Über Anne Roth

Schreibt ins Netz seit 1999 / Bis Dez. '23 Referentin für #Netzpolitik links im Bundestag / 2014 - 2017 Referentin im NSA-Untersuchungsausschuss / parteilos. Mehr über Anne Roth steht hier

Linke Schmerzen

Zwei Entenküken am Steinstrand, die beide denselben Zweig im Schnabel haben

(Dieser Text ist als Twitter– und Mastodon-Thread gestartet und ich habe ihn an die denkend geschrieben, die dort unterwegs sind. Manche politisch aktiv, viele auch nicht, also jenseits von Meinungen via Social Media. Ich freue mich über Diskussion und Kommentar, auch dort.)

Was mich immer wieder beschäftigt: Es fehlt eine Auseinandersetzung der gesamten gesellschaftlichen Linken mit dem Verhältnis zwischen Bewegungen und außerparlamentarischen Organisationen (‚Zivilgesellschaft‘) auf der einen und Parteien in Parlamenten auf der anderen Seite. Sind es politische Gegner*innen, weil auf der falschen Seite, oder zwei Teile der politischen Auseinandersetzung der Gesellschaft, die sich gegenseitig brauchen?

Spoiler: Wahrscheinlich wundert niemand, wenn ich mich als Anhängerin der 2. Option oute.

Was nicht heißt, dass sich alle innig gernhaben müssen. Überhaupt nicht. Im Gegenteil sogar, Kritik ist unbedingt notwendig, aus vielen Gründen.

  1. Wer im Parlament ständig in Realpolitik verwickelt ist, verliert leicht den Kompass. Das ist normal. Wir alle ändern in Diskussionen unsere Meinung, sonst wäre die Diskussion ja auch überflüssig. Wir nehmen etwas von der Sicht des Gegenübers an, mal mehr, mal weniger. Deswegen ist wichtig, dass Parlamentarier*innen (genauso) viel mit denen reden, die nicht in der Kompromissmaschine stecken.
  2. Eine deutlich wahrnehmbare Positionierung / Bewegung / Forderung außerhalb des Parlaments stärkt diejenigen, die drinnen ganz anderen Positionen und Mehrheiten gegenüberstehen. Weil sie eben nicht allein sind in ihrer Opposition.
  3. Demokratie heißt, dass politische Debatten von allen geführt werden. (Da haben wir gerade ein anderes ’spannendes‘ Thema, weil Social Media zeigen, dass wir nicht recht darauf vorbereitet sind, was es heißt, wenn wirklich alle mitdiskutieren und wie das aussehen müsste). Auch die parlamentarische Demokratie bedeutet nicht, dass Politik allein von den selbsterklärten Fachleuten im Parlament gemacht wird. Und übrigens auch nicht allein von und in Medien (und den fünf, die in jeder Talkshow sitzen). Gesellschaft sind alle.
  4. Politische Forderungen müssen auch überhaupt nicht im Auge haben, ob es realistisch ist, sie umzusetzen, weder jetzt noch später. Sie haben jede Berechtigung, weil es manchmal darum geht zu sagen, wie eine bessere Welt aussehen müsste. Progressiv, links, feministisch zu sein bedeutet, eine Gesellschaft zu wollen, die gerecht und frei von Unterdrückung ist und das ist dann eben eine Utopie. Und sie zeigt die Richtung, in die wir wollen. Über den Weg kann nicht genug diskutiert werden, aber das Ziel ist sicherlich nicht, wie das in Gesetz XY im Parlament genau geregelt wird.

Das allerdings ist der Job von Abgeordneten: zu versuchen, möglichst viel davon im Parlament rauszuholen.

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Wie alles anfing: Eine Stunde über Indymedia und Medienaktivismus

Nicht mehr ganz frisch: Im Juni gab es eine gute Stunde Podcast über die Geschichte von Indymedia und wie das alles anfing mit dem Web 2.0 und aktivistischen Online-Medien, inzwischen über 20 Jahre her.

Ich sprach mit Max Blum für den Podcast der BAG Netzpolitik:

Gespräch über Digitale Souveränität

Ich habe mich eine Stunde mit Herbert Gnauer für das Wiener Radio Orange 94.0 über Digitale Souveränität unterhalten und darüber, um wessen Souveränität es dabei geht und über die Kontroverse, ob dabei staatliche Souveränität gemeint ist oder individuelle.

Außerdem geht es um Verschlüsselung, richtige und falsche Software, digitale Identitäten, die Corona-Warn-App und sogar um Nachhaltigkeit.

Wer möchte, kann das Gespräch hier hören:
https://cba.fro.at/544073

Die nächste Demo nur mit Luca

Über die LucaApp kann man viel reden.

Ein Argument von Carmela Troncoso halte ich für bedenkenswert:
Erst wird die App in Bars und Konzerten eingesetzt. Super praktisch. Beim Einkauf.

Dann auch in Clubs. Bei Hochzeiten. In der Kirche. Moschee. Synagoge. Bei Demos. Partys. In Vereinen und politischen Gruppen.

Fühlt sich das immer noch gut an, dass da eine technische Infrastruktur gebaut wird, die – wie jede technische Infrastruktur, die Daten sammelt – Begehrlichkeiten weckt?

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Corona? There’s an app for that!

Screenshot Corona-Warn-App: "Warnende Personen. Gestern 2.970. 7-Tage-Mittelwert 2040. Gesamt 291828. über die Corona-Warn-AppDie Corona-Warn-App wird zunehmend zum Flop erklärt und häufig wird im gleichen Aufwasch Datenschutz als Grund dafür identifiziert. Ich weiß nicht, in wievielen Talkshows, Interviews, Artikeln mir das mittlerweile begegnet ist. Egal, wie oft schon erklärt wurde, dass das nicht stimmt.

Stattdessen: Neue, shiny happy Apps! Ob Datenschutz tatsächlich das Problem ist, spielt keine Rolle. Genausowenig anscheinend die Frage, welche Probleme gelöst werden müssen und ob die jeweiligen Apps dazu tatsächlich geeignet sind. Dafür können die Entwickler*innen am wenigsten – dass sie versuchen, Lösungen für ganz spezifische Probleme zu finden, ist ja an sich nicht schlecht.

Dabei liegt der schlechte Ruf der Corona-Warn-App v.a. daran, dass es eine schlecht designte App ist (mit ursprünglich guter Idee), die zwar teuer war, aber kaum weiterentwickelt wurde. Von privaten Unternehmen, die damit absurd viel Geld verdienen. Dazu die konfuse Kommunikation, in der App und drumherum.

Das Versprechen, dass Apps das Corona-Problem lösen, kam nicht von den Leuten, die wenigstens dafür gesorgt haben, dass die Bundes-Corona-App sicher ist und sensible Gesundheitsdaten möglichst gut geschützt werden. Im Gegenteil ist von ihnen immer wieder zu hören, dass die Grundlagen für verantwortungsvolle Software-Entwicklung im Prinzip ‚Privacy by Design‘ liegt. Das bedeutet nichts anderes, als dass von Anfang an überlegt wird, welches Problem konkret gelöst werden soll und wie das möglichst datensparsam umgesetzt werden kann. Klingt einfach, fehlt leider oft.

Remember? Abstand, Hände waschen, Alltagsmasken – und die App! Dieses magische Heilsversprechen kam u.a. von Spahn, ziemlich von Anfang an. Apps können aber keine Pandemien wegzaubern, wenn das Gesundheitssystem zerbröselt und Bundesländer sich gegenseitig blockieren. Die Gesundheitsämter sind weiterhin zu schlecht ausgestattet und die Inzidenzwerte waren ja ursprünglich mal relevant geworden, weil sie anzeigen sollten, ab welcher Schwelle die Gesundheitsämter beim Nachverfolgen der Infektionsketten nicht mehr nachkämen.
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Erfolge feiern können, am Beispiel der Corona-Warn-App

DP3T Proximity Tracng Process - ZeichnungDie Corona-Warn-App so, wie sie jetzt ist, ist das Ergebnis einer sehr harten politischen Auseinandersetzung über offene vs. geschlossene Technologie.

Die Bundesregierung wollte anfangs etwas ganz anderes. Jetzt erklärt sie begeistert, wie super das alles sei:

Dezentral, freiwillig, open source, transparenter Entwicklungsprozess.

Aber das ist nicht, was das Gesundheitsministerium (BMG) anfangs wollte. Es war ein Streit über Wochen, und währenddessen wurden alle, die was anderes wollten, als Datenschutz-Spinner dargestellt (Frauen kamen in den deutschen Debatten eh nicht vor).

Wir haben diesen Streit gewonnen und das ist gut so, hoffentlich auch für zukünftige IT-Projekte der Bundesregierung, aber so zu tun, als hätte sich die Bundesregierung das mit SAP/Telekom und irgendwelchen Start-Ups allein ausgedacht, ist Quatsch.

Mit ‚wir‘ meine ich keine spezielle Gruppe, Organisation, Fraktion – im Gegenteil gab es wohl überall reichlich Skepsis und Kritik, oft auch zurecht, oft aber auch pauschale Ablehnung einer technischen Lösung, ohne genauer hinzugucken -, sondern viele verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund. Teile der „Netz-Community“, IT-Expert*innen, politisch aktive Menschen, aus vielen Ländern und auch Kontinenten.

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Tipps für Video-Chats und Telefonkonferenzen


Mal was ganz anderes, als sonst hier zu lesen ist. Aber weil viele gerade ziemlich unerwartet vor der Situation stehen, Besprechungen per Video-Chat oder Telefonkonferenz statt ‚in echt‘ zu haben, hier ein paar Tipps, die dabei helfen können, damit es besser klappt.

Tipps für Video-Chats und Telefonkonferenzen

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20 Jahre Indymedia – Ein anderes Internet schien möglich

(Zuerst bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht)

«The resistance is global… a trans-pacific collaboration has brought this web site into existence.»

So begann der erste Eintrag auf einer Indymedia-Website am 24. November 1999. Indymedia ging wenige Tage vor den Protesten gegen die Tagung der Welthandelsorganisation WTO in Seattle online, und sollte die alternative Plattform für Berichte über eben diese Proteste sein. Seit einigen Jahren wuchs die Anti-Globalisierungsbewegung, die sich vor allem gegen Deregulierung des Welthandels, gegen Freihandelsabkommen und den Abbau sozialer Rechte richtete, die bei Gipfeln wie den WTO-, G7, IWF- und Weltbanktreffen verhandelt wurden. In dieser Zeit wurde Attac gegründet, und es gab einen starken Bezug zum Aufstand der Zapatistas in Mexiko, die 1996 und 1997 zu «Interkontinentalen Treffen gegen Neoliberalismus und für Menschlichkeit» eingeladen hatten. Auch in Deutschland gab es 1999 heftige Proteste gegen die EU- und  G7/G8-Gipfel in Köln: Zentrale Forderung war die Entschuldung der Länder des globalen Südens.

Parallel zum Wachsen dieser Bewegung entwickelte sich in Australien etwas ganz anderes: eine Software, die es möglich machte, schnell und ohne weitere Vorkenntnisse Texte, Bilder, Videos und Audiodateien im Web zu veröffentlichen. Eine der ersten interaktiven Web-Anwendungen mit der Möglichkeit zum «Open Publishing» war entstanden – bislang gab es weder Wikipedia noch Blogs, Social Media noch lange nicht. Wer im Netz veröffentlichen wollte, musste wissen, wie HTML-Seiten «gebaut» und wie Server administriert werden, oder musste sich auf das Usenet und erste Foren beschränken. Oder die Möglichkeit haben, auf den ersten Websites von Zeitungen und Zeitschriften zu veröffentlichen.

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Cyber, oder besser: Digitale Sicherheit

 Habe mich sehr über die erste Frage in diesem langen Interview in der Frankfurter Rundschau gefreut:

Frau Roth, in den vergangenen Wochen wurde viel über „Cybersicherheit“ diskutiert. Sie kritisieren den Begriff. Warum?

Weil es ein Begriff ist, der vernebelt, was konkret gemeint ist. Geht es um Angriffe auf Atomkraftwerke oder die digitale Sicherheit von Nutzerinnen und Nutzern? Mich stört auch diese geheimnisvoll-gefährliche Aura, die mit sich bringt, dass viele Menschen sich nicht zutrauen, sich ein bestimmtes Wissen anzueignen. Vielleicht ist das auch zusätzlich so, weil das ein sehr technisches und stark männlich besetztes Thema ist. Und weil unheimlich viel Bluff seitens einiger „Cyberexperten“ dabei ist.

Dazu fallen mir gleich alle möglichen Sachen ein, nämlich, warum es ein Riesenproblem ist, wenn Leute Schwierigkeiten haben zuzugeben, dass sie hier und da Sachen nicht verstehen, die mit ihren Mobilgeräten, Computern, Routern, etc. zu tun haben.

Und welche politischen Interessen oft dahinter stecken, wenn von ‚Cyber‘ die Rede ist und nicht von IT-Sicherheit, oder Digitalisierung.

Aber viel davon steht ja schon in dem Interview, und das findet ihr hier.

Was bei der Diskussion über Doxing gerade hinten runterfällt

Seit am 4. Januar bekannt wurde, dass hunderte Politiker*innen und andere öffentlich bekannte Personen von Doxing betroffen sind, und seit in der Folge viele zum ersten Mal davon gehört haben, dass es diese Vokabel gibt, reden alle davon: Was es heißt, wenn die eigenen private Daten von anderen eingesehen und veröffentlicht werden.

Es ist unangenehm, peinlich, schmerzhaft. Nichts zu verbergen? Wir erleben gerade, warum das nicht stimmt:

  • weil wegen solcher Daten Freundschaften und Beziehungen kaputt gehen können
  • weil es schnell sehr teuer werden kann, wenn andere auf den eigenen Namen Dinge bestellen und vielleicht auch gleich bezahlen
  • weil Nazis vor der Tür stehen
  • weil Stalker vor der Tür stehen
  • weil gewalttätige Ex-Freunde und -Männer in der Wohnung stehen
  • weil damit erpresst werden kann.

Die IT-Sicherheit, oder auch „Cyber“

In der öffentlichen Diskussion über die ‚Adventskalender-Daten‘ gibt es derzeit (mindestens) drei Stränge: zuerst ging es um die betroffenen Personen, aber sehr schnell entwickelten sich daraus zwei andere Themen: Innenministerium und Sicherheitsbehörden, die das ganze zu einer Erfolgsstory machen, weil sie den Verdächtigen nach wenigen Tagen festgenommen hatten, pushen die übliche Agenda der Inneren Sicherheit: Das ganze sei ein Angriff auf die IT-Sicherheit des Landes, und deswegen brauchen die Behörden, die für IT-Sicherheit zuständig sind, mehr Personal, mehr Geld, mehr Kompetenzen. Erste Forderung, auch von Innenpolitikern der Union, war die nach Hackbacks (also die Erlaubnis, ‚zurückzuhacken‘), wobei völlig unklar bleibt, wogegen das hier geholfen hätte. Das Cyberabwehrzentrum (gibt’s wirklich) kriegt ein ‚Plus‘ und soll erweitert werden. Mehr Speichern, mehr Überwachen, mehr Geheimdienst: wie das aber Böhmermann, Habeck, Sigmar Gabriel und allen anderen geholfen hätte, bleibt offen.

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