was folgte? Mit Neonazis zu sympathisieren, muss auch vortrefflich sein. Weil man relaxed zusehen kann, wie der Skandal konsequenzlos bleibt. Für jene, die mit Rechtsradikalen oder Nazis innerlich flirten oder einfach nur vom Moslemhass zerfressene Bildungsbürger sind, ist die Bundesrepublik seit ihrer Gründung eine einzige, Jahrzehnte andauernde Wellnesskur für rechten Geist und Gesinnung.

Köstlicher Zustand, dieses Nazi-Sein! Ein bisschen scheinheiliges Gedenkminüteln im Parlament, hin und wieder ein Kerzenmarsch, ansonsten, freies Land für freie Nazis.

„Schnauze Wessi!“ , eine andere Kolumne, die ständig Sympathiepunkte sammelt, gestern zum einem anderen Aspekt desselben Themas: Thüringer Schläfer, hessische Schlafmützen

Zum einen sind „sächsische“ oder „thüringische Verfassungsschützer“ in Rang und Verantwortung natürlich keine Sachsen oder Thüringer. Vor 21 Jahren übernahmen hier Experten aus Hessen oder Bayern die Aufgaben der Staatssicherheit, selbstverständlich ohne die alten Fachkräfte vor Ort. Anderes als im Westen, wo man nach dem Krieg beim Aufbau einer Art Gestapo mit demokratischer Gewerbeaufsicht auf das personelle Know-how der Vorgänger-Institutionen nicht verzichten wollte, brauchte man deshalb 1990 reichlich Personal an der unsichtbaren Ostfront. So konnte jeder x-beliebige westdeutsche Panzeroffizier Präsident eines Landesamtes werden und muss sich dafür heute als „krasse Fehlbesetzung“schmähen lassen. Allerdings stets als „Thüringer Ex-Präsident“, nie als Ex- oder Export-Westdeutscher.

Metronaut hat schon Anfang der Woche ein entscheidendes Problem benannt: Thüringen, Sachsen, Staatstrojaner: Die wirklich wichtigen Rücktritte bleiben aus

Dieser Wulff-Skandal ist doch eher aus der Kategorie “Geschmäckle”, wenn wir uns die folgenden drei Skandale anschauen, die allesamt folgenlos geblieben sind:

Wo ist eigentlich der Rücktritt von Hans-Peter Friedrich? In Behörden, die seinem Ministerium unterstellt sind, wurde entgegen der Verfassung und mit krimineller Energie der Staatstrojaner eingesetzt. ….

Wo bleibt eigentlich der Rücktritt von Jörg Geibert, dem Innenminister Thüringens? Wo ist eigentlich der Rücktritt von Thomas Sippel, dem Chef des Thüringer Verfassungsschutzes? Immerhin wurden hier Nazis vom Thüringer Heimatschutz jahrelang über die V-Mann-Methode finanziert. …

Wo bleibt eigentlich der Rücktritt von Markus Ulbig, dem Innenminister von Sachsen? In Sachsen werden seit 2009 Funkzellenauswertungen vorgenommen und die Handydaten hunderttausender Menschen widerrechtlich durchforstet und gespeichert. Anstatt die Zivilgesellschaft zu stärken, werden Nazis hofiert und linke Strukturen ausgehorcht, ausgespäht und und mit juristischen Verfahren überzogen.

Die gegenwärtige Bundesregierung wird wohl als Sitzfleisch-Koalition in die Geschichte eingehen.

Alle drei Texte empfehle ich wärmstens ganz zu lesen, mit Humor erträgt es sich ein bisschen besser.

Zum Schluss noch ein Schmankerl aus Sachsen, wo bei der Regierung immerhin angekommen ist, dass eine kleine Charme-Offensive not tut. Doch, wir beschäftigen uns mit dem Rechtsextremismus! Allerdings..

Antifaschismus ist nicht die richtige Antwort, sondern Demokratie. (Markus Ulbig, Innenminister von Sachsen)

 

http://www.youtube.com/watch?v=AXij74X0dA8

Aufruf zu neuen Straftaten in Dresden

Und wieder rufen die SympathisantInnen der illegalen Straftaten zu weiteren Gesetzesbrüchen in Dresden auf. Als ob die Stadt nicht schon genug gelitten hätte.

Seit 2010 wird mit dem bundesweiten Bündnis „DRESDEN NAZIFREI“ dem Aufmarsch der Neonazis in Dresden ein effektiver und eindeutiger Widerstand entgegengesetzt.
Faktisch von Beginn an ist das Bündnis von Antifaschist_innen verschiedener gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Ansichten der Diffamierung, Isolierung und Kriminalisierung sächsischer Justiz und Politik ausgesetzt.

Mit Hilfe des Paragraphen 129 „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ wird mittlerweile gegen ca. 35 Personen strafrechtlich ermittelt.

Die Folgen für die Betroffenen sind nicht abzusehen.

Abzusehen ist jedoch, dass dieser Versuch der schweren Kriminalisierung bürgerschaftlichen Engagements einzig dem Ziel dient, den Widerstand gegen den Naziaufmarsch in Dresden zu spalten, zu schwächen und zu brechen.

Diesem Versuch treten wir mit unserem Videoclip entgegen.

JG-Stadtmitte / Aktionsnetzwerk Jena

Acht Frauen verklagen britische Spitzel

Acht Frauen, die in der Vergangenheit Beziehungen mit Männern hatten, die sich später als Polizei-Spitzel entpuppten, haben Mitte Dezember gegen die Metropolitan Police geklagt.

Es geht um fünf Beamte, Zeitraum: Mitte der 80er bis 2010. Die längste „Beziehung“ dauerte neun Jahre. Die Klage bezieht sich u.a. auf Art. 3 und 8 der Eur. Menschenrechtskonvention („Niemand darf … unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“, „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“).

Über Jahrzehnte waren offenbar die Beziehungen Teil der Polizei-Strategie, um Kenntnisse über die Umwelt- und andere politische und soziale Bewegungen zu erlangen. Laut Guardian hat erst das gemeinsame Aufarbeiten des Erlebten ermöglicht, die Muster im Vorgehen der Beamten aufzudecken.

Wer hatte sich vor der Stasi geekelt, die auch vor Schnüffelei in Ehen nicht zurückschreckte? Hier ist sie wieder, im Ursprungsland der westlichen Demokratie.

Wir sind der Meinung, dass unser Fall den institutionalisierten Sexismus in der Polizei verdeutlicht. Es ist unglaublich, dass für eine Hausdurchsuchung ein richterlicher Beschluss nötig ist, aber wenn sie einen Beamten schicken wollen, der in den Wohnungen von Aktivistinnen lebt und mit ihnen schläft, dann ist das ohne weitere Prüfung möglich.

 

Wir klagen, weil wir wollen, dass die sexuelle und emotionale Gewalt gegen AktivistInnen und andere durch verdeckte Ermittler aufhört.

Die Daily Mail kandiert das Thema mit Zitaten des auch in Deutschland aktiven Mark Kennedy. Sex habe er nicht gehabt, um an Informationen zu kommen, sondern weil sonst sein Cover aufgeflogen wäre:

Die Öko-Aktivismus-Szene ist ausgesprochen promisk. Ich musste Beziehungen haben um meinen Auftrag erfüllen zu können.

Und so weiter. Der arme Mann konnte einfach nicht anders.

Angesichts der wenig zimperlichen britischen Presse wird die Klage sicher kein Spaziergang. Respekt.

RAV: „Sächsische Sicherheitsbehörden offenbar zu allem bereit“

Alles verboten außer die Nazis – das ist ein Teil des Fazits des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV e.V.) zum Umgang mit den den Blockaden des (versuchten) Nazi-Aufmarschs 2011 in Dresden.

Gestern veröffentlichte der RAV seine „Einschätzungen zu den staatlichen Reaktionen auf die antifaschistischen Aktivitäten zum 13. und 19. Februar 2011 gegen den (ehemals) größten Neonaziaufmarsch Europas“. Sie fallen erwartungsgemäß deprimierend aus und enthalten viel Klartext.

Die Appetit-Häppchen:

Es ist

..am 19. Februar 2011 erneut gelungen, den größten Neonaziaufmarsch in Europa zu verhindern. Was in der öffentlichen Debatte als großer Erfolg der Zivilgesellschaft gegen die extreme Rechte wahrgenommen wurde, ist den sächsischen Sicherheitsbehörden ein Dorn im Auge.

 

Für den 13. und 19. Februar 2011 hatte die Dresdener Stadtverwaltung in Absprache mit der Polizeidirektion Dresden ein vollständiges Versammlungsverbot für zivilgesellschaftliche und antifaschistische Kräfte auf der Altstädter Seite der Elbe erlassen, auf die der Neonaziaufmarsch von der Versammlungsbehörde verlegt worden war.

 

Wohl einmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte dürften auch die Fälle von Bodo Ramelow und Dr. André Hahn sein. Den Vorsitzenden der Fraktionen der LINKEN im sächsischen und thüringischen Landtag wurde mit den Stimmen von FDP und CDU, in Sachsen sogar gemeinsam mit der NPD, die parlamentarische Immunität genommen, weil sie am 14. Februar 2010 an Versammlungen gegen Neonazis teilgenommen hatten.

 

Von über 54.000 Mobilfunknutzern wurden die persönlichen Stammdaten erhoben.

 

Sie wollten die antifaschistischen Aktivitäten nachdrücklich bekämpfen und entsprechend kontinuierlich gegen alle Personen und Strukturen vorgehen, die tatsächlich oder scheinbar den Protest tragen. Zu diesem Zweck konstruierten die Dresdner Strafverfolgungsbehörden eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB. …

Einzelne in Gruppen verübte Straftaten zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten wurden kurzerhand als Straftaten einer nicht näher definierten kriminellen Vereinigung deklariert. Keine Rolle spielte es, dass kaum einer der TäterInnen an den jeweiligen Tatorten identifiziert werden konnte. Zu Mitgliedern der Vereinigung wurden diejenigen erkoren, von denen die Staatsanwaltschaft Dresden ausging, dass sie der sächsischen Antifa-Szene angehören. Die Annahme, dass es sich dabei um eine Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handele, wurde mit der augenscheinlichen körperlichen Fitness der vermeintlichen TäterInnen begründet.

 

Die zuständigen Sicherheitsbehörden, allen voran Polizei und Staatsanwaltschaft in Dresden, versuchen mit allen Mitteln, gegen die antifaschistischen Proteste vorzugehen. Die martialische Razzia im Haus der Begegnung am 19. Februar 2011, der Einsatz von Pepperballgeschossen gegen AntifaschistInnen, die Überwachung aus der Luft mit Drohnen, der Einsatz von Wasserwerfern bei Minusgraden gegen nicht gewalttätige Menschenmengen und die bundesweit durchgeführten Durchsuchungen bei AktivistInnen sind weitere Beispiele hierfür.

 

In dieser politischen Auseinandersetzung sind die sächsischen Sicherheitsbehörden offenbar zu allem bereit. Die oben angeführten Beispiele stellen nicht bloß einzelne Überschreitungen rechtsstaatlicher Grenzen dar. Sie bedeuten vielmehr eine systematische Missachtung und Umdeutung bislang geltender rechtsstaatlicher Grundsätze.

 

Dabei werden die Sicherheitsbehörden sowohl von der Allianz aus CDU, FDP und NPD unterstützt, …

 

Wohlgemerkt, es geht hier um die Verhinderung eines Neonaziaufmarschs in einem Bundesland, in dem NaziterroristInnen und rassistische Mörder jahrelang unbehelligt von den Behörden Kapitalverbrechen planen und begehen konnten; einem Aufmarsch, der das zentrale Treffen der deutschen und europäischen Neonaziszene darstellt.

Die vollständige Erklärung des Vorstands des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), Berlin, Januar 2012

Augen auf – Demokratie stärken! Neues von der Zeitbild-Stiftung

Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich geglaubt habe, dass es sich nicht um Satire handelt. Es ist keine Satire.

Es sind Preise verliehen worden, Preise für herausragendes Engagement gegen den Linksextremismus. Von derselben Zeitbild-Stiftung, die gerade mit der Broschüre gegen Linksextremismus in diverse Kleine Anfragen im Bundestag geraten ist.

„Erstmals werden im Rahmen eines bundesweiten Wettbewerbs gezielt Projekte und Ideen gefördert, die den Linksextremismus bei der Extremismusprävention besonders berücksichtigen.

20 MAL 500 EURO FÜR PROJEKTE AN SCHULEN“

(Zeitbild-Stiftung: Augen auf – gegen Extremismus)

Ausgegraben hat das (links)extremismus. informationen zu wahnsinn und wirkmächtigkeit der extremismusformel

Die 20, von der Zeitbild-Stiftung ausgereichten und vom Bundesfamilienministerium geförderten, Preise für „Schulen und Jugendeinrichtungen“  gingen u.a. an eine Verfassungsschutzbehörde, eine Polizeibildungseinrichtung, mehrere Projekte, die gefördert wurden vom Förderer der Ausschreibung – vom Bundefamilienministerium, drei wurden an Projekte in  Dresden, zwei nach Göttingen verliehen.

Drei Preise in Dresden. Körperliche Übelkeit.

The unvergleichliche Gurkenkaiser hat mehr Humor, und hat mal geschaut, wer Preise bekommen hat:

…und zwar handelt es sich um *Trommelwirbel* den Ausbildungsgang (wait for it!) Lagerlogistik des Alfred-Müller-Armack-Berufskolleg zu Köln.

Zusammenfassung: Lager. Gegen Linke. In Deutschland. Auszeichnung. Steuergeldgefördert.

Geile Scheiße!

Sehr schön, dass der Verfassungsschutz den Weg zum Schutz der Demokratie wieder findet. Das fand auch die Jury bemerkenswert und zeichnete ein Planspiel des Verfassungsschutzes Niedersachsen aus.

Mehr zu den Preisen bei (links)extremismus, es sind noch ein paar hübsche Exemplare dabei. Leider lässt sich die Website des Wettbewerbs seit gestern nicht mehr aufrufen. Vermutlich weiß das fördernde Familienministerium mehr.

Sachsens Demokratie beim 28c3

Wer meinen Vortrag mochte – oder besser: wichtig fand -, sollte auch diesen von der Initiative Sachsens Demokratie sehen. Zwangsläufig wiederholt sich einiges. Das ist nicht zu vermeiden, wenn es zwei Talks zum selben Thema gibt. Hier gibt es aber eine ganze Menge Details, die bei mir fehlen, insbesondere zu den juristischen Folgen des 19. Februar:

Der Osten ist halt braun. …?

Im Magazin der Berliner Zeitung vom Wochenende gibt es einen großartigen Artikel von Sabine Rennefanz: Uwe Mundlos und ich. Eine Betrachtung über die Generation der Nachwendekinder und die neue Mauer in der Gesellschaft.

Lest ihn ganz, es lohnt sich. Ein paar Appetithäppchen:

„Tja“, sagte ein Kollege, der beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet, „der Osten ist halt braun.“ Eine Kollegin von einer überregionalen Zeitung stimmte ihm zu. Sie hatte auch gleich eine Erklärung. Das liege an den Familien in der DDR, an dem staatsverordneten Antifaschismus, der mangelnden Kommunikation. „Die Menschen in der DDR haben sich doch nie mit der Nazizeit auseinandergesetzt, da wurde doch in den Familien nicht drüber geredet.“

Es fiel mir schwer, ruhig zuzuhören, mir war auf einmal heiß, mein Gesicht brannte. Ich kannte die Kollegen nicht so gut. Doch ich wusste, dass sie im Westen groß geworden sind. Ich fragte mich, woher sie wissen wollen, was in Familien in der DDR beredet wurde.

 

…lese ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel unter der Überschrift „Das Gift der Diktatur“. Darin wird behauptet, die Terrorserie sei ein Rachefeldzug der postsozialistisch erzogenen Jugendlichen gegen die pluralistische Gesellschaft im Westen.

Schon nach den ersten Sätzen fällt es mir schwer, weiterzulesen. Schuld seien die Eltern, so die These, weil sie den Kindern kein Mitgefühl und keine Emotionen vermittelt haben.

Das ist echt mal ein interessantes Stereotyp. Ich erinnere mich deutlich daran, dass zumindest in den ersten Jahren nach der Wende (eher: Übernahme) durchaus  beidseitig der Grenze als akzeptiert galt, dass Ossis emotionaler, ‚wärmer‘, mehr auf Zwischenmenschliches fokussierter wären als Wessis. Siehe das benachbarte Bild mit dem besseren Sex. Wann ist das gekippt?

… „Verwahrlosung, höhere Gewaltbereitschaft und fremdenfeindliche Einstellungen waren schon im Kern vor 1989 in der DDR stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik“, schreibt er in einem Beitrag für den Tagesspiegel. Er führt das Neonazi-Potenzial auf die Vollerwerbstätigkeit der Mütter und die Einbindung in „staatliche Institutionen“ zurück.

Die arbeitenden Mütter sind schuld an den Nazis? Heim, Herd, Kristina Schröder? Aber Moment, wird dann deren Kind auch ein Nazi?

Christa Wolf ist auch immer die Ostdeutsche geblieben. In einem Nachruf im Spiegel wird sie als „DDR-Repräsentantin“ beschrieben, um literarische oder gesellschaftliche Relevanz für das vereinte Deutschland geht es nicht, …

Das Beispiel Christa Wolf illustriert wirklich gut, wo die Mauer in den Köpfen zu finden ist. Wieviele große westdeutsche Schriftsteller werden als ‚westdeutsche Schriftsteller‘ beschrieben?

Sobald ein Problem in Ostdeutschland auftritt, wird es zu einem „ostdeutschen“ Thema. Man stelle sich das umgekehrt vor: Die großen Kindesmissbrauchsskandale wurden in Hessen und in West-Berlin aufgedeckt Trotzdem gilt die Pädophilie nicht als westdeutsche Spezialität.

Eben. Und dann geht es um die Nazis:

Uwe Mundlos war 16, als die Mauer fiel. Er war 18, als er seine Lehrstelle zum Datenverarbeitungskaufmann beim Optikunternehmen Carl Zeiss verlor. Das erzählt sein Vater im Spiegel. Danach hat Uwe Mundlos 21 Jahre im vereinigten Deutschland gelebt.

Da gibt’s nicht viel zu rechnen: wo hat er länger gelebt? Was hat ihn stärker beeinflusst?

Wer sich als Jugendlicher in der Nachwendezeit abgrenzen wollte, hatte es nicht so leicht, eine Protestkultur zu finden. Links wie die Westkinder konnte man nicht werden. Die sozialistischen Floskeln, das große Pathos hatten mich schon in der DDR gestört.

An dieser Stelle hätte ich gern, dass die westlinken Sozialismus-FreundInnen sich mal gründlich an die Nase fassen und wenigstens zwei, drei Minuten nachdenken (die ostdeutschen auch).

Und die tolerante westdeutsche Gesellschaft?

Keiner meiner westdeutschen Kollegen hatte in den späten Neunzigerjahren türkische oder arabische Freunde. Auf Partys blieb man unter sich. Fatih Akin durfte seine Filme drehen, sonst sollten Türken bitteschön unsichtbar sein. Das Multikulti-Gerede war schon immer verlogen. In Deutschland, lernte ich, misstraut jeder dem anderen, der nicht so ist wie er selbst.

Sehr bequem, 20 Jahre Nachwendezeit und den west-/gesamtdeutschen Einfluss in dieser Zeit auszublenden. Dabei erinnere ich mich deutlich an den weitreichenden Konsens, dass die westdeutsche Gesellschaft vor der Wende wesentlich weniger konservativ war. Der ideologische Sieg des Kapitalismus‘ war hinterher auch im Westen deutlich spürbar.

Die jungen Ostdeutschen wuchsen in den Neunzigerjahren nicht im luftleeren Raum auf. Es gab eine fremdenfeindliche Stimmung mit der Debatte über das neue Asylgesetz. 1993 wurde das Asylrecht faktisch abgeschafft. Die Gerichte, die Polizei, der Verfassungsschutz, das waren keine DDR-Behörden mehr, sondern gesamtdeutsche Behörden, besetzt mit Personal aus Westdeutschland. Sie haben weggeguckt, als immer mehr Jugendliche in Springerstiefeln herumliefen.

Lest den ganzen Artikel, es steht noch viel mehr drin und gut geschrieben ist er außerdem. Danke an und Applaus für Sabine Rennefanz.