Nie wieder Terrorist

Champagner!

Der BGH gab eben bekannt, dass er entschieden hat, dass die drei noch in U-Haft befindlichen Terroristen keine sind und deswegen auf Kaution freizulassen sind. Kriminell sollen sie sein. Um Andrej und die restlichen drei Beschuldigten geht’s in der Entscheidung nicht, was in der Natur des Sache liegt, weil ja über die Haftbeschwerde der drei in U-Haft entschieden wurde. Aber ich kann mich nur ganz schlecht vorstellen, dass die nun weiter Terroristen sein sollen.

En Detail:

 

Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder der
"militanten gruppe" außer Vollzug gesetzt

Der Generalbundesanwalt führt gegen drei
Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, sie hätten
als Mitglieder der linksextremistischen, gewaltbereiten Organisation
"militante gruppe" in der Nacht des 31. Juli 2007 versucht, in
Brandenburg/Havel drei Lkw der Bundeswehr in Brand zu setzen. Die
Beschuldigten waren durch observierende Polizeikräfte in unmittelbarer
Tatortnähe festgenommen worden; die an den Fahrzeugen angebrachten
Zündvorrichtungen hatten noch rechtzeitig entfernt werden können. Wegen
dieses Verdachts hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs auf
Antrag des Generalbundesanwalts gegen die Beschuldigten Haftbefehle
erlassen. Diese sind rechtlich auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung, der versuchten Brandstiftung und der
versuchten Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel gestützt.

Auf die Beschwerden der Beschuldigten hat der für
Staatsschutzsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die
Haftbefehle abgeändert und gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die
Beschuldigten sind zwar der Tat vom 31. Juli 2007 und auch der
Zugehörigkeit zur "militanten Gruppe" dringend verdächtig. Dies
begründet jedoch in rechtlicher Hinsicht nicht den Vorwurf der
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a StGB),
sondern nur denjenigen der Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung (§ 129 StGB). Obwohl die Tätigkeit der "militanten gruppe"
darauf ausgerichtet ist, Brandanschläge namentlich gegen Gebäude und
Fahrzeuge staatlicher Institutionen sowie privatwirtschaftlicher
Unternehmen und sonstiger Einrichtungen zu begehen, kann die
Gruppierung nicht als terroristische Vereinigung eingestuft werden.
Zwar handelt es sich bei derartigen Taten um potentiell terroristische
Delikte aus dem Katalog des § 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB. Seit der
Neufassung der Vorschrift im Jahr 2003 ist die Beteiligung an einer
Organisation, die auf die Begehung derartiger Straftaten ausgerichtet
ist, indes als Betätigung in einer terroristischen Vereinigung nur noch
dann strafbar, wenn die Taten dazu bestimmt sind, im Einzelnen
aufgezählte – staatsgefährdende – Ziele zu erreichen und darüber hinaus
"durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder
eine internationale Organisation erheblich schädigen" können. Mit der
Einfügung dieser allerdings wenig bestimmten zusätzlichen Merkmale hat
der Gesetzgeber die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 2 StGB nach
ausführlicher Erörterung im Gesetzgebungsverfahren bewusst deutlich
eingeschränkt. Dies führt im Fall der "militanten gruppe" dazu, dass
sie lediglich als kriminelle Vereinigung angesehen werden kann; denn
die von ihr bereits begangenen und beabsichtigten Taten sind nach der
Art ihrer Begehung – auch unter Berücksichtigung ihrer Frequenz und
Folgen – nicht geeignet, die Bundesrepublik Deutschland im Sinne des
Gesetzes erheblich zu schädigen. (weiter)

Und weil es dazu ja noch mehr zu sagen gibt, gibt es morgen dazu eine Pressekonferenz, zu der alle eingeladen sind, die darüber berichten wollen.

Spatzen im Winter

Ach, es war so schön – nach der Entscheidung des BGH, dass ein Haftbefehl für Andrej definitiv nicht die richtige rechtstaatliche Maßnahme sei, wurde es ruhig. Kein Knacken im Telefon, kein Krisseln im Fernseher, keine Nichtstuer auf der Straße (nur ein paar kaputte Computer). Nun pfeifen alle Spatzen, die noch nicht erfroren sind, von den Dächern, dass die nächste BGH-Entscheidung ansteht, und zack – da sind sie wieder. Ob das in einem kausalen Zusammenhang steht, lässt sich wie immer schwer sagen.

[Update: Der BGH gibt die Entscheidung morgen, Mittwoch, gegen 12 Uhr bekannt.]


Und so begab sich also folgendes:

Auf dem Weg zur Kita, um mit unserer Tochter zum Eltern-Kind-Turnen zu gehen, unternahm Andrej noch einen kurzen Abstecher zum Büro der telegraph-Redaktion. Die Straßenbahnfahrt hatte (durch den Abstecher) eine etwas chaotische Streckenführung. Auf dem Rückweg vom telegraph begegnete er nach dem Umsteigen in die Tramline 8 (Greifswalder/Mollstraße) einem jungen Mann zum zweiten Mal, der ihn knapp eine halbe Stunde zuvor schon in der Tramline 4 Richtung Weißensee, auf dem Hinweg, begleitet hatte. Für alle NichtberlinerInnen: um aus dieser Fahrtrichtung in die besagte Linie 8 zu wechseln, hätte er mindestens dreimal umgesteigen müssen – in einer halben Stunde nur sehr sportlich zu schaffen. Der ungeschickt zugestiegene mutmaßliche Beamte war aber nicht der einzige mit eher offensiver Vorstellung vom Überwachen. Ein anderer, der ebenfalls in der Straßenbahn saß und Andrej begleitete, hatte Kopfhörer auf und murmelte beim Aussteigen den Namen der Haltestelle in seinen Kragen "Rosa-Luxemburg-Platz". Kein Wort vorher und keins hinterher – für eine normale Telefonkommunikation ziemlich einsilbig. Mal angenommen, dass es Teil einer ordnungsgemäßen Observation ist, dass die jeweiligen Beamten ab und an ihren Standort an die Zentrale oder die KollegInnen durchgeben, kann ich mir nicht vorstellen, dass im Handbuch vorgesehen ist, dass das in der Bahn neben der Zielperson stattfindet, und nicht etwa beim Aussteigen?

Gerade heute abend habe ich mich bei der Vorbereitung der Veranstaltung in der NGBK morgen wieder darüber unterhalten, ob es Absicht oder Trotteligkeit ist, wenn Überwachung spürbar wird. Wir waren uns einig, dass es wahrscheinlich nicht eindeutig zu entscheiden ist – manchmal sollst du es mitkriegen, manchmal war die Methode technisch noch nicht ganz ausgereift, manchmal waren die Azubis am Werk, oder zuwenig Beamte im Einsatz, weil die jetzt immer alle zur Abteilung für islamistischen Terror abgezogen werden (Hallo GdP). Neuerdings müssen sie wahrscheinlich alle im Ringelreihen um die Atomkraftwerke fliegen.

Auch eher aus der Kategorie ‚putzig‘ eine Begebenheit der letzten Woche:

Nach einem Telefonat eines Beschuldigten mit einem Journalisten, in dem es u.a. um BKA-Chef Zierckes Rede bei der BKA-Tagung zum Thema ‚Tatort Internet‘  ging und die sichtlich schlechte Laune, die er nach einer Frage zum mg-Verfahren entwickelte, fand noch ein weiteres Telefonat statt. Und nach diesem klingelte nochmal das Handy: die vorher Angerufene meldete sich: "Ja, warum rufst du nochmal an?". Bei ihr hatte es auch geklingelt.

myterrorist.gov – Hausbesuche im „Kampf gegen den Terrorismus“ in der NGBK

Demokratie 8
Informationen aus der
Tiefe des umstrittenen Raums

Das Kollektiv globale Filmfestival in Zusammenarbeit
mit dem Bündnis für die Einstellung des §
129a-Verfahrens

myterrorist.gov – Hausbesuche im „Kampf gegen den
Terrorismus"

Die
Kriminalisierung von Gesellschafts- und Kapitalismuskritik unter dem
Vorwand der „Terrorismus"-Bekämpfung

Film – Information
– Diskussion
 

Dienstag 27. November 2007, 20 Uhr
Oranienstr. 25, 10999 Berlin
im Veranstaltungsraum der NGBK, 1. OG

Zwei konkrete, jüngere Beispiele
bringen die forcierte Rechts- und Strafverfolgungspraxis in den USA
(unter dem Patriot Act) und der BRD (§129a StGB) ins Blickfeld.
Die Diskussion wird eröffnet durch Ausschnitte aus dem Film
Strange Culture von Lynn Hershman Leeson, in dem der Fall
Steve Kurtz rekapituliert wird: ein Künstler gerät ins
Visier des FBI und wird verdächtigt, bioterroristische
Straftaten vorzubereiten. Kurtz ist Mitglied des „Critical Art
Ensemble", das durch künstlerische Interventionen prononcierte
Gesellschaftskritik übt. Zur Zeit seiner Festnahme bereitete er
eine Arbeit zu genmodifizierten Nahrungsmitteln vor. Obwohl der
„Terrorismus"-Verdacht rasch unhaltbar wurde, ließ die
Staatsanwaltschaft nicht von ihm ab. Ein Strafverfahren wegen
„Betrugs", in dem ihm bis zu 20 Jahre Haft drohen, ist weiterhin
anhängig.

> Ausschnitte aus dem Film
Strange Culture (USA, 2007) von Lynn Hershman
Leeson, Informationen über das Critical Art Ensemble sowie den
Stand des Verfahrens gegen Kurtz

Der Fall Steve Kurtz weist Parallelen
zur jüngsten Verhaftungswelle in Berlin auf, bei der in Berlin
und Brandenburg vier Menschen festgenommen und bei drei weiteren
Wohnungen und Arbeitsplätze durchsucht wurden. Allen sieben wird
„Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", der sog.
„militanten Gruppe", vorgeworfen. Am meisten Beachtung fand der
Fall des Soziologen Andrej Holm, dem auf der Grundlage seiner
wissenschaftlichen Arbeit u.a. eine Art „intellektuelle
Täterschaft" nachgewiesen werden sollte. Holm und sein Umfeld
werden seit über einem Jahr observiert.

> Informationen zum Stand der
aktuellen Verfahren nach §129a StGB, Diskussion mit Betroffenen
und UnterstützerInnen

Gäste:

Constanze Altmann (globale-Kollektiv,
arbeitet zu Kunst-Interventionen als politische Praxis), Christina
Clemm (Anwältin von Andrej Holm), Claudia Grothe (Bündnis
für die Einstellung des §129a-Verfahrens), Tobias
Singelnstein (Co-Autor des Buches ‚Die Sicherheitsgesellschaft.
Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert‘)

Im Rahmen der Reihe „Demokratie… in
der neuen Gesellschaft" untersucht die Veranstaltung die
veränderten Bedingungen emanzipatorischer Praxis im Klima
staatlich gemanagter „Terrorismus"-Angst.

http://globale-filmfestival.org

Pressekontakt globale:

presse[at]globale-filmfestival.org

Weitere Links:
http://caedefensefund.org (zum Fall
Steve Kurtz)
http://strangeculture.net (zum Film
„Strange Culture")

 

Der Fokus der mittlerweile ins vierte Jahr gehenden
Veranstaltungsreihe der NGBK liegt in diesem Jahr auf Kunst und
Demokratie in Hinblick auf ihre Bedingungen, Umsetzungen,
Alternativen und Umbauten. Ende des Jahres erscheint die Publikation
Demokratie. Informationen aus der Tiefe des umstrittenen Raums mit
Beiträgen der Vortragenden, Auszügen aus den sich
anschließenden Diskussionen und zusätzlichen Text- und
Bildbeiträgen.

www.mitzeitung.de/veranstaltungen

Pressekontakt NGBK:
Benita Piechaczek:
(030) 616 513-13 / presse[at]ngbk.de

 

Meine Blog-Pause in den letzten Wochen hat damit zu tun, dass bloggen nicht bezahlt wird und ich – neben Kindern und vielem anderen, was das Leben mit Terror-Verfahren so mit sich bringt und Zeit kostet – Geld verdienen muss, was für prekäre Freiberuflerinnen meist mit einem häßlich disparaten Verhältnis zwischen Aufwand und Einkünften daher kommt. Danke für die besorgten Nachfragen. Es gibt durchaus immer noch allerhand zu sagen und das werde ich dann auch noch tun.

Gewundert hat mich in letzter Zeit andererseits, wieviele Leute meinen, im vorhinein sagen zu können, wie der BGH sich wohl entscheiden wird bei der anstehenden Entscheidung zu einerseits den Haftbeschwerden der drei, die im selben §129a-Verfahren seit knapp vier Monaten in U-Haft sitzen und andererseits hoffentlich der Frage, ob es sich hier eigentlich überhaupt um eine ‚terroristische Vereinigung‘ handelt. Die Zuversicht, dass das negativ ausfallen wird, freut mich zwar, aber ich frage mich, wie irgendwer wissen will, wie Bundesrichter entscheiden werden?

BKA ist nicht Stasi*

War bisher irgendjemand geschockt? Es gibt ja nichts, was nicht noch zu toppen wäre. Presseerklärung des telegraph:

Nach Informationen der ehemaligen DDR-Oppositionszeitschrift
telegraph ist bei den Ermittlungen gegen die so genannte „militante
gruppe“ (m.g.) auch Material aus persönlichen MfS-Opferakten von
DDR-Oppositionellen zur Erstellung eines aktuellen Personenprofils
herangezogen worden.

Die MfS-Akten stammten aus dem Jahr 1988, als Teile der
DDR-Opposition auch im Osten erfolgreich gegen den Westberliner IWF-
und Weltbankgipfel mobilisierten. Das BKA hat versucht, mit Hilfe der
Arbeit ihrer Kollegen von der DDR-Staatssicherheit zu belegen, dass
schon damals Kontakt zu "terroristischen Kreisen" im Westen bestanden
hätte. Im konkret angeführten Fall meinte das MfS damit in ihren
Unterlagen u.a. die Umweltorganisation GREENPEACE.
(…)
telegraph-Redakteur Dirk Teschner saß in den 80er Jahren aus
politischen Gründen selbst in Stasi-Haft. Teschner: „Uns kommt das
alles sehr bekannt vor. Fast auf den Tag genau vor zwanzig Jahren
geriet unsere Redaktion schon einmal ins Visier der Staatssicherheit.
In der Aktion „FALLE“ überfiel die Stasi 1987 die Redaktionsräume in
der Berliner Umweltbibliothek, Redakteure wurden verhaftet. Damals hieß
unsere Zeitschrift noch UMWELTBLÄTTER und der Ermittlungs-Paragraph
nicht 129a sondern §218 (Vereinigung zur Verfolgung gesetzwidriger
Ziele)."

telegraph-Redakteur Andreas Schreier: „Inwieweit unsere
journalistische Arbeit von diesen Entwicklungen betroffen ist, können
wir nur erahnen. In den Ermittlungsakten sollen Observationsfotos vom
Sitz der telegraph-Redaktion (Haus der Demokratie und Menschenrechte)
auftauchen und die überwachten Emails des Hauptbeschuldigten Dr. Andrej
Holm lagen auf dem Mailserver unserer Redaktion. Wir als Redakteure
wurden bereits von der Bundesanwaltschaft vorgeladen und darüber
belehrt, dass uns, wenn wir nicht zu unseren Autoren aussagen würden,
Geldstrafen und bis zu sechs Monate Beugehaft drohen würden. Wir sagten
nicht aus. (…)

Seit dieser Woche gibt es eine neue Ausgabe des telegraph, die Nummer 115. Aus dem Editorial:

Oppositionelle, Terroristen, Kriminelle 

Berlin, Prenzlauer Berg, vor 20 Jahren. Am 25. November 1987, gegen
0.00 Uhr dringen mit den Rufen „Hände hoch, Maschine aus!“ etwa 20
Mitarbeiter der Staatssicherheit und ein Staatsanwalt in die Räume der Umwelt-Bibliothek Berlin ein, die auch die Redaktionsräume der Samisdatzeitschrift Umweltblätter
sind. Sieben Leute waren gerade beim Drucken der neuen Ausgabe. Die
Durchsuchung wird mit einem §218 (Vereinigung zur Verfolgung
gesetzwidriger Ziele) begründet. Die Anwesenden Redakteure und
Mitarbeiter der Umweltblätter werden festgenommen, die
Druckmaschinen (Wachsmatrizenmaschinen, Jahrgang 1900, 1936, 1953,
1970), die gerade gedruckte Seite 28 der Umweltblätter und
eine nicht fertiggestellte Ausgabe der Zeitschrift Grenzfall Nr.11
werden von den Organen der Staatssicherheit beschlagnahmt. Bis zum
nächsten Abend werden fünf der Festgenommenen wieder freigelassen. Nach
der Stasiaktion gegen die „Druckerei der Berliner Opposition“, die den
Namen „Aktion Falle“ hat, kommt es zu bis dahin nicht für möglich
gehaltenen öffentlichen Protestaktionen innerhalb und außerhalb der
DDR. Vor der Berliner Zionskirche werden Mahnwachen errichtet, die
erste wird noch von der anrückenden Polizei abgeräumt, die beteiligten
Personen auf LKWs verladen und abtransportiert. Trotzdem wächst die
Zahl der Demonstranten weiter stetig an. Überall in der DDR kommt es zu
Protestaktionen, es wird ein Mahnwachenbüro eingerichtet und
Informationsveranstaltungen durchgeführt. Und die Proteste zeigten
Wirkung: Auch die beiden letzten der Inhaftierten, Wolfgang Rüddenklau
und Bert Schlegel müssen am 28. November 1987 aus der Haft entlassen
werden, alle eingeleiteten Ermittlungsverfahren werden eingestellt und
sogar die Druckmaschinen zurückgegeben. Der Erfolg der
Solidaritätsbewegung und die schwere Niederlage der Hardliner in der
SED zeigt erste tiefgehende Risse im System auf, die dann zu den
bekannten Ereignissen Ende 89 führten.

      Berlin, Prenzlauer Berg, 20 Jahre später. Am 31. Juli 2007
dringen bewaffnete Spezialeinsatzkommandos gewaltsam in mehrere
Wohnungen ein. Die Zeitschrift telegraph, wie die Umweltblätter
seit Herbst 1989 heißen,  ist erneut ins Visier der Staatssicherheit,
diesmal jedoch ihrer gesamtdeutschen Ausgabe, geraten: Drei langjährige
Redakteure und Autoren und ein Unterstützer der Zeitschrift sind von
Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen und  im Fall des Soziologen
Andrej Holm  von wochenlanger Haft betroffen, zwei weitere Redakteure
einer mit längerer Stasi-Hafterfahrung, wurden als Zeugen von der
Bundesanwaltschaft vorgeladen und mit Geldstrafen und Beugehaft
bedroht. Der Vorwurf diesmal: § 129a – Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung. Dieser Paragraph ist der Schlüssel zum
Gruselkabinett eines totalen Überwachungsstaates: Er öffnet den
Ermittlungsbehörden dieses Landes die Tür zur gesamten Palette von
Observations- und Kontrollmaßnahmen gegen die politische Opposition,
teilweise zu Methoden, von denen die DDR-Staatssicherheit nur träumen
konnte: GPS-Wanzen am Auto, stündlich zugesandte stumme SMS aufs Handy,
Überwachungskameras rund ums Wohnhaus,  Überwachung des Surfverhaltens
im Internet, Speicherung und Auswertung der Emails, Observationen,
Überprüfung des Freundeskreises  und vieler weiterer Personen (in den
bisher freigegebenen Ermittlungsakten tauchen Namen von 2.000 (!)
Menschen auf) – das volle Programm, rund um die Uhr.

(…)

Diese Ausgabe des telegraph widmet sich daher auch gänzlich
dem Thema des aktuellen Falls und beleuchtet den Umgang mit dem § 129a
und dem Weg dahin, der Geschichte des Politischen Strafrechts der
früheren BRD bis in die Gegenwart.

Zu bestellen über http://telegraph.ostbuero.de/

 

* Auf vielfache Frage: der Titel ‚BKA ist nicht Stasi‘ ist entstanden in Anlehnung an das Orwell’sche ‚Krieg ist Frieden‘. 

Florian Opitz frei

Manche Nachrichten brauchen ein bisschen länger – eben bin ich bei Kulturzeit über einen Beitrag gestolpert, der berichtet, dass Florian Opitz wieder frei und in Berlin angekommen ist. Damit kann ich meinen Bericht über die Festnahme auch wieder freischalten. Solange er in Nigeria war, sollte nicht öffentlich berichtet werden, wurde ich gebeten, um die nervöse nigerianische Regierung nicht unter Druck zu setzen.

Bisher gibt es außer dem Kulturzeitbeitrag, einer Notiz in der Ruhrnachrichten und einer Erklärung der AG DOK kaum Informationen. 

Hintergrund: der Dokumentarfilmer Florian Opitz, Kameramann Andy Lehmann (beide Berlin), Danjuma Saidu (Nigeria) und Judith Asuni (US/Nigeria) wurden im September bei Recherche-Arbeiten in Nigeria mit dem Vorwurf Spioniage festgenommen, weil sie Ölraffinerien gefilmt hatten. Ihnen drohten bis zu 14 Jahren Haft. Was aus den den beiden anderen geworden ist, lässt sich den Berichten nicht entnehmen. Laut Kulturzeit sind bisher 60.000 Euro Anwaltskosten zu zahlen.

Florian Opitz hat zuletzt "Der große Ausverkauf" gedreht, einen Film über Privatisierung.

Zwei Briefe

Das hätte ich nicht gedacht. Ich fand schon ziemlich .. naja.. überraschend, was in unserem Leben seit dem 31.7. los ist, vorsichtig formuliert. Dass dann aber die im Vergleich relativ milde Angelegenheit der beschlagnahmten zwei Briefe solchen Wirbel verursacht, ist auch überraschend. Ok, sicher geht allen immer das am nächsten, was sie selber betrifft und das die Medien nicht entzückt sind, dass ihre Post gelesen wird, ist nachvollziehbar. Dass das BKA sich sowas leistet, ist genauso erstaunlich, immerhin ‚hätten sie das ja wissen können‘. Also, so blöd hätten sie nicht sein müssen, es gibt ja genügend ähnlich unmögliche Fahndungsmethoden, die vollkommen legal sind. Briefe an die Presse lesen, Telefonate mit JournalistInnen mitschneiden, sogar Telefonate mit AnwältInnen, Abschriften davon in den Akten – hmm. Ob wohl öffentlich wird, wenn da irgendwann mal Köpfe rollen? Die Stimmung bei denen ist wahrscheinlich gerade eher herbstlich.

Ganz ausnahmsweise hat mir gerade beim Durchgucken der Berichterstattung ein Kommentar in der Morgenpost am besten gefallen, das kommt nicht oft vor:

Das BKA hat die Post von Berliner Zeitungen kontrolliert. Das ist
natürlich schlimm. Aber irgendwie tun mir die Beamten auch leid. Sie
mussten all diese mehrseitigen handgeschriebenen Leserbriefe entziffern,
die immer anfangen mit "Ich bin seit 60 Jahren Leser Ihrer Zeitung",
immer weitergehen mit "Wenn Sie recherchiert hätten, …" und immer
enden mit "Pisa lässt grüßen!".

Und wenn man die Schrift gar nicht lesen
kann, könnte es ein terroristischer Geheimcode sein. Wir möchten uns
darum bei allen treuen Lesern entschuldigen, die Besuch vom BKA bekommen haben.
Ich habe jetzt aber eine prima neue Ausrede. Wenn wieder mal die PR
Agentur "Uschi & Muschi" anruft und fragt, ob ich ihre superinteressante
Einladung zur Modenschau in einem Einkaufszentrum in Oldenburg auch
bekommen habe, sage ich: "Tut mir leid, die ist vom BKA beschlagnahmt
worden."

Sonst noch emfehlenswert ist ein ziemlich gehässiger Artikel in der Zeit über Gentrifizierung: "Bionade-Biedermeier". Weiterlesen

Interview 30. September

"Wenn Du die Akten liest, siehst du, dass Dein Leben permanent in einer Weise interpretiert wird, wie Du es nicht führst."

Am Rand der Veranstaltung "Ist jetzt alles Terrorismus? Die politische Dimension des §129a" am 30. September in der Berliner Volksbühne (Video, Audio) hat mich Stefan Zimmer von der Berliner Radiokampagne danach gefragt, welche Auswirkungen §129a-Verfahren auf politische Aktivitäten, aber auch auf den ganz normalen Alltag haben.

download bei freie-radios.net, direkt anhören

(Hintergrund zu den beiden im Interview erwähnten §129a-Verfahren: 9. Mai / 31. Juli)

Ein Terrorist

Ein error ist..

gefunden bei gulli.com.

Der Überwachungsalltag bleibt spürbar, weniger für uns, dafür mehr für FreundInnen und Bekannte:

  • EIner, der auch als Zeuge vorgeladen wurde, konnte bereits letzte Woche weder mich noch Andrej auf unseren Handys erreichen. Unter Andrejs Nummer gerät er an eineihm unbekannte Frau, beide sind sich schnell einig, dass sie sich nicht kennen. Unter meiner Nummer gibt es eine englischsprachige Ansage, die nicht meine ist ‚Please call again later..‘
  • Einer der anderen Beschuldigten im Verfahren bestellt sich per Post ein neues Handy: die Packung ist aufgerissen, so sehr, dass die Post sie in eine Tüte packt mit einem Aufkleber, dass die Verpackung zu stark beschädigt sei
  • Ein anderer Zeuge hat auf seinem Handy 12 sms gespeichert und erhält plötzlich die Meldung, dass der Speicher nun voll sei
  • Eine Freundin bekommt immer beim ersten Anruf, den sie machen will nachdem sie Andrej anrief, die Nachricht, dass die Nummer nicht vergeben sei
  • Ein Bekannter bemerkt beim Telefonieren plötzlich einen starken Hall. Den gab es bei Telefonaten vor längerem schonmal: sein Vater hatte die Angewohnheit, mit amerikanischen Billig-Anbietern zu telefonieren, und die Umleitung dorthin erzeugte denselben Effekt
  • Auf dem Display von Andrejs Handy erscheint immer dann, wenn er gute FreundInnen anruft, die Meldung ‚Rufumleitung nur wenn [Nummer oder eingespeicherter Name]. Andrej selbst hat allerdings keine Umleitungen veranlasst.

Ansonsten stelle ich fest, dass es gerade unglaublich viele Texte, Videos, Plakate.. zum Thema Terrorismus gibt. Zur Abwechslung mal eins über die Polizei, dass mir gut gefiel:

polylog 'we are the world'

"We are the world", by polylog wildpark.

(noblogs.org embeddet nicht, daher der Umweg) 

Best of.. Reaktionen


Annalistenhaft
sammele ich hier die Reaktionen auf meinen Blog; wahrscheinlich ist das für mich interessanter als für andere, aber das ist ja auch ein lohnendes Motiv. Einerseits unterstützt noblogs.org keine Trackbacks, andererseits ist Technik auch nicht immer nützlicher: ich sammele nicht alle Reaktionen, und zitiere nur die, die mir auf die eine oder andere Weise bemerkenswert scheinen (was übrigens nicht bedeutet, dass ich mit allem einer Meinung bin). Weil aber ja keine Maschine der Welt so ganz genau weiß, was ich interessant finde, finde ich Handarbeit hier sinnvoller.

Wirklich überrascht hat mich, wieviele Menschen sich die Frage stellen, ob nicht schon das Lesen meines Blogs gefährlich sei. Dass sie es dann tun und weiterempfehlen, freut mich. Über den Zustand des Landes spricht das Bände.

18.10.
http://blog.fefe.de/?ts=b9e9ee9c

Au weia. AU WEIA. Die Frau von dem "Terroristen-Andrej" hat auch ein Blog, wo sie berichtet, wie das ist, wenn man vom BKA verfolgt wird. … Das liest sich echt übel. Mein Mitleid haben die jedenfalls. Krasse Scheiße.

http://www.gulli.com/news/leben-als-terrorist-eine-vom-2007-10-18/

Wie verhält man sich, wenn man überwacht wird und das weiß? In diversen Zukunfts-Dystopien wie 1984 wird das fiktiv beschrieben, aus einigen totalitären Gesellschaften gibt es Erfahrungsberichte, und nun kann sich auch Deutschland mit dem traurigen Ruhm eines Erfahrungsberichts darüber schmücken, wie das vollüberwachte Leben unter Generalverdacht aussieht. …

http://blog.kairaven.de/archives/1371-annalist.html

Das annalist Weblog ist ein Weblog, das ich nach Fefes Vorstellung, dem Beitrag Eine vom BKA überwachte Bürgerin bloggt bei gulli (das "Leben als Terrorist" im Titel würde ich ändern), der Berichterstattung und der Chaosradio Sendung "Leben mit der Vollüberwachung – Aus dem Alltag eines Terrorverdächtigen" sofort und ohne Umwege in Feedreader und Blogroll aufgenommen habe.

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Veröffentlicht unter de

Ein Orwellscher Alptraum

..sei unser Leben, findet Polylux:

Nahaufnahme: Mein Leben als Terrorist

Ohne stichhaltige
Begründung wird eine Berliner Familie seit einem Jahr vom BKA
überwacht, abgehört und beschattet. Die deutsche Terrorgesetzgebung –
ein Orwellscher Alptraum.

Die nächste Polylux-Sendung sehen Sie am Donnerstag, den 01.11.2007 um 23:45 Uhr.

Polylux-Scheinwerfer vor leerem Sofa[Aktualisiert: Das Filmchen ist online und wurde am Donnerstag von über 700.000 Leuten gesehen. Wiederholungen Sa 00:15, rbb und 11:15, 3sat]

Das würde ich so nicht völlig unterschreiben. Trotzdem beschäftige ich mich zunehmend mit der Frage, wie sich Überwachung auf das Verhalten auswirkt; sicher auch, weil ich so viel danach gefragt werde. Ich würde ja an sich sagen, dass ich mein Verhalten nicht wirklich verändere, andererseits gibt es natürlich bestimmte offensichtliche Kleinigkeiten (?). Schon vor einer Weile hatte Andrej mal seine BVG-Monatskarte vergessen. Jetzt ist Schwarzfahren in Berlin ob der Kontrolldichte nicht (mehr) wirklich empfehlenswert, aber die meisten würden in derselben Situation wahrscheinlich die paar Stationen fahren und hoffen, dass es gut geht. Vielleicht auch aus Versehen, denn wer eine Monatskarte hat, denkt ja sowieso meist gar nicht über Fahrkarten nach. In diesem Fall aber ist es an einem Tag gleich mehrfach vorgekommen, dass er schon in der U-Bahn war, realisierte, dass bei all der Begleitung noch wesentlich unvorteilhafter wäre, ohne Fahrschein zu fahren und kurz bevor die Türen schlossen, wieder raussprang, um noch eine Fahrkarte zu kaufen. Ob das die Verhaltensveränderungen sind, die gemeint sind, kann ich nicht sagen, obwohl ich vermute, dass nicht. Erwähnenswert ist es aber doch, vor allem der Bewegung wegen, die auf den U-Bahnsteigen entstand unter scheinbar ganz unbeteiligten Passanten, die wohl schon angenommen hatten, dass ihr Job hier erledigt gewesen sei. In dem Kontext würde mich mal interessieren, wieviele BeamtInnen eigentlich bei einer langfristigen Observation eingesetzt werden (‚langfristig‘ heißt langfristig, wie bei uns, im Unterschied zu Observationen (Überwachungen), die sich nur auf eine bestimmte Situation beziehen).

In der taz wurde die Frage der Auswirkung von Überwachung heute auch erörtert, in einem Interview mit einem  "Technikforscher":

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