Besser wäre, sie würden die tatsächlichen Gefahren erkennen

Martin Kettle, Kolumnist des britischen Guardian, ist Sohn des britischen Kommunisten Arnold Kettle. Letzte Woche hat er aufgeschrieben, wie sich – nach Oslo – Überwachungsakten lesen, in denen er selbst schon als Zweijähriger vorkommt: What MI5’s records on my father tell us about the uses of surveillance.

Der britische Inlandsgeheimdienst MI5 hatte letztes Jahr Akten der Jahre 1938 – 1960 über seinen Vater freigegeben. Martin Kettle, selbst kein Rechter, findet grundsätzlich richtig, dass die britischen KommunistInnen überwacht wurden:

I think MI5 was right to try to monitor the Communists. At least in its early days, the CP wanted to overthrow capitalism and transform the British state – and it was being financed by a hostile power to do so.

Er beschreibt auch, was sich in den Akten so fand, und warum die Überwachung seines Vaters dem MI5 eigentlich im Laufe der Zeit hätte zeigen müssen, dass da nichts Staatsgefährdendes zu finden war:

Maybe there are more damning files elsewhere. In their absence, though, the picture in these documents is of someone who was not so much wicked or threatening as wrong.

Und wünscht sich, dass die Überwachungsinstitutionen seitdem dazugelernt hätten:

Half a century on, much of the technology of surveillance has changed out of recognition from those distant days. So have the threats. But the pressure to monitor the potentially dangerous is just as great as it was in the cold war era. I want MI5 to protect us from bombers like the 7/7 jihadis or butchers like the Norwegian racist. I’d like to think they have become better at sorting out the lethal from the harmless and the public from the private.

Der ganze Artikel, im Guardian vom 28. Juli.

Soziale Netzwerke beim c’t Online Talk

Beim c’t Online Talk gestern ging es um Soziale Netzwerke. Ganz allgemein. In der Ankündigung hieß es noch optimistisch

Ob Google+ nun die bessere Alternative im Social Networking ist, lassen wir für den c’t-Onlinetalk auf DRadio Wissen (Samstag, 16.7., 11 Uhr) erst einmal dahin gestellt.

Eigens zur Sendung wurde übrigens, erfuhr ich aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen, die c’t Radio-Seite eingerichtet: http://www.heise.de/ct/radio/!

Und worüber haben wir geredet, gefühlt bestimmt die Hälfte der Zeit? Genau. Mit drei ausgemachten Fans des neuen Hypes hatte ich also Gelegenheit, mich eine Stunde zu unterhalten: Jürgen Kuri, stellvertretender c’t Chefredakteur, hat moderiert, außerdem Don Dahlmann und mspro, manchen auch bekannt als Michael Seemann.

Update: Es war ein sehr nettes Gespräch, und ich bin mir mit den dreien hoffentlich einig, dass wir das gern bei Gelegenheit fortsetzen sollten – ich hoffe, dass ich hier keinen gegenteiligen Eindruck vermittelt habe.

Bei DRadio Wissen, hier zum Nachhören. Auch als mp3, leider gerade nicht als Player zum Anklicken, weil mein Urlaubs-UMTS den Upload nicht hergibt. Später.

Bei GooglePlus ist die Peer-Pressure, da mitzumachen, fast ins Unendliche gestiegen – gibt es eigentlich außer mir noch mehr Leute, die die Aussicht, alle Informationen über sich gebündelt bei Google zu hinterlegen, ausreichend unangenehm finden, um es erstmal zu beobachten?

Fast schon erleichternd fand ich die Frage (bei Facebook!) von Marc Rotenberg, Präsident des EPIC (Electronic Privacy Information Center):

Ok. So here is the dilemma: lots of invitations from friends to join Google+ but a serious objection (mine) to establishing a Google Account because that links together a lot of otherwise disparate Internet activity (not very „circley“ ;-> ). Any thoughts?

Und darauf 58 Antworten bekam, große Mehrzahl skeptisch bis ablehnend.

Nach dem ersten Gehechel hierzulande gibt es inzwischen eine Diskussion, weil Google – wie schon öfter – nach enthusiastischem Auftakt einen großen Fettnapf erwischt hat: Plus-Accounts dürfen keine falschen Namen haben. Oder müssen jedenfalls halbwegs überzeugend wirkende Vor- und Nachnamen haben. Resultat: ein Sturm im Wasserglas. Sascha Lobo hat pro Pseudonyme kommentiert, empfehlenswert ist auch Anonymität von Jens Scholz (schon älter).

Es ging natürlich auch noch um andere Themen: Bedeutung der Netzwerke an sich, ausgiebig um (den Schutz der) Privatsphäre, und die Polizei.

Dabei bin ich auf eine Frage gekommen, zu der ich gern mal Meinungen von JuristInnen lesen würde:

Die Sozialen Netzwerke werden von (privaten) Unternehmen betrieben. In der Regel unterschreiben wir beim Anlegen des Accounts, dass wir die Rechte an unseren Inhalten mehr oder weniger komplett an die Betreiber abgeben. Damit wären unsere Daten deren Eigentum.

Wie gerade beschrieben, nutzen Polizeien gern und zunehmend Informationen aus Sozialen Netzwerken, primär solche, die öffentlich einsehbar sind. Nur: sind die Informationen/Daten, die ich so einer Plattform ‚übergebe‘, tatsächlich öffentlich? Oder nicht eigentlich eher privat, weil Eigentum von Facebook oder wem auch immer? Dürfen die das so ohne weiteres?

Natürlich machen sie es sowieso, das ist gar keine Frage.

Letzte Frage für heute: Teilt Ihr die im Online-Talk mehrheitlich vertretene Ansicht, dass wir alle früher oder später nur noch GooglePlus benutzen werden, oder kennt Ihr Netzwerke – etwa für Spezialinteressen, mit besonderem Datenschutz-Fokus, … – , die Ihr für überlebensfähig haltet? Welche?

Ich finde ja beispielsweise Lorea sehr sympathisch. Sicher nicht für alle, aber in/um Spanien und da bei den Sozialen Bewegungen soll es sich einiger Beliebtheit erfreuen: “Reclaim the Networks: Technological Sovereignty for Social Networks”. Dazu gehört auch n-1.cc, mit über 22.000 Accounts, was ja nicht wenig ist.

Polizei in Sozialen Netzwerken

Die Polizei benutzt auch Daten aus Sozialen Netzwerken für ihre Ermittlungen. Das ist nicht überraschend, bekanntlich benutzt die Polizei alles für ihre Ermittlungen, gelegentlich auch jenseits der rechtsstaatlichen Grenzen (siehe Sachsen. Oder.. oder..). Überraschend wäre, wenn sie frei zugängliche Informationen nicht nutzten.

Bisher gab es in Deutschland hie und da Hinweise darauf, dass die latent strukturkonservativen Behörden mit so neumodischem Kram noch ihre Schwierigkeiten haben, aber definitiv auch interessiert sind.

Interessanter finde ich die Frage, inwiefern sich Ermittlungen auch auf nicht öffentlich zugängliche Daten aus Sozialen Netzwerken stützen. Darüber war bisher gar nicht bekannt, aber jetzt hat die Bundesregierung eine Kleine Anfrage dazu von Ulla Jelpke (Linke) beantwortet (beantworten müssen).

Mit 13 Seiten ist die Antwort (inkl. Frage) ganz schön lang:

  • BKA, Bundespolizei (BPol) und Zoll nutzen ‚fallbezogen u.a. offen zugängliche Informationen aus sozialen Netzwerken‘. U.a. heißt dann wohl, dass u.a. auch nicht offen zugängliche Informationen benutzt werden?
  • Es gibt keine extra Einheiten oder Personal dafür
  • Neue Erkenntnisse und Entwicklungen in Sozialen Netzwerken werden in der AG KaRIN (BKA, Zoll, 7 LKA) ausgetauscht
  • In den Netzwerken wird verdeckt ermittelt
  • Die Bundesregierung ist – anders als der Bundesdatenschutzbeauftragte – nicht der Meinung, dass die informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt wird
  • Das BKA hat in den letzten 24 Monaten 6 verdeckte Ermittler in Netzwerken eingesetzt
  • Das BKA hat viermal von den Sozialen Netzwerken Informationen aus nicht-öffentlichen Profilen bekommen
  • Die Bundesregierung behauptet, dass BKA, BPol und Zoll keine Data-Mining-Software zur Verarbeitung von Daten aus Sozialen Netzwerken benutzen. Und erläutert, dass für Polizeibehörden des Bundes und Nachrichtendienste bestimmte Vorschriften dabei gelten. Was wohl bedeutet, dass Letztere sehr wohl Data-Mining betreiben.
  • Polizeien wie Nachrichtendienste nutzen Geodaten.
  • Das BKA benutzt Software von rola Security für die Bearbeitung großer Datenmengen
  • Irgendwo in den Tiefen von bundestag.de gibt es einen „Vorschlag zu Leitlinien für die Nutzung ’sozialer Netzwerke‘ durch Strafverfolgungsbehörden und ihre Mitarbeite“ der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft

Sehr schön finde ich noch folgendes Detail:

Frage 6 b): Kann die Bundesregierung mit Sicherheit ausschließen, dass „virtuelle Ermittler“ in der Vergangenheit jemals zu Straftaten aufgerufen oder Texte mit strafbarem Inhalt verfasst oder dateien mit strafbarem Inhalt weitergegeben haben?

Antwort:

Die Preisgabe von Informationen zu konkreten verdeckten Einsätzen bei der Verfolgung von Straftaten im Internet an die Öffentlichkeit würde das schützenswerte Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer wirksamen Bekämpfung … und damit das Staatswohl erheblich beeinträchtigen. … Die Antwort der Bundesregierung auf diese Frage ist daher als „Verschlusssache – Vertraulich“ eingestuft werden (Fehler im Original) (…).

Das Ganze gibt’s auch als PDF-Datei.

Heise schrieb schon: Virtuelle Ermittler in Sozialen Netzen

Bundespolizei verunsichert

Die n0-N4m3 Cr3w (lies: No-Name-Crew) hat einen Server der Bundespolizei gehackt.

(Das ist seit Freitag bekannt, aber weil es ja Menschen gibt, die – gerade über’s Wochenende – nicht Indymedia, Indymedia, Fefe, Heise oder Netzpolitik.org lesen, auch nicht Spiegel, steht es jetzt auch hier.)

Die jetzt auf der Seite der No-Name-Crew geleakten Daten sollen bei der Überwachung angefallene GPS-Daten sein, aber auch PDF-Dateien, Log-Ins und Passwörter und auch Material der NPD. Laut Heise gibt es „in den Überwachungsdatensätzen Telefonnummern, Kennzeichen, Orte und Koordinaten. Auf dem Server liegen auch zahlreiche interne Dokumente der Behörde.

Ein Sprecher des Zollkriminalamtes hat der dpa gesagt, es ginge „zunächst nicht um Angaben zu laufenden Ermittlungen“ (Heise).

Wenig überraschend will die Behörde die Hacker anzeigen. SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz kommentierte verbal-radikal wie immer: „Das einzige was da hilft, ist Aufrüstung“ (Heise).

Die No-Name-Crew bietet das Material samt grober Erklärung zum Download an: http://dl.nn-crew.cc/index.php. Ob der Download und die Beschäftigung damit rechtliche Konsequenzen haben kann, ist mir jedenfalls gerade nicht klar – überlegt Euch das Risiko also vorher. Ich bin zuversichtlich, dass es in der nächsten Zeit besser verständliche Interpretationen der Daten geben wird und bin gespannt.

Ein Anonymous-ähnliches Video mit Erklärung gibt’s auch:

 

(Nichts) Neues aus Dresden

Dresden hat die Headlines verlassen, deswegen noch ein paar zusammengeklaubte Links.

Der Bundestag hat am Freitag weit jenseits der Medienaufmerksamkeit über die Handydaten diskutiert. Wenn jemand noch Beispiele braucht, warum mit dieser parlamentarischen Demokratie was nicht stimmt, bitte hier klicken:

(Ich kann Bundestags-Videos hier nicht einbinden, deswegen gibt’s den kleinen Umweg)

Die Fraktionen im sächsischen Landtag zuletzt dazu:

Die Medien:

Die Busunternehmen-Bespitzelung hat die Leitmedien erreicht, nachdem die Tatsache als solche schon am 22.6. im Freitag stand:

(Links mit weiteren Informationen bitte in die Kommentare, die werden mit aufgenommen)

 

Ich bin am Freitag in Dresden und deutlich mehr als sonst gespannt auf die Veranstaltung.

Extreme Grafik

Der neue Verfassungsschutzbericht ist da, es gab reichlich Zeter und Mordio gestern, die Regierung verkündet eine – Überraschung – Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus. Die Presse konnte sich nicht so recht einigen, was gestiegen war und was abgenommen hat. Dafür gibt es Grafiken. Das Bildblog hat eine ausgegraben:

Wir sehen: die Entwicklung bei den „Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich ‚Politisch motivierte Kriminalität“. Die haben abgenommen, rechts wie links.

Bloß:

„Zeichnet man den Balken der linksextremen Straftaten im gleichen Maßstab wie den der rechtsextremen, sieht die Grafik ungefähr so aus:“ (Bildblog)

(Grafiken: Bildblog, CC-Lizenz)

 

Mehr Kontrolle für die … taz

Manche Redakteure bei der taz mögen Fremdbeiträge, aber nur, wenn die genau so sind, wie sie sich vorstellen. Um Haaresbreite hätte ich mich am Streitgespräch in der Sonntaz beteiligt, nun gibt’s den Text eben hier.

Bzw. den Text gibt es eigentlich nicht, dafür mehrere Varianten. Wie das kam? Montag nachmittag gegen 16 Uhr bekam ich eine Mail mit der Bitte um einen Beitrag für den Streit der Woche „Mehr Kontrolle der Polizei“, max. 1000 Zeichen, bis Mittwoch. Aufhänger: der Handydaten-Skandal in Sachsen. Alternativ könne auch telefoniert werden und die taz würde den Text schreiben. Luxuriöses Angebot, dachte ich. Weil ich noch eine Deadline zum selben Termin hatte nebst Lohnarbeit und Kindern, schrieb ich zurück, dass ich leider keine Zeit hatte, aber die Telefon-Option..?

Ein Telefonat später kam ein Text an, der mir nicht so richtig behaglich war. Der Stil war nicht meiner (logisch) und die erste Hälfte drehte sich um das Verfahren gegen Andrej. Deswegen habe ich dann doch lieber selber einen geschrieben:

Die Handy-Datenauswertung ist ein weiterer Beleg dafür, dass Polizei dringend mehr Kontrolle braucht. ErmittlungsrichterInnen, die immer wieder als Garant für rechtsstaatliche Kontrolle angeführt werden, weil sie als ‚unabhängige Instanz‘ Überwachungswünsche der Polizei genehmigen müssen, haben auch in Dresden versagt. In den Akten der Ermittlung gegen Andrej Holm konnten wir nachlesen, dass ein Überwachungs-Antrag nach dem nächsten genehmigt wurde (Vorwurf war Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, §129a StGB. Das Verfahren wurde nach 4 Jahren Überwachung eingestellt). Dabei wurde nichts gefunden und deswegen fast ein Jahr jeweils die Verlängerung unterzeichnet: Weil er sich so konspirativ benommen habe, dass nichts zu finden war. Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Kontrolle findet kaum statt, weil die RichterInnen keine Zeit haben, die Anträge zu prüfen, und weil sie nur eine Seite hören: die der Polizei/Staatsanwaltschaft. Man kennt sich, man trifft sich beim Essen und in der Freizeit. Wer könnte den KollegInnen da schon was abschlagen? Das „Handy-Gate“ ist keine Ausnahme. Die Ausnahme ist, dass durch schlampige Aktenführung bekannt wurde, wie wenig sich Polizeien um rechtsstaatliche Vorgaben kümmern.

Am nächsten Morgen kriegte ich den so zurück:

Mein Partner Andrej Holm stand unter Verdacht, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. In seinen Ermittlungsakten konnten wir nachlesen, dass ein Überwachungs-Antrag nach dem nächsten genehmigt wurde. Sie haben nichts gefunden – genau deshalb haben Richter die Verlängerungen unterzeichnet: Er habe sich so konspirativ benommen, dass nichts zu finden war – Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Eine Kontrolle findet kaum statt, weil die RichterInnen keine Zeit haben, die Anträge zu prüfen, und weil sie nur die Seite der Polizei und Staatsanwaltschaft hören. Man kennt sich, man trifft sich beim Essen. Das „Handy-Gate“ in Dresden ist keine Ausnahme. Und ErmittlungsrichterInnen, die immer wieder als Garant für rechtsstaatliche Kontrolle angeführt werden, haben auch dort versagt.

Der Platz war knapper geworden, deswegen der Text kürzer, und eine besondere Rolle sollte spielen, dass ich überwacht worden war. Jetzt wurde mir klarer, warum schon im Telefonat mehrfach nach den Details von Andrejs Überwachung gefragt worden war (die der Redakteur nicht kannte und, trotz 1000 Zeichen, genau beschrieben haben wollte). Bis dahin hatte ich noch gedacht, ich sei gefragt worden, weil ich mich kritisch mit Polizei und dem Handydaten-Skandal auseinandergesetzt hatte.

Mein Alternativvorschlag, auch 800 Zeichen, sah dann so aus:

Die Handydaten-Auswertung zeigt, dass Polizei mehr Kontrolle braucht: ErmittlungsrichterInnen, die immer wieder als Garant für rechtsstaatliche Kontrolle angeführt werden, haben auch in Dresden versagt. In den Ermittlungsakten gegen Andrej Holm konnten wir nachlesen, dass ein Überwachungs-Antrag nach dem nächsten genehmigt wurde, obwohl nichts gefunden wurde (Vorwurf war Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung). Keine Ausnahme, sondern die Regel. Die RichterInnen haben keine Zeit, Anträge zu prüfen, und hören nur eine Seite: die von Polizei und Staatsanwaltschaft. Man kennt sich, man trifft sich beim Essen. Das „Handy-Gate“ ist keine Ausnahme. Die Ausnahme ist, dass durch schlampige Aktenführung bekannt wurde, wie wenig sich Polizeien um rechtsstaatliche Vorgaben kümmern.

Dazu die Erklärung, dass meiner Ansicht nach Andrej Holm nicht wirklich gut dazu passt und ich mich sowieso nicht primär darüber definiere, seine Freundin zu sein. Sprich, das nicht im ersten Satz stehen haben will.

Die Antwort war eine Absage. Andrej Holm im zweiten Satz reichte nicht:

Nun haben wir aber mit Frau Constanze Kurz schon jemanden, der in etwa wie Sie argumentiert und auch eine ähnliche Biografie hat. Ich habe nun versucht, dass heraus zu streichen, was sie besonders macht und das deutlich zu machen. Das hätte dann sehr gut in der  Diskussion funktioniert. Wenn Sie aber nicht möchten, dass dieses Besondere deutlich hervor tritt – dann ist es besser, dass wir es nicht machen.

Das war ja nun echt charmant – das Besondere an mir ist die Tatsache, dass ich die Freundin von Andrej bin. Was wohl Bascha Mika dazu sagen würde? Davon abgesehen haben sie mit dem Beitrag von Constanze sicher sehr gute Argumente, wie hier schon nachzulesen war.

Ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass die gesamte Redaktion das so gemacht hätte. Aber bestimmt wäre einfacher, wenn der neue Redakteur seine Fremdbeiträge einfach selber schriebe, spart auf jeden Fall Zeit und dann kommt wenigstens genau das raus, was vorher geplant war. Und weil das Netz groß ist, könnt Ihr meinen Beitrag zur Diskussion ja einfach hier lesen, und Euch sogar einen aussuchen.

Einen ausführlicheren Kommentar zu Dresden von mir gab es  letzten Montag in der der „Sendung mit dem Internet“ von Antenne Düsseldorf:

(ab Min. 16:30).

Sachsen-Gate weitet sich aus

+++ Work in progress +++ wird aktualisiert +++

Update 3, 27.6.

Nachdem die Geschichte nun in wirklich allen Nachrichten war, erhebe ich nicht annähernd Anspruch auf umfassende Information, weil das ja wirklich nicht mehr nötig ist.

Update 2, 26.6.:

 

Update 1, 24.6.:

Die sächsische Landesregierung hat den Sonderbericht vorgestellt und erkennt eine rechtsstaatliche Grundlage der Handy-Daten-Überwachung. Dazu wird mittlerweile ein „versuchter Totschlag“ auf einen Polizisten bemüht. Es geht nicht mehr ’nur‘ um 138.000, sondern um weitere 896.000 Handy-Datensätze, also über eine Million. Letztere wurden im Zusammenhang mit dem sächsischen §129-Verfahren gegen Antifas eingesammelt. (MDR)

Die taz spitzt noch ein bisschen zu: Offenbar ganz Dresden überwacht. Die Überwachung betraf nicht nur, wie zuerst angeommen, die Dresdener Südstadt. Ministerpräsident Tillich hat eine Stelle in der Angelegenheit gefunden, bei der er auch Fehler einräumt – wirkt ja auch besser:

Die Daten hätten zudem nicht bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz verwendet werden dürfen. …  Mit einer Bundesratsinitiative will sie (die Landesregierung) den unklaren Rechtsbegriff der „erheblichen Straftat“ nach Paragraf 100 g der Strafprozessordnung präzisieren, der eine solche umfangreiche Datenerfassung rechtfertigte.

Das Thema wird am Mittwoch den Bundestag beschäftigen.

Ganz großartig Constanze Kurz in der FAZ: Teheran, Damaskus, Minsk – Dresden. Darin erinnert sie an folgendes:

.. es ging nicht um Revolten, es ging vielmehr um eine von dutzenden Initiativen, Vereinen und Parteien getragene, geradezu zivilgesellschaftlich vorbildliche Demonstration gegen Rechtsradikale, die durch die Stadt ziehen wollten.

Sie erwähnt den immer gern als Schutz der Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen hochgehaltenen Richtervorbehalt, der hier original keine Funktion hatte. Außerdem geht es darum, warum sowas tatsächlich passiert:

2008 beschaffte die sächsische Polizei für mehrere Millionen Euro eine solche Software, die sie harmlos „elektronisches Fall-Analyse-System“ nennt. … Die teure Software will nun natürlich gerechtfertigt und gefüttert werden, schließlich hätten von dem Geld auch Polizeibeamte bezahlt und ausgerüstet werden können.

Und warnt:

Die Dresdner Datengier liefert einen präzisen Vorgeschmack auf das, was zum Alltag in Ermittlungsbehörden wird, falls der politische Zombie Vorratsdatenspeicherung wiederaufersteht, wie es CDU und SPD weiterhin ohne kriminologisch glaubwürdige Begründung fordern.

Dann gibt es den Bericht der sächsischen Innen- und Justizministerien (pdf)


Der sächsische Überwachungs-Skandal nimmt Formen an. Weil eh überall berichtet wird, ein paar kommentierte Links:

Der Freitag hat den Anfang der Geschichte ausgegraben:

Bekannt geworden war die Spähaktion durch den Bochumer Kreissprecher der Linken, Christian Leye. Gegen den wird wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht ermittelt – die Einsicht in seine Akte erfuhr Leye von der mehrstündigen und flächendeckenden Datenüberwachung. Es hätten sich darin „Angaben über sämtliche am 19. Februar im Zeitraum von 13.30 Uhr bis 17.30 Uhr von meinen Handy ein- und abgegangenen Anrufe und SMS-Mitteilungen“ gefunden, so Leye.

Dort wird auch beschrieben, wie die Busfahrer der Gegendemo-TeilnehmerInnen zu Hilfs-Spitzeln gemacht wurden.

Die Firmen sollten einen Fragebogen der Polizei beantworten, der Angaben zu den Personaldaten der Fahrer ebenso verlangte wie Auskünfte über Zahlungsmodalitäten, Mietverträge und die Kopien der Ausweise der jeweiligen Anmieter. … Damit nicht genug: Die Polizei interessierte sich auch für die Kontakte von Fahrgästen in den Pausen, Gesprächsinhalte sowie die detaillierten Tages- und Streckenabläufe.

Das Neue Deutschland berichtet, dass die Zahl der Datensätze inzwischen von 138.ooo auf 800.000, bei 17.000 betroffenen Personen gestiegen ist (Wievielen Menschen leben in Sachsen?)

Auf die sächsischen Gerichte rollt eine Klagewelle zu: Klagen wollen

Das Bündnis Dresden-Nazifrei ruft im Rahmen der Kampagne gegen den Datenskandal alle potentiell Betroffenen dazu auf, Auskunft über möglicher Speicherung der eigenen Daten zu bentragen (dort gibt es die nötigen Formulare). Damit sind insbesondere auch AnwohnerInnen gemeint, die gar nicht bei der Demo waren.

Die Linke im Landtag hat eine Untersuchungskommission beantragt, für die der ehemalie Bundesinnenminister Gerhart Baum im Gespräch ist.

Heute fand in Berlin eine Pressekonferenz statt, bei der folgende markante Dinge gesagt wurden:

Albrecht Schröter (Oberbürgermeister von Jena / SPD):

„Wir sind nicht in der DDR auf die Straße gegangen, um jetzt in einem Staat zu leben, wo so etwas möglich ist. Was da in Dresden passiert ist, war Rechtsbeugung. Ich werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen um das feststellen zu lassen.“

Ringo Bischoff (ver.di Bundesjugendsekretär):

„Das schweißt uns zusammen. Wir bleiben Teil des Bündnisses und werden weiterhin gegen Naziaufmärsche protestieren. Ziviler Ungehorsam ist dafür ein legitimes und erfolgreiches Mittel.“

Henning Obens (Interventionistische Linke):

„Kollektiver Regelübertretungen der BürgerInnen haben sich seit Heiligendamm 2007 etabliert. Es existiert eine neue Kultur der Zusammenarbeit und Konfliktbereitschaft, die auch die Erfolge von Dresden ermöglichten. Polizeigewalt und frivoler Rechtsbruch zeigen nur, dass die staatlichen Stellen nur repressive Antworten auf diese Herausforderung haben. Das hat sich in Stuttgart, Dresden und bei den Castortransporten gezeigt. Wir werden die Nazis weiter blockieren.“

Konstantin Wecker (Liedermacher):

„Entscheidend ist: Wie geht die Demokratie mit den Menschen um, die sich nicht nur empören, sondern Widerstand dort leisten, wo es nötig ist? Wir sollten uns das nicht bieten lassen. Ich rufe zu Spenden für das Bündnis Dresden-Nazifrei auf, damit der Rechtsstreit finanziert werden kann.“

Radio Corax hat Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, befragt:

Und schließlich hat sich auch Anonymous geäußert:

Die Parallelwelt der InnenpolitikerInnen trifft sich derweil in Frankfurt/Main. Die Polizeigewerkschaft frohlockt: Innenminister setzen richtige Akzente. Kampf gegen Linksextremismus muss endlich ernst genommen werden

Moe Hierlmeier ist tot

Moe Hierlmeier ist tot. Er ist letzten Freitag an einem Herzinfarkt gestorben. Es macht mich traurig. Persönlich und auch, weil uns politisch jemand verloren gegangen ist, der wichtig war. Ich habe Moe im Rahmen des Buko (jetzt: der Buko) kennengelernt, als unglaublich witzigen, lebenslustigen und klugen Menschen. Menschen wie ihn brauchen wir so dringend, um nicht zu vergessen, dass es eine Alternative gibt zwischen dem Aufgeben vor den scheinbar nicht zu ändernden Verhältnissen und dem Sich-Verlieren in vor allem mit sich selbst beschäftigten politischen Blasen. Moe hat mir mal erzählt, dass er Hauptschullehrer war, gern und aus Überzeugung. Damit allein hat er wahrscheinlich mehr geändert als viele andere. In Erinnerung bleiben wird mir sein lautes, unüberhörbares Gelächter.

 

Ein Nachruf seiner politischen WegbegleiterInnen:

Radikaler Internationalismus

Moe Hierlmeier ist tot

Dass Moe nicht mehr da sein soll, ist für uns noch nicht zu begreifen. In seiner typisch ironischen Art schrieb er noch im Frühling, nachdem wir uns länger nicht gesehen hatten: „Sollen wir uns in diesem Leben noch mal treffen?“ Kürzlich in Nürnberg erzählte er von den Entwicklungen in der Interventionistischen Linken, wir sprachen über die BUKO und er skizzierte sein Projekt, angeregt durch die Lektüre von Rancière, Badiou und Zizek sowie durch das Kommunismus-Buch seines engen politischen Freundes Thomas Seibert mittelfristig und ohne Zeitdruck ein Buch zum Thema politisches Ereignis zu verfassen. Seine späte und nicht bereute Entscheidung, Hauptschullehrer in Nürnberg zu werden, hat ihm für solche Projekte weniger Zeit gelassen, was ihn nicht daran hinderte, sie mit Nachdruck zu verfolgen.

Gerade hatten Franziska und Moe Renovierung und Ausbau ihrer Wohnung abgeschlossen. Beim kürzlichen Treffen zeigte er froh den Sessel, auf dem er zum Lesen, Denken und Schreiben kommt. Den enorm dichten Rhythmus früherer Tage ? fast jedes Wochenende in politischen Dingen unterwegs, mehrere Tageszeitungen lesend, die radikal-linke Literatur sowieso, sich nie um organisatorische Aufgaben drückend – wollte er so nicht mehr halten. Und dennoch war er dort, wo er sich engagierte, menschlich, organisatorisch und inhaltlich-strategisch immer ein Aktivposten.

1959 geboren und in Schierling aufgewachsen, wollte Moe zuerst Priester werden, trat dann mangels Alternativen auf dem Land der Jungen Union bei und wurde in den 1970er Jahren zum Linken. Nach seinem Umzug nach Nürnberg engagierte er sich in der Anti-AKW- Bewegung, in der Mobilisierung gegen die Massenverhaftungen im KOMM 1981 sowie in der Anti-Kriegsbewegung. In diesen Zusammenhängen stieß er auf die Aktiven des Kommunistischen Bundes (KB) Nürnberg. Anfang der 1980er Jahre integrierte er sich in der für diese Organisation häufigen „fließenden“ Art und Weise in der KB-Ortsgruppe und schied in den späten 1980er Jahren in ähnlicher Art und Weise wieder aus. Will sagen, man arbeitete vorher und nachher in sozialen Bewegungen zusammen und zog häufig an einem Strang. Es veränderten sich Akzente, Einschätzungen und Vorgehensweisen, die Zielvorstellungen wirkten ebenso einend wie vielfältige und enge persönliche Beziehungen.

Moe verfügte über ein enormes Wissen, er äußerte sich über die deutsche Romantik ebenso qualifiziert wie über den französischen Poststrukturalismus. Ein BUKO-Genosse sagte vor Jahren bei einer gemeinsamen Wanderung, Moe sei der erste Universalgelehrte seit Leibniz. Alle lachten schallend, am lautesten lachte Moe selbst.

Vor allem war Moe ein außerordentlich belesener Ideengeschichtler des Internationalismus. Dabei kam es ihm immer darauf an, Ideen nicht zu musealisieren, sondern sie in den Zusammenhang von früheren und aktuellen Kämpfen zu stellen. Moe interessierte sich für das radikale Denken, das früher oder heute an den Rändern der Gesellschaft entsteht und auf emanzipatorische Veränderung zielt. Das zeigen seine vielen Buchbesprechungen, etwa der neuaufgelegten Bücher von Lefort oder Castoriadis. Er kritisierte das dichotome Weltbild des „alten Internationalismus“ und analysierte das bisweilen katastrophale Scheitern von emanzipatorischen Ideen und Projekten, um daraus für aktuelle Auseinandersetzungen zu lernen. Diese kritische Reflexivität übertrug er auf seine eigenen Arbeiten. So leitete er sein Internationalismus-Buch mit der Bemerkung ein, es sei aus der „Perspektive eines linken Aktivisten“ geschrieben, „der seit 25 Jahren in sozialen Bewegungen ständig seine nächsten Irrtümer vorbereitet. (…) Es sind zum Teil meine eigenen Irrtümer, die im Folgenden kritisiert werden.“ Allerdings resultierte seine Einsicht in die Vorläufigkeit der eigenen Einschätzung niemals in Relativismus, politischer Enthaltsamkeit oder gar Resignation, vielmehr war sie für ihn geradezu die Voraussetzung für eine klare emanzipatorische Positionierung. Dem entsprach, dass man mit Moe immer auch politisch quer liegen konnte, dass man wirklich mit ihm streiten konnte ? ohne dass es jemals zu einer Situation des definitiven persönlichen Bruchs gekommen wäre. Es war dies nicht nur Ausdruck seiner intellektuellen Kapazität, sondern eine besondere subjektive Qualität, die en der Linken leider selten ist.

Seine Bedeutung für die BUKO (Bundeskoordination Internationalismus), in der wir viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Spätestens seit 1990, als er den Kongress des damals noch Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen genannten Zusammenhangs in Nürnberg mitorganisierte, spielte er in unterschiedlichen BUKO-Zusammenhängen eine tragende Rolle. In einer Zeit, als durch den Epochenbruch 1989 die NGOisierung der Internationalismusbewegung drohte, verkörperte er gleichsam die Erinnerung an die basisdemokratische Geschichte der BUKO, die er zu fortzuführen half. Lange abendliche Diskussionen beim Jahreskongress oder bei unzähligen BUKO-Seminaren mit ihm waren politische, intellektuelle und menschliche Highlights. Sich die und den BUKO ohne Moe vorzustellen, fällt uns schwer.

Aus seiner umfassenden Kenntnis der Internationalismusbewegung entwickelte Moe ein Gespür für das Mögliche und Notwendige. Dazu gehörte etwa, dass er Ende der 1990er Jahre – also in einer Zeit, als radikale Kritik zumindest in Deutschland noch im Global-Governance-Geraune unterging bzw. von einer rot-grünen Modernisierungseuphorie marginalisiert wurde – den Anstoß für die Gründung des BUKO-Arbeitsschwerpunktes Weltwirtschaft gab, dessen Arbeit er selbst wesentlich prägte. 2002 war er – im Rahmen seines Engagements bei der Zeitung analyse & kritik (ak), zu deren regelmäßigen Autoren er zählte – an der Gründung des Zeitschriftenprojekts Fantômas beteiligt. Die dreizehn Ausgaben, die bis zum Sommer 2008 erschienen, sind ohne ihn gar nicht denkbar, ohne seine Artikel, seine Beiträge zu den Planungsdebatten jeder einzelnen Nummer, ohne seine Mitwirkung bei der Fertigstellung der Hefte, zu der sich die Redaktion stets für drei lange Tage und Nächte in Hamburg traf, in den Souterrainräumen der ak. Auch hier bleiben besonders sein Witz und sein Lachen unvergessen, während der langen Stunden vor den Computern ebenso wie im Morgengrauen, wenn die Redaktion, müde, doch zufrieden mit dem Geschriebenen, noch einmal zum Hafen aufbrach, um dann, nach kurzer Pause, ein letztes Mal die Folge der Beiträge zu diskutieren.

Zur Rehabilitierung radikaler Kritik und ihrer wieder stärker wahrnehmbaren Artikulierung in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre hat er einen zentralen Beitrag geleistet. Immer wieder war er an den Initiativen beteiligt, plurale linke Diskussions- und Handlungsräume zu schaffen: bei den erwähnten Publikationen, als Mitherausgeber des BUKO-Buches „radikal global“ 2003, lange Jahre neben der BUKO auch im Nürnberger Lateinamerikakomitee, später beim Nürnberger Sozialforum. Er war Mitinitiator und Mitveranstalter der „Beratungstreffen“, zu denen sich ab 1999, nach den schwachen Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Köln, eine stetig wachsende Schar radikaler Linker verschiedener Herkunft traf, zunächst zur Aufarbeitung der zurückliegenden Jahre und zur Verständigung über Perspektiven des Weitermachens, schließlich zur Debatte, dann zur konkreten Vorbereitung des neuerlichen Versuchs einer bundesweiten Organisierung. Ab 2004 wurde daraus die Interventionistische Linke (IL), und auch hier war Moe in prägender Weise „mittendrin“. Er half, Auseinandersetzungen zu einem guten Ende zu führen, nicht zuletzt durch sein Vermögen, dann moderierend einzugreifen, wenn es hoch her ging ? oder andersherum eine Diskussion erst „auf Touren“ zu bringen, die nicht so recht vom Fleck wollte. Noch im Mai hat er ein Treffen mit 80 GenossInnen in Nürnberg mitorganisiert. Als der Fortgang der Versammlung am Ärger des Hausmeisters zu scheitern drohte, war es Moe, der für das notwendige Verständnis für „Vorkommnisse“ sorgte, die nicht so ganz der Hausordnung entsprachen.

Radikale Kritik bedeutete für Moe nicht eine abstrakte Infragestellung von Herrschaft, sondern Kritik im Handgemenge. Moe wusste seine grundsätzliche Kritik an den bestehenden Verhältnissen praktisch werden zu lassen und mit konkretem politischem Engagement zu verbinden. Besonders bemerkenswert ist das alles, wenn man bedenkt, dass Moe – von einer kurzen Zeit in der BUKO-Geschäftsstelle abgesehen – niemals Vollzeit-Aktivist war, sondern seinen politischen Aktivitäten neben seiner Arbeit bei Quelle, seinem Studium und seiner Tätigkeit als Hauptschullehrer nachging. Er stellte somit in seiner eigenen Arbeit das her, was den globalisierungskritischen Initiativen in Deutschland zumindest in der Anfangzeit fehlte – die alltagspraktische Verankerung der Kritik an der neoliberalen Globalisierung.

Es waren nicht nur sein großes Wissen und sein politisches Gespür, von dem die BUKO und die radikale Linke profitierten, sondern seine ganze Persönlichkeit. Moe konnte in seinen Texten enorm scharf formulieren, er hatte einen bissigen, im positiven Sinne herausfordernden Humor. Gleichzeitig strahlte er gerade in einer Situation der Krise sozialer Bewegungen, wie sie für die BRD der 1990er Jahre kennzeichnend war, eine informierte Gelassenheit aus, die keinen Zweifel daran ließ, dass für emanzipatorische Projekte auch wieder bessere Zeiten anbrechen würden.

 

Moe Hierlmeier ist am 17. Juni an einem Herzinfarkt gestorben. Wir haben mit ihm einen Freund und einen unserer wichtigsten politischen Mitstreiter verloren.

 

Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen aus der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und aus der Interventionistischen Linken (IL), die Redaktionen analyse & kritik und Fantômas.

Es gibt zwei weitere Nachrufe, von Radio Z und  Assoziation A.

Polizei Sachsen: Because we can!

By Cepheiden (Own work) [GFDL (www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dresden_-_Polizeipraesidium_--_Haupteingang.jpgUpdate: Der sächsische Daten-Gau weitet sich zum Super-GAU aus: Nach Recherchen des MDR ist die massenhafte Datenspeicherung mind. seit 2009 in Sachsen Usus. Für die Handy-Daten-Überwachung ist ein Sonderbericht des Innenministeriums bis Freitag angekündigt.

Selbstbewusst verkündet heute die Polizeidirektion Dresden die „rechtmäßige“ Auswertung von 138.000 Handyverbindungs-Datensätzen, erhoben am 19. Februar 2011. Das sehen nicht alle so: „Der massive Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht verblüfft sogar die Staatsanwaltschaft.“ (Süddeutsche). Auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist nicht amüsiert, immerhin hat er erst aus der taz von der Angelegenheit erfahren, und hat der Dresdner Staatsanwaltschaft bis Donnerstag Zeit gegeben, sich zur Sache zu äußern.

Das Ganze lässt sich ziemlich einfach zusammenfassen: In Sachsen gibt es ein Nazi-Problem, nicht erst seit gestern und tatsächlich ernst. Einige mutige Menschen versuchen, dort die Demokratie zu retten und Sachsen wieder zu einem Land zu machen, in dem alle (über-)leben können. Viele versuchen das regelmäßig im Februar, wenn es jedes Jahr einen Nazi-Aufmarsch gibt, der sich mit meiner Vorstellung von Demokratie jedenfalls nur schlecht vereinbaren lässt. Und wer wird mit Verfahren überzogen, zuletzt knapp 40 Personen wegen angeblicher Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB? Jedenfalls nicht die Nazis. Das alles spricht Bände über das Rechtsstaatsverständnis der sächsischen Innenbehörden.

Und nun das: Bei Protesten gegen Neonazis wurden in Dresden zehntausende Handydaten erfasst, schrieb die taz.de gestern. Konnte die PD Dresden nicht auf sich sitzen lassen und korrigierte: 138.000!

Da durch die Provider ausschließlich die Verbindungsdaten der gesamten Funkzelle mitgeteilt werden, kann nicht vorab unterschieden werden, ob es sich bei dem Anschlussinhaber um Anwohner, Gäste oder aber Zeugen oder gar Beschuldigte handelt. Dies ergibt sich erst im Verlauf der weiteren Ermittlungen.

Unser aller Regierung findet, dass das jetzt rechtlich untermauert gehört und plant gerade die gesetzliche Grundlage für die nächste Fassung der Vorratsdatenspeicherung. Und voran schreiten singend die Post-Privacy-Jünger und fordern: Vorratsdaten für alle! Stellt Euch nicht so an!

Die parlamentarische oppositionelle Empörung bricht sich  Bahn: Handy-Überwachung hat Nachspiel.

Ich frage mich, wann Sachsen als solches im Verfassungsschutzbericht auftaucht.

Die Berichte vom Tage:

Bild: By Cepheiden (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0 , via Wikimedia Commons