Eben rief mich eine Freundin an. Ärztin. Sie ist hier schon hin und wieder aufgetaucht, weil sie, als Andrej festegenommen wurde und ich mit Kindern, Polizei und Hausdurchsuchung zuhause saß, ihren Job stehen ließ und mir Händchen hielt.
Sie rief mich an und erzählte mir eine Geschichte, die gerade in dem Krankenhaus passiert ist, in dem sie arbeitet. Ein dreizehnjähringer Junge wurde eingeliefert, völlig unter Schock, zitternd. Männer waren in die Wohnung eingebrochen, bewaffnet, und hatten seinen Vater festgenommen. Es ist eine arabische Familie. Der Vater sei Terrorist.
Meine Freundin fragte, ob es nicht eine Stelle gäbe, an die man sich wenden kann? Ich fragte, ob sie an eine Beratungsstelle für Terrorismusverdachtsbetroffene dächte? Ja. Gibt es natürlich nicht. Es gibt niemanden, an den man sich in so einem Fall wenden kann.
Sie sagte, dass das doch aber wichtig wäre. Ob denn niemand diese Fälle sammelte? Wer hilft denn den Leuten?
Nachdem sinn- und aussichtslos wäre, sowas wie einen Überblick zum Thema Wikileaks herstellen zu wollen, weise ich einfach mal auf ein paar Sachen hin, die angenehm intelligent aus der Masse herausstechen. Zufallsfunde, keine gezielte Recherche.
Im Deutschlandfunk gab es am Donnerstag einen Kommentar von Peter Welchering, der gegen den Strom schwamm und nicht danach fragte, inwiefern die Veröffentlichungen durch Wikileaks eine Gefahr darstellen. Für ihn stellt viel eher das Vorgehen gegen Wikileaks den Auftakt zur Abschaffung des Rechtsstaats dar.
Ein ganz anderes Thema sind die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange. Ich finde es ekelhaft, darüber zu spekulieren, was sich in schwedischen Schlafzimmern abgespielt hat. U.a., weil wir es sowieso nicht rausfinden werden, aber auch, weil es mit Wikileaks nichts zu tun hat. Weit interessanter ist die Frage, warum in diesem einen Fall eine Interpol-Fahdung hochgefahren wird, die es zu Sexualstraftaten sonst nicht gibt. Obwohl ja schön wäre, wenn das jetzt Standard würde. Die taz hat dazu passend gerade das Protokoll einer Vergewaltigung.
Das Forum Personal Democracy hat gestern das Symposium about Wikileaks and Internet Freedom (PDFLeaks) aus dem Boden gestampft, mit einer Besetzung, die einiges hermacht. Auf dem ersten Podium saßen Mark Pesce, Esther Dyson, Jeff Jarvis, Rebecca MacKinnon, Jay Rosen, Carne Ross, Douglas Rushkoff, Katrin Verclas and Gideon Lichfield, Moderation Micah Sifry. Podium Nr. 2 mit Arianna Huffington, Charles Ferguson, Andrew Keen, Zeynep Tufekci, Tom Watson, Dave Winer, and Emily Bell, moderiert von Andrew Rasiej (alle Videos).
Googlet die Leute, wenn Ihr wissen wollt, welche Sahneschnittchen das sind und abonniert ihre Tweets.
Nebenbei: ich würde mir auch hier wünschen, dass bei Veranstaltungen von dem Kaliber so selbstverständlich kompetente Frauen dabei sind, und zwar mehr als eine. Esther Dyson wurde anmoderiert als „the godmother of the internet“. Na, wer hatte den Namen schonmal gehört?
Ein Twitter-Kommentar, der mir gut gefiel, als die Diskussion ein bisschen abglitt:
Die Cyber-Gewaltdebatte, ob nämlich DDoS-Attacken die digitale Form des legitimen zivilen Ungehorsams ist oder im Gegenteil eine undemokratische Einschränkung des Rechts auf Redefreiheit bzw. wahlweise des freien Netzes ist, findet weiter statt. Wer’s mag:
Ein weiterer interessanter Aspekt, der auch in vielen Tweets zur PDFLeaks-Veranstaltung angesprochen wurde, ist die Frage danach, warum Wikileaks bestimmten Printmedien die Auswahl überlässt, was und wie tatsächlich veröffentlicht wird. Mit dem Resultat, dass der Fokus auf Europa und Nordamerika liegt.
Last but not least alte vs. neue Medien im Gespräch zwischen Hans Leyendecker und Philip Banse über Wikileaks, kurz bei DRadio Kultur und lang bei Philip Banse
Tobias Schlegl hat sich an mehreren Punkten in Berlin die Sicherheitsvorkehrungen näher angesehen – einmal als normaler Tourist und einmal als Araber verkleidet. Von Julian Amershi.
In den USA gibt es als Alternative zu den zunehmend an Flughäfen eingesetzten Nacktscannern eine Form des Abtastens, die allgemein als intensives Befummeln jeder erreichbaren Körperfalte und entsprechend unangenehm beschrieben wird.
Ambassador Meera Shankar of the Republic of India presents credentials to US President Barack Obama. Photo by Lawrence Jackson, courtesy of US Department Of State. From Public Domain.
Die Fummelei findet in aller (Flughafen-)Öffentlichkeit statt und hat in Indien einiges Aufsehen erregt, inkl. bisher einer Demo vor einer US-Botschaft
Die deutsche Blogosphäre vermittelt gelegentlich den Eindruck, sie habe das Netz erfunden und sei überhaupt das Zentrum der Welt. Wer sich eines besseren belehren lassen möchte und die Theorie nicht scheut, kann jetzt bei Geert Lovink und Pit Schultz nachlesen, was vorher war.
Ein klein bisschen aufwendiger hätte es sein dürfen – ein klickbares Inhaltsverzeichnis würde das lesen online z.B. echt bequemer gestalten -, aber wir wollen ja nicht pingelig sein. Dass es eher um Grundsätzliches als um Oberflächlichkeiten geht, kennzeichnet diesen Flügel der Netz-BewohnerInnen deutlich.
Projekte gegen Rechts müssen mittlerweile ihre Verfassungstreue schriftlich erklären. Der AKuBiZ e.V., der eigentlich den Sächsischen Demokratriepreis 2010 bekommen sollte, hat ihn abgelehnt (und damit auch 10.000 Euro), weil die Gruppe die „Extremismusklausel“ nicht unterschreiben wollte.
Vor einem Monat, erinnern sich vielleicht einige, wurden in Norwegen ein Autistici-Server beschlagnahmt. Das Autistici-Team wusste erstmal selber nicht warum. Jetzt schon:
Im Winter 08/09 gab es in Italien ein Verfahren wegen Bedrohung und Beleidigung des Neofaschisten Gianluca Jannone, Chef von ‚Casa Pound‘ und Ercole Marchionni, Chef von „Casa Pound Avezzano“. Es ging um Parolen an einer Wand, rote Farbe an einer Tür und Texte bei Indymedia Abruzzo und einer Antifa-Website, die dagegen protestierten, dass den neofaschistischen Gruppen öffentliche Räume zur Verfügung gestellt wurden.
Im Verlauf wurde das Autistici-Kollektiv als Zeuge vorgeladen, und zu den Details und Logfiles von bei ihnen gehosteten Mailaccounts auszusagen. Da es weder Logfiles noch überhaupt persönliche Daten bei Autistici zu den Mailaccounts gibt, konnte Autistici nicht weiterhelfen.
Ergebnis: die Polizei von Avezzano schrieb Briefe nach Norwegen, Holland und in die Schweiz und forderte die dortigen Behörden auf, bei den Providern, bei denen die Autistice-Server untergebracht sind, die Herausgabe der Daten zu fordern. Die NorwegerInnen haben dann Anfang November sämtliche Platten kopiert – deren Inhalt zum größten Teil verschlüsselt war.
Genützt haben wird das der italienischen Polizei nichts, zumindest nicht bei der Suche nach den Antifas.
Das Autistici-Team schreibt in seinem Text neben den faktischen Abläufen auch noch etwas dazu, wie der Zusammenhang zwischen italienischen Neofaschisten und den italienischen Behörden zu bewerten ist. Vor kurzem wurde der Prozess wegen des Bombenanschlangs auf der Piazza della Loggia beendet: bei einer Antifa-Demo 1974 in Brescia starben damals acht Menschen. Bis heute ist nicht geklärt, wer dafür verantwortlich war. Ähnliche Beispiele gibt es bis heute. Italien bleibt gruselig.
New book by Florian Hessdörfer, Andrea Pabst, Peter Ullrich is out, and free for download here or here (pdf). You can also order a copy at your local bookstore.
In the book there’s also a chapter by Andrej Holm and me, reflecting life with surveillance.
The details:
Prevent and Tame.
Protest under (Self)Control
Florian Heßdörfer, Andrea Pabst, Peter Ullrich (Eds.)
The common dualistic approach to social movements tends to see power and resistance as separate and independent antagonists. The contributors to this book aim to transcend that approach, arguing that to adequately analyze ongoing struggles, it is also critically important to trace the constitutive interconnectedness between social movements and power. This is the aim of the title “Prevent and Tame”: emergent strategies to prevent and tame protest―whether they are undertaken by the state or by factions within the movements themselves―have given rise to new kinds of social relations and regulations that call for a new approach to research on social movements and protest.