Männer mitgemeint

Ein kleiner Ausflug auf meine Lieblingsnebenbaustelle: das F-Wort (nein, nicht ‚fuck‘). Ganz besonders leider ist die deutsche Blog- und allgemein Netzwelt im Bereich Feminismus eine große weite traurige Einöde. Und weil das so ist finden journalistische Meisterleistungen wie diese ab und zu den Weg an’s Licht – der Titel "Prahlen und tratschen" kommt nicht etwa vom Interviewten, sondern war Bestandteil einer Interviewfrage. Was schön illustriert, dass es weniger darum ging, Neues zu erfahren, als eher, vorgefasste Meinungen zu bestätigen. 

Und wie kann es anders sein: die Mädels schwatzen über belangloses Zeug und die Jungs schreiben mehr so Inhaltliches. Thema: bloggen Frauen anders? Ist die Welt eine Scheibe?

Wenn man so will, passe ich schön in’s Raster: ich behaupte ja gern, dass ich hier Alltagsgeschichten aufschreibe. Alltag mit Überwachung eben. 

Will sagen: ob das nicht auch durchaus eine Frage der Wahrnehmung ist? Das Frauen dazu neigen, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, ist ja nichts Neues. Dass also, wenn man Frauen fragt, worüber sie schreiben, eher die Antwort kommt "Och, nichts Großartiges, nur so für mich eigentlich, im Grunde schreibe ich auch nur Sachen auf, die ich woanders interessant fand", überrascht nicht. Genausowenig wie dass Männer tendenziell sagen "Ich hab da drei total wichtige Themen und bin mit meinem Blog zu XY ganz zentral platziert!". Könnte ich je nach Tagesverfassung über diesen Blog beides sagen und es wäre nicht völlig falsch.

Wenn nun also ein ‚wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation‘ was über bloggende Frauen (und Männer) herausgefunden hat, dann endet das als der größte Blödsinn in den wie immer so seriösen Medien. Denn: wer entscheidet eigentlich, was wichtig ist? Die deutschen Blogcharts? Ich war schon vor Jahren erstaunt, mit wieviel Engagement eine ‚Hausfrau‘ ein Web-Forum mit allem multimedialen Schnickschnack betrieb, in dem es um nichts anderes ging als Mütter-und-Kind-Kuren, Erziehung und die Möglichkeit, rund um die Uhr in Kontakt zu bleiben. Mit einer enormen Zahl von Beteiligten. Geschmackssache, sicher, aber wie wichtig ist das so-und-so-vielte Wiederkäuen von IT-News auf der anderen Seite?

Und haben wir da nicht wieder diese uralte Geschichte von der Trennung des Öffentlichen und des Privaten? Wer hat noch nie am Kneipentisch darüber philosophiert, dass Frauen letzten Endes ja irgendwie auch viel Macht haben, weil sie im Haushalt das Sagen haben? Und das ist soo langweilig, auch wenn es neu verpackt als Blogger-Story daherkommt.

Gefunden habe ich die Geschichte bei Melanie Huber’s Kilroy Blog, die versucht, dem ganzen einen anderen Dreh zu geben – dass es nämlich eigentlich andere und relevantere Unterschiede gibt als den entlang der Gendergrenze. Jedenfalls wenn es darum geht, wer was warum schreibt.

Wer mehr und anderes über bloggende Frauen lesen will:

Es gibt sicher mehr, dies war keine besonders langwierige Recherche – ich freue mich über Lesetips diesbezüglich. Und gucke ansonsten neidisch nach Österreich, wo es tatsächlich eine wahrnehmbare Zahl feministischer Medien gibt. diestandard.at ist nur der Anfang.

Wie kam ich darauf? Eigentlich über den Umweg meines Schwatz-Themas Überwachung. netzpolitik.org schreibt heute über das neue Heft von “Forum Wissenschaft” mit dem Schwerpunkt “Kontrolle: Außer Kontrolle? ‘Innere Sicherheit’: Regulierung gesellschaftlicher Brüche”. Ein Text ist online, und darin leistet sich ein des Feminismus zunächst völlig unverdächtiger regulärer Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld mit den Arbeitsschwerpunkten Staat und Demokratie sowie Umweltrecht folgende Fussnote:

2) Die Männer werden im Folgenden bei der weiblichen Form miterfasst.

Wann gab es das zuletzt? Wer traut sich denn überhaupt noch, in ordentlichen Texten, die für Geld geschrieben werden, auch nur ein großes ‚I‘ zu verwenden? Und dann meint Andreas Fisahn in "Sicherheit und Eigennutz – Entwicklungen von Repression und Überwachung" Männer ganz nebenbei einfach mit. Bravo!

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Zypries gegen Kampf gegen Terror?

Schon etwas älter, aber wir sind ja auch gerade erst wieder gekommen:

Brigitte Zypries fand letztens, dass "dass neben der Bekämpfung des Terrorismus andere wichtige Bereiche nicht vernachlässigt werden" dürfen, z.B. Rechtsextremismus – so weit so schön. Leider wenig überraschend ist ihr Fazit,
dass mehr in Polizei und Justiz investiert werden solle. Und ob der
ihrer Meinung nach zu verstärkende Kampf gegen Organisierte
Kriminalität und Mafia in der Praxis für uns alle besser ausfällt als
der Krieg gegen Terror, darf bezweifelt werden.

So oder so wunderbar der Einstieg von tagesschau.de: "Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat davor gewarnt, dass der
Sparkurs der Länder und der Kampf gegen den Terrorismus die Polizei
schwächen.
" Wie der Kampf gegen den Terrorismus die Polizei schwächt, das hätte ich gern nochmal erklärt..

Wo ich schon bei den Leitmedien bin, noch ein Nachtrag zum geschlampten SPON-Bericht: auch bei spiegelkritik.de steht inzwischen, dass es mindestens nicht geschadet hätte, wenn der Autor uns mal kontaktiert hätte.

Dann hätte er nämlich auch erfahren, dass Andrej nicht nur vom Verfassungsschutz überwacht wird, und das auch nicht erst seit seiner Festnahme letzten Juli. Aber nichts für ungut, dass er sich allerhand Mühe gemacht hat, ist dem Artikel schon anzusehen. 

Datenschleuder zu Überwachung

Titel Datenschleuder #92Die neue Datenschleuder ist im Erscheinen, der Eigenbeschreibung nach das wissenschaftliche fachblatt für datenreisende, ein organ des chaos computer club

Darin allerhand zu den Themen Überwachung und Datenschutz und nicht zuletzt ein Interview mit mir, das zuerst im Dezember bei gulli erschien. Außerdem gibt’s zum Heft einen Fingerabdruck von Schäuble. Woher der stammt und was damit alles Hübsches gemacht werden kann, wurde schon beim Congress im Dezember sehr unterhaltsam beschrieben (Video mp4). Der CCC protestiert damit gegen die ‚biometrische Vollerfassung‘.

Nachtrag: Der Fingerabdruck macht einen fantastischen Wirbel. Das BMI kündigt an, rechtliche Schritte zu prüfen (Netzzeitung) und es gibt eine wilde Debatte darüber, ob die Abdrücke eigentlich echt seien (Frankfurter Magazin). Außerdem schreiben dazu Zeit Online (mit dem schönen Titel "Schäubles Zeigefinger gehackt"), SPON , Welt online ("CCC jagt Angela Merkel") und noch viele andere. Der CCC freut sich auf die Auseinandersetzung vor Gericht, ob der Besitz fremder Fingerabdrücke nun erlaubt sei oder nicht.

Aus dem Datenschleuder-Editorial:

Wir haben ja zusammen noch gefeiert bis Silvester. Die Ausnüchterung
begann am 1. Januar 2008. Dann kam die Vorratsdatenspeicherung. Und was
die jetzt nicht alles vorratsspeichern! Allein schon bei Telefonaten:
Alle beteiligten Rufnummern und die Seriennummer der benutzten Geräte,
die Dauer der Telefonate. Und bei Handys sogar den Standort, wann immer
etwas ein- oder ausgeht. Ein schwacher Trost nur, daß wir uns dem
neuerdings doch noch entziehen können. Und dazu müssen wir nicht einmal die Telefone
wegwerfen. Es reicht schlicht, in die Nähe von Gefängnissen zu ziehen.
Dort ist durch die Handy-Blocker ein bißchen Ruhe im GSM-Netz.

Und nach dem nächsten Congress? Kommt dasselbe in grün für das
Internet: Die speichern unsere E-Mails. Inklusive aller
Pharmapropaganda und Körperteilverlängerungen, dazu VoIP und Webseiten.
Wir sind nicht einmal beim Pr0n-Surfen mehr alleine. Aber es sollte uns
beruhigen zu wissen, daß es nicht der böse, an allen Ecken und Enden
datenverlierende und für kein verkacktes IT-Großprojekt zu vorsichtige
Staat ist, der dort die Informationen speichert. Nein! Wir können uns
sicher sein, daß die zum Speichern gezwungenen Dienstleister alles in
Hochsicherheitsinformationsendlagern versiegeln und einmotten werden.
Allein schon, um sich vor dem Drang zu schützen, diese Daten selber zur
Verbesserung der Kundenbeziehungen zu gebrauchen.

 

Weiterlesen

Gespiegelt

Unsere vier Wochen Urlaub sind noch nicht ganz vorbei, und just jetzt nimmt sich Spiegel Online unserem Erleben der Ueberwachung an. Schoen. Erstaunlich allerdings, dass der werte Autor von "Unterwegs in Digitalien. Selbstüberwachung schützt vor Fremdüberwachung" nicht noetig hatte, einmal nachzufragen, bevor er so schrieb, als ob er sich mit uns unterhalten haette.

Ironie, erzählt sie, verbitte sich am Telefon: "Das verstehen die Ermittler nicht."

Wenn sowas in den Leitmedien steht, gehe ich ja normalerweise davon aus, dass das auf direkte Nachfrage entstanden ist? So schwer sind wir ja gar nicht zu erreichen, und beantworten ja auch fast alle Anfragen. Aber sonst nett.

Naechste Woche sind wir wieder da, dann schreibe ich auch wieder mehr.

PS: Fuer alle Spiegel-LeserInnen, die die Berichte ueber unser Leben mit Ueberwachung suchen: Die meisten davon sind Ende letzten Jahres entstanden, einfach weil da am meisten davon spuerbar war. Das Verfahren laeuft immer noch und unsere Familie wird auch weiter ueberwacht, aber nicht mehr so offensichtlich. Die Geschichte zum ‚Schwarzen Beutel‘ etwa fand schon im August statt.

Urlaub

Wir gönnen uns eine Pause. Und kommen wieder.

Zwischendurch können wir es aber nicht lassen, die eine oder andere kleine Veranstaltung zu machen, bei netten Leuten mit nettem Publikum: noch mal Danke für die liebevolle Vorbereitung und Rundum-Betreuung in Bern!

Veröffentlicht unter de

Der schwarze Beutel – The Sequel

Inzwischen machen sich viele Menschen Gedanken über seltsames Verhalten ihrer Telefone. Weil die z.B. lange brauchen, um Verbindungen herzustellen, weil sie die falschen Nummern anrufen, weil seltsame Geräusche in den Mailboxen gespeichert werden, weil wildfremde Menschen eigentlich andere anrufen wollten…. Ich werde hingegen gefragt, ob ich nicht unnötig Angst verbreite unter Menschen, die ja sicher gar nicht überwacht werden. Wenn dem so sein sollte, tut mir das Leid. Die Angst, überwacht zu werden, ist sicher nichts, was ich irgendwem wünsche.

Letzte Woche rief mich eine Freundin an, die in meinem Bekanntenkreis sicher zu denen Letzten gehört, die in den Verdacht geraten, irgendwas Verbotenes zu tun. Möglicherweise wurde dieser Eindruck kurzfristig getrübt, als sie am 31.7. letzten Jahres ihren Job als Ärztin im Krankenhaus morgens spontan stehen und liegen ließ, um mir bei der bei uns stattfindenen Hausdurchsuchung samt Festnahme Händchen zu halten, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Auch ihr Telefon macht jetzt komische Sachen – in ihrem Fall werden alle Einstellungen gelegentlich gelöscht. Ich kann mir, wie gesagt, nicht vorstellen, dass sie abgehört wird, andererseits trifft das wahrscheinlich auch auf größten Teil der in Deutschland abgehörten ca. 40.000 Telefonanschlüsse zu (Statistik der Bundesnetzagentur, April ’07)

Was ist vernünftig? Keine Angst zu verbreiten, weil Angst ja letzten Endes genau das Ziel der Überwachungsgesellschaft ist? Darüber reden, auch wenn man’s nicht ganz genau weiß, weil nicht drüber reden noch viel schlimmer ist? Spekulieren über das, was gar nicht so spekulativ ist, weil es in Akten (wie bei uns) oder in Statistiken steht (wie bei den 40.000)?

Bei der Transmediale habe ich die Tochter eines ehemaligen Richters am Bundesgerichtshofs kennengelernt. Sie schockte alle am Tisch damit, dass sie niemals irgendwas wichtiges oder persönliches unverschlüsselt per Mail verschicken würde. Weil sie ja als Kind und Jugendliche mit der Überwachung aufgewachsen ist und zu ihrem Alltag gehörte, dass ihr Telefon abgehört wurde. Sie geht ganz automatisch davon aus, dass mitgehört wird.

Die BGH-Richter werden alle abgehört und wissen das auch. Es dient der gegenseitigen Kontrolle. Wundert sich jetzt noch irgendwer, dass deutsche Richter so leichtfertig Überwachungsmaßnahmen gegen andere unterschreiben?

Über Telefonüberwachung wurde ausführlich geredet und geschrieben in Bezug auf einen schwarzen Beutel, der in unserem Leben die unrühmliche Rolle hatte, Auslöser einer weiteren Hausdurchsuchung im letzten August zu sein. Weil Andrej darin nach seiner Haftververschonung die ihm gerade ausgehändigten Ermittlungsakten nachhause transportierte. Den Beutel hatte er von seiner Mutter, einer dieser Drogeriemarkt-Schlüsselanhänger für einen Euro. Und die Hausdurchsuchung gab’s, weil die Bundesstaatsanwältin glaubte, dass wenn seine Mutter am nächsten Tag am Telefon sagt, dass sie beim nächsten gemeinsamen Kaffeetrinken Sonntags gern über den Inhalt des schwarzen Beutels reden möchte, die einzige mögliche Erklärung sein kann, dass a) Andrej weiter Terrorist ist, b) seine
Eltern irgendwie mit drin stecken, c) gefährliches Beweismaterial bei sich zuhause in der Wohnung aufbewahren, d) ihm das jetzt zum Kaffee mitbringen und diskutieren wollen und e) das alles am Telefon ankündigen. Dieser Glaube resultierte aus dem mitgehörten Telefonat und ist deutlicher Beweis für die sehr unterschiedlichen Lebenswelten derjenigen, die Überwachung betreiben und anordnen und derjenigen, die davon betroffen sind.

Auf jeden Fall beschäftigt auch uns das Thema Überwachung weiter. Zuletzt in Form eines Schreibens der Bundesanwältin an Andrejs Eltern bzw. deren Anwältin. Die hatte sich nämlich darüber beschwert, dass die des schwarzen Beutels wegen eine ganze Woche observiert werden sollten und sogar eine Hausdurchsuchung erwogen worden war. Wegen des oben beschriebenen Telefonats! Aber die Antwort ist eigentlich noch schöner. Eigentlich hätte ich gedacht, dass die Reaktion vielleicht nicht direkt kleinlaut ausfällt, aber doch in irgendeiner Form etwas signalisiert, das schon in den Gesichtern der ausführenden Beamtinnen in unserer Wohnung zu erkennen war: dass die ganze Aktion vielleicht doch ein bisschen am Ziel vorbei geschossen ist, welches auch immer das ist. Über diese Geschichte haben sich inzwischen unübertrieben tausende Menschen totgelacht. Aber weit gefehlt: die BAW hat immer recht.

Das fand anscheinend auch Herr Griesbaum von der BAW letzte Woche bei einer Veranstaltung des Deutschen Anwaltsvereins zu „Terrorabwehr und §129a StGB – Die Bedeutung dieser Vorschrift„. Auch er wurde dort gefragt, ob sich die BAW mit ihren mg-Fangversuchen nicht ein bisschen vertan hat, aber er war fest von sich und seiner Behörde überzeugt. (Wenn jemand, der/die dort war, noch ein bisschen mehr über diese Veranstaltung aufschreiben könnte, wäre das sehr willkommen).

Die angegriffene Anordnung war rechtsmäßig„, so die Begründung, warum Frau V.,  Bundesanwältin, Observation der Eltern samt Durchsuchung ohne schriftlichen Durchsuchungsbefehl völlig in Ordnung findet. Auch, weil Andrejs Mutter am Telefon nicht z.B. sagte ‚Lass uns über die Ermittlungsakten sprechen‘, sondern ‚Lass uns über den Inhalt des schwarzen Beutels sprechen‘. Das ist doch konspirativ! Die wusste doch, dass das BKA zuhört und nur deswegen hat sie sich so ausgedrückt! Die „gewählte, konspirativ wirkende Verklausulierung „schwarzer Beutel“ (sprach) gegen einen legalen und beweisunerheblichen Inhalt des Beutels„. Und wie vollkommen ungewöhnlich auch, dass Andrej sich mit seinen Eltern ein paar Tage nach seiner Haftverschonung über die Vorwürfe unterhalten wollte, denkt Frau Anwältin. Das machen normale „erwachsene Beschuldigte“ nicht, die reden nämlich über sowas ausschließlich mit ihrem Anwalt. Nicht nur ist er Terrorist, der will auch noch mit! seinen! Eltern!! darüber reden!

Spricht Bände über das Familienleben der Frau Staatsanwältin.

Am Rande fand ich erstaunlich, dass dies so stattfinden musste, weil es „grundrechteschonend“ war. Die Grundrechte unserer Kinder, die zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen mit aggressiven PolizeibeamtInnen in der Wohnung konfrontiert waren und mit offenem Mund die laute Auseinandersetzung zwischen uns und denen beobachten mussten, ob das jetzt schon wieder sein  muss, spielen offenbar eine eher zweitrangige Rolle. „Eine Durchsuchung zur Unzeit oder am falschen Ort hätte einen vermeidbaren, wesentlich weitergehenden Eingriff in die Rechtsphäre der Betroffenen mit sich gebracht (..)„. Na vielen Dank.

Bemerkenswerte Wortwahl teilweise: „Immerhin war auch einzukalkulieren, dass der „schwarze Beutel“ schon auf dem Weg einer der Beteiligten zu dem vorgesehenen Besprechungstermin abgegriffen (…) werden konnte.“ ‚Abgegriffen‘ – wer hätte gewusst, dass das ordentlich juristisches Vokabular ist?

Ich bin gespannt, wie der Herr Ermittlungsrichter das nun alles findet.

 

Zum Schluss noch ein Lesetip in einer verwandten Angelegenheit, der Durchsuchung des Internet-Projektes Labournet vor zwei Jahren. Die waren schließlich sehr entnervt von der Absurdität der Dinge, die über sie hineinbrachen und haben einen sehr schönen Text darüber geschrieben, wie das alles passieren konnte:

„Nur eine klitzekleine Sache macht uns bei dem Ganzen etwas skeptisch: Wir haben lange darüber nachgedacht, warum, warum ich, warum wir und warum ausgerechnet wegen dieses Flugblattes und warum ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? Kein Mensch, auch nicht unsere Rechtsanwälte, haben uns bisher einigermaßen klar machen können, warum die Bochumer Justiz wegen dieses Flugblattes eine solche Maschinerie in Gang gesetzt hat. Für ein Flugblatt, für das wir, im schlimmsten Fall vielleicht zu einer Geldstrafe von 100 oder 500 oder auch „egal“, zu 1000 Euro verurteilt worden wären. Letztendlich, und das ist das Schreckliche, gibt es dafür nur drei Möglichkeiten:

Die Erste ist menschlich, aber peinlich. Rein theoretisch wäre es natürlich möglich und ganz ausschließen wollen wir dies an dieser Stelle auch nicht, dass man als Staatsanwalt wirklich nicht zwingend Karl Marx oder gar seinen Schwiegersohn kennen muß. Aber ein bisschen Recherchieren und dann Nachdenken, dürfte doch wirklich nicht zuviel verlangt sein – es sei denn, man kann es nicht. Aber zwei Staatsanwälte, eine Staatsanwältin und ein Richter gleichzeitig in einem solchen Zustand? Oder ist es gar eine hinreichende und notwendige Bedingung für eine Karriere im höheren Justizdienst im Raum Bochum (oder überall?)?

Die zweite Möglichkeit ist ebenfalls menschlich oder sollten wir besser sagen „deutsch“, dafür aber historisch konstant: Die mögen uns einfach nicht! Wir sind „Linke“ oder „Radikale“ oder „radikale Linke“, also kurz und gut „verfolgenswert“. Wir ärgern sie, sie ärgern uns. Bekannte Sandkastenspiele der Justiz, mit manchmal schrecklichen Folgen. Aber wirklich wahrscheinlich? Den ganzen Aufwand, um uns zu ärgern? Vielleicht in Kombination mit dem ersten Argument – dann schon eher.

Die dritte Möglichkeit ist eher langweilig, wenn auch bitter! „Die“ (genauere Definition überlassen wir der Phantasie unserer Leserschaft) wollten unsere Daten, mit wem wir Kontakt haben, mit wem wir zusammenarbeiten, wer aus den Arbeitsagenturen oder dem autonomen Spektrum uns mit Informationen beliefert.

Ja verdammt noch mal, wofür haben wir denn einen Verfassungsschutz, was tun denn diese Menschen? Die können doch eh schon alle unsere Telefone abhören, unsere Mails und unsere Post lesen. Warum sollten sie dann um 6:00 aufstehen und unsere Wohnungen durchsuchen und dann alles mühevoll die Treppen – und es sind verdammt viele – runterschleppen? Nicht besonders logisch.

Bleibt nur noch eines übrig: Die Kombination macht’s. Wie bei einem Multivitamin-Mixgetränk. Irgendjemand sieht endlich mal wieder eine Möglichkeit, es einem dieser „Linken“ mal so richtig zu zeigen. Er beginnt mit Ermittlungen, wird bedauerlicherweise im Zuge der Nachforschungen an eine andere Stelle versetzt und gibt die Sache an einen Kollegen ab. Dem mangelt es dann wirklich an der nötigen „Substanz“, aber der zieht das durch und findet einen Richter auf seiner „Wellenlänge“. Gemeinsam sind sie nicht zu schlagen. Sie ermitteln (wenig), durchsuchen (vieles) und beschlagnahmen (alles), wundern sich über die einbrechende Protestwelle, dachten Presse- und Grundgesetz seien eh schon lange abgeschafft, und fallen in Trance. (…)“

(Mag Wompel und Ralf Pandorf: „Recht auf Dummheit“ oder „Recht auf Daten“?)

Der Sicherheitsbär

Ein wundervolles Terrorismus-Cartoon, dass ich gerade geschickt bekam:

The spies who love you

Snuggly, der Sicherheitsbär über die Spione, die Euch lieben:

We love you and we listen to you!

We love you and want to protect you from terrorists
who want to undermine our system of laws and democracy
and so we have to undermine our system of laws and democracy
to protect you from terrorism!

And if you don’t believe me: you’re supporting terrorism!

Nur echt mit der unnachahmlichen Teddy-Knatschstimme: http://www.markfiore.com/spies_who_love_you_0 

 

Auch sehr witzig, ganz andere Baustelle:

Im Osten gab es ja auch kein System zum Kritisieren. Wir fanden ja die DDR gut, schon zu Ost-Zeiten. Wir konnten machen, was wir wollten, wir hatten keine Existenzängste. Ich fand alles gut. Auch die Mauer war für mich eine klare Sache: Da stand dran "Wer versucht rüberzugehen, wird erschossen." Und wenn man dann rübergeht, weiß man, dass man erschossen werden kann. Man hatte also immer eine Alternative.
 
Ich musste mich damals auch entscheiden: Ich wollte auf keinen Fall zur Armee, man musste aber hin, sonst konnte man sogar ins Gefängnis kommen. Trotzdem habe ich mich dagegen entschieden. Dafür durfte ich dann nicht studieren und konnte nicht Arzt werden. Das war für mich eine freie Entscheidung. Für mich bedeutet Freiheit, dass man die Wahl hat zu tun, was man will. Und das hat für mich im Osten sehr gut funktioniert. Und jetzt passiert durch den Kapitalismus so viel Dreck hier um mich herum. Weil so viele Menschen irgendwelchen Mist machen, nur um Geld zu verdienen. Das nervt mich.
 
Bis heute fehlt mir die DDR sehr. Mehr als die Bands von damals.

(Flake von Feeling B,  "Mir fehlt die DDR")

Letzte Chance

Morgen ist die ultimative letzte Deadline für das Terror-Preisausschreiben.
Gesucht werden immer noch Beiträge, die ernst oder satirisch, als Text,
Bild, Video, Podcast oder Plakat Eure Definition des Begriffs
‚Terrorismus‘ enthalten. (Ich könnte mir vorstellen, dass der Upload in
dringenden Fällen auch noch ein paar Tage länger offen bleibt..).

 

Darauf gibt es inzwischen ein wirklich beachtliche Zahl von Antworten, hier folgen drei von etwa 60 bisher:

 

 

Verfassungsfeinde

Die Abgeordneten, die am 9.11.07 für die Neuregelung der
Telekommunikation und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie der
Richtlinie 2006/24/EG Drs.16/5846 und 16/6979 abgestimmt haben: http://www.youtube.com/watch?v=jnQt-qRU6I0

 
 

Loblied auf den Terror

  • Terror ist ein einzigartiger Transformer und sorgt für ganzheitlichen Schutz vor negativen Einflüssen in allen Lebensbereichen.
  • Fördert Wohlbefinden und Lebensqualität.
  • Mindert Körperstress.
  • Schafft frische und freie Luft.
  • Energetisiert Wasser nach dem Naturprinzip.
  • Reduziert Kalkablagerungen und aktiviert Pflanzenwachstum.
  • Neutralisiert Störzonen.
  • Harmonisiert E-Smog und Kraftfahrzeuge.
  • Beseitigt geopathische Probleme.
  • Wirkt präventiv und hat sich bereits über zehntausend Jahre bewährt!

 

..und noch viele andere, hier zu sehen.

Weitere Einsendungen können hier hochgeladen werden.

 

Nichts besonderes

Es geschieht… nichts. Nichts besonders Auffälliges. Es wird weiter ermittelt, das Verfahren läuft weiter, ganz normal, als hätte sich nie jemand besonders darüber gewundert. Lediglich das ‚a‘ fehlt hinter dem §129. Eine Weile war davon gar nichts zu merken und gerade fühlt es sich wieder ein bisschen seltsam an, aber ganz unauffällig. Kleinkram, sozusagen.

Wenn ich Leute anrufe, die ich nicht regelmäßig anrufe, dann behauptet mein Handy, dass es deren Nummer nicht gebe, oder sie gerade nicht erreichbar seien, ab und zu auch, dass gerade besetzt sei. Weil ich das schon kenne, rufe ich eine halbe Minute später nochmal an und siehe! Dann gibt’s die Nummer wieder und telefoniert hat auch niemand.

Wirklich frappierend finde ich ein Phänomen, das schon richtig schrill klingt. Deswegen verbuche ich das jetzt mal nicht unter ‚Überwachung‘, aber wüsste wirklich gern, wie das kommt: wenn das jemand erklären kann?!
Bei einem gerade genutzten Rechner fängt der Mauszeiger an zu wandern, gespenstisch ganz von allein, so als ob er gerade aus der Bildfläche rutscht, ganz langsam. Wenn ich die Maus anfasse und aktiv bewege, dann hört sie auf zu rutschen. Allerdings hüpfen die Fensterränder gelegentlich unkontrolliert herum. Das passiert nicht nur mir, sondern auch anderen Verwandten und Bekannten, und wir wüssten gern, was das ist, damit wir nicht weiter darüber nachdenken müssen.

Außerdem gehen wirklich viele Computer kaputt im Kreis der Beschuldigten und ihrer Bekannten, auch geladener ZeugInnen. Nebenbei auch unangenehm teuer..

Ich gebe zu, dass ich gelegentlich über Kameras in der Wohnung nachdenke. Es scheint zum Allgemeinwissen zu gehören, dass das BKA bestimmte Beschränkungen in den Ermittlungen hat und sich an einige davon auch tatsächlich zu halten scheint, was aber offenbar nicht für den Verfassungsschutz gilt. Es wird davon ausgegangen, dass mehr oder weniger alles eingesetzt wird, was technisch machbar ist. Ich hatte ja schon auf den Film "Aus Liebe zum Volk"  hingewiesen, der letzte Woche im mdr lief. Kai Raven hat den auch gesehen und genauer beschrieben. Der Film zeigt gut, dass Kameras ("visuelle Wohnraumüberwachung") in der Wohnung schon vor Jahrzehnten regulär eingesetzt wurden, und damit ist sicher nicht übertrieben anzunehmen, dass diese Technik seitdem noch verfeinert wurde. Das BKA hat sie jedenfalls ganz oben auf der Wunschliste. Ja. Ich muss sagen, dass ich mich zuhause wohler fühlen würde, wenn ich hier etwas genauer Bescheid wüsste.

Relativ genau lässt sich sagen, dass verdeckte Ermittler gern öffentliche Veranstaltungen besuchen. Dass sie das bei Veranstaltungen tun, die sich mit dem Verfahren beschäftigen, wundert niemanden. Dass sie aber auch weiterhin was über Gentrifizierung lernen wollen? Na, es schadet sicher nicht. Und wie sagte Frau Harms so schön im August in der FAS: "Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erlässt keine Haftbefehle nur aufgrund von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, wie es in manchen Medien unterstellt wurde. Auch nicht für den freien Zugang zu Bibliotheken." Aber Gentrifizierung ist immer noch .. schwierig?
Es stellt sich schon auch die Frage, ob diese wahnsinnig auffälligen Herren wirklich versuchen, verdeckt zu sein, oder ob das Absicht ist. Und ich gehöre nicht zu den Leuten, die immer schon nach sowas Ausschau hielten, aber die hier sind wirklich auffällig.

Am Sonntag – schon wieder Fernsehen – gab es bei ‚Planetopia‘ auf Sat1 einen Bericht darüber, was mit guten Kameras auch ganz legal über die Spiegelung z.B. in Kaffeelöffeln, Gläsern, Brillengläsern und teilweise sogar Pupillen aufgenommen werden kann. Genauer stand das vor einem Weilchen schon in der FAZ, die über einen Professor der Informationssicherheit und Kryptographie am Max-Planck-Instituts für Informatik berichtet, der das alles mal ausprobiert hat:

Als Spitzenreflektor erwies sich eine gläserne Teekanne. Aus einer Entfernung von zehn Metern konnten die Saarbrücker darauf noch eine 18-Punkt-Schrift auf dem gespiegelten Bildschirm entziffern – mit einer Ausrüstung, die gerade einmal 1200 Euro gekostet hat: einer Digitalkamera, zwei Teleskopen und ein wenig Software.


Dazu passt noch, dass vor einer Weile bei einem der Beschuldigten im mg-Verfahren nach einer Reise in einem Zimmer das Licht brannte, obwohl das ganz sicher bei der Abreise nicht gebrannt hatte. Das schockt uns schon kaum noch: die Vorstellung, dass in unserer Abwesenheit andere unsere Wohnung betreten – und auch hier sagen Menschen, die es besser wissen, dass das nicht außergewöhnlich sei. Man gewöhnt sich ja an fast alles. Sehr schön illustriert in diesem Film:

(via)

Auch von Netzpolitik stammt der Hinweis, dass die gestrige Sendung ‚Die Waffen der Terrorfahnder‘ komplett im Netz ist, 45 Min. lang.

Zum Schluss noch Danke für die Folien zum Thema "Terror Detection Algorithms" bei der Transmediale, die gut illustrieren, warum wir uns weder vor Kameras in Wohnungen noch Teelöffeln wirklich fürchten müssen angesichts der "Conspiring communication structures", die zur Erkennung von Terroristen entworfen werden, sondern stattdessen besser dreimal laut sagen "Ich werde NIE Mitglied von Facebook werden.. ich werden NIE Mitglied von..".

Schluss für heute.

Zurück in die Steinzeit

Die rot-grüne Koalition hat 2003 den Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs
verändert und ein Resultat davon war, das die Werbung für
terroristische Vereinigungen nicht mehr strafbar ist. Damit war ein
bleiernes Kapitel deutscher Geschichte beendet, jedenfalls schien es
so. Zwei Jahre nach dem 11. September und damit in einer Zeit, als sich
der Kampf gegen den Terror schon richtig schön warmgelaufen hatte, war
das nicht selbstverständlich. Es bedeutete, dass etwa das reine
Aufhängen von Plakaten, die Sympathie für politische Gefangene
bekundeten, nicht mehr ausreichte, um zu jahrelanger Haft verurteilt zu
werden – in den 70er und 80er Jahren kam das nicht selten vor.

Der Bundesgerichtshof hat im Oktober und November deutlich entschieden, was nach dem aktuellen Gesetz kein Terrorismus ist,
nämlich z.B. das Anzünden von leeren Bundeswehrfahrzeugen und auch
generell alles, was der ‚militanten gruppe‘ vorgeworfen wird. Wenig
überraschend wurde direkt nach diesen Entscheidungen aus dem rechten
Lager gefordert, dass dann die Gesetze geändert werden müssten, wenn es
mit den geltenden nicht möglich ist, alle die als Terroristen
festnehmen und verurteilen zu lassen, die aus rechter Sicht welche
sind. Auf der Wunschliste stehen bspw. terroristische Vereinigungen,
die aus nur einer Person bestehen, und die alte ‚Werbung für..‘. Seit heute gibt es den Gesetzentwurf des Bundesrats, der sich zuerst dem Aufenthalt in terroristischen Ausbildungslagern widmet. Im Kleingedruckten steht dann noch folgendes:

"Zugleich solle die Sympathiewerbung für kriminelle und terroristische
Vereinigungen erneut unter Strafe stehen. Diese war im Jahre 2002
abgeschafft worden. Gerade in einer Zeit gegenwärtiger Bedrohung durch
terroristisch motivierte Anschläge könne es nicht hingenommen werden,
dass derjenige straffrei bleibe, der dazu aufrufe, sich mit den Zielen
solcher Vereinigungen zu solidarisieren."

Mindestens ratlos, wenn nicht sehr misstrauisch, macht mich diese Formulierung:

So sollen zu Beispiel bestimmte Vorbereitungshandlungen zu schweren
terroristischen Gewalttaten und Anleitungen zu solchen Taten generell –
auch ohne Bezug zu terroristischen Vereinigungen – unter Strafe
gestellt werden.

Die Details stehen hier:  http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/079/1607958.pdf