Journalistische Maßstäbe

schreibmaschine800-Marvin Siefke_pixelio.deAm Samstagabend eskalierte nach einer Demo zur Unterstützung der Menschen in der Schule in der Ohlauer Straße eine Situation in der Nähe des Görlitzer Parks in Berlin-Kreuzberg. Davon gibt es ein Video, das bei YouTube (nur mit Anmeldung) bisher knapp 400.000 Mal gesehen wurde.

Zu sehen ist eine brutale Festnahme. Der Anlass ist nicht erkennbar. Anfangs gibt es kaum Publikum, aber es kommen immer mehr Menschen dazu und die Situation wirkt ziemlich unübersichtlich, für alle Anwesenden.

Zu dem Video gibt es im Text die Aufforderung, diese Dokumentation von Polizeigewalt zu verbreiten. Das ist offenbar so reichlich passiert, dass sich die Polizei genötigt sah, am Sonntag und am Montag Pressemitteilungen zu dem Vorfall zu veröffentlichen.

Entsprechend gibt es inzwischen diverse Berichte in den Medien. Und als ich die las, habe ich mich gefragt, wo die Autor_innen eigentlich ihre journalistischen Standards vergessen haben, die uns Blogger_innen regelmäßig unter die Nase gerieben werden. Sowohl Spiegel Online – im Panorama? -, als auch Berliner Zeitung und der Tagesspiegel beschreiben zwar die Perspektive der Polizei, haben aber keinerlei Information über die Sicht der anderen Seite der Auseinandersetzung. Der Berliner Zeitung könnte noch zugute gehalten werden, dass der Text als Kommentar veröffentlicht wurde. Konjunktiv wird eher spärlich eingesetzt: was die Polizei sagt, stimmt. Der Tagesspiegel zitiert immerhin mit ganzen fünf Worten die Macher_innen des Videos, aber dafür zusätzlich zum Polizei-Pressesprecher auch gleich noch die Landesbezirksvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Einseitig? Aber nicht doch!
(Falls es noch weitere entsprechende Berichte zu diesem Fall gibt: gern in die Kommentare)

Das ist nichts Neues. Eigentlich ist es der Regelfall: das habe ich beim G8-Gipfel als Teil des Presseteams der Proteste in Heiligendamm ausführlichst erlebt, es wurde bei den Protesten Anfang des Jahres in Hamburg anlässlich der angedrohten Flora-Räumung detailliert auseinandergedröselt und kritisiert und ist eigentlich nur selten anders: berichtet wird, was die Polizei-Pressestelle behauptet.

Was lernen diese Leute eigentlich auf den vielgepriesenen Journalist_innen-Schulen? Unter anderem doch wohl, dass der echte, der Qualitätsjournalismus sich u.a. deswegen von den Blogs und subjektivem „Bürgerjournalismus“ unterscheidet, weil immer verschiedene Seiten gehört werden, niemals nur eine Seite dargestellt wird.

Und warum gilt das nicht, wenn die Polizei involviert ist? Warum gilt das nicht, wenn in einer Auseinandersetzung offensichtlich viel Gewalt im Spiel ist und schließlich gegen drei Menschen „wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Gefangenenbefreiung und schweren Landfriedensbruchs ermittelt“ wird? Das sind schließlich keine Lappalien, sondern Vorwürfe, die möglicherweise mit Gefängnisstrafen enden. Und im übrigen die Statistiken über linke Gewalt füllen.

Natürlich sind diejenigen Beteiligten, die nicht bei der Polizei sind, nicht so einfach zu finden – gerade nicht bei solchen Vorwürfen und wenn sie möglicherweise traumatisiert sind nach der Prügelei. Vermutlich haben sie keine Pressestelle und verschicken nicht am nächsten Tag eine Pressemitteilung.

Aber bitte schön: das ist in Berlin-Kreuzberg kein Einzelfall. In Berlin wie in anderen Städten auch gibt es einen Ermittlungsausschuss, der sich seit Jahrzehnten um die rechtliche Betreuung von Menschen kümmert, die mit der Polizei aneinandergeraten. Die Nummer ist kein Geheimnis. Zu linksextrem, unglaubwürdig? (Auch schon gelesen). Aber die Polizei lügt nie, oder wie? Auch die politischen Kampagnen, um die herum solche Fälle häufig geschehen, sind in der Regel auffindbar und ansprechbar. Vielleicht nicht so komfortabel wie die Polizei, aber das kann ja wohl kein Grund sein, dann eben nur die eine Seite darzustellen. Jedenfalls nicht für Leute, die sich für Journalist_innen halten. Solche Berichte sind ein Grund, warum das Beharren, richtiger Journalismus sei wichtig und unersetzlich, zuweilen nicht besonders ernst genommen wird.

Wann fangen die Journalist_innenschulen an, ihren Auszubildenden beizubringen, wo und wie zu politischen und sozialen Bewegungen recherchiert wird und dass es da häufig Menschen gibt, die durchaus bereit sind, ihre Sicht der Dinge darzustellen? Das ist keine Zauberei.

Bild: Marvin Siefke  / pixelio.de

Verfassungsschutz abschaffen? Ja, aber…

Der Verfassungsschutz ist mit der Wahl und den Snowden-Leaks fast in Vergessenheit geraten. Vor knapp zwei Jahren begann die letzte Skandal-Serie des Verfassungsschutzes, die das Format gehabt hätte, die Regierung ins Wanken zu bringen. Die Kanzlerin hat es ausgesessen und inzwischen ist es fast vergessen. Zwischenzeitlich wurde in ausgesprochen respektablen Zeitungen und auch bei mehreren Parteien darüber nachgedacht, ob nicht besser wäre, den Verfassungsschutz aufzulösen.

Die Extremismus-Theorie hat auch durch diese Krise getragen und dann kam Prism. Der Verfassungsschutz ist mittlerweile besser ausgestattet als vorher.

Letzten Freitag haben mehrere Grundrechte-Organisationen dennoch mit einem Memorandum seine Auflösung gefordert. Die Begründung hat es in sich, und lohnt sich einerseits deswegen zu lesen, weil sie sich gut liest (hatte ich auch nicht erwartet) und weil die Argumente tatsächlich sehr hilfreich sind, wenn mal wieder wer sagt, dass es ohne Verfassungsschutz aber auch nicht geht, wer soll denn sonst die Extremisten im Auge behalten? Leider hat kaum jemand darüber berichtet. Es wäre wohl zuviel des Inhalts gewesen, so kurz vor der Wahl.

Das Memorandum wird unterstützt und herausgegeben von der Humanistischen Union, vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative, der Internationale Liga für Menschenrechte und dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, geschrieben wurde es von Rolf Gössner, Johann-Albrecht Haupt, Udo Kauß, Till Müller-Heidelberg und Thomas von Zabern, mit Unterstützung vom AK Vorrat, dem CCC, digitalcourage e.V., Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie. Die Idee ist

..an die Politiker/innen aller Parteien (zu appellieren), nach den jüngsten Geheimdienst-Skandalen endlich durchgreifende rechtspolitische Konsequenzen zu ziehen.

Die Argumente finden sich in fünf Thesen:

  1. Eine demokratische Gesellschaft lebt von der Meinungsvielfalt. Radikale Auffassungen und Be- strebungen (die von den vorherrschenden Meinungsbildern abweichen) sind deshalb nicht nur zulässig, sondern auch wünschenswert – solange die Grenzen zur Strafbarkeit bzw. zu gewalttätigem Handeln nicht überschritten werden. Staatliche Behörden dürfen derartige Äußerungen weder als „verfassungsfeindliche“ oder „extremistische“ Bestrebungen abqualifizieren, beobachten oder gar verfolgen. Wir brauchen kein staatliches „Frühwarnsystem” zur Beobachtung derartiger Auffassungen und Bestrebungen.
  2. Geheimdienstlicher Verfassungsschutz ist schädlich, wie auch die zahlreichen Verfehlungen und Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik zeigen. Es handelt sich dabei nicht um zufällige, persönliche oder vermeidbare Fehler, sondern systematisch bedingte Mängel eines behördlichen und geheimdienstlichen „Verfassungsschutzes“.
  3. Die gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden sind überflüssig. Bei ihrem Wegfall entsteht keine Sicherheitslücke. Eine Aufgaben- und Befugnisüberleitung von den Verfassungs- schutzbehörden auf die Polizei ist daher nicht erforderlich. Der Schutz vor Gewalt und Straftaten obliegt der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten.
  4. Eine Kontrolle geheim arbeitender Verfassungsschutzbehörden, die rechtsstaatlichen und demokratischen Ansprüchen genügt, ist nicht möglich. Auch Kontrollverbesserungen sind untauglich: ein transparenter, voll kontrollierbarer Geheimdienst ist ein Widerspruch in sich.
  5. Die Verfassungsschutzbehörden sind ersatzlos abzuschaffen – allein schon deshalb, um nicht in Zeiten knapper Kassen und in Beachtung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse jährlich eine halbe Milliarde Euro für überflüssige, ja schädliche Behörden auszugeben. Es bedarf auch keiner ersatzweisen, mit offenen Quellen arbeitenden staatlichen Informations- und Dokumentationsstelle über extremistische Bestrebungen. Das Problem besteht nicht in einem mangelnden Wissen über radikale, bisweilen auch menschenverachtende Meinungen und Haltungen in unserer Gesellschaft. Die Auseinandersetzung darüber muss mit politischen, demokratischen Mitteln geführt werden; sie ist innerhalb der Gesellschaft zu führen.

Auf der Website verfassung-schuetzen.de lässt sich nachlesen, wie die Thesen begründet werden.

Im Abschnitt Der „Verfassungsschutz“ ist schädlich zum Beispiel finden sich viele Skandale, über die ich in meinen „Zitronenfalter“-Talk beim letzten CCC-Congress über den Verfassungsschutz geredet habe. Aber auch andere, z.B. aus dem Jahr 1985:

Die Datenschützer stießen auch auf eine Kartei P2“. Sie enthielt 16 000 Personen, die nach Ansicht der „Verfassungsschützer“ „konspirativ tätig oder dessen verdächtigt” waren. In der Kartei wurden Persönlichkeitsmerkmale von observierten Personen erfasst, von H 10 bis H 73; H 71 stand zum Beispiel für Homosexuelle.

Im Teil Der „Verfassungsschutz“ ist entbehrlich kommen die Autoren zum Ergebnis:

Bei kritischer Durchsicht erweisen sich die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben des „Verfassungsschutzes“ tatsächlich als überflüssig. Eine ersatzlose Streichung würde zu keiner Sicherheitslücke führen.

und erklären auch warum. Das Memorandum gibt es auch als gedruckten Band von 70 Seiten, der sich bei der Humanistischen Union bestellen lässt.

Auf der Website des Memorandums gibt es noch weitere Materialien zum Thema, bspw. einen Text dazu, wie es dazu kommt, dass die Mitgliedschaft in (legalen) kommunistischen Organisationen bei Migrant_innen schonmal dazu führt, dass die Staatsangehörigkeit verweigert wird.  Anschlagsrelevante Texte? beschreibt, dass das Schreiben kritischer Texte reicht, um sich für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu qualifizieren. Genau das übrigens führt in zahllosen Gesprächen, die ich in den letzten sechs Jahren geführt habe, regelmäßig zu Entsetzen.

»Man wird der Autorin des Aufsatzes nicht nachsagen können, für den Anschlag […] direkt verantwortlich zu sein. Strafrecht­lich ist ihr nichts vorzuwerfen, schließlich hat sie an keiner Stelle zur Gewalt aufgerufen.«

Pech ist dann bloß, wenn er an der falschen Stelle gefunden wird:

»Der […] am Tatort gefundene Artikel reiht sich ein in eine Serie ähnlicher Veröffentlichungen, die in ihrer Summe Gewaltbereitschaft fördern oder direkt hervorru­fen. Mit solchen Texten ist die Straße zur Straftat gepflastert. «

Schön, dass unsere Verfassung die Meinungsfreiheit garantiert.

Wer den Aufruf unterzeichnen möchte, kann das hier tun.

Foto: greenoid via photopin, BY-SA-CC-Lizenz

Act of Terror – Ein Film über das Filmen von Polizisten. Und was dann passiert.

Gemma Atkinson hat in der Londoner U-Bahn gefilmt, als ihr Freund angehalten und durchsucht wurde. Das reicht schon, um gegen das britische Terrorismus-Gesetz zu verstoßen. Dachte jedenfalls die beteiligte Polizei.

Tatsächlich steht im Gesetz, dass es in Großbritannien verboten ist, PolizistInnen zu fotografieren oder zu filmen – wenn die Aufnahmen terroristisch nutzbar sind. Ich vermute, dass das eine ziemlich dehnbare Definition ist.

Sie hat sich vor Gericht dagegen gewehrt, dass sie in Gewahrsam genommen und mit Handschellen gefesselt wurde. Und hat gewonnen. Das Geld aus dem Verfahren hat sie in diesen kurzen Film gesteckt:

Nebenbei wird auch sehr anschaulich gezeigt, warum nur wenige Leute die Nerven haben, juristisch gegen die Polizei vorzugehen. Das ist hier nicht anders.

(via The Guardian)

Ganz normale Polizeigewalt

Im Trubel etwas untergegangen sind zwei Fälle von Polizeigewalt im Januar, die ich hier nochmal rauskrame. Wohl auch, weil sie in Orten ohne Twitteria oder Hauptstadtpresse stattfanden. Besonders ungewöhnlich nicht, skandalös auf jeden Fall.

Nr. 1 – Die Demo am 7. Jahrestag des Todes von Oury Jalloh

Oury Jalloh war Flüchtling und lebte bis zu seinem Tod in Dessau. Er verbrannte unter bis heute ungeklärten Umständen, an Armen und Beinen gefesselt, nach seiner Festnahme in einer Polizeizelle am 7.1.2005. Dabei lag er auf einer Matratze aus schwer brennbarem Material und war vorher durchsucht worden. Dabei war kein Feuerzeug gefunden worden.

Am 7. Januar 2012 fand in Dessau eine Gedenk-Demonstration statt. Zum dabei getragenenen Plakaten mit der Aufschrift „Oury Jalloh – Das war Mord“ hatte der Innenminister von Sachsen-Anhalt vorher erklärt,

dass die Polizei keinen Strafantrag wegen des Slogans „OUR JALLOH _ DAS WAR MORD“ stellen werde, um „weitere Eskalationen“ zu verhüten. Er verwahre sich aber „gegen die Aussage, dass unsere Polizisten Mörder sein sollen“. (Pressemitteilung The Voice)

Dennoch war dieser Satz der Vorwand für die Anwendung von Gewalt durch die Polizei – gegen eine friedliche Demo. Zur Erinnerung:

Das elektronische Journal, das alle Vorgänge auf dem Polizeirevier erfasst, wurde gelöscht. Das Gericht konnte nicht klären, weshalb. Das Feuerzeug, mit dem Jalloh sich selbst angezündet haben soll, wurde nicht bei der ersten Durchsuchung der ausgebrannten Zelle entdeckt. Es ist erst nachträglich in die Asservatenliste eingetragen worden. (taz)

Aus einem Offenen Brief der Internationalen Liga für Menschenrechte und des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Gleich zu Beginn der Demonstration wurden Teilnehmer und Teilnehmerinnen von der Polizei verletzt. Darunter die  Initiatoren der Demonstration und der Versammlungsleiter Mouctar Bah. Im Anschluss an die friedlich verlaufene Demonstration wurden die nach Berlin zurückkehrenden Vorstandsmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh von in der Eingangshallte wartenden Polizeibeamten erkennungsdienstlich kontrolliert, körperlich angegriffen und verletzt. Mouctar Bah wurde bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert.

Zusammengefasst: der Innenminister sagt vorher, der Satz ist ok und der Anmelder (gleichzeitig Gründer der Initiative Oury Jalloh) wird während der Demo dafür von der Polizei bewusstlos geschlagen. Rein zufällig handelt es sich beim Anmelder wie beim Toten um Schwarze.

Auch dazu:

Magdeburger Sonntag: Scharfe Kritik am Polizeieinsatz in Dessau
FR: Überwacht endlich die Überwacher!
Umbruch Bildarchiv: Polizeiübergriffe am Gedenktag (Fotos)

Update: In Dessau ging es nach der Demo sehr gruselig weiter: Zwei Wochen, die Dessau überforderten

Hintergrund: Wer klärt den Fall Oury Jalloh auf? (WDR)

 

Nr. 2 – Polizeieinsatz an der Uni Göttingen

Drei Tage später, am 10. Januar, verprügelten niedersächsische (sic!) BeamtInnen Leute, die gegen den Auftritt von Innenminister Schünemann samt Göttinger Polizeipräsident Kruse bei einer Veranstaltung des konservativen Studenten-Verbands RCDS protestierten (nicht deswegen, sondern wegen der niedersächsischen Abschiebepolitik).

Linke AktivistInnen blockierten den Zugang zu dem Hörsaal, in dem Schünemann und Göttingens Polizeipräsident Robert Kruse sprachen. Die Polizei räumte den Eingangsbereich, wobei die Demonstrierenden geschlagen, getreten, gewürgt und mit dem Kopf gegen die Wand geschleudert wurden. (taz)

Und wie war nun die Stimmung vor dem Hörsaal? Mit einem Wort: friedlich. Da standen nämlich keine vermummten Autonomen mit Pflastersteinen in der Hand und blockierten den Eingang, sondern ganz normale politisch Interessierte wie Vertreter der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die sich insbesondere gegen die rigorose Abschiebepraxis des Innenministers wandten und unter dem Eindruck des Rechtsterrorismus den Finger in die Wunde Verfassungsschutz legten. Die Demonstranten drängten auch nicht in den Hörsaal – da stand nicht nur eine Gruppe Uniformierter, auch die massiven Türen gehen nämlich nur nach außen auf… (RegJo Südniedersachsen)

Alles klar. Videos gibt’s beim NDR. Und ratet mal, wer hinterher die Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Landfriedensbruchs und Körperverletzung gekriegt hat?

Als ich studierte, reichte es für einen gewaschenen Skandal, dass überhaupt Polizei auf dem Uni-Gelände war.

Benjamin Laufer (@rakeede), der neben dem taz- auch einen SPON-Artikel schrieb, hat das ganze noch ausführlicher in seinem Blog: Der lange Weg zur Wahrheit / Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Sachsen crowdsourcen*

omgomgomg*. Noch eine Woche. Dann fängt der 28c3 an und der zweite Talk ist meiner. Im großen Saal des bcc, und ja, es ist aufregend.

Ich werde reden über Sachsen und die Tatsache, dass politischer Skandal da Normalzustand ist. Funkzellenabfragen, Dresden nazifrei, §129-Verfahren mit dem Salzstreuer, Durchsuchungen in Nachbar-Bundesländern und leider keine Zeit, sich auch noch juristisch mit Nazis zu befassen.

Ich bilde mir nicht ein, mich besser auszukennen als viele, die da wohnen und/oder sich schon viel länger mit den Zuständen in Sachsen beschäftigen. Und ich würde den Talk mit Eurer Hilfe gern besser machen:

Welche Geschichten sind schon wieder in Vergessenheit geraten? Welche Details gehen im großen Ganzen unter? Welche kleinen Skandale kennt außerhalb der Reichweite der Lokalzeitungen kaum wer?

Was sollte unbedingt erwähnt werden? Schickt mir Eure schönsten und schaurigsten Sachsen-Geschichten!

Links reichen, per Mail oder als Kommentar, gern aber auch zusammenhängende Texte. Oder Bilder. Oder Clips.

Wem das heikel ist: in der rechten Randspalte dort -> gibt es meinen GPG-Schlüssel oder die Möglichkeit, die Privacy-Box zu benutzen.

Danke!

 

 

*crowdsourcen: digitaldeutsch für Wissen zusammentragen, gemeinsam etwas erarbeiten, vom Wissen anderer profitieren

*omg: digitaldeutsch, Abkürzung für ‚oh my god‘

„Geheimdienst hilft Linken“

Diese Überschrift lächelte mich Freitag in der Berliner Zeitung an. Hat man ja nicht alle Tage, dass der Geheimdienst Linke nicht verfolgt, sondern sogar helfen will.

Beim näheren Hinsehen bedauerlicherweise entpuppte sich das als leicht fehlgeschlagener Titel zur Meldung zum Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes für Linksextreme. Steht zwar überall, aber so neu ist das ganze nicht, weswegen es dem Pantooffelpunk schon im Sommer 2010 gelang, einen Aussteiger zu finden, der bereit war, über seine Erfahrungen zu sprechen:

Interview mit einem Aussteiger

5. Juli 2010, 11:48 Uhr von pantoffelpunk

Die Bundesregierung startete jüngst ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten, dessen Sinn von vielen linken Gruppen und Aktivisten kritisiert wird. Ganz aktuell und exklusiv gibt es dazu auf pantoffelpunk.de ein Blitzinterview mit dem Aussteiger T.F.:

pantoffelpunk.de: “Herr F., sie sind aus der linksextremen Szene ausgestiegen. Wie haben Sie das geschafft?”

Herr F.: “Ich bin sonst jeden Dienstag zum Treffen der Autonomen Antifa meiner Stadt gegangen, an einem Dienstag im November des letzten Jahres allerdings bin ich von einem alten Bekannten, der mit der Szene nichts zu tun hat, zum Spieleabend eingeladen worden. Wir haben nett geklönt, ein paar Bier getrunken und witzige Gesellschaftsspiele gespielt. Das war ein sehr netter Abend.”

pp: “Wie ging es weiter?”

F.: “Am Ende des Abends fragten die mich, ob ich am nächsten Dienstag wieder kommen wolle, einer würde auch eine WII mitnehmen. Ich sagte zu und hielt meine Verabredung ein.”

pp: “Sie fehlten also wieder bei dem Treffen der Antifa? Wie haben ihre Kamer… Mitstreiter reagiert?”

F.: “Ich habe irgendwann S. von der Antifa angerufen und gesagt, dass ich Dienstags jetzt etwas anderes vorhätte und nicht mehr an den Treffen teilnehmen würde. Er war natürlich etwas enttäuscht, schließlich hatten wir davor Jahre lang gemeinsam im rechtsextremen Millieu recherchiert und Daten veröffentlicht, wir haben Aktionen geplant, Demos organisiert und Migranten bei der Suche nach Hilfen unterstützt.”

pp: “Wurden Sie in der Folgezeit unter Druck gesetzt und bedroht?”

F.: “Ja. Man hatte mir massiv damit gedroht, den Termin auf Mittwoch zu verlegen, ich solle doch bitte wieder dabei sein.”

pp: “Aber Sie sind hart geblieben?”

F.: “Ja, ich hatte schon länger keine Lust mehr, wollte das Feld den Jüngeren überlassen und auch wieder mehr Zeit für meine Freundin haben.”

pp: “Mussten Sie untertauchen?”

F.: “Ja, ich habe ein paar Antifas wiedergetroffen, als ich im letzten Monat im Freibad war. S. hat mich lachend untergeduckert. Einer hatte auch einen Ball mit. Wir haben dann eine Stunde lang “Schweinchen in der Mitte” gespielt und meistens war ich das Schweinchen. Dann musste ich Gott sei Dank raus, ich hatte nur ein Zweistundenticket und wollte nicht nachbezahlen.”

pp: “Herr F., wir danken für das Gespräch.”

 

Und jetzt mal im Ernst: ich halte solche Programme für a) Quatsch und b) hochgradig demagogisch. Sie sind die Fortsetzung des Versuchs der gegenwärtigen Regierung, rechts und links (-extrem) gleichzusetzen. Es ist kein Geheimnis, dass das sowohl in der Theorie wie in der Praxis größtmöglicher Blödsinn ist. Rechte Ideologie hat völlig andere Ziele als linke. Linke haben seit den 80’er Jahren niemanden mehr umgebracht, Rechte sind eine permanente Gefahr und haben bis heute zahlreiche Menschen auf dem Gewissen. Nicht versehentlich. Wenn Linke/Linksextreme sich entscheiden, mit ihrem Leben was anderes anfangen zu wollen, dann tun sie das. Fertig aus. Niemand wird bedroht deswegen. Warum zum ‚Ausstieg‘ Hilfe nötig sein soll, hat noch niemand erklären können.

Das wäre eher komisch, solange es keine ernsthaften Konsequenzen hätte. Nur werden zur Finanzierung dieser ‚Linksextremismus‘- Aktivitäten solche gegen Rechtsextremismus zusammengekürzt. Und das ist dann tatsächlich gefährlich.

Moe Hierlmeier ist tot

Moe Hierlmeier ist tot. Er ist letzten Freitag an einem Herzinfarkt gestorben. Es macht mich traurig. Persönlich und auch, weil uns politisch jemand verloren gegangen ist, der wichtig war. Ich habe Moe im Rahmen des Buko (jetzt: der Buko) kennengelernt, als unglaublich witzigen, lebenslustigen und klugen Menschen. Menschen wie ihn brauchen wir so dringend, um nicht zu vergessen, dass es eine Alternative gibt zwischen dem Aufgeben vor den scheinbar nicht zu ändernden Verhältnissen und dem Sich-Verlieren in vor allem mit sich selbst beschäftigten politischen Blasen. Moe hat mir mal erzählt, dass er Hauptschullehrer war, gern und aus Überzeugung. Damit allein hat er wahrscheinlich mehr geändert als viele andere. In Erinnerung bleiben wird mir sein lautes, unüberhörbares Gelächter.

 

Ein Nachruf seiner politischen WegbegleiterInnen:

Radikaler Internationalismus

Moe Hierlmeier ist tot

Dass Moe nicht mehr da sein soll, ist für uns noch nicht zu begreifen. In seiner typisch ironischen Art schrieb er noch im Frühling, nachdem wir uns länger nicht gesehen hatten: „Sollen wir uns in diesem Leben noch mal treffen?“ Kürzlich in Nürnberg erzählte er von den Entwicklungen in der Interventionistischen Linken, wir sprachen über die BUKO und er skizzierte sein Projekt, angeregt durch die Lektüre von Rancière, Badiou und Zizek sowie durch das Kommunismus-Buch seines engen politischen Freundes Thomas Seibert mittelfristig und ohne Zeitdruck ein Buch zum Thema politisches Ereignis zu verfassen. Seine späte und nicht bereute Entscheidung, Hauptschullehrer in Nürnberg zu werden, hat ihm für solche Projekte weniger Zeit gelassen, was ihn nicht daran hinderte, sie mit Nachdruck zu verfolgen.

Gerade hatten Franziska und Moe Renovierung und Ausbau ihrer Wohnung abgeschlossen. Beim kürzlichen Treffen zeigte er froh den Sessel, auf dem er zum Lesen, Denken und Schreiben kommt. Den enorm dichten Rhythmus früherer Tage ? fast jedes Wochenende in politischen Dingen unterwegs, mehrere Tageszeitungen lesend, die radikal-linke Literatur sowieso, sich nie um organisatorische Aufgaben drückend – wollte er so nicht mehr halten. Und dennoch war er dort, wo er sich engagierte, menschlich, organisatorisch und inhaltlich-strategisch immer ein Aktivposten.

1959 geboren und in Schierling aufgewachsen, wollte Moe zuerst Priester werden, trat dann mangels Alternativen auf dem Land der Jungen Union bei und wurde in den 1970er Jahren zum Linken. Nach seinem Umzug nach Nürnberg engagierte er sich in der Anti-AKW- Bewegung, in der Mobilisierung gegen die Massenverhaftungen im KOMM 1981 sowie in der Anti-Kriegsbewegung. In diesen Zusammenhängen stieß er auf die Aktiven des Kommunistischen Bundes (KB) Nürnberg. Anfang der 1980er Jahre integrierte er sich in der für diese Organisation häufigen „fließenden“ Art und Weise in der KB-Ortsgruppe und schied in den späten 1980er Jahren in ähnlicher Art und Weise wieder aus. Will sagen, man arbeitete vorher und nachher in sozialen Bewegungen zusammen und zog häufig an einem Strang. Es veränderten sich Akzente, Einschätzungen und Vorgehensweisen, die Zielvorstellungen wirkten ebenso einend wie vielfältige und enge persönliche Beziehungen.

Moe verfügte über ein enormes Wissen, er äußerte sich über die deutsche Romantik ebenso qualifiziert wie über den französischen Poststrukturalismus. Ein BUKO-Genosse sagte vor Jahren bei einer gemeinsamen Wanderung, Moe sei der erste Universalgelehrte seit Leibniz. Alle lachten schallend, am lautesten lachte Moe selbst.

Vor allem war Moe ein außerordentlich belesener Ideengeschichtler des Internationalismus. Dabei kam es ihm immer darauf an, Ideen nicht zu musealisieren, sondern sie in den Zusammenhang von früheren und aktuellen Kämpfen zu stellen. Moe interessierte sich für das radikale Denken, das früher oder heute an den Rändern der Gesellschaft entsteht und auf emanzipatorische Veränderung zielt. Das zeigen seine vielen Buchbesprechungen, etwa der neuaufgelegten Bücher von Lefort oder Castoriadis. Er kritisierte das dichotome Weltbild des „alten Internationalismus“ und analysierte das bisweilen katastrophale Scheitern von emanzipatorischen Ideen und Projekten, um daraus für aktuelle Auseinandersetzungen zu lernen. Diese kritische Reflexivität übertrug er auf seine eigenen Arbeiten. So leitete er sein Internationalismus-Buch mit der Bemerkung ein, es sei aus der „Perspektive eines linken Aktivisten“ geschrieben, „der seit 25 Jahren in sozialen Bewegungen ständig seine nächsten Irrtümer vorbereitet. (…) Es sind zum Teil meine eigenen Irrtümer, die im Folgenden kritisiert werden.“ Allerdings resultierte seine Einsicht in die Vorläufigkeit der eigenen Einschätzung niemals in Relativismus, politischer Enthaltsamkeit oder gar Resignation, vielmehr war sie für ihn geradezu die Voraussetzung für eine klare emanzipatorische Positionierung. Dem entsprach, dass man mit Moe immer auch politisch quer liegen konnte, dass man wirklich mit ihm streiten konnte ? ohne dass es jemals zu einer Situation des definitiven persönlichen Bruchs gekommen wäre. Es war dies nicht nur Ausdruck seiner intellektuellen Kapazität, sondern eine besondere subjektive Qualität, die en der Linken leider selten ist.

Seine Bedeutung für die BUKO (Bundeskoordination Internationalismus), in der wir viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Spätestens seit 1990, als er den Kongress des damals noch Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen genannten Zusammenhangs in Nürnberg mitorganisierte, spielte er in unterschiedlichen BUKO-Zusammenhängen eine tragende Rolle. In einer Zeit, als durch den Epochenbruch 1989 die NGOisierung der Internationalismusbewegung drohte, verkörperte er gleichsam die Erinnerung an die basisdemokratische Geschichte der BUKO, die er zu fortzuführen half. Lange abendliche Diskussionen beim Jahreskongress oder bei unzähligen BUKO-Seminaren mit ihm waren politische, intellektuelle und menschliche Highlights. Sich die und den BUKO ohne Moe vorzustellen, fällt uns schwer.

Aus seiner umfassenden Kenntnis der Internationalismusbewegung entwickelte Moe ein Gespür für das Mögliche und Notwendige. Dazu gehörte etwa, dass er Ende der 1990er Jahre – also in einer Zeit, als radikale Kritik zumindest in Deutschland noch im Global-Governance-Geraune unterging bzw. von einer rot-grünen Modernisierungseuphorie marginalisiert wurde – den Anstoß für die Gründung des BUKO-Arbeitsschwerpunktes Weltwirtschaft gab, dessen Arbeit er selbst wesentlich prägte. 2002 war er – im Rahmen seines Engagements bei der Zeitung analyse & kritik (ak), zu deren regelmäßigen Autoren er zählte – an der Gründung des Zeitschriftenprojekts Fantômas beteiligt. Die dreizehn Ausgaben, die bis zum Sommer 2008 erschienen, sind ohne ihn gar nicht denkbar, ohne seine Artikel, seine Beiträge zu den Planungsdebatten jeder einzelnen Nummer, ohne seine Mitwirkung bei der Fertigstellung der Hefte, zu der sich die Redaktion stets für drei lange Tage und Nächte in Hamburg traf, in den Souterrainräumen der ak. Auch hier bleiben besonders sein Witz und sein Lachen unvergessen, während der langen Stunden vor den Computern ebenso wie im Morgengrauen, wenn die Redaktion, müde, doch zufrieden mit dem Geschriebenen, noch einmal zum Hafen aufbrach, um dann, nach kurzer Pause, ein letztes Mal die Folge der Beiträge zu diskutieren.

Zur Rehabilitierung radikaler Kritik und ihrer wieder stärker wahrnehmbaren Artikulierung in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre hat er einen zentralen Beitrag geleistet. Immer wieder war er an den Initiativen beteiligt, plurale linke Diskussions- und Handlungsräume zu schaffen: bei den erwähnten Publikationen, als Mitherausgeber des BUKO-Buches „radikal global“ 2003, lange Jahre neben der BUKO auch im Nürnberger Lateinamerikakomitee, später beim Nürnberger Sozialforum. Er war Mitinitiator und Mitveranstalter der „Beratungstreffen“, zu denen sich ab 1999, nach den schwachen Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Köln, eine stetig wachsende Schar radikaler Linker verschiedener Herkunft traf, zunächst zur Aufarbeitung der zurückliegenden Jahre und zur Verständigung über Perspektiven des Weitermachens, schließlich zur Debatte, dann zur konkreten Vorbereitung des neuerlichen Versuchs einer bundesweiten Organisierung. Ab 2004 wurde daraus die Interventionistische Linke (IL), und auch hier war Moe in prägender Weise „mittendrin“. Er half, Auseinandersetzungen zu einem guten Ende zu führen, nicht zuletzt durch sein Vermögen, dann moderierend einzugreifen, wenn es hoch her ging ? oder andersherum eine Diskussion erst „auf Touren“ zu bringen, die nicht so recht vom Fleck wollte. Noch im Mai hat er ein Treffen mit 80 GenossInnen in Nürnberg mitorganisiert. Als der Fortgang der Versammlung am Ärger des Hausmeisters zu scheitern drohte, war es Moe, der für das notwendige Verständnis für „Vorkommnisse“ sorgte, die nicht so ganz der Hausordnung entsprachen.

Radikale Kritik bedeutete für Moe nicht eine abstrakte Infragestellung von Herrschaft, sondern Kritik im Handgemenge. Moe wusste seine grundsätzliche Kritik an den bestehenden Verhältnissen praktisch werden zu lassen und mit konkretem politischem Engagement zu verbinden. Besonders bemerkenswert ist das alles, wenn man bedenkt, dass Moe – von einer kurzen Zeit in der BUKO-Geschäftsstelle abgesehen – niemals Vollzeit-Aktivist war, sondern seinen politischen Aktivitäten neben seiner Arbeit bei Quelle, seinem Studium und seiner Tätigkeit als Hauptschullehrer nachging. Er stellte somit in seiner eigenen Arbeit das her, was den globalisierungskritischen Initiativen in Deutschland zumindest in der Anfangzeit fehlte – die alltagspraktische Verankerung der Kritik an der neoliberalen Globalisierung.

Es waren nicht nur sein großes Wissen und sein politisches Gespür, von dem die BUKO und die radikale Linke profitierten, sondern seine ganze Persönlichkeit. Moe konnte in seinen Texten enorm scharf formulieren, er hatte einen bissigen, im positiven Sinne herausfordernden Humor. Gleichzeitig strahlte er gerade in einer Situation der Krise sozialer Bewegungen, wie sie für die BRD der 1990er Jahre kennzeichnend war, eine informierte Gelassenheit aus, die keinen Zweifel daran ließ, dass für emanzipatorische Projekte auch wieder bessere Zeiten anbrechen würden.

 

Moe Hierlmeier ist am 17. Juni an einem Herzinfarkt gestorben. Wir haben mit ihm einen Freund und einen unserer wichtigsten politischen Mitstreiter verloren.

 

Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen aus der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und aus der Interventionistischen Linken (IL), die Redaktionen analyse & kritik und Fantômas.

Es gibt zwei weitere Nachrufe, von Radio Z und  Assoziation A.

Gegen Terror ist jedes Mittel recht

Im Berliner Abgeordnetenhaus (Landesparlament) wurde Ende Mai über den sog. S-Bahn-Anschlag debattiert und der grüne Abgeordnete Benedikt Lux hielt eine Rede, die ich den Grünen irgendwie doch nicht zugetraut hätte. Aber wer gern schwarz-grün regieren möchte, muss wohl Abstriche in bestimmten Bereichen machen.

Disclaimer, weil das ja immer kommt: Mir geht es hier nicht um den S-Bahn-Anschlag und ich fand auch, dass es in dem Bereich keine Anschläge mehr braucht, denn das macht die BVG S-Bahn GmbH ja schon sehr schön alleine. Mir geht es um den Ton, der sich wenig von konservativen Innenpolitik-Hardlinern unterscheidet.

Die Highlights:

Dieser Anschlag hatte zur Folge, dass Zehntausende Berlinerinnen und Berliner nicht so leben, arbeiten und sich so in der Stadt bewegen konnten, wie sie es gewohnt sind. (..) Deswegen ist für meine Fraktion klar, dass fast die gesamte Stadt Opfer und Geschädigte dieses Anschlags war, wir waren es alle.

Zu Recht prüft jetzt die Generalbundesanwaltschaft – wie sie es auch nach dem Anschlag auf den Polizeiabschnitt in Friedrichshain getan hat –, ob hier nicht terroristische Zusammenhänge vorliegen, denn die Tätergruppen sind sehr konspirativ vorgegangen.

Terrorismus? Selbst die Bundesanwaltschaft hat mittlerweile abgelehnt. Seit wann suchen die Grünen unter jedem Stein nach Terroristen? Waren die nicht auch mal Bürgerrechtspartei?

Der 1. Mai, die „revolutionäre“ Demo ist halbwegs friedlich gewesen, aber das ist kein Grund zur Entwarnung, denn die Tätergruppen werden konspirativer, kleiner, sie stehen sich nicht mehr Mann gegen Mann auf der Straße gegenüber – so hat es auch ein Staatsschützer ausgedrückt –, sondern sie planen feige Anschläge, die hohen Schaden verursachen können, dem Gemeinwohl empfindlich schaden.

Mann gegen Mann?!? Und wenn – wäre das die wünschenswertere Form der Auseinandersetzung?

Deswegen muss ein Signal ausgehen, dass wir in dieser Stunde, in der so feige Anschläge mit diesem Schaden verübt werden, als Parlament zusammenstehen, und zwar alle Fraktionen, dass wir diesen feigen Anschlag verurteilen (…)

Warum diese starke Betonung des ‚Wir alle gegen DIE‘ nötig war, ist mir unklar. Es war ja sicher nicht zu befürchten, dass sich irgendwer im Parlament hinstellt und die Bevölkerung zu weiteren ähnlichen Anschlägen aufhetzt? Die mehrfache Wiederholung dieses „Wir“ erinnert mich an militaristische Rhetorik.

Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, unsere empfindliche Infrastruktur zu schützen, sie sicherer zu machen. (..) Damit wird niemand vom Opfer zum Täter gemacht, sondern es geht darum, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, unsere Bevölkerung, unsere freie Gesellschaft zu schützen. Jedes zulässige Mittel, das den Schutz dieser Infrastruktur zum Ziel hat, ist recht.

Jedes Mittel für unsere freie Gesellschaft? Auweia.

Und dann ein Klassiker – wenn härter durchgegriffen werden soll, werden gern die vermeintlich Schwachen betont, die geschützt werden müssen:

Es kann nicht sein, dass sich jede zweite Frau in diesem Bundesland fürchtet, wenn sie den öffentlichen Nahverkehr benutzt.

Und schließlich: Videoüberwachung für den Klimaschutz!

Wir als Grüne setzen große Hoffnung darauf, dass er (der Nahverkehr, A.R.) unsere Mobilität künftig klimaschonender machen wird. Der öffentliche Nahverkehr muss attraktiv, günstig und insbesondere sicher sein. Ich erinnere nur an zwei Beispiele, nämlich die schon erwähnte Abschaffung der Doppelstreifen und die Weigerung von Innensenator Körting, Rechtsgrundlagen für den öffentlichen Nahverkehr einzuführen, die eine Videoüberwachung zur Folge haben.

Die Rede gibt’s beim RBB auch als Video.

 

Für den besseren Gesamteindruck die gesamte Rede aus dem Protokoll:
Berliner Abgeordnetenhaus, 83. Sitzung, 26. Mai 2011, S. 7984 (pdf)

Benedikt Lux (Grüne):

Danke schön, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten  Damen und Herren! In der Nacht zum Montag ist ein Anschlag auf eine Kabelbrücke am Ostkreuz verübt worden. Dieser Anschlag hatte zur Folge, dass Zehntausende Berlinerinnen und Berliner nicht so leben, arbeiten und sich so in der Stadt bewegen konnten, wie sie es gewohnt sind. Sie kamen zu spät oder gar nicht zur Arbeit. Tausende konnten nicht telefonieren, nicht ins Internet gehen, und selbst in Krankenhäusern konnte nicht telefoniert und kommuniziert werden, weil dieser Anschlag solch fatale Folgen hatte. Deswegen ist für meine Fraktion klar, dass fast die gesamte Stadt Opfer und Geschädigte dieses Anschlags war, wir waren es alle. Deswegen ist er unumwunden zu verurteilen.

[Beifall bei den Grünen –
Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Zu Recht prüft jetzt die Generalbundesanwaltschaft – wie sie es auch nach dem Anschlag auf den Polizeiabschnitt in Friedrichshain getan hat –, ob hier nicht terroristische Zusammenhänge vorliegen, denn die Tätergruppen sind sehr konspirativ vorgegangen. Sie hatten möglicherweise sogar Insiderwissen. Diese Prüfung sollten wir aber auch in aller Nüchternheit abwarten, Herr Kollege Dr. Juhnke. Die Entscheidung obliegt nicht uns als Parlament, sondern einer unabhängigen Justiz. Dann werden wir sehen, wie dieser Anschlag genau zu qualifizieren ist.

Nach dem 1. Mai, der relativ friedlich war, haben nicht alle Entwarnung gegeben. Sie selbst und auch Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen saßen zusammen und haben gesagt: Der 1. Mai, die „revolutionäre“ Demo ist halbwegs friedlich gewesen, aber das ist kein Grund zur Entwarnung, denn die Tätergruppen werden konspirativer, kleiner, sie stehen sich nicht mehr Mann gegen Mann auf der Straße gegenüber – so hat es auch ein Staatsschützer ausgedrückt –, sondern sie planen feige Anschläge, die hohen Schaden verursachen können, dem Gemeinwohl empfindlich schaden. Das planen sie in sehr konspirativem Kreis. Das haben die Innenpolitiker dieses Hauses gesehen. Deswegen muss ein Signal ausgehen, dass wir in dieser Stunde, in der so feige Anschläge mit diesem Schaden verübt werden, als Parlament zusammenstehen, und zwar alle Fraktionen, dass wir diesen feigen Anschlag verurteilen und uns da nicht auseinanderdividieren lassen, denn diesen gefallen sollten wir den Tätern nicht tun. Wir müssen gegen diesen Anschlag zusammenstehen und ihn so hart wie erforderlich verurteilen.

[Beifall bei den Grünen –
Vereinzelter Beifall bei der SPD –
Beifall von Björn Jotzo (FDP)]

Niemand in der Bevölkerung versteht, wenn wir uns hierzu gegenseitig Vorwürfe machen. Wer hätte da etwas besser machen können? Wer hat da noch den Hauch von Sympathie? – Hier im Parlament hat niemand für diese feigen Attentäter Sympathie. Alle versuchen vielmehr, diesen Schaden für das Allgemeinwohl abzuwenden. Das sollten wir gemeinsam tun.

Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, unsere empfindliche Infrastruktur zu schützen, sie sicherer zu machen. Dazu hat der Kollege Kleineidam etwas gesagt. Dieser Hinweis muss erlaubt sein. Damit wird niemand vom Opfer zum Täter gemacht, sondern es geht darum, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, unsere Bevölkerung, unsere freie Gesellschaft zu schützen. Jedes zulässige Mittel, das den Schutz dieser Infrastruktur zum Ziel hat, ist recht. Wir sind angreifbar. Wir waren zu angreifbar. Deswegen ist es richtig, die freie Gesellschaft zu schützen, indem wir eine Debatte darüber führen, wie wir – erstens – die Täter bekommen und – zweitens –, wie wir unsere empfindlichen Infrastrukturen schützen. Diese Fragen müssen erlaubt sein.

[Beifall bei den Grünen]

Deutlich davon zu trennen ist die Frage, wie wir mit Gewalt im öffentlichen Nahverkehr umgehen. Das sind ganz  andere Täterkreise. Man darf das nicht vermischen. Das ist eine andere Klientel, eine andere Bedrohungslage, die
bei Passagieren Angst auslöst. Es kann nicht sein, dass sich jede zweite Frau in diesem Bundesland fürchtet, wenn sie den öffentlichen Nahverkehr benutzt. Das ist aber eine völlig andere Debatte als die über vermeintlich Linksextreme. Wir haben lange über den Einsatz von mehr Polizei im öffentlichen Nahverkehr gesprochen. Ich erlaube mir an dieser Stelle, dem rot-roten Senat ein Versäumnis vorzuhalten: In den letzten zehn Jahren erschien es so, als behandele der rot-rote Senat den öffentlichen Nahverkehr wie einen privaten Raum. Öffentlicher Nahverkehr ist – das sagt bereits der Name – der Verkehr, den die Öffentlichkeit braucht. Wir als Grüne setzen große Hoffnung darauf, dass er unsere Mobilität künftig klimaschonender machen wird. Der öffentliche Nahverkehr muss attraktiv, günstig und insbesondere sicher sein. Ich erinnere nur an zwei Beispiele, nämlich die schon er- wähnte Abschaffung der Doppelstreifen und die Weigerung von Innensenator Körting, Rechtsgrundlagen für den öffentlichen Nahverkehr einzuführen, die eine Video-überwachung zur Folge haben. Er hat immer gesagt, das betreffe das private Hausrecht. An dieser Haltung zeigt sich sehr deutlich, dass der öffentliche Nahverkehr von der BVG selbst geschützt werden muss, dass sich der Staat dort heraushält. Das aber kann nicht sein. Öffentlicher Nahverkehr ist öffentlicher Raum, und der muss vom Staat und der Gesellschaft geschützt werden. Was in letzter Zeit passiert, nämlich dort Einsatzreserven hinzuschicken, geschieht reichlich spät und in zu geringem Umfang. Das muss der amtierende Senat noch in dieser Legislaturperiode ändern. Es ist ganz klar: Die Berlinerinnen und Berliner haben es verdient, dass der öffentliche Nahverkehr sicherer wird.

[Beifall bei den Grünen]

Ich würde mich freuen, wenn wir in dieser Debatte weiterhin Lösungsvorschläge erarbeiten, wie wir erstens mit dem immer konspirativer werdenden vermeintlichem Linksextremismus umgehen. Lassen Sie mich persönlich hinzufügen: Ich als jemand, der seit Beginn seiner politischen Aktivitäten immer gegen Atomkraft gewesen ist, empfinde es als eine maßlose Unverschämtheit, wenn sich dort Personen rühmen, gegen Atomkraft zu sein oder auch andere politische Ziele zu verfolgen, indem sie Zehntausende von Berlinerinnen und Berlinern beeinträchtigen, indem sie einen feigen Anschlag verüben. Das kann nicht sein! Denen müssen wir jegliche politische Legitimität, wenn sie sie denn überhaupt noch haben, entziehen. Ich weigere mich, das als Politik anzuerkennen, was dort passiert ist. Das muss das ganze Haus gemeinschaftlich tun. Das werden die Berlinerinnen und Berliner auch tun. Niemand hat ein Interesse daran, dass, nur weil es bestimmte Missstände in der Bundesrepublik gibt, so ein empfindlicher Anschlag mit so weit reichenden Folgen verübt werden darf.

[Beifall bei den Grünen –
Beifall von Andreas Gram (CDU)
und Volker Thiel (FDP]

Insofern darf ich mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion):
Bedanken Sie sich nicht, Herr Lux!]

und hoffen, dass Objektivität in die Debatte kommen wird und wir hier weiter nüchtern und sachlich auch über die
Gefahren für die innere Sicherheit diskutieren können. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

 

Der Computer

Über die Schmerzen einer Mutter beim Betrachten der Arbeitsmaterialien eines Drittklässlers im Jahr 2011.

Und ich freue mich schon auf die nächsten Schwafeleien über die Bedeutung von Bildung in einer der nach eigener Definition weitentwickeltsten Industrienationen.