Über Anne Roth

Schreibt ins Netz seit 1999 / Bis Dez. '23 Referentin für #Netzpolitik links im Bundestag / 2014 - 2017 Referentin im NSA-Untersuchungsausschuss / parteilos. Mehr über Anne Roth steht hier

Prozess gegen Lothar König scheitert an sächsischer Justiz

Ohne Dich ist alles doof

Champagner.

Eigentlich hätte am Dienstag der Prozess wegen “schwerem, aufwieglerischem Landfriedensbruchs” (§125a StGB) gegen Lothar König, den Stadtjugendpfarrer von Jena, begonnen. Am Montag ist der Start des Prozesses an der Dämlichkeit der sächsischen Behörden gescheitert. Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum Schreien komisch.

Was ist passiert? Kurz vor Prozessbeginn ist ein Stapel Material in den Prozessakten aufgetaucht, den die Verteidigung noch nie gesehen hatte. Wie kam der dahin? Warum war der vorher nicht da?

Dass Prozessakten nicht vollständig sind, ist nicht ungewöhnlich. Das ist nicht vorgesehen und immerhin haben wir ja einen Rechtsstaat und so, aber faktisch passieren trotzdem in deutschen Gerichten die bizarrsten Dinge, weil, guckt ja niemand so genau hin. Wo wir doch den Rechtsstaat…

Dass allerdings ausgerechnet in diesem Prozess mal eben ein

etwa 100 Blatt starkes ungeordnetes Konvolut von Lichtbildmappen, CD-Rom mit anklagerelevanten Videomaterial und polizeilichen Auswertungsmaterialien (JG Stadtmitte)

vom Himmel fällt, bestätigt alle Vorurteile über die sächsische Justiz. Es gibt eigentlich nur zwei mögliche Interpretationen: die StaatsanwältInnen plus Polizei sind sich sehr sicher, dass ihnen da niemand reinpfuscht. Oder haben den Bezug zu den letzten Resten demokratischer Rechtsstaatlichkeit vollständig verloren. (Jedesmal, wenn ich über die schreibe, frage ich mich, ob ich bei der nächsten Einreise festgenommen werden. Deswegen, liebe Zensoren: das sind Vermutungen, keine Behauptungen. Ok?)

Nun ist es aber so, dass die ganze Republik diesen Prozess beobachtet. Und Lothar König einen Anwalt hat, der in Berlin als Kettenhund des Politischen Prozesses bekannt ist: Johnny Eisenberg, der schon aus kleineren Anlässen größere Skandale fabriziert. Der hat dann kurz die Augenbrauen hochgezogen und das Gericht in Dresden hat den Prozess jetzt verschoben. Ich bin sehr gespannt, wie das weitergeht.

Noch ein bisschen zum Prozess an sich. Die FR fasst das so zusammen:

Ein Pfarrer aus Jena kämpft seit Jahren gegen den Einfluss von Neonazis. Jetzt muss er vor Gericht, weil er an einer Demonstration teilgenommen hat, die sich gegen den größten Aufmarsch von Neonazis in Europa richtete.

http://vimeo.com/60934455

Mehr über Lothar König:

http://vimeo.com/60830525

Er selbst dazu:

Seit der Wohnungsdurchsuchung im August 2011 ist mir eine ungeahnte Solidarisierung zuteilgeworden. Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet; aus Antifagruppen, Kirchen, Gewerkschaften, aus allen Parteien und allen Altersgruppen haben mir geschrieben und/oder für die Prozeßkosten gespendet. Das hat mir mein Engagement und das Durchhalten wesentlich erleichtert. Nur wenigen konnte ich bisher ein Dankeschön zurückgeben.

Ich will aber nicht verhehlen, daß die Vorbereitungen auf den anstehenden Prozeß zeitlich und kräftemäßig an den Rand der Belastbarkeit führen. Die Ungewißheit seines Ausganges und die drohende Vergeblichkeit aller Anstrengungen führen an die Grenzen, was ich gegenüber mir und anderen verantworten kann . Hinzu kommt der enorme finanzielle Aufwand.

Ein Scheitern ist immer möglich. Doch trotz aller Ohnmacht, trotz eigener Zweifel und Fragen , trotz drohender Sinnlosigkeit aller Bemühungen sage ich: „ . . . nichts, nichts was ich hätte tun oder lassen, wollen oder denken können, hätte mich an ein andres Ziel geführt. “ (Christa Wolf)

So ist die Verurteilung von Tim H. und die drohende von mir kein Scheitern von uns. Es ist das Scheitern einer Justiz, die antifaschistisches und demokrat- isches Engagement kriminalisiert.

Jena, im Februar 2013, Lothar König, Pfarrer

Wer spenden möchte, kann das hier machen: www.prozesskostenhilfe-lothar.de

Deutsche Software hilft bei der Überwachung von AktivistInnen weltweit

You only click twice: FinFishers's Global Proliferation

Wenn es für den Export von Waffen aus guten Gründen Beschränkungen und Kontrollen gibt, warum dann nicht für Software? Wenn Regierungen Software gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, sie dann überwacht, festnimmt, foltert und ermordet, gibt es keinen Grund, den Verkauf nicht genauso zu reglementieren. Eigentlich.

Zur Praxis hat Reporter ohne Grenzen letzte Woche zum diesjährigen Welttag gegen Internetzensur den »Bericht über die „Feinde des Internets“« veröffentlich.

Zu den Feinden des Internets zählt der Bericht auch die IT-Sicherheitsfirmen GAMMA INTERNATIONAL (UK/Deutschland), TROVICOR (Deutschland), HACKING TEAM (Italien), AMESYS (Frankreich) und BLUE COAT (USA). Mit Produkten dieser Firmen spüren autoritäre Regime kritische Journalisten auf, nehmen sie fest und blockieren ihre Webseiten. Die Anbieter verkaufen ihre Software entweder selbst an solche Regierungen und nehmen Übergriffe damit in Kauf, oder sie haben es versäumt, den Export ihrer Software so zu kontrollieren, dass Missbrauch ausgeschlossen ist. (Reporter ohne Grenzen)

Einen Tag später erschien ein neuer Bericht von Citizen Lab: You Only Click Twice: FinFisher’s Global Proliferation. Es ist nicht einfach nachzuweisen, wer in welche Länder Überwachungssoftware verkauft. CitizenLab hat in 25 Ländern FinFisher-Server lokalisiert, die von Gamma International betrieben werden.

Server auf der ganzen Welt funktionieren als Kommando-Zentralen für den kommerziellen Staatstrojaner FinFisher/FinSpy. Das geht aus einem Bericht des Citizen Lab hervor, der 33 Server in 25 Staaten auflistet. Das verstärkt die Vermutung, dass diese deutsche Überwachungstechnologie auch in Staaten eingesetzt wird, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. (netzpolitik.org)

Ich hatte vor einem Monat schon über FinFisher geschrieben: Fin’s Fisher fischt frische Fishe

Citizen Lab nennt zwei Beispiele, in denen FinFisher gegen AktivistInnen eingesetzt wurde: gegen Oppositionelle in Äthiopien. Die Variante für Mobiltelephone wurde in Vietnam gefunden – beides wird im Bericht ausführlich beschrieben.

Die Firmen, die die Software verkaufen, gehen sind nicht erpicht auf Öffentlichkeit. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, wird darauf verwiesen, dass die Software nicht an Diktaturen verkauft werde und sowieso: „Software foltert keine Leute.“ Sowas hatten wir von den Erfindern der Atombombe auch schonmal gehört. (Auch dieser Link wird demnächst dem neuen Gesetz zum ‚Leistungsschutzrecht‘ zum Opfer fallen)

Eine Ausnahme gab es Ende Februar bei der RSA-Konferenz, wo es ein Podium mit dem amerikanischen Vertreter der italienischen Firma Hacking Team gab, die auch zu den von Reporter ohne Grenzen definierten ‚Feinden des Internets‘ gehört. Mit ihm diskutierten Dale Beauchamp (US Homeland Security), Jacob Appelbaum (Tor Project), Kurt Opsahl (EFF) und Claudio Guarnieri (Rapid7): The spy within: researchers, hackers spar over state-sponsored malware,  von Quinn Norton in The Verge. Darf Überwachungssoftware überhaupt eingesetzt werden? Gegen wen? Wer legt fest, wer die Terroristen sind? Beauchamp, der Vertreter der US-Sicherheitsbehörden, ließ nichts aus:

„Believe it or not, if [Hacking Team] doesn’t sell the tool, [its clients] are going to do what they’re doing. So let’s not attack the tool, let’s attack what they’re doing,“

Auch dazu Spitzelsoftware-Hersteller: „Des einen Terrorist ist des anderen Aktivist“ (SpOn). (Auch dieser Link wird demnächst dem neuen Gesetz zum ‚Leistungsschutzrecht‘ zum Opfer fallen)

Die Aufnahme dieser Veranstaltung würde ich SEHR gern sehen.

The Young Turks pointiert (leider sehr schnell gesprochen) über FinSpy:
‚Finspy‘ Hijacks Activist Computers – Are You Being Monitored?

Überwacht wird natürlich nicht nur mit Trojanern wie FinFisher. Auch Skype reicht dazu oft völlig aus. Aus Russland wurde gerade bekannt, dass die Sicherheitsbehörden seit Jahren über Skype dessen NutzerInnen überwachen. Skandalös, würde man denken. Frankreich, unumstritten der stabilere Rechtsstaat, prüft gerade, ob es gegen Skype juristisch vorgehen kann, weil Skype die Überwachungsmöglichkeiten nicht offiziell mitliefert.

Und schließlich scheint es einen neuen ‚Sport‘ zu geben, der darin besteht, andere heimlich über Kamera ihrer Laptops zu beobachten – und die Aufnahmen hinterher ins Netz zu stellen: Meet the men who spy on women through their webcams. Also: immer schön die Kamera zukleben, und das Mikrofon ausschalten!

 

Onlinetalk: Euphorie und Entsetzen

dradiowissenWer möchte, kann jetzt nachhören, was Jürgen Kuri, Philipp Banse, Max Winde und ich am Samstag eine Stunde im c’t-Onlinetalk bei DRadioWissen zu sagen hatten.

Als Stream oder zum Runterladen:

Netz-Ereignisse: Zwischen Euphorie und Entsetzen (mp3, 50mb)

Es ging ungefähr eine halbe Stunde um das neue Samsung-Smartphone, warum mich sowas langweilt, wen das interessiert und warum, auch darum, warum Technik-Schnickschnack im Rahmen von sexistischen Bühnenshows präsentiert wird, wen das interessiert und warum.

Danach haben wir uns über das Ende des Google Readers unterhalten und was das für RSS-Feeds bedeutet, wer die nutzt und warum und dann über (in Deutschland produzierte) Überwachungssoftware und die dafür fehlenden Exportkontrollen, und ein ganz klein bisschen über WLAN-Störerhaftung, also die Frage, ob es sinnvoll ist, dass alle, die ihre WLANs so einrichten, dass andere sie nutzen können, dafür haften, wenn Unbekannte die dann für Sachen nutzen, die nicht erlaubt sind – etwa File-Sharing.

Damsel in Distress – Das ‚Fräulein in Nöten‘ als sexistisches Grundmodell in Computerspielen

Nach zwei intensiven und daher blog-freien Workshop-Wochen, bei denen ich viel über digitale Sicherheit gelernt habe (z.B. wie sich Jitsi, die Open-Source-Alternative zu Skype, über Tor laufen lässt!) stolpere ich als erstes über ein Thema, dass ich sonst eher am Rande behandele: Computerspiele.

Einige erinnern sich vielleicht an den Super-Shitstorm, der sich letztes Jahr über Anita Sarkeesian ergoss, als sie ihr Crowdfunding-Projekt startete mit dem Ziel, Sexismus in Computerspielen zu analysieren. Dazu gibt es den sehr empfehlenswerten TED-Talk von ihr, weiter unten zu sehen.

Der erste Teil des Projekts ist gerade fertig geworden:

Damsel in Distress: Part 1 – Tropes vs Women in Video Games

Das erklärt wohl u.a., warum ich mich mit Computerspielen nie anfreunden konnte.

Mehr zum Thema bei tropesversuswomen.tumblr.com

 

Anita Sarkeesian at TEDxWomen 2012

 

 

Brauchen wir linke Zeitungen?

zeitungIn der neuen „ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis“ stehen ein paar Gedanken von mir zu linken Zeitungen. Dort können sie nicht, hier dafür aber umso lieber diskutiert und kommentiert werden.

Wo ist die linke Netzzeitung?

Brauchen wir linke Zeitungen? Klar brauchen wir die, würde ich gern antworten. Allerdings stecken in der Frage eigentlich zwei: brauchen wir linke Zeitungen, oder brauchen wir linke Zeitungen?

Linke, meinetwegen kritische, progressive, antiautoritäre Medien sind in den Zeiten des Neoliberalismus nötig, weil wir Orte brauchen, an denen wir ein intellektuelles Zuhause haben. Bei denen wir wissen, dass das Beschriebene durch eine kritische Brille betrachtet wird. Deren Sichtweise wir deswegen nicht teilen müssen, bei der wir aber zumindest davon ausgehen können, dass uns nicht wieder der hegemoniale Bär aufgebunden wird. Und diese kritische Perspektive ist in allen Bereichen der Medien nötig: bei den tagesaktuellen Berichten, bei Kommentaren, Analysen. Bei der Auswahl der Themen, der InterviewpartnerInnen, der KommentatorInnen, der Bilder.

Dazu brauche ich eine, gern zwei linke Tageszeitungen. Ohne Parteibindung, denn daran krankt aktuell die zersplitterte linke Presse: Die Frankfurter Rundschau wurde aus Gründen, die andere besser verstehen, von der SPD zugrunde gerichtet. Die taz ist grün, das Neue Deutschland (ND) ist LINKS. Klug wäre eine Zeitung mit den Kapazitäten, so umfangreich tagesaktuell zu berichten, dass keine zweite Zeitung nebenher nötig wäre. Das schaffen derzeit weder taz noch ND noch junge Welt. Solange aber jede davon so deutlich eine (parteipolitische) Richtung bedient, erklärt sich eigentlich von selbst, warum sie keine Aussichten hat, jemals übergreifend attraktiv zu sein.

Daneben ist eine Zeitung nötig, die aus den linken Nischen berichtet: über Arbeitskämpfe, Demonstrationen, Initiativen, Bewegungen. Die Bescheid weiß über das, was sich in Deutschland und anderswo jenseits des Horizonts der dpa tut. Und die auch den Mainstream beschreibt, erklärt und kritisiert. Täglich, wöchentlich, monatlich: eigentlich egal.

Auf meine Frage per Twitter schrieb Teresa Bücker (@fraeulein_tessa): »*wir* brauchen Medien, von denen Impulse für Weiterdenken, Veränderungen, Utopien ausgehen. Die den Status quo zu wenig finden.«

Von dieser Idealvorstellung entfernen wir uns immer weiter, Stichwort: Krise der Printmedien. Je weniger Redaktionen, je weniger (kritische) JournalistInnen, je weniger Geld für Recherche und Berichte, die keine umgeschriebenen Agenturmeldungen sind, desto mehr verblasst dieses Ideal, und damit komme ich zur Frage: brauchen wir linke Zeitungen?

Immer mehr Menschen beziehen einen großen Teil ihrer Informationen aus dem Netz. Das Netz ist schneller, vielfältiger, interaktiver, während zugleich immer mehr Printmedien aufgeben. Zudem haben viele Menschen weniger Geld für Zeitungen und über das Netz die Möglichkeit, günstiger an Informationen zu kommen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich an dieser Entwicklung etwas ändern wird.

Es stimmt, dass wir vieles, was am nächsten Tag in der Zeitung steht, schon am Tag zuvor im Netz erfahren. Vieles aber auch nicht: Im Netz finde ich vor allem meine Filterbubble, also Informationen, die den Themen ähnlich sind, für die ich mich ohnehin interessiere. (Siehe das Video von Eli Pariser auf www.ted.com.) Soziale Netzwerke sind häufig so programmiert, dass wir zuerst genau diese Dinge sehen. Das ist angesichts der Überforderung durch die schiere Masse online verfügbarer Informationen praktisch, verhindert aber, dass wir erfahren, was sich sonst noch tut. Es fehlt derzeit ein Ort im Netz, der die Funktion der Zeitung übernimmt, einen Überblick über Themen, relevante Diskussionen und Entwicklungen zu verschaffen. Gut geschrieben und gut recherchiert, von Leuten, die etwas von ihrem Thema verstehen.

ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 580 / 15.2.2013

Es fehlt alles mögliche. Weil 4000 Zeichen nicht viel Platz sind und weil es sowieso unmöglich ist, das Thema erschöpfend zu behandeln. Es fehlen: die Wochen- und Monatszeitungen – auch mit der Betrachtung des Online-Experiments von Der Freitag -, es fehlt die Rolle der Propaganda (der Gegenseite), es fehlt das quasi zwanghafte sich voneinander Abgrenzen deutscher Linker, woraufhin alle in ihren jeweiligen Nischen eingehen.

Auch eine gute Erklärung, warum wir linke Medien brauchen: Marcus Klöckner in Telepolis Journalismusforschung:“Ganz auf Linie mit den Eliten“

Zur finanziellen Seite der (linken) Printmedien hat übrigens Hannah Wettig auf derselben Seite 11 im ak was geschrieben: Leben und leben lassen.

 

Foto: mr-football / Flickr, BY-ND-Lizenz

 

Veröffentlicht unter Medien

Belgien: Kriminelle Vereinigung zerstörte 20 Kartoffeln

groupbanner

Auch Belgien hat seine linksextreme kriminelle Vereinigung: gestern wurden in Dendermonde 11 Anti-GenTech-AktivistInnen verurteilt, die im Mai 2011 gemeinsam mit 400 anderen ein gentechnisch manipuliertes Kartoffelfeld zerstört hatten. Ein Forschungsfeld, nicht das eines Agrarbetriebs.

Die Aktion war gewaltfrei, wenn man mal von der Zerstörung der 20 (!) Kartoffelpflanzen absieht. Nachdem bekannt wurden, mit welchen juristischen Geschützen die Staatsanwaltschaft auffuhr, gab es Unterstützung von Gewerkschaften über Bauernverbände bis hin zu Oxfam und Greenpeace.

Immer das gleiche Spiel: viele Menschen protestieren gegen etwas, das noch viel mehr Menschen stört – hier gentechnisch veränderte Lebensmittel – und an einigen wird ein juristisches Exempel statuiert. Marie Smekens, eine der Verurteilten:

Die Urteile sind völlig unverhältnismäßig. Es ist ganz deutlich dass dieses Verfahren das Ziel hatte, zukünftigen Protest mundtot zu machen.

Auch verurteilt wurde die belgische Wissenschaftlerin Barbara Van Dyck, die die Aktion öffentlich unterstützt hatte. Und daraufhin drei Tage später ihren Job an der Universität KU Leuven verlor. (Offener Brief an die Uni dazu). Mit ihr gibt es ein längeres Interview über die Feldbefreiung, über Gentechnik, industriefinanzierte Forschung und den Prozess:

In einem Interview habe ich die Aktion öffentlich verteidigt. Das war der Grund für meine Entlassung, die drei Tage nach der Feldbefreiung ausgesprochen wurde. Meine Einstellung passe nicht zusammen mit meiner Position in einer Universität, die für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung eintrete – das sei ein Vertrauensbruch.

Meine Entlassung aus der Universität hat eine Welle der Unterstützung ausgelöst und eine Reihe von Fragen wurde aufgeworfen. Was sagt diese Situation aus, wenn man sie in einen größeren Zusammenhang stellt? Die finanziellen Ressourcen verschiedener Forschungsfelder wurden beleuchtet. Dabei ging es nicht in erster Linie um den Unterschied zwischen Sozial- und Naturwissenschaften, sondern eher um die Gewichtungen innerhalb der Naturwissenschaften, zum Beispiel um das Verhältnis der Förderung agrarökologischer Forschung und biotechnologischer Ansätze. Gibt es finanzielle Verbindungen zwischen der Universität von Gent und dem BASF-Konzern? Wenn ja, welche?

Barbara Van Dyck wurde gestern zu 6 Monaten Gefängnis plus 550 Euro Strafe verurteilt. Die angeblichen Anführer wurden zu acht Monaten, weitere zu zwei bis sechs Monaten oder Bewährungsstrafen verurteilt. (De Standaard)

Ob die Richter das hier gelesen hatten? Grüne Gentechnik schadet Umwelt und Landwirten (Süddeutsche, 1. Februar):

Gentech-Pflanzen brauchen teilweise mehr Spritzmittel als konventionelle Pflanzen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie zu sogenannter grüner Gentechnik. Die Folgen für die Umwelt sind demnach verheerend.

Kumi Naidoo, Direktor von Greenpeace International:

Our political leaders must understand that activism is not a crime.

http://vimeo.com/54096251

Neue kleine Ausrutscher bei den Sicherheitsbehörden

Eine neue Folge von: Auf die deutschen Sicherheitsbehörden können wir vertrauen.

320px-BND_Logo.svgIm aktuellen Spiegel wird berichtet, dass es ein Verfahren gegen einen hohen Beamten des BND gebe:

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ermittelt nach Informationen des SPIEGEL gegen den Leiter der geheimen „Verbindungsstelle 61“ des BND in Mainz. Joachim von S. steht unter dem Verdacht der Bildung einer bewaffneten Gruppe und des Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Sportlich. Geheime bewaffnete Gruppen im Auslandsgeheimdienst? Sicherlich ein Einzelfall. Außerdem wurde das Verfahren wieder eingestellt. Nichts zu sehen. Gehen Sie weiter.

 

Neues vom Verfassungsschutz

Der NSU-Untersuchungsausschuss förderte zutage, dass es einen V-Mann des Verfassungsschutzes gab, Thomas R., oder auch „Corelli“, staatlich finanziert von 1997 bis 2007, der nebenbei mit einem weiteren V-Mann, Achim S., eine Ku-Klux-Klan-Gruppe in Schwäbisch-Hall mit aufgebaut hat.

Unter den 20 bis 30 Mitgliedern aus ganz Deutschland waren neben Neonaziaktivisten auch ein American-Football-Spieler und zwei Polizisten der Bereitschaftspolizei Böblingen, die später zugaben, mit ihrem Blut dem Klan die Treue geschworen zu haben. Beide Polizisten sind bis heute im Dienst. (taz)

Ebenfalls in der taz steht zu lesen, dass einmal Polizisten, die einen Schwarzen festgenommen hatten, ihn in weißer KKK-Bekleidung in seiner Zelle aufgesucht hatten.

Das Landesinnenministerium verwies auf Nachfrage auf einen Bericht vom letzten Jahr, der „keiner weiteren Ergänzung“ bedürfe. Darin waren lediglich die zwei Polizisten als Klan-Mitglieder genannt worden.

Ich würde ja denken, dass sich das Land Baden-Württemberg bei dem Betroffenen mindestens entschuldigen und eine Entschädigung zahlen sollte.

 

Polizei + Nazis gegen Linke

Im März 2012 wurde in München ein Nazi-Info-Stand überfallen. Letzte Woche fand ein Prozess gegen fünf Linke statt, denen der Überfall vorgeworfen wurde. Sie wurden freigesprochen. Pikantes Details: die ‚Beweise‘, die die Linken überführen sollten, hatte der bayrische Staatsschutz von den Nazis.

Polizei und Staatsanwaltschaft stützen sich vor allem auf die Angaben der Neonazis. Denen aber wurden Fotos möglicher Angreifer erst einige Monate später vorgelegt. Wie gut ist die Erinnerung dann noch? Überhaupt, wie glaubwürdig sind Zeugen, die mit ihrer Aussage dem politischen Gegner eins auswischen können? Ein Angeklagter fragt einen Staatsschützer, ob dieser wisse, was die Anti-Antifa ist. Nein, sagt der Polizist, der sich beruflich mit Extremisten beschäftigt. (Sueddeutsche.de)

 

Kann ja mal vorkommen.

Fin’s Fisher fischt frische Fishe

all-seeing-eyeTypische Reaktion, wenn jemand mein Laptop sieht und bemerkt, dass die Kamera zugeklebt ist: Gekicher. Oder ein salopper Spruch, der suggeriert, dass das jetzt aber doch ein wenig übertrieben ist..?

Weniger denn je.

Zur OECD-Beschwerde gegen Gamma & Trovicor hatte ich letzte Woche schon was geschrieben – die Firmen also, die Überwachungssoftware herstellen und vermutlich an alle verticken, die sie haben wollen. In der Süddeutschen ist gestern dazu noch ein guter Bericht über Martin Münch erschienen, mit dem harmlosen Titel „Spam vom Staat“.

Martin Münch (manchmal auch Muench) ist deutscher Geschäftsführer von Gamma International in München und entwickelt Software:

Sie infiziert das digitale Gedächtnis, sie schnüffelt in der virtuellen Intimsphäre. Polizei und Geheimdienst können dank ihr sehen, welche Krankheitssymptome der Überwachte im Web googelt. Sie hören, was er mit der Mutter über das Internet-Telefon-Programm Skype bespricht. Sie lesen seinen Einkaufszettel auf dem Smartphone. Der Trojaner, der das alles kann, heißt Finfisher.

Konkret:

Zuerst wählt der Nutzer das Betriebssystem aus, das er angreifen will: ein iPhone von Apple, ein Handy mit Googles Betriebssystem Android oder einen PC mit Windows oder dem kostenlosen System Linux? Der Ermittler kann eingeben, über wie viele Server in verschiedenen Ländern der Trojaner Haken schlägt, bis auch technisch versierte Opfer nicht mehr nachvollziehen können, wer sie da eigentlich überwacht. (…)

Dann darf der Ermittler auswählen, wie fies der Trojaner werden soll, was er können darf: das Mikrofon als Wanze benutzen. Gespeicherte Dateien sichten und sichern, wenn sie gelöscht oder geändert werden. Mitlesen, welche Buchstaben der Nutzer auf der Tastatur drückt. Den Bildschirm abfilmen. Skype-Telefonate mitschneiden. Die Kamera des Rechners anschalten und sehen, wo das Gerät steht. Handys über die GPS-Ortungsfunktion zum Peilsender machen. Finspy präsentiert die überwachten Geräte als Liste. Flaggen zeigen, in welchem Land sich das Ziel befindet. (Süddeutsche.de)

Dieses Zeug also fand sich auf Rechnern in Bahrain. International spielt sich derzeit ein Krimi ab, der für die, die ihn verfolgen, spannender ist als das gesamte Sonntagabend-Fernsehprogramm. AktivistInnen etwa von Privacy International besuchen Waffen-Messen, um herauszukriegen, was an wen verkauft wird. Andere sammeln und analysieren gefundene Trojaner (also FinFisher), tragen Informationen zusammen und fordern schließlich von Regierungen, den Verkauf dieser Sofware mindestens durch ähnliche Exportkontrollen einzuschrängen, wie sie auch für Waffen gelten. Oder die Produktion ganz zu verbieten.

Die deutsche Regierung präsentiert sich gern als ausgesprochen menschenrechtsfreundlich, ist de facto aber mit dafür verantwortlich, wenn Software wie FinFisher in Regimes wie Bahrain und anderen gegen Bewegungen wie den arabischen Frühling eingesetzt wird. Und deswegen Menschen gefoltert und ermordet werden. Dies ist inzwischen nachgewiesen – daher die Beschwerde bei der OECD. Was aktuell fehlt: eine Bewegung, die laut fordert, dass das aufhören muss.

Not in My Name verdient Deutschland Geld damit, dass anderswo legitime Proteste und Bewegungen unterdrückt, und AktivistInnen inhaftiert, gefoltert, ermordert werden.

Das Sahnehäppchen ist aktuell übrigens, dass Deutschland den Trojaner FinFisher auch für den Einsatz in Deutschland gekauft hat.

 

Foto: un untrained eye / Flickr, BY-NC-Lizenz

Hat alles seine Ordnung. Ein ganz normaler Tag in Deutschland.

Artikel 5 GrundgesetzIch werde gern ab und zu danach gefragt, was ich von unserem Rechtsstaat halte. Mehr als von anderen, aber ansonsten können sich gern alle selbst eine Meinung bilden. Zum Beispiel heute:

Mehr als 100 PolizistInnen durchsuchen die Räume von 8 Fotografen in in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Fotografen werden wegen nichts beschuldigt – es sollen Bilder von einer Banken-Demonstration letztes Jahr in Frankfurt beschlagnahmt werden.

Der gesunde Menschenverstand hätte jetzt nach der Pressefreiheit gefragt, und was für Richter eigentlich solche Durchsuchungsbeschlüsse unterschreiben. Ich nehme an, wir werden noch davon hören.

Mehr dazu:

Usw. usw.

Sachsen lässt Ex-Punk in Baden-Württemberg durchsuchen

Dann: eine Durchsuchung wegen eines 30 Jahre alten Punk-Songs. Der jetzt den sächsischen Staatsschutz so mitgenommen hat, dass er die Suche nach rechtsradikaler Musik liegen ließ und sich einem inzwischen ergrauten Ex-Punk und jetzt Handwerker in der Nähe von Waiblingen zuwandte. Sehr schön beschrieben in Hausdurchsuchungen bei den Normahl-Punks:

Heutzutage käme kein Winnender Polizist mehr von sich aus auf die Idee, Besa für sein „Bullen“-Lied zu verfolgen. Schließlich braucht auch ein Uniformierter mal schnelle Hilfe beim Wasserrohrbruch.

Muss man zu Sachsen noch was sagen? Kann man zu Sachsen noch was sagen? Ich fürchte ja. Die juristische Realität dort ist so unglaublich nicht mehr demokratie-tauglich, dass eigentlich die gesamte Regierung samt Justiz ausgetauscht werden müsste. Das Schöne ist, dass wir das immerhin sagen dürfen. Tragisch, dass sich nichts ändert, und das meine ich nicht ironisch.

 

OECD-Beschwerde gegen Hersteller von Überwachungssoftware

Schließlich war ich heute morgen bei einer Pressekonferenz wegen eines noch düsteren Themas: Es ist völlig legal, dass deutsche Firmen Überwachungssoftware an Regime wie beispielsweise Bahrain verkaufen, wo die dann gegen AktivistInnen eingesetzt wird, die ähnliche Ziele wie der arabische Frühling verfolgen.

Ihre Smartphones und Computer werden abgehört, ihre Nachrichten mitgelesen, die Mikrofone und Kameras aus der Ferne eingeschaltet, um ihre Gespräche mitzuhören.

Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind insbesondere seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 in dem arabischen Golfstaat Bahrain verwendet worden, um Dissidenten festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen.

„Die Opfer wurden mit Sätzen konfrontiert, die sie in vertraulichen Telefonaten oder E-Mails geäußert hatten“, sagte Maryam al-Khawaja, geschäftsführende Präsidentin des Bahrain Center for Human Rights. „Es gibt Belege für Menschenrechtsverletzungen auf breiter Front, bei denen auch mit Hilfe des Internets  gegen Dissidenten vorgegangen wurde. Um diese Übergriffe zu stoppen, müssen auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu ihnen beigetragen haben.“ (Reporter ohne Grenzen)

Der Verkauf und dann das Einsetzen solcher Software ist sehr schwer nachzuweisen – das ist der einzige Grund, warum nicht gegen die Firmen geklagt wird. Die OECD-Beschwerde ist ein relativ stumpfes Schwert, aber derzeit die einzige Möglichkeit. Bekannt ist immerhin, dass die deutsche Firma Trovicor, ehemals Nokia Siemens, vermutlich

… in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können. (Reporter ohne Grenzen)

Mindestens nötig wären Exportkontrollen für diese Überwachungstechnologien, die in Deutschland immerhin verfassungswidrig sind. Warum darf in andere Länder verkauft werden, was hier verboten ist? Bloß: dafür ist das Wirschaftsministerium zuständig und das steht traditionell Unternehmen näher als Menschenrechtsorganisationen.

Mehr dazu:

Oder auch Syrien bekommt Überwachungstechnik von Siemens

Und sowieso: Big Brother Inc.. A global investigation into the international trade in surveillance technologies, von Privacy International.

Foto: Prinsessan_J / Flickr, BY-NC-ND-Lizenz

Autistici/Inventati in der c-base

Zu der Veranstaltung letzte Woche in der Berliner c-base über 10 Jahre Hacktivism und Medienaktivismus in Italien gibt es jetzt das Video (am Anfang fehlt ein Stück):

Es dauert auch eine geraume Weile, bis bei archive.org untergebrachte Videos starten. Alternativ gibt es das Video auch als mp4, ogv oder torrent.