Zwischen Weihnachten und Neujahr fand ein unspektakuläres Telefonat zwischen A (irgendwo in Ostfriesland) und B (irgendwo in Berlin) statt.
A: Hi, ich bin gerade in Ostfriesland, bei den Eltern von C. Ich wollte Dir eigentlich nur sagen, dass ich zwei Würste gekauft habe. Hier gibt es dieses Auktionskaufhaus, da gibt es oft leckere Sachen. Ich habe eine Mettwurst und eine Jagdwurst geholt, beide herzhaft und groß, und total billig!
Wer macht denn die zentrale Einkaufskoordination? Weißt du das? Kannst du das weitergeben, damit der Fleisch-1-Kühlschrank nicht überquillt?
B: Hmmm. Also, ich weiß nicht. Es gibt eigentlich keine zentrale Planung. Ich weiß jetzt auch nicht, was ich mit der Info anfangen soll.
A: Du sollst das an die zentrale Einkaufskommission weiterleiten, das ist doch nicht so schwierig.
B: Also wenn überhaupt wer zentrale Einkaufskoordinatorin ist, dann ist das D. Die hat zumindest mit den Leuten im Kleinbus gecheckt, was die alles mitbringen und denen gesagt, dass sie sich vor allem selber kümmern sollen.
B trifft kurz darauf D und erzählt vom Telefonat und dem Wurstkauf. D denkt kurz nach und fragt dann: "Und was wollte sie jetzt wirklich damit sagen?"
Seitdem fragen sich einige Mitglieder des Soli-Bündnisses "Einstellung der §129(a)-Verfahren", die – mit einigen anderen – über Sylvester ein paar Tage aufs Land gefahren sind, ob dieses Telefonat wohl irgendwann in den Akten rund um das Verfahren auftauchen wird. Und wie das BKA es wohl interpretiert hat? Die Erwähnung von Würsten jedenfalls löst in letzter Zeit viel Freude aus.
Die sich besser einordnen lässt, wenn man sich beispielsweise die Geschichte des ‚Schwarzen Beutels‘ nochmal vor Augen führt. Unsere Telefonate (und die aller Beschuldigten, vermutlich weiterhin auch ihrer Freunde und Freundinnen und vieler anderer) werden abgehört, und vom BKA protokolliert und interpretiert. Wir kennen diese Interpretationen aus den Akten oder haben, beim Schwarzen Beutel, die direkte Reaktion in Form einer Hausdurchsuchung erlebt, weil das BKA etwas falsch verstanden hat. Aus den Akten lässt sich sehen, dass permanent falsch interpretiert wird. Das ist oft fast komisch, wenn es nicht so ernst wäre.
In einem anderen §129a-Verfahren etwa telefonierte ein Beschuldigter mit dem (studierenden) Sohn eines anderen und bietet ihm Hilfe bei Fragen zu Marx an. Einige Tage später erscheint ein Bekennerschreiben der relevanten ‚terroristischen Vereinigung‘, in der auch Marx zitiert wird. Das TKÜ-Protokoll diskutiert daraufhin ausführlich, ob und was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte oder ob vielleicht tatsächlich lediglich bei der Hausarbeit geholfen wurde? Bei der Veranstaltung in der Volksbühne im Dezember "Wir sind alle Terroristen" gab es am Anfang eine ’szenische Lesung‘, bei der viele ähnlich absurde Interpretationen vorgetragen wurden.
Eine Auswirkung von Überwachung ist auf jeden Fall, mögliche Interpretationen von Telefonaten beim Sprechen schon gleich mitzudenken. Um im nächsten Schritt das Sprechen so zu verändern, dass möglichst wenig Interpretationsspielräume bleiben. Die wahre Kunst ist, die Interpretationen gleich mitzuliefern. Es soll Leute geben, die das schon relativ flüssig beherrschen ("Wir treffen uns nachher in derselben Kneipe wie immer – und für die TKÜ: der Beschuldigte X ist mit dem Y offenbar sehr gut bekannt. Der Grund des Treffens wurde nicht genannt.").
Und weil natürlich alle, die die Beschuldigten im Rahmen des Soli-Bündnisses unterstützen, wissen, dass sie damit direkt in den Fokus weiterer Ermittlungen geraten, versuchen sie wahrscheinlich in der Regel auch, Zweideutigkeiten am Telefon zu vermeiden. Außer, wenn sie zwischen Weihnachten und Neujahr in Ostfriesland den ganzen Stress über ein paar Würsten vergessen haben.