Twit or Tweet

Ich hatte Twitter bisher eher in die Schublade der Web 2.0-Spielzeuge einsortiert, die mit Vorsicht zu behandeln ist, weil Datenschutz nicht unbedingt vordringliche Fragestellung dabei ist (siehe hier). Nichtsdestotrotz gibt es seit neuestem die hübsche Theorie, dass neben TerroristInnen auch

Sozialisten, Menschenrechtsgruppen, Kommunisten, Vegetarier,
Anarchisten, religiöse Gemeinschaften, politische Enthusiasten,
‚Hacktivisten‘ und andere

Twitter dazu nutzen, "um sich auszutauschen und ihre Messages an ein breiteres Publikum zu bringen". Ausgedacht hat sich das das 304th Military Intelligence Battalion der US Army, als Teil des frisch erschienenen Papiers “al Qaida-Like Mobile Discussions & Potential Creative Uses”, in dem sich so aparte Dinge finden wie dieses Kapitel:  "Pro Terrorist Propaganda Cell Phone Interfaces”. Ab jetzt macht also auch twittern verdächtig.

Mehr dazu im Wired Danger Room, Counterterrorism Blog und Futurezone.

Besten Dank an den Medienticker (bei – Überraschung – Twitter).

Volkslieder, Datenschutz und Reisebeobachtungen

Gefühlt waren wir wochenlang unterwegs, tatsächlich nur acht Tage. Drei Veranstaltungen zur andauernden Ermittlung gegen Andrej, zwei zu Gentrifizierung, drei Nachtzugfahrten und ein umfangreiches Kinderprogramm. Freiburg, Wien und Graz, und zwei nette Stunden im Bahnhofscafé in Linz. Eins der Highlights fand Freitag abend in Graz statt, wo wir ein Teil des Programms von CPU 2008 waren. Direkt nach uns sprach die großartig kluge Seda Gürses über "A failed coup attempt with folk songs (Part II)".

Was haben Volkslieder mit Datenschutz zu tun? Ich gebe zu, ich habe nicht alles verstanden, aber grob ging es (u.a.) darum, dass es inzwischen praktisch unmöglich ist, umfassenden Datenschutz umzusetzen, es sei denn wir wollten den Preis des totalen Verschwindens in der Masse durch größtmögliche Konformität zahlen. Wollen wir natürlich nicht. Eine sich ergebende Frage ist, ob es denkbar oder möglich ist, kontrolliert mit (eigenen) Daten so umzugehen, dass erschwert wird, ein umfassendes Bild über die eigene (eine) Identität zu erstellen. Eine andere Denkrichtung – und hier kommen wir zu den Volksliedern – beinhaltet die Vorstellung, dass Daten in dem Moment, in dem sie entstehen und also uns "verlassen", ein Eigenleben entwickeln und sich auch verändern. Das illustriert sich in diesem wundervollen Film:

http://www.youtube.com/watch?v=OM0CX5oMzjI

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Die wundersame Reise einiger Bahnfahrkarten

Update: Nach noch mehr Telefoniererei ("Wir haben hier 70.000 Briefe am Tag, völlig unmöglich, da einen bestimmten zu finden"), ist das Einschreiben samt Fahrkarten im Berliner Briefzentrum Nord Freitag mittag, einige Stunden vor der Abfahrt, wieder an Land gekommen. Honi soit qui mal y pense. 


Das war wohl etwas voreilig, als ich letzten Samstag munter behauptete, ich hätte im Blog nichts mehr über unsere speziell überwachte Situation zu berichten, weil sich unser Alltag normalisiert habe:

Post Tower, http://flickr.com/photos/architekt2/1443817715/sizes/s/
Eigentlich wollen wir morgen nach Freiburg fahren, um eine kleine Veranstaltungsserie zu beginnen, die noch nach Wien und Graz führen soll. Urlaub ist genommen, die Kinder freuen sich auf die Ferien, das Nachtzugfahren, auf Freiburg und Österreich, die Veranstaltungen sind geplant und angekündigt.

Netterweise hatten die FreiburgerInnen übernommen, unsere Tickets zu kaufen. Letzte Woche Freitag – vor sieben Tagen – haben sie sie per Einschreiben nach Berlin geschickt. Adressiert an Andrej Holm.

Sie sind bis jetzt nicht angekommen.

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Doch kein BKA-Gesetz (erstmal)

Wozu Finanzkrisen nicht alles gut sind.

Die Verabschiedung des BKA-Gesetzes ist von der Tagesordnung des Bundestages geflogen.

Für diese Woche.

Update: Der nächste Versuch soll voraussichtlich am 12. November gestartet werden.

Die SPD, die auch zum Thema Bundeswehreinsatz im Innern plötzlich kalte Füße gekriegt hat, hat laut Heise auch im Bereich Online-Durchsuchung offenbar gerade Zweifel bekommen, ob der "Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung" ausreichend gewährleistet sei.

„Der Krieg gegen den Terrorismus ist gefährlicher als der Terrorismus selbst“

"Der Verdacht, dass der Krieg gegen den Terrorismus gefährlicher ist als der Terrorismus selbst, erscheint mir völlig gerechtfertigt",

sagte Richard Rorty, zitert im morgen erscheinenden Spiegel in einem Artikel über die uns bevorstehende Grundgesetzänderung zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren: "Warum die vorgeschlagene Grundgesetz-Novelle zum Einsatz der Bundeswehr im Innern das Vertrauen in die Verfassung zerstört".

Dazu gibt es noch einen Artikel zum §129a: "Missbraucht die Bundesanwaltschaft den "Terroristen"-Paragrafen 129 a?"

Die Antwort darauf fällt leicht, und wird auch gut begründet. Vielleicht gibt es die Artikel ja demnächst noch online.

Rede plus Interview

Demo Freiheit statt Angst 11.10.08 Die Rede von gestern nochmal zum Nachhören

http://noblogs.org/flash/mp3player/mp3player.swf

(auch als ogg-Datei, 14,6 mb).

Mehr zur Demo gibt’s bei AK Vorratsdatenspeicherung, Gulli, Indymedia, Fefe, heise, Heul nicht! Sag was!, vielen anderen Blogs, und im Pressespiegel.

Die Live-Berichterstattung von Radio 1984 gibt’s bei http://radio.freiheitstattangst.de/ und mehr Audios bei freie-radios.net.

(Bild von Bernd Brägelmann NamensnennungWeitergabe unter gleichen Bedingungen, thx)

Freiheit statt Angst

Freiheit statt Angst 11.10. Berlin

Besser spät als nie auch hier ein Hinweis auf die Demo.

Im permanenten Widerspruch zu der Idee, dass die beste Form des Datenschutzes natürlich ist, möglichst wenig Daten zu hinterlassen und also die diversen Web 2.0-Spielzeuge weiträumig zu umschiffen, mache ich es auch. Ich blogge – warum, dazu ist ausreichend gesagt worden. Ich twittere gelegentlich (wie heißt das Verb zu identi.ca?), wenn mir danach ist, eher als weitere Art digitaler Litfaßsäule. Ich beobachte staunend, dass sehr kluge Menschen anfangen, ihre ganz persönlichen Befindlichkeiten per Twitter zu verbreiten. Ich bin sogar so weit gegangen, den Gipfel des TOTAL EVIL, facebook, mal anzugucken, aus Neugier, quasi wissenschaftlich, sozusagen. Ich eigne mich dazu aber schlecht, weil ich ständig vergesse, Neues bekannt zu machen. Und ehrlich gestanden kann ich damit ganz gut leben. 

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Terror-Thermometer

 May I present: Fefes Terror-Thermometer. Das ist so schön, dass ich dem nichts hinzuzufügen habe:

Fefes Terror-Meter (http://blog.fefe.de/?ts=b62104c4)

Ich habe mal mein Terror-Thermometer aktualisiert,
das seit 2005 in Zeitungsartikel nach Terrorismus sucht, und die Quote
von Angstwortteilen wie "gefahr", "gefähr", "bedroh", "anschlag",
"anschläg" und "terror" ausrechnet. Meine Quellen sind Tagesschau,
Heute, Tagesspiegel, das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, und
die Tickermeldungen von Reuters, DPA und AFP. Da kommen pro Tag so
zwischen 700 und 1600 Artikel zusammen, will sagen: das ist schon
halbwegs repräsentativ. Da sind auch englischsprachige Meldungen drin,
bei denen dann halt nur "terror" matcht, das verfälscht das Bild etwas,
aber ich filtere ja eh nicht auf nur innenpolitische Meldungen. Man
sieht deutlich den jährlichen Peak jeweils vor dem 11. September, und
jetzt auch die Terroristen, die sie sich extra für die Bayernwahl aus
dem Arsch gezogen haben. Die Terrorperiode Mitte 2007 war, als wir das
BKA-Gesetz und den Bundestrojaner geleakt haben, und damit das
Sommerloch komplett dominiert haben.

Sicherlich auch vom Terrormeter miterfasst sind die aktuellen Meldungen der letzten Schlappe bei der Terrorfahndung. Zitat: «Schrecklich peinliche Aktion» . Da wurde aus einem Liebes- ein Abschiedsbrief und fertig ist der Heilige Krieg. Resultat: nach 10 Tagen Untersuchungshaft wurde jetzt der Haftbefehl aufgehoben. 

 

Zwei ehemalige §129a-Verfahren eingestellt

https://einstellung.so36.net/files/wir_sind_alle_militant.gif Die Bundesanwaltschaft, die ja bekanntlich im Wald immer viele Räuber vermutet und hinter jedem linken Baum einen Terroristen sieht, verdächtigt seit Jahren die unterschiedlichsten Leute, zur ‚militanten gruppe‘ zu gehören oder sonstwie latent terroristisch zu sein. Drei davon wurden, so sagt das BKA, dabei erwischt, wie sie Bundeswehr-LKW anzünden wollten und denen wird seit einer Woche in Berlin-Moabit der Prozess gemacht.

Passend zum Ereignis werden still und leise gleich zwei (ehemalige) §129a-Verfahren eingestellt, die jeweils viel Wirbel gemacht haben, als sie durch die Medien gereicht wurden

Update: heute sind zwei neue Artikel in taz und Tagesspiegel dazu erschienen: Sieben Jahre ohne Privatleben und G-8-Demonstranten vom Terror-Verdacht befreit.

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Deutschland – nicht – im Fokus des Terrorismus

Falls bisher irgendwer den Eindruck hatte, das hierzulande (und anderswo) sowas wie eine Anti-Terror-Hysterie herrscht, dass es mit dem Argument des Kriegs gegen den Terrorismus eher zuviel als zuwenig Gesetzesverschärfungen gab, die Unschuldsvermutung weit über verfassungsgemäße Grenzen hinaus außer Kraft gesetzt wurde, dass das alles etwas aus dem Ruder läuft: weit gefehlt.

Ganz im Gegenteil, die Terrorgefahr lauert gerade wieder überall. Obwohl in der Frankfurter Rundschau schön dokumentiert ist, dass es mit den bisherigen Methoden offenbar kein Problem war, (angeblich) drohende Anschläge zu verhindern, muss endlich mal härter durchgegriffen werden, da besteht ja wohl kein Zweifel.

Aus gegebenem Anlass fragt auch tagesschau.de:

Nach den jüngsten Terror-Verdachtsfällen fordert die  Union erneut härtere Gesetze. Der CDU-Politiker Bosbach schlägt vor, Rückkehrer aus Terrorcamps festzunehmen. Was denken Sie, brauchen wir härtere Gesetze?

Um 21:30 waren 59,5% dagegen, immerhin.

Die aktuelle Aufregung wird u.a. mit der Festnahme zweier Männer begründet, zu denen Fefe passend sagt:

Und mal wieder eine Festnahme von zwei „Terroristen“, die niemandem was getan haben, weil sie vielleicht in der Zukunft womöglich geplant haben könnten, an etwas teilzunehmen, von dem unklar ist, ob dabei jemand zu Schaden gekommmen wäre, oder was es auch nur konkret gewesen sein könnte.

(Ich hab mir erlaubt, die Grammatik etwas gerade zu bügeln )

Die Frage, ob denn nun die Terror-Gefahr in Deutschland wächst, bleibt oder abnimmt, wird auch diesmal in den Schlagzeilen mal so, mal so beantwortet, da ist mir die Google News-Suche zum Begriff ‚Terrorismus‚ ein steter Quell der Freude. Gerade eben ganz oben

Und dann sind da ja noch diese fehlgeleiteten Jugendlichen, die uns demnächst in die Luft sprengen wollen. Dazu Guido Steinberg (‚Terror- und Islam-Experte‘ der Stiftung Wissenschaft und Politik, 2002 bis 2005 Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt): :

Ich halte es im Falle von Breininger und al-Malla aber auch nicht für ausgeschlossen, dass die gar keinen Anschlag durchführen wollen, sondern ganz schlicht nach Hause möchten. Das sind junge Leute. Und es ist in der Vergangenheit immer wieder passiert, dass Freiwillige in diese Camps gegangen und sehr desillusioniert zurück gekehrt sind. Dann wäre diese geplante Rückkehr ein gutes Zeichen.

Wächst die Terror-Gefahr?

Nein, ich sehe keine wachsende Terror-Gefahr in Deutschland. Die Gefahr ist seit ungefähr drei Jahren unverändert.

Nachdem Schäuble auch noch vom Bundesrechnungshof Ärger für die geplante Bundesabhörzentrale gekriegt hat, war jedenfalls offensichtlich Gegenpropaganda nötig. Schließlich fand heute das sog. ‚G6 plus USA‘-Treffen der Innenminister statt. G6, das sind Polen, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien und Deutschland, damit ganz klar ist, wer hier die Richtung vorgibt. Nicht etwa so unwichtige Kleinstaaten jenseits des Zentrums der EU. In den auf der Website des BMI veröffentlichten Schlussfolgerungen des Treffens kommt eine Vokabel vor, die ich bisher noch gar nicht kannte, und zwar gleich mehrmals: „Antiradikalisierungsmaßnahmen„. Da dürfen wir gespannt sein, was das noch wird.

Und folgender Absatz:

Terroristische Akte sind nach allen relevanten nationalen Rechtsordnungen strafbare Handlungen. Das Strafrecht stellt eines der wesentlichen Instrumente der Terrorabwehr dar. Die Innenminister sind sich jedoch der begrenzten präventiven Wirkung des Strafrechts bewusst, die etwa aus der in Strafprozessen häufig in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auftretenden Beweisproblematik und dem primär repressiven Charakter des Strafrechts resultieren.

Ja, die Beweisproblematik. Die ist natürlich echt lästig. Gut, dass sie vorläufig noch gilt.

Ansonsten wollen sie auch über Grenzen hinweg in Computer einbrechen dürfen, noch mehr abschieben und Islamisten das Internet verbieten.

(Das Bild der Terrorflaschen ist von epha, bestimmte Reche vorbehalten, die MinisterInnen sind vom BMI, auch mit Einschränkungen verwendbar)

(Update: Das Bild der Terrorflaschen wurde auf Wunsch des*der Urheber*in entfernt, es hat inzwischen eine Copyright-Lizenz)