Die seit dem 21. Mai in Untersuchungshaft sitzenden restlichen neun von ursprünglich zehn österreichischen TierrechtlerInnen sind gestern nachmittag überraschend freigelassen worden.
Die TierrechtlerInnen waren nach §278a des österreichischen StGB festgenommen worden, der die Bildung krimineller Vereinigungen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft und zu den sog. Vereinigungsparagraphen §§278a-d gehört, die mit den deutschen §§129 bzw. 129a vergleichbar sind. Der an sich gegen Organisierte Kriminalität gerichtete §278a wird in Österreich auch als „Anti-Mafia-Paragraf“ bezeichnet.
Den Beschuldigten wird die Beteiligung an Buttersäureattentaten und Brandanschlägen gegen
Kleiderhandelsketten und Tierfarmen vorgeworfen, die über 600.000 Euro Schaden verursacht haben sollen. Den TierrechtlerInnen wurde u.a. zum Verhängnis, dass sie E-Mails und Festplatten verschlüsselt hatten – dies wurde in der Argumentation der Staatsanwaltschaft zur Verdunkelungsgefahr und begründe also die Untersuchungshaft. Als Reaktion darauf riefen die IG Kultur Österreich und das freie Wiener Radio ORANGE 94.0 im Juni zu „dezentralen Verschlüsselungstagen“ auf. Es sollte der Bürgerservice des österreichischen Innenministerums mit verschlüsselten E-Mails zu überschüttet werden.
Die Begründungen für die Vorwürfe waren so vage, dass eine internationale Protestwelle einsetzte. Die grüne Nationalratsabgeordnete Brigid Weinzinger hatte den Behörden bei einer Pressekonferenz nach den Verhaftungen vorgehalten, dass nach elfjähriger Ermittlungstätigkeit der Polizei die Untersuchungshaft nicht mit konkreten Tatvorwürfen, sondern mit Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr begründet wurde. Weinzinger kritisierte, dass außer „einem Buttersäureanschlag, dem Verkleben eines Schlosses sowie der Bedrohung einer Pressesprecherin eines Unternehmens“ nichts zur Last gelegt wurde. „Dafür wurde eine nebulöse ‚kriminelle Organisation‘ konstruiert„.
Zahlreiche Prominente, Parteien und Organisationen hatten gegen die Festnahmen protestiert und gefordert, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Betätigung respektiert werden müsse. Unter den
Festgenommenen war auch der Vorsitzende des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) Dr. Martin Balluch, der von den österreichischen Grünen inzwischen als Kandidat für die Nationalratswahlen nominiert wurde sowie Sabine Koch, Mitarbeiterin von Radio Orange 94.0, die aus der U-Haft für die Wiener Landesliste der Grünen kandidierte.
Amnesty International Österreich kritisierte die Anwendung des Vereinigungsparagrafen §278a und weist in einer eigenen Erklärung vom 4. Juni darauf hin, dass Amnesty auch schon in einer Stellungnahme zur Änderung des Paragrafen im Jahr 2002 die unklare Definition der Organisierten Kriminalität, die dem §278a zugrunde liegt, bemängelt habe.
Amnesty International ist daher irritiert darüber, dass die angeblich vorliegende, konkrete Beweislage nicht in entsprechende Strafverfahren wegen Sachbeschädigung, Nötigung bzw. gefährliche Drohung mündet, sondern das, aus unserer Perspektive problematisch unbestimmte Gesamtdelikt der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verfolgt zu werden scheint.
Offenbar führte nun eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegen die Freilassung des ersten der zehn am 13. August dazu, dass die für die Haftbeschwerde zuständige Oberstaatsanwaltschaft nicht nur die Freilassung des ersten Tierrechtlers als rechtmäßig einstufte, sondern auch gleich noch für alle anderen verfügte.
Auf Radio Orange 94.0 wurde heute morgen das erste Interview mit einer der Freigelassenen, Sabine, gesendet (mp3):
Es war total überraschend, ich habe überhaupt nicht damit gerechnet. Plötzlich geht meine Tür auf und die Beamtin sagt zu mir „Sie können nachhause gehen, Sie werden’s nicht glauben“.(…) Das war drei Stunden nach meinem Besuch, wo ich noch an der Plexiglaswand meine FreundInnen gesehen und mich von ihnen verabschiedet habe.
Beim Cultural Broadcasting Archive gibt es inzwischen auch einen Mitschnitt der Pressekonferenz zur Entlassung.
(zuerst bei gulli.com)