Belgien: Kriminelle Vereinigung zerstörte 20 Kartoffeln

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Auch Belgien hat seine linksextreme kriminelle Vereinigung: gestern wurden in Dendermonde 11 Anti-GenTech-AktivistInnen verurteilt, die im Mai 2011 gemeinsam mit 400 anderen ein gentechnisch manipuliertes Kartoffelfeld zerstört hatten. Ein Forschungsfeld, nicht das eines Agrarbetriebs.

Die Aktion war gewaltfrei, wenn man mal von der Zerstörung der 20 (!) Kartoffelpflanzen absieht. Nachdem bekannt wurden, mit welchen juristischen Geschützen die Staatsanwaltschaft auffuhr, gab es Unterstützung von Gewerkschaften über Bauernverbände bis hin zu Oxfam und Greenpeace.

Immer das gleiche Spiel: viele Menschen protestieren gegen etwas, das noch viel mehr Menschen stört – hier gentechnisch veränderte Lebensmittel – und an einigen wird ein juristisches Exempel statuiert. Marie Smekens, eine der Verurteilten:

Die Urteile sind völlig unverhältnismäßig. Es ist ganz deutlich dass dieses Verfahren das Ziel hatte, zukünftigen Protest mundtot zu machen.

Auch verurteilt wurde die belgische Wissenschaftlerin Barbara Van Dyck, die die Aktion öffentlich unterstützt hatte. Und daraufhin drei Tage später ihren Job an der Universität KU Leuven verlor. (Offener Brief an die Uni dazu). Mit ihr gibt es ein längeres Interview über die Feldbefreiung, über Gentechnik, industriefinanzierte Forschung und den Prozess:

In einem Interview habe ich die Aktion öffentlich verteidigt. Das war der Grund für meine Entlassung, die drei Tage nach der Feldbefreiung ausgesprochen wurde. Meine Einstellung passe nicht zusammen mit meiner Position in einer Universität, die für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung eintrete – das sei ein Vertrauensbruch.

Meine Entlassung aus der Universität hat eine Welle der Unterstützung ausgelöst und eine Reihe von Fragen wurde aufgeworfen. Was sagt diese Situation aus, wenn man sie in einen größeren Zusammenhang stellt? Die finanziellen Ressourcen verschiedener Forschungsfelder wurden beleuchtet. Dabei ging es nicht in erster Linie um den Unterschied zwischen Sozial- und Naturwissenschaften, sondern eher um die Gewichtungen innerhalb der Naturwissenschaften, zum Beispiel um das Verhältnis der Förderung agrarökologischer Forschung und biotechnologischer Ansätze. Gibt es finanzielle Verbindungen zwischen der Universität von Gent und dem BASF-Konzern? Wenn ja, welche?

Barbara Van Dyck wurde gestern zu 6 Monaten Gefängnis plus 550 Euro Strafe verurteilt. Die angeblichen Anführer wurden zu acht Monaten, weitere zu zwei bis sechs Monaten oder Bewährungsstrafen verurteilt. (De Standaard)

Ob die Richter das hier gelesen hatten? Grüne Gentechnik schadet Umwelt und Landwirten (Süddeutsche, 1. Februar):

Gentech-Pflanzen brauchen teilweise mehr Spritzmittel als konventionelle Pflanzen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie zu sogenannter grüner Gentechnik. Die Folgen für die Umwelt sind demnach verheerend.

Kumi Naidoo, Direktor von Greenpeace International:

Our political leaders must understand that activism is not a crime.

http://vimeo.com/54096251

Neue kleine Ausrutscher bei den Sicherheitsbehörden

Eine neue Folge von: Auf die deutschen Sicherheitsbehörden können wir vertrauen.

320px-BND_Logo.svgIm aktuellen Spiegel wird berichtet, dass es ein Verfahren gegen einen hohen Beamten des BND gebe:

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ermittelt nach Informationen des SPIEGEL gegen den Leiter der geheimen „Verbindungsstelle 61“ des BND in Mainz. Joachim von S. steht unter dem Verdacht der Bildung einer bewaffneten Gruppe und des Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Sportlich. Geheime bewaffnete Gruppen im Auslandsgeheimdienst? Sicherlich ein Einzelfall. Außerdem wurde das Verfahren wieder eingestellt. Nichts zu sehen. Gehen Sie weiter.

 

Neues vom Verfassungsschutz

Der NSU-Untersuchungsausschuss förderte zutage, dass es einen V-Mann des Verfassungsschutzes gab, Thomas R., oder auch „Corelli“, staatlich finanziert von 1997 bis 2007, der nebenbei mit einem weiteren V-Mann, Achim S., eine Ku-Klux-Klan-Gruppe in Schwäbisch-Hall mit aufgebaut hat.

Unter den 20 bis 30 Mitgliedern aus ganz Deutschland waren neben Neonaziaktivisten auch ein American-Football-Spieler und zwei Polizisten der Bereitschaftspolizei Böblingen, die später zugaben, mit ihrem Blut dem Klan die Treue geschworen zu haben. Beide Polizisten sind bis heute im Dienst. (taz)

Ebenfalls in der taz steht zu lesen, dass einmal Polizisten, die einen Schwarzen festgenommen hatten, ihn in weißer KKK-Bekleidung in seiner Zelle aufgesucht hatten.

Das Landesinnenministerium verwies auf Nachfrage auf einen Bericht vom letzten Jahr, der „keiner weiteren Ergänzung“ bedürfe. Darin waren lediglich die zwei Polizisten als Klan-Mitglieder genannt worden.

Ich würde ja denken, dass sich das Land Baden-Württemberg bei dem Betroffenen mindestens entschuldigen und eine Entschädigung zahlen sollte.

 

Polizei + Nazis gegen Linke

Im März 2012 wurde in München ein Nazi-Info-Stand überfallen. Letzte Woche fand ein Prozess gegen fünf Linke statt, denen der Überfall vorgeworfen wurde. Sie wurden freigesprochen. Pikantes Details: die ‚Beweise‘, die die Linken überführen sollten, hatte der bayrische Staatsschutz von den Nazis.

Polizei und Staatsanwaltschaft stützen sich vor allem auf die Angaben der Neonazis. Denen aber wurden Fotos möglicher Angreifer erst einige Monate später vorgelegt. Wie gut ist die Erinnerung dann noch? Überhaupt, wie glaubwürdig sind Zeugen, die mit ihrer Aussage dem politischen Gegner eins auswischen können? Ein Angeklagter fragt einen Staatsschützer, ob dieser wisse, was die Anti-Antifa ist. Nein, sagt der Polizist, der sich beruflich mit Extremisten beschäftigt. (Sueddeutsche.de)

 

Kann ja mal vorkommen.

Fin’s Fisher fischt frische Fishe

all-seeing-eyeTypische Reaktion, wenn jemand mein Laptop sieht und bemerkt, dass die Kamera zugeklebt ist: Gekicher. Oder ein salopper Spruch, der suggeriert, dass das jetzt aber doch ein wenig übertrieben ist..?

Weniger denn je.

Zur OECD-Beschwerde gegen Gamma & Trovicor hatte ich letzte Woche schon was geschrieben – die Firmen also, die Überwachungssoftware herstellen und vermutlich an alle verticken, die sie haben wollen. In der Süddeutschen ist gestern dazu noch ein guter Bericht über Martin Münch erschienen, mit dem harmlosen Titel „Spam vom Staat“.

Martin Münch (manchmal auch Muench) ist deutscher Geschäftsführer von Gamma International in München und entwickelt Software:

Sie infiziert das digitale Gedächtnis, sie schnüffelt in der virtuellen Intimsphäre. Polizei und Geheimdienst können dank ihr sehen, welche Krankheitssymptome der Überwachte im Web googelt. Sie hören, was er mit der Mutter über das Internet-Telefon-Programm Skype bespricht. Sie lesen seinen Einkaufszettel auf dem Smartphone. Der Trojaner, der das alles kann, heißt Finfisher.

Konkret:

Zuerst wählt der Nutzer das Betriebssystem aus, das er angreifen will: ein iPhone von Apple, ein Handy mit Googles Betriebssystem Android oder einen PC mit Windows oder dem kostenlosen System Linux? Der Ermittler kann eingeben, über wie viele Server in verschiedenen Ländern der Trojaner Haken schlägt, bis auch technisch versierte Opfer nicht mehr nachvollziehen können, wer sie da eigentlich überwacht. (…)

Dann darf der Ermittler auswählen, wie fies der Trojaner werden soll, was er können darf: das Mikrofon als Wanze benutzen. Gespeicherte Dateien sichten und sichern, wenn sie gelöscht oder geändert werden. Mitlesen, welche Buchstaben der Nutzer auf der Tastatur drückt. Den Bildschirm abfilmen. Skype-Telefonate mitschneiden. Die Kamera des Rechners anschalten und sehen, wo das Gerät steht. Handys über die GPS-Ortungsfunktion zum Peilsender machen. Finspy präsentiert die überwachten Geräte als Liste. Flaggen zeigen, in welchem Land sich das Ziel befindet. (Süddeutsche.de)

Dieses Zeug also fand sich auf Rechnern in Bahrain. International spielt sich derzeit ein Krimi ab, der für die, die ihn verfolgen, spannender ist als das gesamte Sonntagabend-Fernsehprogramm. AktivistInnen etwa von Privacy International besuchen Waffen-Messen, um herauszukriegen, was an wen verkauft wird. Andere sammeln und analysieren gefundene Trojaner (also FinFisher), tragen Informationen zusammen und fordern schließlich von Regierungen, den Verkauf dieser Sofware mindestens durch ähnliche Exportkontrollen einzuschrängen, wie sie auch für Waffen gelten. Oder die Produktion ganz zu verbieten.

Die deutsche Regierung präsentiert sich gern als ausgesprochen menschenrechtsfreundlich, ist de facto aber mit dafür verantwortlich, wenn Software wie FinFisher in Regimes wie Bahrain und anderen gegen Bewegungen wie den arabischen Frühling eingesetzt wird. Und deswegen Menschen gefoltert und ermordet werden. Dies ist inzwischen nachgewiesen – daher die Beschwerde bei der OECD. Was aktuell fehlt: eine Bewegung, die laut fordert, dass das aufhören muss.

Not in My Name verdient Deutschland Geld damit, dass anderswo legitime Proteste und Bewegungen unterdrückt, und AktivistInnen inhaftiert, gefoltert, ermordert werden.

Das Sahnehäppchen ist aktuell übrigens, dass Deutschland den Trojaner FinFisher auch für den Einsatz in Deutschland gekauft hat.

 

Foto: un untrained eye / Flickr, BY-NC-Lizenz

Hat alles seine Ordnung. Ein ganz normaler Tag in Deutschland.

Artikel 5 GrundgesetzIch werde gern ab und zu danach gefragt, was ich von unserem Rechtsstaat halte. Mehr als von anderen, aber ansonsten können sich gern alle selbst eine Meinung bilden. Zum Beispiel heute:

Mehr als 100 PolizistInnen durchsuchen die Räume von 8 Fotografen in in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Fotografen werden wegen nichts beschuldigt – es sollen Bilder von einer Banken-Demonstration letztes Jahr in Frankfurt beschlagnahmt werden.

Der gesunde Menschenverstand hätte jetzt nach der Pressefreiheit gefragt, und was für Richter eigentlich solche Durchsuchungsbeschlüsse unterschreiben. Ich nehme an, wir werden noch davon hören.

Mehr dazu:

Usw. usw.

Sachsen lässt Ex-Punk in Baden-Württemberg durchsuchen

Dann: eine Durchsuchung wegen eines 30 Jahre alten Punk-Songs. Der jetzt den sächsischen Staatsschutz so mitgenommen hat, dass er die Suche nach rechtsradikaler Musik liegen ließ und sich einem inzwischen ergrauten Ex-Punk und jetzt Handwerker in der Nähe von Waiblingen zuwandte. Sehr schön beschrieben in Hausdurchsuchungen bei den Normahl-Punks:

Heutzutage käme kein Winnender Polizist mehr von sich aus auf die Idee, Besa für sein „Bullen“-Lied zu verfolgen. Schließlich braucht auch ein Uniformierter mal schnelle Hilfe beim Wasserrohrbruch.

Muss man zu Sachsen noch was sagen? Kann man zu Sachsen noch was sagen? Ich fürchte ja. Die juristische Realität dort ist so unglaublich nicht mehr demokratie-tauglich, dass eigentlich die gesamte Regierung samt Justiz ausgetauscht werden müsste. Das Schöne ist, dass wir das immerhin sagen dürfen. Tragisch, dass sich nichts ändert, und das meine ich nicht ironisch.

 

OECD-Beschwerde gegen Hersteller von Überwachungssoftware

Schließlich war ich heute morgen bei einer Pressekonferenz wegen eines noch düsteren Themas: Es ist völlig legal, dass deutsche Firmen Überwachungssoftware an Regime wie beispielsweise Bahrain verkaufen, wo die dann gegen AktivistInnen eingesetzt wird, die ähnliche Ziele wie der arabische Frühling verfolgen.

Ihre Smartphones und Computer werden abgehört, ihre Nachrichten mitgelesen, die Mikrofone und Kameras aus der Ferne eingeschaltet, um ihre Gespräche mitzuhören.

Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind insbesondere seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 in dem arabischen Golfstaat Bahrain verwendet worden, um Dissidenten festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen.

„Die Opfer wurden mit Sätzen konfrontiert, die sie in vertraulichen Telefonaten oder E-Mails geäußert hatten“, sagte Maryam al-Khawaja, geschäftsführende Präsidentin des Bahrain Center for Human Rights. „Es gibt Belege für Menschenrechtsverletzungen auf breiter Front, bei denen auch mit Hilfe des Internets  gegen Dissidenten vorgegangen wurde. Um diese Übergriffe zu stoppen, müssen auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu ihnen beigetragen haben.“ (Reporter ohne Grenzen)

Der Verkauf und dann das Einsetzen solcher Software ist sehr schwer nachzuweisen – das ist der einzige Grund, warum nicht gegen die Firmen geklagt wird. Die OECD-Beschwerde ist ein relativ stumpfes Schwert, aber derzeit die einzige Möglichkeit. Bekannt ist immerhin, dass die deutsche Firma Trovicor, ehemals Nokia Siemens, vermutlich

… in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können. (Reporter ohne Grenzen)

Mindestens nötig wären Exportkontrollen für diese Überwachungstechnologien, die in Deutschland immerhin verfassungswidrig sind. Warum darf in andere Länder verkauft werden, was hier verboten ist? Bloß: dafür ist das Wirschaftsministerium zuständig und das steht traditionell Unternehmen näher als Menschenrechtsorganisationen.

Mehr dazu:

Oder auch Syrien bekommt Überwachungstechnik von Siemens

Und sowieso: Big Brother Inc.. A global investigation into the international trade in surveillance technologies, von Privacy International.

Foto: Prinsessan_J / Flickr, BY-NC-ND-Lizenz

Autistici/Inventati in der c-base

Zu der Veranstaltung letzte Woche in der Berliner c-base über 10 Jahre Hacktivism und Medienaktivismus in Italien gibt es jetzt das Video (am Anfang fehlt ein Stück):

Es dauert auch eine geraume Weile, bis bei archive.org untergebrachte Videos starten. Alternativ gibt es das Video auch als mp4, ogv oder torrent.

Die Charme-Offensive des Verfassungsschutzes

Eigentlich ein total netter Typ, dieser Verfassungsschutz-Chef. Rheinländer, mit Humor, sagen auch seine Beamten (sagt der Chef).

Der tut nichts, der sucht nur Extremisten. Laut Interviewer Elmar Theveßen sind das „Menschen, die den Anspruch auf die absolute Wahrheit erheben“. Hans-Georg Maaßen also, der Leiter des deutschen Inlandsgeheimdienstes, kommt im Gespräch bei Phoenix insgesamt ein bisschen puschelig rüber und erklärt sich das Werden von Extremisten aller Art damit, dass die in ihrer Jugend irgendwie in falsche Gesellschaft geraten sind und quasi Zufall ist, ob die fehlgeleiteten Jugendlichen rechts- oder linksextremistisch oder islamistisch werden. Ich folge dem ja soweit, dass es nicht in jedem Dorf und an jeder Schule die gesamte Bandbreite an Jugendorganisationen gibt und insofern die meisten halt machen, was ihre FreundInnen machen. Ob das aber reicht, um als Erwachsene dann auch mal Waffen in die Hand zu nehmen, wage ich ja sehr zu bezweifeln.

Wohin die Reise geht, sagt er selbst: „Ich finde es gut, wie es in Großbritannien und den USA gehandhabt wird, dass man auch die Bevölkerung zur Wachsamkeit aufruft.“

Und wünscht sich natürlich mehr Zusammenarbeit zwischen Geheimdienst und Polizei, und das können wir ja mittlerweile alle im Schlaf singen: es steht aus Gründen im Grundgesetz, dass das eine schlechte Idee ist. Ist halt der Treppenwitz, dass ausgerechnet der Verfassungsschutz das genau das möchte.

Ganz zum Schluss geht es auch um die Frage, ob uns eine neue RAF ins Haus steht, es geht um Dresden Nazifrei, um den ‚Kommenden Aufstand‘ – lasst Euch überraschen.

Eine Stunde lauschig am Kamin:

Zur Dekontamination empfehle ich zum Beispiel den des Linksextremismus‘ unverdächtigen Spiegel Online: Verfassungsschutzreform: Zentraldatei und weißer Anstrich. Der Verfassungsschutz kämpft nach dem NSU-Debakel um seine Existenzberechtigung.

Ein bisschen genauer steht es in der neuen Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP 101: Staatlicher Kampf gegen Rechts? und darin z.B. Heike Kleffner: Forderungen an Polizei und Justiz nach dem NSU-Debakel. Leider nicht online, aber die Cilip-Redaktion kann jeden Euro brauchen, deswegen kauft sie ruhig. Kostet 16€, aber nur 21€ für 3 Ausgaben! Jetzt schon lesen könnt ihr von Heiner Busch Unfall NSU? Falsche Interpretationen und übliche Lösungen und Ach, der Verfassungsschutz! Der Inlandsgeheimdienst und die Antifa von Ulli Jentzsch vom apabiz.

Außerdem: der NSU Watchblog

 

UN-Berichterstatter wirft britischen V-Leuten James-Bond-Methoden vor

In England tut sich Erstaunliches: Eine Debatte über den Einsatz von verdeckten Ermittlern in sozialen Bewegungen. Das ist in Deutschland noch einigermaßen undenkbar.

Anlass ist die Klage von acht Frauen gegen die Metropolitan Police im Dezember 2011, weil auf sie angesetzte Polizei-Spitzel mit ihnen sexuelle Beziehungen hatten, aus denen teilweise auch Kinder entstanden sind. Dazu gibt es inzwischen eine eigene Website Police Spies out of Lives.

Eveline Lubbers, die letztes Jahr ein Buch über Polizei- und Unternehmensspitzel in politischen Bewegungen veröffentlicht hat (Secret Manoeuvres in the Dark), hat dazu letzte Woche Post von der Londoner Polizei bekommen.

Presuming I have important information on the infiltration of London Greenpeace back in the 1980s, the Met wants me to get in touch to discuss the matter further.

Könnte man sagen: Gute Idee, da fragen sie endlich mal Leute, die sich auskennen. Andererseits: warum sollte Eveline Lubbers ausgerechnet jetzt an die Aufrichtigkeit derer glauben, die jahrelang und von Berufs wegen logen? In einem offenen Brief hat sie erklärt, was besser wäre:

I am open to discuss an exchange of information but not behind closed doors, hence this open letter. (…)

Everything I know about the infiltration of London Greenpeace is in my book Secret Manoeuvres.

And much of what I have on corporate and police spying on activists comes from the people who were targeted by infiltrators. These people feel betrayed, on every possible level: politically and personally. It took them time to overcome the trauma, and to stand up for their rights – to get the truth out. (…) For that reason, just sharing my knowledge with the police is not an option.

London Greenpeace? London Greenpeace, und zwar 1990-1997. Nicht zu verwechseln mit Greenpeace International. Von London Greenpeace gab es eine seit Mitte der 80er Jahre eine Kampagne zu McDonalds. Von McDonalds gab es im Gegenzug Spitzel, und zwar welche, die von McDonalds bezahlt wurden und zusätzlich welche von der Polizei, und schließlich ein Verfahren gegen die AktivistInnen wegen Verleumdung, dass sich zehn Jahre lang hinzog. 15 Jahre später, 2011, gelang es London Greenpeace, einen Polizei-Spitzel zu enttarnen. (Details im 4. Kapitel)

Und zu dessen Aktivitäten Mitte der 80er Jahre sind noch Fragen offen, die nicht nur die Polizei, sondern vor allem auch die Öffentlichkeit interessieren.

Das findet jetzt auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Recht auf Versammlungsfreiheit und Organisationsfreiheit, Maina Kiai.

United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association

Der hat zehn Tage Großbritannien besucht und am Mittwoch klare Worte gefunden:

I am deeply concerned with the use of embedded undercover police officers in groups that are non-violent and which exercise their democratic rights to protest and take peaceful direct action. The case of Mark Kennedy and other undercover officers is shocking as the groups in question were not engaged in criminal activities. The duration of this infiltration, and the resultant trauma and suspicion it has caused, are unacceptable in a democracy. (…)

I am also troubled by the definition of “domestic extremism” as it is presently too broad, and heard real fears from peaceful protesters that they could easily be grouped in this category, along with real extremists. Indeed, some police officials, while ostensibly differentiating between extremist groups and others that use direct action, often conflate them, especially when the protest groups are horizontal.

Inakzeptabel für Demokratien findet er u.a.

  • langandauernde Einsätze von verdeckten Ermittlern in Gruppen, die gewaltfreie Direkte Aktionen praktizieren
  • Demonstrationsverbote
  • das Einkesseln von Demonstrationen
  • das Sammeln von Daten von AktivistInnen und Demonstrierenden, die nicht selbst an Gewalt beteiligt waren
  • die Ausweitung der Definition von Extremismus
  • das Outsourcen von Polizeiarbeit an private Firmen, insbesondere im Kontext der zunehmenden Privatisierung öffentlicher Räume

Und wird dies in seinem Bericht bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats im Mai erwähnen.

Konkret zum Fall der Frauen, die von Ermittler sogar in bestehenden Beziehungen ausspioniert wurden, sagte er in der Londoner Pressekonferenz:

This is not a James-Bond-type movie issue. I think it is unacceptable that the state can pay somebody who will use women, and be part of their lives and then just devastate them and leave them. That’s unbelievable. (Guardian)

Den würde ich sehr gern mal nach Deutschland einladen. Insbesondere Sachsen. Und wüsste sonst gern mehr über V-Leute in sozialen Bewegungen hierzulande.

Bild: OEA-OAS, BY-NC-ND-Lizenz