Die Transmediale ist vorbei und wir hatten eine nette Veranstaltung Sonntag nachmittag "Konspiratives Verhalten: Wer terrorisiert wen" mit wie meist sehr sympathischem Publikum.
Montag wurde ich im Deutschlandfunk bei Corso – Kultur nach 3 dazu befragt, ob ich nicht ein bisschen übertreibe mit meinem Blog?
Das Leben unter Überwachung schildert die Journalistin Anne Roth in ihrem Blog "annalist.noblogs.org"
Hier zum Nachhören: dlf_annalist.ogg (Ogg-Dateien können mit dem VLC-Player abgespielt werden, umsonst und Open Source hier.)
Ich war insgesamt von der Transmediale beeindruckt. Sicher habe ich den größeren Teil der Konferenz nicht mitgekriegt, aber einige der Veranstaltungen am Freitag im Rahmen des ‚Bilderberg-Salons‘ waren sehr interessant und vor allem sehr viel politischer, als ich dieser ‚Kunstkonferenz‘ bisher zugetraut hatte.
Begeistert haben mich die Projekte ‚Zone Interdite‘ and ‚picidae‘ von Mathias Jud und Christoph Wachter – picidae hat auch eine lobende Erwähnung des transmediale Award bekommen.
Beide Projekte unterwandern Zensur. Picidae (Spechte, angelehnt an die Berliner Mauerspechte) überwindet Firewalls und andere Formen von Internetzensur, im Vortrag sehr beeindruckend vorgeführt am Beispiel China. Websites werden in Bilder umgewandelt und umgehen damit Zensurformen, die über Worterkennung funktionieren. Picidae funktioniert umso besser, je mehr Leute sich am Netz der Pici-Server beteiligen.
Zone Interdite (Verbotene Zone) sammelt kollaborativ Informationen über "geheime militärische, industrielle und politische Bereiche. Durch globale Vernetzung und lokale Partizipation wird mit der ‚Zone Interdite’ Plattform eine transparente Weltkarte erschaffen."
Schon mal von ‚Terror Detection Algorithms‘ (Algorithmen zur Erkennung von Terrorismus) gehört? Wir haben uns ja bisher immer gefragt, wie eigentlich genau die Anfangsverdachtsmomente zusammenkamen, nach denen dann die Albernheiten ‚Bibliotheken‘, ‚Gentrification‘, ‚konspiratives Verhalten‘ etc. dazu ausreichten, Leuten einen Terrorismusverdacht anzuhängen. Anscheinend gibt es Programme (gemeint: Software) im Rahmen der Social Network Analysis (also Analyse sozialer Netzwerke), die dazu dienen, ‚terroristische Zellen‘ ausfindig zu machen. Dagegen scheint mir das, was wir uns unter Rasterfahndung vorstellen, ausgesprochene Kinderkacke. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann dient Social Network Analysis dazu, Kontakte, Interaktionen, Kommunikation zwischen Individuen darzustellen. Je größer und besser bekannt die zwischen Menschen bestehenden Netzwerke sind, desto besser ist es möglich, bestimmte Muster zu erkennen bzw. zu berechnen. Nach der Darstellung des Referenten Robert Hilbrich gibt es die Vorstellung, dass z.B. Terroristen bevorzugt in Zellen organisiert sind, die dem Lenin’schen Zellenmodell ähneln, also sehr zentralistisch (ein Kopf, der verschieden Personen um sich herum dirigiert). Wenn die sich zunächst wie Schläfer verhalten, also kaum kommunizieren und dann plötzlich ganz aktiv untereinander werden, dann muss das eine Terrorzelle sein, die kurz davor steht, einen Anschlag zu begehen!
Ganz so schlicht ist es hoffentlich nicht, aber plausibel ist auf jeden Fall, dass diese Muster berechenbar sind, wenn entsprechend große Mengen an Datensätzen vorhanden sind. Und offenbar (und wenig überraschend) wird das in der kleinen Schnittmenge zwischen Informatik und Sicherheitsbehörden vorangetrieben. Das erklärt dann auch die Datensammelwut unserer InnenpolitikerInnen noch ein bisschen besser.
Weiter beeindruckend auch Naeem Mohaiemen und Loretta Napoleoni beim Podium "Embedding Fear: The Internet And The Spectacle Of Heightened Alert" am Donnerstag. Demnächst sollen übrigens von allen Veranstaltungen Aufnahmen zur Verfügung stehen: diese war sehenswert. Wenn auch der Auftritt des Spiegel-Arabisten Yassin Musharbash den guten Eindruck ein bisschen trübte, der frei von jedem Selbstzweifel jede kritische Frage an sich abperlen ließ.
Nichts mit der Transmediale zu tun haben diese Fundstücke; ich hoffe, dass sie an dieser Stelle nicht untergehen, denn hübsch sind auch sie:
- Die Cebit wird ‚feministisch‘ und lässt Frauen am 8. März umsonst rein. Die Kommentare in der Heise-Meldung dazu sind wieder ganz enorm bodenlos furchtbar.
- Die Kulturzeit hat den Godfather des Medienaktivismus Geert Lovink zur Rolle der BloggerInnen befragt. Viel Interessantes sagt er leider nicht – es gibt viele BloggerInnen, mehr und weniger professionell und mit ganz unterschiedlichen Motiven. Hm.
- Na, was ist das? Eine Roboterfliege. Die machen demnächst das, was bisher noch hässliche Kameras machen müssen – hier im Einsatz bei einer Antikriegsdemo im September ’07. Washington Post: Dragonfly or Insect Spy? Scientists at Work on Robobugs. Der Artikel ist nicht mehr ganz frisch, aber/und/so oder so gibt’s dazu noch ein paar sehr schöne Videos.
- Elke Steven, Komitee für Grundrechte und Demokratie in Graswurzelrevolution 2/08: "Wer die Macht haben will, weiß nie genug" über Vorratsdatenspeicherung, informationelle Selbstbestimmung und auch das Verfahren gegen angebliche Mitglieder der ‚militanten gruppe‘:
"Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit
notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder
weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen
aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer
Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert
wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise
auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Artikel 8,
9 GG) verzichten."Das Bundesverfassungsgericht wird Recht und Gerechtigkeit nicht
herstellen. Wir selbst müssen für Meinungsfreiheit kämpfen, indem
wir sie in Anspruch nehmen. Indem wir mit denen solidarisch sind,
die in die Fänge der Ermittlungsbehörden geraten sind.
Danke.
- Daniel Leisegang in Blätter für deutsche und internationale Politik 2/08: Das Google-Imperium. Wer noch nicht weiß, warum nicht klug ist, Googlemail-Adressen zu benutzen (oder auch nur Mails an welche zu schicken), sollte hier nachlesen.