Verdeckte Ermittler zeugten Kinder mit Aktivistinnen

Einen schönen Fall aus der Kategorie „Das gibt’s höchstens in Diktaturen / im Ostblock, aber doch nicht bei uns“ hat der Guardian ausgegraben.

Die hier schon mehrfach vorgestellten verdeckten Ermittler, die in Großbritannien auf AktivistInnen angesetzt waren, haben in mindestens zwei Fällen mit bespitzelten Frauen Kinder gezeugt und sind dann aus der Mission abgezogen worden. Und haben das offenbar auch mitgemacht; ihre Vorgesetzten auch: Undercover police had children with activists.

In einem Fall verfolgte der biologische Vater das Leben von Mutter und Kind über vertrauliche Polizei-berichte. Das ist schon ziemlich ekelhaft. Die Kinder (und Mütter) wussten nur, dass ihre Väter plötzlich verschwunden sind. Vor einem Monat haben acht Frauen Klage eingereicht, die teilweise jahrelange Beziehungen mit verdeckten Ermittlern hatten, ohne es zu wissen.

Acht Frauen verklagen britische Spitzel

Acht Frauen, die in der Vergangenheit Beziehungen mit Männern hatten, die sich später als Polizei-Spitzel entpuppten, haben Mitte Dezember gegen die Metropolitan Police geklagt.

Es geht um fünf Beamte, Zeitraum: Mitte der 80er bis 2010. Die längste „Beziehung“ dauerte neun Jahre. Die Klage bezieht sich u.a. auf Art. 3 und 8 der Eur. Menschenrechtskonvention („Niemand darf … unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“, „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“).

Über Jahrzehnte waren offenbar die Beziehungen Teil der Polizei-Strategie, um Kenntnisse über die Umwelt- und andere politische und soziale Bewegungen zu erlangen. Laut Guardian hat erst das gemeinsame Aufarbeiten des Erlebten ermöglicht, die Muster im Vorgehen der Beamten aufzudecken.

Wer hatte sich vor der Stasi geekelt, die auch vor Schnüffelei in Ehen nicht zurückschreckte? Hier ist sie wieder, im Ursprungsland der westlichen Demokratie.

Wir sind der Meinung, dass unser Fall den institutionalisierten Sexismus in der Polizei verdeutlicht. Es ist unglaublich, dass für eine Hausdurchsuchung ein richterlicher Beschluss nötig ist, aber wenn sie einen Beamten schicken wollen, der in den Wohnungen von Aktivistinnen lebt und mit ihnen schläft, dann ist das ohne weitere Prüfung möglich.

 

Wir klagen, weil wir wollen, dass die sexuelle und emotionale Gewalt gegen AktivistInnen und andere durch verdeckte Ermittler aufhört.

Die Daily Mail kandiert das Thema mit Zitaten des auch in Deutschland aktiven Mark Kennedy. Sex habe er nicht gehabt, um an Informationen zu kommen, sondern weil sonst sein Cover aufgeflogen wäre:

Die Öko-Aktivismus-Szene ist ausgesprochen promisk. Ich musste Beziehungen haben um meinen Auftrag erfüllen zu können.

Und so weiter. Der arme Mann konnte einfach nicht anders.

Angesichts der wenig zimperlichen britischen Presse wird die Klage sicher kein Spaziergang. Respekt.

Reading the Riots – Guardian und LSE erforschen britische Krawalle

Hierzulande etwas anderes über Krawalle zu sagen, als dass die Beteiligten Chaoten ohne Sinn und Verstand seien und alle Gewalt frei von politischem Inhalt, führt automatisch zur öffentlichen Kreuzigung.

Anders in Großbritannien. Der Guardian hat, zusammen mit der London School of Economics, 270 Leute befragt, die dabei waren. Das ganze medial sehr hübsch aufbereitet. Sagte ich schon, dass ich einiges an Lebenszeit dafür gäbe, wenn es hier irgendwas entstünde, das dem Guardian auch nur nahe kommt?

Reading the Riots. Investigating England’s summer of disorder

http://www.youtube.com/watch?v=foTFwsb2l2M

Dasselbe ausführlicher, 18 Min.

Herausgekommen ist ziemlich viel Material. Ja, es waren Leute beteiligt, bei denen das politische Motiv ziemlich gründlich gesucht werden müsste. Bei anderen ist es deutlicher. Ich finde allein schon die Fragestellung spektakulär. Einen Überblick gibt David Cameron, the Queen and the rioters‘ sense of injustice. Letzte Woche fand die Reading the Riots Konferenz statt.

Vollends hat mein medienaktivistisches Herz die graphische Darstellung der Gerüchte bewegt, die sich per Twitter entwickelt haben: Riot rumours: how misinformation spread on Twitter during a time of crisis

Die Entwicklung des Gerüchts, der Londoner Zoo sei angegriffen und die Tiere seien befreit worden

Außerdem gibt es eine sehr fesch gemachte Timeline der Riots, jede Menge Interviews mit Beteiligten, aber auch 40 Seiten Text. Es waren übrigens gar nicht so wenig Frauen dabei.

Das Ergebnis: Auslöser der Krawalle waren die Arroganz der Eliten, Armut und Polizeigewalt.