Gefährliche Worte bei E.T.A. Hoffmann

Meister Floh, Grafik von http://www.stefanmart.de/09_floh/090_floh.htm

E.T.A. Hoffmann dürfte den meisten allenfalls aus der Schule als lästig in Erinnerung geblieben sein. Mir auch. Bis eine Kollegin von Andrej neulich auf seinen "Meister Floh. Ein Märchens in sieben Abenteuern zweier Freunde" hinwies. Es geht um die juristische Relevanz verdächtiger Worte.

E.T.A. Hoffmann war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Jurist (und Musiker). Da die brotlose Kunst auch damals kaum jemanden wirklich über Wasser hielt, freute er sich 1816 über eine Anstellung als Kammergerichtsrat in Berlin. Es war die Zeit des Vormärz und der Karlsbader Beschlüsse: nationale (=progressive) und liberale Äußerungen wurden als Verbrechen verfolgt.

In Berlin wurde die „Immediat-Untersuchungskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“ eingerichtet, deren Aufgabe die „Ausermittlung von Gefahren, die Preußen und Deutschland bedrohen“ war. (Wikipedia)

Vor allem die Ermordung Kotzebues durch den Studenten Karl Sand (1817) diente Metternich und seinen Anhängern, die die bestehende Sozialordnung gefährdet sahen, also Vorwand, mit aller Härte gegen die angeblich "staatsgefährdenden Elemente" vorzugehen ("Zur Entstehungsgeschichte", in: E.T.A. Hoffmann, Meister Floh, Reclam Nr. 365, 1998)

E.T.A. Hoffmann wurde als Mitglied der Kommission berufen. Sein Mut und sein Gerechtigkeitssinn als Referent und Gutachter der Kommission werden hervorgehoben: beispielsweise legte er sich mit dem Direktor des Polizeiministeriums Kamptz an, als der den festgenommenen ‚Turnvater Jahn‘ öffentlich für überführt erklärt, obwohl Hoffmann politisch durchaus anderer Meinung war als Jahn. In einem anderen Fall reicht Kamptz die Vokabel ‚mordfaul‘ im Tagebuch eines festgenommenen Studenten für die juristische Verfolgung, was E.T.A. Hoffmann ablehnte.

Die Auseinandersetzungen zwischen E.T.A. Hoffmann und Kamptz haben mit zum Entstehen des "Meister Floh" beigetragen. 1821 schickt E.T.A. Hoffmann seinem Verleger das ‚Märchen‘ und das spricht sich bis ins Polizeiministerium herum. E.T.A. Hoffmann versucht noch, zwei Kapitel vor dem Erscheinen zurückzuziehen, aber das gesamte Manuskript wird im Januar 1822 beschlagnahmt. Ihm droht ein Prozess, weil er angeblich aus Prozessunterlagen (der Komission) zitiert habe, dazu kommen Beamtenverleumdung und Majestätsbeleidigung. E.T.A. Hoffmann starb im Juni 1822.

Das Märchen erschien unzensiert zuerst 1908, fast 100 Jahre später.

Im vierten und fünften Abenteuer des Märchens (die zensierten Kapitel), der sog. ‚Knarrpanti-Handlung‘, geht es um den geheimen Hofrat Knarrpanti, der von der Zensur als satirische Darstellung des Polizeidirektors Kamptz interpretiert wird (was Hoffmann nach der Beschlagnahmung, schon sehr krank, in einer Erklärung zum "Meister Floh" heftig dementiert).

Nachdem der Protagonist der Erzählung, Peregrinus Tyß, den „Meister Floh“ kennengelernt hat, wird er auf Antrag des Geheimen Hofrats Knarrpanti plötzlich verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, am Weihnachtsabend aus einer großen Gesellschaft, die bei einem reichen Bankier versammelt gewesen war, eine vornehme Dame entführt zu haben. Als sich herausstellt, dass in der Stadt gar keine vornehme Dame vermisst wird, meint der Geheime Hofrat, „wenn erst der Verbrecher ermittelt sei, würde sich das begangene Verbrechen von selbst finden“. http://de.wikipedia.org/wiki/Meister_Floh#Die_Knarrpanti-Handlung

Allen, die bis hier durchgehalten haben, empfehle ich unbedingt den Originaltext, den ich im Urlaub ganz stilvoll als Reclamheftchen genoss (für 5,60€). Hier ein paar hübsche Ausschnitte. Etwaige Ähnlichkeiten zu aktuellen Verfahren sind selbstverständlich wahrscheinlich rein zufällig.

So hatte sich auch in der Stadt das Gerücht verbreitet, daß am
Weihnachtsabende aus einer großen Gesellschaft, die bei einem reichen
Bankier versammelt gewesen, eine sehr vornehme Dame auf unbegreifliche
Weise entführt worden. Jeder sprach davon, nannte den Namen des Bankiers
und klagte laut, daß die Polizei wenig wachsam sein müsse, wenn eine
solche gewaltsame Tat ohne Scheu verübt werden dürfe. Der Rat konnte
nicht umhin, Nachforschungen anzustellen; alle Gäste, die am
Weihnachtsabende bei dem Bankier gewesen, wurden vernommen; jeder sagte,
allerdings sei, wie er gehört habe, eine vornehme Dame aus der
Gesellschaft entführt worden, und der Bankier bedauerte gar sehr, daß in seinem Hause
solch ein Streich geschehen. Keiner wußte indessen den Namen der
entführten Dame anzugeben, und als der Bankier die Liste seiner Gäste
einreichte, fand es sich, daß keine einzige von den Damen, die zugegen
gewesen, vermißt wurde. War dies nun auch der Fall mit sämtlichen
einheimischen und fremden Frauen und Mädchen in der ganzen Stadt, von
denen keiner am Weihnachtsabende Leids geschehen, so sah der Rat, wie es
nicht anders geschehen konnte, das entstandene Gerücht für völlig
grundlos und die ganze Sache für erledigt an.

Knarrpanti war ein sehr wichtiger Mann, ein sogenanntes Faktotum an dem
Hofe eines kleinen Fürsten, auf dessen Namen sich der Herausgeber nicht
besinnen kann, und von dem nur zu sagen ist, daß es ihm beständig an
Geld fehlte, und daß von allen Staatseinrichtungen, die er aus der
Geschichte kannte, ihm keine besser gefiel als die Geheime
Staats-Inquisition, wie sie ehemals in Venedig stattfand. 

Der geneigte Leser erinnert sich, daß die Papiere des Herrn
Peregrinus Tyß in Beschlag genommen wurden, um einer Tat, die nicht
geschehen, näher auf die Spur zu kommen. Beide, der Abgeordnete des Rats
und der Geheime Hofrat Knarrpanti, hatten jede Schrift, jeden Brief, ja
jedes Zettelchen, das vorgefunden (Wasch-und Küchenzettel nicht
ausgenommen), auf das genaueste durchgelesen, wären aber nun rücksichts
des Resultats ihrer Erforschungen völlig verschiedener Meinung.

Der Abgeordnete versicherte nämlich, daß die
Papiere auch nicht ein Wort enthielten, welches Bezug auf ein Verbrechen
haben könne, wie es Peregrinus der Anklage nach begangen haben solle.
Des Herrn Geheimen Hofrats Knarrpanti späherisches Falkenauge hatte
dagegen gar vieles in den Schriften des Herrn Peregrinus Tyß entdeckt,
das ihn als einen höchst gefährlichen Menschen darstellte. Peregrinus
hatte sonst in seinen früheren Jünglingsjahren ein Tagebuch gehalten; in
diesem Tagebuch gab es nun aber eine Menge verfänglicher Stellen, die
rücksichts der Entführung junger Frauenzimmer nicht allein auf seine
Gesinnungen ein sehr nachteiliges Licht warfen, sondern ganz klar
nachwiesen, daß er dies Verbrechen schon öfters begangen. – So hieß es: »Es ist doch was Hohes, Herrliches um diese Entführung!«
Ferner: »Doch hab‘ ich von allen die schönste entführt!« – Ferner:
»Entführt habe ich ihm diese Marianne, diese Philine, diese Mignon!« –
Ferner: »Ich liebe diese Entführungen.« – Ferner: »Entführt sollte,
mußte Julia werden, und es geschah wirklich, da ich sie auf einem
einsamen Spaziergange im Walde von Vermummten überfallen und
fortschleppen ließ.«

Außer diesen ganz entscheidenden Stellen im
Tagebuch fand sich auch noch der Brief eines Freundes vor, in dem es
verfänglicherweise hieß: »so möcht‘ ich dich bitten, entführe ihm
Friederiken, wo und wie du nur kannst.«

Alle die erwähnten Worte nebst hundert andern
Phrasen, waren nur die Wörter: Entführung, entführen, entführt darin
enthalten, hatte der weise Knarrpanti nicht allein mit Rotstift dick
unterstrichen, sondern noch auf einem besondern Blatte zusammengestellt,
welches sich sehr hübsch ausnahm, und mit welcher Arbeit er ganz
besonders zufrieden schien.

»Sehen Sie wohl,« sprach Knarrpanti zu dem
Abgeordneten des Rats, »sehen Sie wohl, wertester Herr Kollege, habe ich
es nicht gesagt? Der Peregrinus Tyß ist ein verruchter abscheulicher
Mensch, ein wahrer Don Juan. Wer weiß, wo die unglücklichen
Schlachtopfer seiner Lüste hingekommen sind, die Marianne, die Philine,
und wie sie alle heißen mögen. Es war die höchste Zeit, daß dem Unwesen
gesteuert wurde, sonst hätte der gefährliche Mensch durch seine
entführerischen Umtriebe die gute Stadt Frankfurt in tausend Leid
versetzen können. Was hat der Mensch schon nach seinen eignen
Geständnissen für Verbrechen begangen! – Sehen Sie diese Stelle, bester
Herr Kollege, und urteilen Sie selbst, wie der Peregrinus das
Entsetzliche im Schilde führt.«

Die Stelle in dem Tagebuche, auf welche der weise
Geheime Hofrat Knarrpanti den Abgeordneten des Rats aufmerksam machte,
lautete: »Heute war ich leider mordfaul.« – Die Silbe mord war dreimal unterstrichen, und Knarrpanti meinte,
ob jemand wohl verbrecherischere Gesinnungen an den Tag legen könne, als
wenn er bedauere, heute keinen Mord verübt zu haben!

Das Denken, meinte Knarrpanti, sei an und vor sich selbst schon eine
gefährliche Operation und würde bei gefährlichen Menschen eben desto
gefährlicher. – Ferner gab es solche verfängliche Fragen, wie z.B. wer
der ältliche Mann im blauen Unterrock und kurz verschnittenen Haaren gewesen sei, mit dem er [sich] am vierundzwanzigsten März des
vergangenen Jahres mittags an der Wirtstafel über die beste Art, den
Rheinlachs zu bereiten, verständigt habe? Ferner: ob er nicht selbst
einsehe, daß all die geheimnisvollen Stellen in seinen Papieren mit
Recht den Verdacht erweckten, daß das, was er niederzuschreiben
unterlassen, noch viel Verdächtigeres, ja ein vollkommenes Zugeständnis
der Tat hätte enthalten können?

Mehr zu E.T.A Hoffmann gibt es bei der Uni-Bibliothek der FU Berlin.

Die Quelle der Grafik oben die die Website http://www.stefanmart.de, CC-Lizenz

 

4 Gedanken zu „Gefährliche Worte bei E.T.A. Hoffmann

  1. Huch, im RSS-Feed werden Deine Artikel jetzt nur noch abgekürzt dargestellt. Magst Du das bitte wieder ändern? Danke.

  2. „Ihm droht ein Prozess, weil er angeblich aus Prozessunterlagen (der Komission) zitiert habe“

    in der wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/ETA_Hoffmann) steht dazu: „Dessen nicht genug, ließ er Knarrpanti dieses ungewöhnliche Wort mehrfach dick mit Rotstift unterstreichen – wie in der Originalprozessakte durch Kamptz geschehen. Somit hatte Hoffmann einen Verstoß begangen, der keinem Richter gestattet ist: Er hatte die nicht öffentlichen Inhalte einer Prozessakte durch seine Erzählung öffentlich gemacht.

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