E.T.A. Hoffmann dürfte den meisten allenfalls aus der Schule als lästig in Erinnerung geblieben sein. Mir auch. Bis eine Kollegin von Andrej neulich auf seinen "Meister Floh. Ein Märchens in sieben Abenteuern zweier Freunde" hinwies. Es geht um die juristische Relevanz verdächtiger Worte.
E.T.A. Hoffmann war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Jurist (und Musiker). Da die brotlose Kunst auch damals kaum jemanden wirklich über Wasser hielt, freute er sich 1816 über eine Anstellung als Kammergerichtsrat in Berlin. Es war die Zeit des Vormärz und der Karlsbader Beschlüsse: nationale (=progressive) und liberale Äußerungen wurden als Verbrechen verfolgt.
In Berlin wurde die „Immediat-Untersuchungskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“ eingerichtet, deren Aufgabe die „Ausermittlung von Gefahren, die Preußen und Deutschland bedrohen“ war. (Wikipedia)
Vor allem die Ermordung Kotzebues durch den Studenten Karl Sand (1817) diente Metternich und seinen Anhängern, die die bestehende Sozialordnung gefährdet sahen, also Vorwand, mit aller Härte gegen die angeblich "staatsgefährdenden Elemente" vorzugehen ("Zur Entstehungsgeschichte", in: E.T.A. Hoffmann, Meister Floh, Reclam Nr. 365, 1998)
E.T.A. Hoffmann wurde als Mitglied der Kommission berufen. Sein Mut und sein Gerechtigkeitssinn als Referent und Gutachter der Kommission werden hervorgehoben: beispielsweise legte er sich mit dem Direktor des Polizeiministeriums Kamptz an, als der den festgenommenen ‚Turnvater Jahn‘ öffentlich für überführt erklärt, obwohl Hoffmann politisch durchaus anderer Meinung war als Jahn. In einem anderen Fall reicht Kamptz die Vokabel ‚mordfaul‘ im Tagebuch eines festgenommenen Studenten für die juristische Verfolgung, was E.T.A. Hoffmann ablehnte.
Die Auseinandersetzungen zwischen E.T.A. Hoffmann und Kamptz haben mit zum Entstehen des "Meister Floh" beigetragen. 1821 schickt E.T.A. Hoffmann seinem Verleger das ‚Märchen‘ und das spricht sich bis ins Polizeiministerium herum. E.T.A. Hoffmann versucht noch, zwei Kapitel vor dem Erscheinen zurückzuziehen, aber das gesamte Manuskript wird im Januar 1822 beschlagnahmt. Ihm droht ein Prozess, weil er angeblich aus Prozessunterlagen (der Komission) zitiert habe, dazu kommen Beamtenverleumdung und Majestätsbeleidigung. E.T.A. Hoffmann starb im Juni 1822.
Das Märchen erschien unzensiert zuerst 1908, fast 100 Jahre später.
Im vierten und fünften Abenteuer des Märchens (die zensierten Kapitel), der sog. ‚Knarrpanti-Handlung‘, geht es um den geheimen Hofrat Knarrpanti, der von der Zensur als satirische Darstellung des Polizeidirektors Kamptz interpretiert wird (was Hoffmann nach der Beschlagnahmung, schon sehr krank, in einer Erklärung zum "Meister Floh" heftig dementiert).
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