Netzpolitik und Frauen passen einfach nicht zusammen

The internet is a series of tubesDer Eindruck drängt sich jedenfalls ziemlich auf, nachdem bei netzpolitik.org zu lesen stand, dass nur 8% der LeserInnen dort Frauen sind. Die Redaktion fragte sich dann:

Wie kann der Anteil weiblicher Leserinnen gesteigert werden? Netzpolitik sollte keine Männersache sein und geht alle an.

In den Kommentaren entspann sich ein buntes Treiben, um dessen Moderation ich niemanden beneide. Mein Verdacht war, dass die Frage dort das richtige Publikum gar nicht erreicht, denn erklärtermaßen lesen die Frauen, die nicht netzpolitik.org lesen, netzpolitik.org ja nicht. Über den Umweg einer Facebook-Gruppe, die leider das derzeit größte mir bekannte Forum von Bloggerinnen und sonst netzaffinen Frauen ist, das ich kenne, entstand ein Blogpost von Claudia Kilian: Netzpolitik ist weiblich. Auch dort wurde viel diskutiert.

Für mich riecht das Blog Netzpolitik männlich. – Ich bin nicht gut im erklären, aber für mich ist der vorherige Satz, genau die Erklärung, die ich mir selbst geben würde. Das ganze Blog besitzt eine durch und durch männliche Ausstrahlung und wenn ich die Zahl der Mitschreiberinnen hätte schätzen sollen, dann hätte ich sie bei der Prozentzahl geschätzt, bei denen die Leserinnen liegen: jedenfalls eindeutig im einstelligen Bereich. (Claudia Kilian, Sammelmappe)

Und ungefähr hier fangen dann die kulturellen Differenzen an, die vielleicht mit zu den Ursachen gehören, warum sowenig Frauen netzpolitik.org lesen. Im Text und in den Kommentaren ging es um:

Bunter, kreativer, abwechslungsreicher, nicht immer zu ernst – muss ja nicht gleich in Klamauk ausarten – und ganz wichtig: einen Bezug zum Alltag herstellen.

Zu viel Technik, Gesetz und Recht, Staatsmacht, zu wenig Reflektion über Beziehungen, Kultur, Was kann ich machen? Und auch zu viel klare Positionierung, mich interessiert eher das Diskutieren von offenen Fragestellungen.

Ich kann das “Stallgeruch” Phänomen spontan gut nachempfinden. Die Erklärungen hinsichtlich mangelnder soz. Reflexion/ pers. Bezugs finde ich insofern plausibel, als sie sich schon darin zeigen, dass hier darüber diskutiert wird, statt auf Netzpolitik.org (die ja explizit Kommentare dazu wollten).

Ich empfand die Diskussionskultur dort als wenig inspirierend, besserwisserisch, teilweise arg trollig. Die Netzpolitik-Diskussionen führe ich (bisher) fast ausschließlich offline unter Freund*innen und Kolleg*innen.

Ich stehe meist mit einem Bein in der netzpolitisch-hacktivistischem Community mit den gefühlt 92% Männern und mit dem anderen in der feministischen Community, die manchmal, aber selten, netzpolitisch und häufig sehr netzaffin ist. Und das seit gut zehn Jahren. Beide leben unabhängig und in weitgehender Ignoranz voneinander. Etwas von der einen in die anderen zu übertragen hat große Ähnlichkeiten mit dem Übersetzen von Sprachen. Es ist nicht bloß das Vokabular, das unterschiedlich ist, sondern auch die Art und Weise, wie Phänomene wahrgenommen und beschrieben werden.

Im Grunde eigne ich mich schlecht dafür, hier Ursachenforschung zu betreiben, weil ich selber gern und viel netzpolitik.org lese und auch andere Nachrichten-Websites mit netzpolitischen Inhalten. Warum andere Frauen das nicht machen, kann ich also auch nur raten. Ich habe trotzdem versucht zu übersetzen:

Ich glaube, dass mit dem Bezug zum Alltag, zum eigenen Leben, der ‘Reflektion zum eigenen Leben’ gemeint ist, offene Fragen auch mal offen stehen lassen zu können. Lasse ich mir beim Schreiben in die Karten gucken? Lasse ich erkennbar werden, wo ich selbst nicht genau weiß, was ich politisch für richtig halte? Will ich dazu eine Diskussion mit den LeserInnen? Das ist unter Männern, oder in männlich geprägten Umgebungen schwieriger, weil da jede gezeigte Schwäche für einen Angriff gut ist. Die Kommentare lassen da keinen Zweifel. Wenn ich so schreibe, dass keine Frage offen bleibt und ich deutlich signalisiere, dass ich genau weiß, wo es lang geht, puste ich ordentlich die Backen auf, oder die Schultern, je nachdem. Ein typisch männliches Bild, nicht umsonst. Das, was als deutsche Blogosphäre gilt und ja sehr männlich ist (allein der Personen wegen, die da als relevant gelten), lässt wenig Alternativen zu: gut ist, wer cool ist, wer erfolgreich ist, wer die Backen ordentlich aufpustet. Und sagt, wo’s lang geht.

Bei Sammelmappe habe ich versucht, ein bisschen genauer zu beschreiben, was den Zugang zu netzpolitischen Themen vielleicht attraktiver machen könnte:

Viel vom bis hier Gesagten würde erklären, warum sich Frauen ™ nicht für Nachrichten, Zeitungen, Themen interessieren. Das kommt mir ein bisschen zu einfach vor. Dass das vielen Frauen so geht, kann ich nicht von der Hand weisen, aber wenn das der Hauptgrund wäre, dann müsste viel weniger Journalistinnen geben (zum Beispiel). Und da ist der Unterschied ja nicht annähernd so eklatant. Nun gehört zum guten Journalismus in der Regel auch ein bisschen Story, also die eine oder andere Person, deren Geschichte verdeutlicht, warum XY ein Problem ist.

Helga Hansen hat gleich zweimal gebloggt und noch andere Aspekte genannt:

Immer wieder habe ich bisher die Angst gehört „nachher sage ich was falsches und alle halten mich für blöd“ (im schlimmsten Fall wird daraus die Sippenhaft „alle Frauen sind so blöd“). Auch hier greift das alte Problem, dass Frauen ihre Kenntnisse oft deutlich unterschätzen und im schlimmsten Fall die Brötchen für die Demo schmieren, statt eine Rede zu halten.

Warum sollte es im Netz anders sein als im sonstigen Leben: das jeweilige Redeverhalten spielt eine Rolle. Männer neigen dazu, alles zu kommentieren, Argumente anderer als die eigenen darzustellen und dabei schon Gesagtes zigmal zu wiederholen. Und sich immer wieder aufeinander zu beziehen – die berühmten Seilschaften. In der Blogosphäre wird genau das belohnt: je mehr Bezüge untereinander, desto wichtiger (Code is law, und wer macht den?). Frauen finden das entweder langweilig und uninspirierend oder aber lassen sich von dem Bluff so beeindrucken, dass sie den Eindruck haben, nichts Wichtiges zum Thema sagen zu können. Und gehen.

Nochmal Helga, ein paar Tage später:

Außerdem reizt alleine die Aussicht, netzpolitik.org könne sich ändern, die Kommentatoren. Da wird dem Blog zusgeschrieben, nüchtern, sachlich, themenbezogen und unaufgeregt zu sein. Und all das in Gefahr gesehen. Denn Frauen sind anscheinend das Gegenteil von Männern und damit unvernünftig, emotional, aufgeregt und bestimmt auch irgendwie unsachlich.

Dass illustriert vielleicht am besten, was Claudia Kilian mit dem „männlichen Stallgeruch“ meint. Frauen müssen beweisen, dass sie entgegen dem Stereotyp unaufgeregt und sachlich sind, um mitreden zu können und ernst genommen zu werden. Am besten jede einzeln für sich, während jedes „Versagen“ für das ganze Geschlecht gezählt wird. Eine im Zweifelsfall unlösbare Aufgabe. Es gibt kein Diplom in Sachlichkeit, keinen Messbecher für Aufregung.

Sie hat auch ein paar ganz praktische Veränderungsvorschläge gemacht, nachzulesen bei den Femgeeks.

Ich glaube, eine Rubrik Feuilleton täte netzpolitik.org gut. Die Möglichkeit, etwa die Frage auch mal im Raum stehen lassen zu können, ob Anonymität wirklich immer für alle das Beste ist, wäre ein Gewinn. Ich verstehe die Vorbehalte, warum die Frage unmöglich öffentlich gestellt werden kann. Die Headline „Beckedahl jetzt für Klarnamenzwang“ will auch niemand. Andererseits ist Anonymität ein Problem für Frauen, die von Stalkern bedroht werden. Eng verwandt ist z.B. die Impressumspflicht mit Wohnadresse: ein Riesenproblem vor allem für Frauen, die von gewalttätigen Ex-Männern bedroht werden oder anonyme Vergewaltigungsdrohungen bekommen (aber nicht nur für die). Leider ein völlig vernachlässigtes netzpolitisches Thema. Sowas könnte im „Feuilleton“ aber ganz in Ruhe besprochen werden, ohne gleich die (absolut nötige) politische Klarheit ins Wanken zu bringen.

Da könnte dann auch gleich mal wieder die Frage gestellt werden, wie die Kommentare zu moderieren sind: alles stehen lassen, was nicht strafbar ist, führt dazu, dass ganz viele nicht mehr mitlesen, denen die Schlammschlachten der Couchpotatoes den letzten Spaß verderben. Müssen Kommentare ein pädagogisches Projekt werden, oder müssen sie „zensiert“ werden, oder gehört eine große Warnung oben drüber, dass ab hier das Heise-Forum beginnt, weil alles stehen bleibt?

So, wie es jetzt ist, kommen viele Frauen (und sicher Männer) einmal vorbei und danach nie wieder. Da kann man dann 5x sagen, dass das doch nur die Kommentare sind, aber wer im Netz nicht des Jobs oder der Reputation wegen unterwegs ist, hat wenig Motivation, Websites öfters zu besuchen, die ein unangenehmes Klima verbreiten. Aus „Offen für alle“ wird so klammheimlich „Offen für Nervbacken“ – wieviel psychologisches Gespür dafür nötig ist, wissen inzwischen Millionen von Community-ManagerInnen.

Für andere ist das Problem nicht der aggressive Tonfall, sondern vielleicht der Insider-Jargon. Wenn viel Wissen vorausgesetzt wird, ist es für ‚Neue‘ nicht einfach, einen Zugang zu finden.

Bei netzpolitik.org gab es dann einen Folge-Artikel: Wie kann Netzpolitik für Frauen interessanter werden? – Vorläufiges Resümee. Andrea Jonjic versucht ein bisschen zusammenzufassen, was es für Reaktionen gab. Sie teilt das in Layout, Inhaltliches, Kommentarkultur, Sichtbarkeit der Autorinnen und Kooperationen mit anderen Blogs ein und schreibt: Es

.. handelt sich hier nicht um einen Austausch a la “Was ist das Problem? Aha. Ok, gefixt” (auch wenn das so rübergekommen sein mag), sondern um einen Prozess.

Gut, dass es ihn gibt. Ich bin sehr neugierig, wie sich das weiter entwickelt.

Letzten Samstag habe ich dazu kurz was bei Radio Trackback gesagt (mp3, 56mb, ab Minute 21:45), leider war die Zeit echt ein bisschen zu knapp – einer der Gründe, warum ich mich jetzt hier nochmal so ausbreite.

Im übrigen hat das Thema noch zwei Grundprobleme: die Umfrage war nicht repräsentativ, d.h. niemand weiß, wie hoch der Prozentsatz wirklich ist – kann ja auch sein, dass sich prozentual viel mehr Männer an der Umfrage beteiligt haben. Und: weil wir nicht wissen, wer nicht liest, können wir nur vermuten, warum das so ist. Und natürlich haben alle unterschiedliche Vermutungen.

Insofern sind also die Kommentatorinnen bei Sammelmappe eine Goldgrube, weil sie erklären, warum sie nicht lesen bzw. sich nicht für Netzpolitik interessieren. Und mich würde weiterhin sehr interessieren, warum Ihr

  • netzpolitik.org nicht lest oder
  • Euch nicht für Netzpolitik interessiert

Vor allem, wenn Ihr Frauen seid. Erklärungen von anderen, warum Frauen Netzpolitik nicht mögen, gibt es ja schon genug.

 

 

Disclaimer: Wie immer sind mit „Männern“ nicht alle, sondern die meisten Männer und mit „Frauen“ nicht alle, sondern die meisten Frauen gemeint. Inklusive aller, die sich mit den jeweiligen Beschreibungen am besten getroffen fühlen.

Disclaimer 2: Ich bin theoretisch auch netzpolitik.org-Autorin, habe bisher vor allem aus Zeitmangel aber nur einen einzigen Artikel geschafft.

Das Bild ist von Yarnivore / Flickr und hat eine CC-BY-NC-SA-Lizenz

Medienradio zur Netzpolitischen USA-Reise

Wer meine Tweets verfolgt, konnte nicht übersehen, dass ich Ende Juli auf Einladung von Malte Spitz (bezahlt von der Böll-Stiftung) eine Woche in den USA war, um dort den ‚transatlantischen netzpolitischen Dialog‘ voranzubringen. (Ich musste deswegen nicht Mitglied der Grünen werden und mich auch sonst zu nichts verpflichten.) Mit dabei waren Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, Ulf Buermeyer, Jeannette Hofmann, Markus Beckedahl und, als embedded Journalists, Christian Stöcker (Spiegel Online) und Matthias Kolb (Süddeutsche).

'No ACTA' bags at the White House

Wir waren in Boston, Washington, San Francisco und im Silicon Valley, haben Berkman Center und MIT Media Lab besucht, mit MitarbeiterInnen der pro-Internet-engagierten Senatoren Wyden und Franken geredet, mit dem Leiter der Internet-Abteilung der Federal Trade Commission (sinngemäß die US-Datenschutzbehörde) und dem Internet-Beauftragten der Obama-Administration Dan Weitzner geredet, waren in der New America Foundation beim Open Technology Institute, in Kalifornien bei Creative Commons, Mozilla, Wikimedia, EFF und dann bei Google und haben schließlich in Stanford Barbara van Schewick getroffen. Nebenbei haben wir zwei öffentliche Veranstaltungen in Washington und San Francisco absolviert.

Kurz gesagt: es war ziemlich großartig. Ich habe noch nie in so kurzer Zeit mit sovielen interessanten Leuten reden können. Ausführlicher zu hören in der Aufnahme des Medienradios von letzter Woche: Zwei Stunden, gemeinsam mit Ulf Buermeyer, moderiert von Philip Banse:

MR059 Netzpolitische USA-Reise, dort auch zum Anhören per Klick, hier als mp3 (52mb)

Einige der Themen der Reise, die immer wieder in Gesprächen auftauchten:

  • ACTA und SOPA/PIPA: sind die Proteste und Auswirkungen vergleichbar und warum nicht, wird es das nochmal geben? Was kommt als nächstes?
  • Urheberrecht/Leistungsschutzrecht
  • Unterschiede im Verständnis von Datenschutz/Privatsphäre, auch aufgrund der sehr unterschiedlichen politischen Kultur (und daher Rechtssituation)
  • Was wird aus Thunderbird?
  • Wie ist das mit Bradley Manning?
  • Und Google News?

Meine Reise-Fotos sind hier zu sehen (ein bisschen durcheinander, Flickr-App sei dank), Markus Beckedahl hatte ein Reise-Blog, und erste Artikel der beiden Eingebetteten gibt’s auch:

Laut Heise hat mich die Reise zur deutschen Bohème-Expertin geadelt, eine Qualifikation, die ich unbedingt auf Visitenkarten unterbringen werde, so ich je welche habe.

The Stream über Sexismus im Netz

The Stream, die interaktivste Sendung im Internet, die ich kenne, hat sich am Dienstag mit der Frage beschäftigt, ob das Netz Sexismus fördert. Sehenswert, weil deutlich differenzierter als das meiste, was mir dazu im deutschen Netz begegnet. Die (mir) neue Vokabel dazu ist: #e-patriarchy

Passend dazu gab es letzten Samstag auf DRadio Wissen den Netzreporter XL zum Thema Geschlechterbilder im Netz, (mp3) , mit Helga Hansen, Katrin Rönicke und Anatol Stefanowitsch.

 

 

Samstag ist internationaler Aktionstag gegen ACTA

Die Google-Karte mit den geplanten Protesten und der Aufruf für die Demo in Berlin, Samstag um 12 Uhr an der Oberbaumbrücke (Kreuzberg).

Wer nicht kann oder noch mehr machen möchte: hier gibt es eine Auswahl deutscher EU-Abgeordneter, die für ACTA sind oder sich noch immer nicht entschieden haben, wie sie abstimmen wollen. Es sind für fast alle welche dabei: CSU, CDU, FDP, SPD und Grüne Abgeordnete können direkt kontaktiert werden – vielleicht hilft das ja.

Zugegeben, ACTA zu erklären ist nicht ganz einfach.

Was ist das Problem?

  • ACTA umgeht demokratische Prozesse und fördert eine Privatisierung von Rechtsdurchsetzung fern rechtsstaatlicher Kontrolle.
  • ACTA fordert unverhältnismäßige Strafen und ist zudem noch vage formuliert.
  • ACTA kann Internet-Provider zu einer privaten Urheberrechtspolizei mit gefährlichen Auswirkungen auf Meinungsfreiheit und Datenschutz machen.
  • ACTA ist eine Richtungsentscheidung. Das alte Urheberrecht wird damit weiter zementiert, anstatt über eine Reform zu diskutieren.

Auch dazu mehr bei acta.digitalegesellschaft.de

Axel E. Fischer, das Freie Internet und ich

Gab’s letzten Freitag bei nano, 3sat. Eingebettet in einen Beitrag über die re:publica wurden uns ähnliche Fragen gestellt: Brauchen wir ein freies Internet? Muss das Urheberrecht an das digitale Zeitalter angepasst werden? Sind die Möglichkeiten der politischen Teilhabe ausreichend?

Axel E. Fischer ist der Vorsitzende der Enquête-Komission Internet & Digitale Gesellschaft des Bundestages und in der CDU.

http://www.youtube.com/watch?v=y0uuWE_RHbk

(Ca. die ersten sechs Minuten der Sendung.)

Mit dem Begriff „Freies Internet“ habe ich regelmäßig meine Schwierigkeiten. Es ist ein weißer Schimmel – Internet ist qua Definition frei. Wenn es nicht frei ist, wird es zensiert und eingeschränkt.

Protest digital

http://images.zeit.de/bilder/titelseiten_zeit/2012/icon_010_001.jpgNächstes Wochenende rede ich bei der Tagung der Urbanauten „Revolution im Zwischenraum“ über Digitalen Protest. Konkret über „Urbaner Protest im öffentlichen Raum in Zeiten der digitalisierten Stadt von 2012 bis 2048„. Mit Piraten, Guttenberg und ACTA wieder sehr en vogue (und das ist ja auch gut so).

Aus diesem Anlaß befragte mich jetzt.de (Süddeutsche). Normalerweise würde ich das hier verlinken, weil aber die Website von jetzt.de die interessante Macke hat, dass anstelle des Artikels gern „Fehler: Das Dokument wurde nicht gefunden“ erscheint, erlaube ich mir, meine (redaktionell aufgepeppten) Worte auch hier vollständig wiederzugeben:

„Die Menschen wollen sich nicht abspeisen lassen“

Plagiatsjagd, Anti-ACTA-Kampagnen, Occupy – das Netz hat das Zeug dazu, die politische Kultur grundsätzlich zu verändern. Anne Roth ist seit 2001 als Aktivistin im Netz unterwegs und hat diesen Wandel beobachtet.

Die Berlinerin Anne Roth ist Politikwissenschaftlerin, Mutter, Bloggerin. „Netz- und Medienaktivistin“, wie sie selbst sagt. 2001 hat sie den deutschen Ableger des globalisierungskritischen Nachrichtenportals Indymedia mitbegründet – die erste Seite in Deutschland, auf der jeder Nutzer Inhalte im Netz veröffentlichen und andere Beiträge kommentieren konnte. Kommende Woche spricht sie auf dem Kongress „Revolution im Zwischenraum in der evangelischen Akademie Tutzing. Vorab ein Gespräch über den Verdruss an der Politik und Chancen für Politiker.

jetzt.de: Das Internet ist zweifellos eine technologische Revolution. Kann es auch politische Revolutionen auslösen?
Anne Roth: Damit aus einer politischen Bewegung eine Revolution werden kann, sind andere Dinge nötig als das Internet. Deswegen würde ich den Arabischen Frühling auch nie als Facebook- oder Twitter-Revolution bezeichnen. Aber seit Guttenberg und spätestens seit den Anti-Acta-Protesten ist klar: Im Netz sind nicht nur Menschen unterwegs, die irgendwie vor sich hinwursteln, sondern dort kann politischer Aktivismus eine Kraft entfalten, die stark genug ist, die ganz reale Politik zu verändern. Mittlerweile erkennen auch immer mehr Politiker, dass sie die Entwicklungen im Internet nicht versäumen dürfen, wenn sie weiter Politiker bleiben wollen.

Welche Entwicklungen sind das?
Transparenz und Partizipation werden immer wichtiger. Die Menschen wollen sich nicht mehr mit fadenscheinigen Erklärungen abspeisen lassen. Vor ein paar Jahren zum Beispiel wäre Karl-Theodor zu Guttenberg mit seiner Plagiatsaffäre noch durchgekommen. Doch so haben ihn die Leute durch ihr eigenes Engagement zu Fall gebracht. Daran zeigt sich: Die Menschen sind nicht von der Politik verdrossen, sondern von ihrer Form. Auch deswegen haben die Piraten so einen großen Erfolg. Da bricht sich ein breites Bedürfnis nach Teilhabe und Transparenz Bahn.

Macht es das Netz also politischen Parteien und Bewegungen leichter, Menschen zu begeistern?
Klar erlauben „neue Informations- und Kommunikationstechnologien“ – wie es altmodisch heißt – einerseits, sehr viele Menschen zu informieren, ohne auf die herkömmlichen Medien angewiesen zu sein: durch Posts, Mailinglisten oder Twitter. Andererseits können sich Gruppen so viel leichter organisieren und untereinander kommunizieren. Aber natürlich müssen sich die Menschen, die informiert werden sollen, auch interessieren. Um den Protest aus dem Netz auf die Straße zu bringen, braucht es eine ganz reale Unzufriedenheit.

Die Stadt Schwäbisch Gmünd hat nach einer riesigen Aktion im Netz ihr Schwimmbad nach Bud Spencer benannt. Fehlt Kampagnen im Netz manchmal der nötige politische Ernst?
Ich finde es gut, wenn politischer Protest auch spaßig und dabei souverän ist. Auf einer Freiheit-statt-Angst-Demo in Berlin zum Beispiel hatte jemand ein Banner dabei, auf dem stand „Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen“. Ein ironischer, witziger Unterton muss einer Sache nicht schaden.

Vor elf Jahren haben Sie Indymedia Deutschland mit ins Leben gerufen, ein globalisierungskritisches Nachrichtenportal, bei dem sich jeder beteiligen kann. Das war damals schon ziemlich revolutionär, oder?
Web 2.0 existierte nicht, wer im Internet veröffentlichen wollte, musste schon html beherrschen. Mit Indymedia wollten wir Kritik üben, an politischen Inhalten und an den etablierten Medien. Wir haben die mediale Begleitung der gleichzeitig entstehenden Anti-Globalisierungsbewegung, die gerade entstand, lieber selbst in die Hand genommen und damit zu ihrer weltweiten Vernetzung beigetragen. Es gab ein Formular, über das jeder posten und kommentieren konnte, das war total neu. Die Skepsis am Anfang war gewaltig.

Wer waren Ihre Kritiker?
Die kamen aus dem gesamten politischen Spektrum, und aus den Medien: Wie, da kann jeder schreiben? Das war ja völlig neu. Es war großartig, bei diesem Projekt dabei zu sein – aber auch sehr anstrengend. Wir haben intern viel diskutiert.

Worüber denn?
Wo ist die Grenze, wenn sich die Nutzer unter einem Post gegenseitig beschimpfen? Wie wird die Transparenz gewahrt bleiben, wenn die Kommentare unübersichtlich werden? Gibt es Dinge, die man gar nicht auf der Seite haben will? Was ist das Ziel von Kommunikation? Das sind Diskussionen, die immer noch wichtig sind und immer noch geführt werden. Ich frage mich, ob zum Beispiel ein Livestream von jeder Piraten-Parteiversammlung wirklich für Transparenz sorgt, oder nicht eher denen die Teilnahme erschwert, die nicht die Zeit haben, sich das alles anzugucken.

Für die meisten von uns ist das Web 2.0 Alltag, wir verbringen viel Zeit auf Twitter oder Facebook. Dahinter stehen riesige Konzerne mit sehr großer Macht. Ist das die richtige Infrastruktur für politischen Protest?
Nein. Auf diese Problematik müssen wir immer wieder hinweisen und Alternativen aufzeigen. Aber ohne diese Netzwerke geht es auch nicht. Bei einer politischen Kampagne will ich ja nicht nur ein paar Leute erreichen, sondern alle. Und alle sind nun mal bei Facebook. Auf Art und Zweck der Kommunikation kommt es an. So sollte sich ein Betriebsrat besser bei Diaspora oder einem anderen Netzwerk organisieren, das großen Wert auf Datenschutz legt. Die Ergebnisse seiner Arbeit kann er dann aber über Facebook verbreiten. Das ist kein Widerspruch.

Sind wir ausreichend dafür gerüstet, uns politisch im Internet zu betätigen?
Wir brauchen alle noch viel mehr Medienkompetenz. Vor allem natürlich die, für die das Internet nicht selbstverständlicher Teil ihres Alltags ist. Alle müssen bereit sein, sich mit neuen Formen von Politik und Mediennutzung auseinanderzusetzen. Und wir brauchen einen bewussteren Umgang mit Informationen über uns und andere. Welches Netzwerk nutze ich wofür und mit wem? Vor allem in den Schulen muss da noch sehr viel passieren. Für viele Lehrer ist das Internet nach wie vor unbekanntes Terrain. Das ist aber auch teilweise ein Generationenproblem; in den nächsten 20 Jahren wird da sehr viel passieren.

(Lena Jakat)

Internet als Schulfach

Es wird ein bisschen themenfremd. Aber ich lege ja, zur Irritation der unterschiedlichsten Leute, Wert darauf, in den Dreizeilern zur Beschreibung meiner Person auch zu erwähnen, dass ich Mutter bin. Weil das mein Erleben der Welt erheblich prägt, und weil es sehr viel von meiner Zeit beansprucht.

Das bringt mit sich, mich viel mit Schule beschäftigen zu müssen. Ein Elend. Ein ganz unglaubliches Elend. Heute: das Internet und Schule.

Kai Biermann bei Zeit Online dazu:

Wer Grundschüler fragt, Acht-, Zehn- oder Zwölfjährige, ob sie über das Internet reden wollen, schaut in begeisterte Gesichter. Jaaaa!, brüllen sie dann und haben sofort haufenweise Fragen. Ständig sind die Arme oben: Ob es genügt, wenn man sein Facebook-Profil vor Suchmaschinen verbirgt, was passieren kann, wenn man seine Adresse im Internet verrät, was Viren sind und was sie machen, warum man bei YouTube auf „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ klicken kann, wie man eine Website baut, wie das Internet überhaupt entstand und wie es funktioniert. …

Die Lehrer sitzen daneben und wundern sich. (Als Internetlehrer an einer Grundschule)

Mehr muss dazu eigentlich nicht gesagt werden, außer vielleicht, dass daran nur zum Teil die Lehrerinnen und Lehrer schuld sind, weil die angesichts der Bedingungen schon so in Arbeit versinken, dass ich jedenfalls nicht unbedingt erwarte, dass sie sich nebenbei noch gut mit dem Internet auskennen. (Allerdings, die Lehrer-Ausbildung ..)

Wobei schon schöner wäre, wenn den Kindern nicht – Microsoft ist halt der Sponsor, der Staat hat ja kein Geld, wissen schon – vermittelt würde, dass es nur Windows gibt und im Netz nur gute Sachen, wenn man sich als Mitglied registriert und dafür Geld bezahlt.

In meinem nächsten Leben gehen die Kinder dann vielleicht doch auf Freie (Privat-)Schulen und können ein bisschen mehr lernen, was sie interessiert. Dazu gibt es diesen sehr wunderbaren TED-Talk. Bitte nehmt Euch die Viertelstunde, es lohnt sich.

 

c’t Onlinetalk zu Netz(-Partei-)politik

Ich habe mich gestern bei DRadio Wissen über „Deutsche Parteien links und rechts von Netz“ mit Christoph Kappe und Falk Lüke unterhalten, moderiert von Philip Banse (den Titel finde ich ein bisschen unglücklich). Gefehlt hat definitv jemand, der /die sich gut mit den Unterschieden der etablierten Parteien zu dem Thema auskennt #marktlücke.

Mir hat es besser gefallen als letztes Mal (mit Christopher Lauer anstelle von Christoph Kappes, Thema: Transparenz). Letzten Endes ging es beide Mal um das Phänomen Piraten.

  mp3

Meinungen und Kritik sind wie immer ausgesprochen erwünscht.

„Geheimdienst hilft Linken“

Diese Überschrift lächelte mich Freitag in der Berliner Zeitung an. Hat man ja nicht alle Tage, dass der Geheimdienst Linke nicht verfolgt, sondern sogar helfen will.

Beim näheren Hinsehen bedauerlicherweise entpuppte sich das als leicht fehlgeschlagener Titel zur Meldung zum Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes für Linksextreme. Steht zwar überall, aber so neu ist das ganze nicht, weswegen es dem Pantooffelpunk schon im Sommer 2010 gelang, einen Aussteiger zu finden, der bereit war, über seine Erfahrungen zu sprechen:

Interview mit einem Aussteiger

5. Juli 2010, 11:48 Uhr von pantoffelpunk

Die Bundesregierung startete jüngst ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten, dessen Sinn von vielen linken Gruppen und Aktivisten kritisiert wird. Ganz aktuell und exklusiv gibt es dazu auf pantoffelpunk.de ein Blitzinterview mit dem Aussteiger T.F.:

pantoffelpunk.de: “Herr F., sie sind aus der linksextremen Szene ausgestiegen. Wie haben Sie das geschafft?”

Herr F.: “Ich bin sonst jeden Dienstag zum Treffen der Autonomen Antifa meiner Stadt gegangen, an einem Dienstag im November des letzten Jahres allerdings bin ich von einem alten Bekannten, der mit der Szene nichts zu tun hat, zum Spieleabend eingeladen worden. Wir haben nett geklönt, ein paar Bier getrunken und witzige Gesellschaftsspiele gespielt. Das war ein sehr netter Abend.”

pp: “Wie ging es weiter?”

F.: “Am Ende des Abends fragten die mich, ob ich am nächsten Dienstag wieder kommen wolle, einer würde auch eine WII mitnehmen. Ich sagte zu und hielt meine Verabredung ein.”

pp: “Sie fehlten also wieder bei dem Treffen der Antifa? Wie haben ihre Kamer… Mitstreiter reagiert?”

F.: “Ich habe irgendwann S. von der Antifa angerufen und gesagt, dass ich Dienstags jetzt etwas anderes vorhätte und nicht mehr an den Treffen teilnehmen würde. Er war natürlich etwas enttäuscht, schließlich hatten wir davor Jahre lang gemeinsam im rechtsextremen Millieu recherchiert und Daten veröffentlicht, wir haben Aktionen geplant, Demos organisiert und Migranten bei der Suche nach Hilfen unterstützt.”

pp: “Wurden Sie in der Folgezeit unter Druck gesetzt und bedroht?”

F.: “Ja. Man hatte mir massiv damit gedroht, den Termin auf Mittwoch zu verlegen, ich solle doch bitte wieder dabei sein.”

pp: “Aber Sie sind hart geblieben?”

F.: “Ja, ich hatte schon länger keine Lust mehr, wollte das Feld den Jüngeren überlassen und auch wieder mehr Zeit für meine Freundin haben.”

pp: “Mussten Sie untertauchen?”

F.: “Ja, ich habe ein paar Antifas wiedergetroffen, als ich im letzten Monat im Freibad war. S. hat mich lachend untergeduckert. Einer hatte auch einen Ball mit. Wir haben dann eine Stunde lang “Schweinchen in der Mitte” gespielt und meistens war ich das Schweinchen. Dann musste ich Gott sei Dank raus, ich hatte nur ein Zweistundenticket und wollte nicht nachbezahlen.”

pp: “Herr F., wir danken für das Gespräch.”

 

Und jetzt mal im Ernst: ich halte solche Programme für a) Quatsch und b) hochgradig demagogisch. Sie sind die Fortsetzung des Versuchs der gegenwärtigen Regierung, rechts und links (-extrem) gleichzusetzen. Es ist kein Geheimnis, dass das sowohl in der Theorie wie in der Praxis größtmöglicher Blödsinn ist. Rechte Ideologie hat völlig andere Ziele als linke. Linke haben seit den 80’er Jahren niemanden mehr umgebracht, Rechte sind eine permanente Gefahr und haben bis heute zahlreiche Menschen auf dem Gewissen. Nicht versehentlich. Wenn Linke/Linksextreme sich entscheiden, mit ihrem Leben was anderes anfangen zu wollen, dann tun sie das. Fertig aus. Niemand wird bedroht deswegen. Warum zum ‚Ausstieg‘ Hilfe nötig sein soll, hat noch niemand erklären können.

Das wäre eher komisch, solange es keine ernsthaften Konsequenzen hätte. Nur werden zur Finanzierung dieser ‚Linksextremismus‘- Aktivitäten solche gegen Rechtsextremismus zusammengekürzt. Und das ist dann tatsächlich gefährlich.

Video – Nach der Berliner Wahl: Wer ist die Piratenpartei?

Und gleich noch eine Veranstaltung, auch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, auch im Betahaus, aber knapp einen Monat später.

Piraten auf Erfolgswelle. Nach der Berliner Wahl: Wer ist die Piratenpartei?

Mit Martin Delius, Piratenpartei Deutschland, Gero Neugebauer, Parteienforscher, Horst Kahrs, Grundsatzabteilung beim Parteivorstand Die LINKE. Ich fand’s interessant, logisch, ich konnte ja auch die Fragen stellen. Teils ein bisschen langatmig wahrscheinlich, aber dafür mit allerhand Tiefgang. Ob Euch das auch so ging, interessiert mich.