Bundesrichter stellt Verfahren gegen ‚Bioterrorist‘ Steve Kurtz ein

Gegen den us-amerikanischen Künstler, Wissenschaftler und Aktivisten Steve Kurtz vom Critical Art Ensemble läuft seit 2004 ein Verfahren, erst wegen Bioterrorismus, später wegen eines Gesetzes, zu dem es im deutschen Recht kein Pendant gibt: ‚Mail and Wire Fraud‘, am ehesten übersetzbar als ‚Post- und Überweisungsbetrug‘. Klingt unaufregend, bringt aber gewaltige Ermittlungen und Strafen mit sich.

Das Critical Art Ensemble setzt sich seit Jahren kritisch mit Biotechnologien auseinander. Zuletzt erschien auf deutsch ‚Die molekulare Invasion‚, (englisch vollständig online), in dem u.a. diskutiert wird, warum wichtig ist, dass auch NichtwissenschaftlerInnen begreifen, wie Gentechnik funktioniert und warum der Widerstand dagegen nicht zwangsläufig progressiv ist, sondern etwa ‚das Bewahren des Natürlichen‘ auch sehr konservativ sein kann. Andere Bücher beschäftigen sich mit ‚elektronischem zivilen Ungehorsam‚ oder ‚digitalem Widerstand‚.

Das Verfahren gegen Steve Kurtz wird im Film ‚Strange Culture‚ von Lynn Hershman dokumentiert, der vergangenes Jahr bei der Berlinale lief. Er beschreibt eindrücklich die Auswirkungen einer Terrorfahndung auf Betroffene und ihr Umfeld.

Wir haben im Herbst eine Veranstaltung in der Berliner NGBK organisiert, bei der Teile des Films gezeigt und die Parallelen der Verfahren diskutiert wurden (Dokumentation).

[Ich kann den Film nur dringendst weiterempfehlen. Er ist vorläufig noch nicht vollständig untertitelt. Sollte sich aber auf diesem Weg ein Verleih finden, der daran interessiert ist, Strange Culture in deutschen Kinos zu zeigen, könnt Ihr mich kontaktieren: ich würde ihn liebend gern fertig übersetzen.]

Steve Kurtz wird vom CAE Defense Fund unterstützt, der gestern eine Pressemitteilung dazu herausgab, dass das Verfahren eingestellt wird. Offen ist vorläufig, ob die Staatsanwaltschaft in Berufung geht:

FOR IMMEDIATE RELEASE

April 21, 2008

CONTACTS:
Email: media@caedefensefund.org
Edmund Cardoni: (716) 854-1694
Lucia Sommer: (716) 359-3061

JUDGE DISMISSES MAIL FRAUD CASE AGAINST BIO-ARTIST KURTZ

Buffalo, NY–A process that has taken nearly four years may be coming
to an end. On Monday, April 21, Federal Judge Richard J. Arcara ruled
to dismiss the indictment against University at Buffalo Professor of
Visual Studies Dr. Steven Kurtz.

In June 2004, Professor Kurtz was charged with two counts of mail
fraud and two counts of wire fraud stemming from an exchange of $256
worth of harmless bacteria with Dr. Robert Ferrell, Professor of Human
Genetics at the University of Pittsburgh Graduate School of Public
Health.

Dr. Kurtz planned to use the bacteria in an educational art exhibit
about biotechnology with his award-winning art and theater collective,
Critical Art Ensemble.

Professor Kurtz‘ lawyer, Paul Cambria, said that his client was
"pleased and relieved that this ordeal may be coming to an end."

The prosecution has the right to appeal this dismissal. How the
prosecution will proceed is unknown at this time. If an appeal were
undertaken the case would move to the New York Second Circuit Court of
Appeals in New York City.

Lucia Sommer, Coordinator of the CAE Defense Fund, which raises funds
for Kurtz‘ legal defense, said, "We are all grateful that after
reviewing this case, Judge Arcara took appropriate action." She added
that "this decision is further testament to our original statements
that Dr. Kurtz is completely innocent and never should have been
charged in the first place."

BACKGROUND ON DR. STEVEN KURTZ AND CRITICAL ART ENSEMBLE

Critical Art Ensemble (which Kurtz co-founded in 1987 with Steven
Barnes) has won numerous awards for its bio-art, including the
prestigious 2007 Andy Warhol Foundation Wynn Kramarsky Freedom
of Artistic Expression Grant, honoring more than two decades of
distinguished work. The group has been commissioned to exhibit and
perform in many of the world’s cultural institutions–including the
London Museum of Natural History; The ICA, London; the Whitney Museum
and the New Museum in NYC; the Corcoran Museum of Art in Washington,
DC; Schirn Kunsthalle, Frankfurt; Musée d’Art Moderne de la Ville de
Paris; der Volksbüne, Berlin; ZKM, Karlsruhe; El Matadero, Madrid;
Museum of Contemporary Art, Helsinki; Museo de Arte Carrilo Gil,
Mexico City and many more.

For more information about the case, please visit: caedefensefund.org

 

Wohnraumüberwachung für alle

Was für eine Aufregung. Kameraüberwachung auch für ‚unbescholtene Bürger‘. Eklig, in der Tat – ich frage mich schon eine Weile, ob wir sowas in der Wohnung haben und ob ich (samt Kindern) eigentlich als unbescholten gelte und derlei Fragen mehr, die seit gestern, als Details des geplanten BKA-Gesetzes bekannter wurden, viel Aufsehen erregen. MIch interessiert mindestens genauso, wie lange Kameras wie auch Wanzen eingesetzt werden können, wenn es wie bei uns anscheinend einen totalen Stillstand in der Ermittlung gibt und die Staatsanwaltschaft gern einfach noch ein bisschen Daten sammeln möchte, bis sie vielleicht irgendwann mal genug über uns weiß? Oder haben die da auch Personalengpässe, wie beim BKA, weswegen sie einfach gerade nicht schaffen, das ganze endlich einzustellen?

Interessanter wäre die Frage, wenn es nicht so eindeutig um ‚unbescholtene Bürger‘, sondern vielleicht sowas wie Eigentumsdelikte ginge – ist die Kamera im Zimmer von 16-jährigen chronischen Kaugummiklauern ok?  

tagesschau.de hat eine Umfrage zu ‚Kameras in Wohnungen‘, und die Ergebnisse sind bei der Fragestellung wenig überraschend, andererseits auch ganz schön, dass jetzt ein bisschen Empörung aufkommt. Da ist offenbar die Grenze erreicht, wo viele doch was zu verbergen haben.

Die Ergebnisse der Umfrage:

Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass das
Bundeskriminalamt in bestimmten Fällen auch Wohnungen von
unbescholtenen Bürgern mit Wanzen und Videokameras überwachen darf. Was
denken Sie: Ist dies ein notwendiger Preis für die Innere Sicherheit
oder ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre?

  • Die Maßnahme ist angebracht: 33 Stimmen, dies entspricht circa 3.8%
  • Die Maßnahme geht zu weit: 843 Stimmen, dies entspricht circa 96.0%
  • Dazu habe ich keine Meinung / Ist mir egal: 2 Stimmen, dies entspricht circa 0.2% Stimmen gesamt: 878
(Stand 18.4. ca. 13:30)
 
Mal angenommen, die Kameras würden jetzt noch nicht eingesetzt – und alle, die sich mehr damit beschäftigen, zucken bei der Frage eh mit den Schultern und sagen ‚ganz egal, der Verfassungsschutz macht das ja sowieso‘ – dann kann ich als praxisnahes Beispiel dazu, wohin das führt, gern immer wieder den schwarzen Beutel zitieren.
Die Annahme, dass Andrejs Eltern in so einem Beutel gefährliches Beweismaterial während seiner Inhaftierung in ihrer Wohnung aufbewahrten, mit ihm nach seiner Entlassung darüber am Telefon schwatzen und den dann Sonntag nachmittag mit der U-Bahn zu uns tragen, führte nicht nur zu einer weiteren Hausdurchsuchung, sondern auch zu einem Austauch von amtlichen Dokumenten ihrer sich darüber beschwerenden Anwältin, der BAW und dem BGH. Jeder Mensch mit einem Funken gesunden Menschenverstandes fängt bei dieser Geschichte an zu lachen und fragt, ob sie sich schon entschuldigt haben. BAW und Herr Hebenstreit allerdings sind bis heute der Meinung, dass das alles vollkommen rechtmäßig war (siehe Der schwarze Beutel – The Sequel).
 
Ein eigenes Thema ist noch die Ziehung der Grenze zwischen ‚bescholten‘ und ‚unbescholten‘..

Kollektion #2

In Bad Saarow findet die halbjährliche Innenministerkonferenz statt. Schönbohm, früher Innensenator von Berlin, jetzt -minister in Brandenburg, davor General der Bundeswehr, will kräftig zubeißen und ein neues ‚Grundsatzprogramm zur Inneren Sicherheit‘ verabschieden, damit die Terrorismusbekämpfung endlich vorankommt. Dazu geht’s um Online-Durchsuchung, NPD-Verbot und Aufstockung des BKA. Feine Sache.

  • Schönbohm plant eine neue Anti-Terror-Agenda (Welt Online, 15.4.), EIn Interview, in dem er u.a. erläutert, warum mehr Polizei in’s Ausland, mehr Bundespolizei (früher BGS) in’s Inland und insgesamt viel mehr für die Innere Sicherheit getan werden muss.

  • Unsere Innere Sicherheit verträgt keine halben Sachen!
    – Cop2Cop schreibt, dass im Spiegel stand, dass es 500 zusätzliche Stellen beim BKA zur präventiven Terrorismusfahndung geben soll, und befürchtet gemeinsam mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter, dass das sicher gut so ist, aber die 500 nicht aus anderen Bereichen zur Terror-Bekämpfung abgezogen, sondern besser zusätzlich eingesetzt werden sollten.
  • Zur Bedrohung durch den Terrorismus, schon letzte Woche auf ORF: Europol: Terrorismus in der EU weitet sich aus: "Der allergrößte Teil dieser Anschläge geht auf das Konto
    separatistischer Organisationen wie der baskischen ETA. Muslimische
    Terroristen schlugen ein Mal in Großbritannien zu, dort sowie in
    Deutschland und Dänemark schlugen weitere Attentatsversuche fehl. Die
    ETA tötete zwei spanische Polizisten, darüber hinaus gab es keine Toten
    durch den Terrorismus."
  • Zur Erinnerung daran, wo eigentlich sog. Terroranschläge gefährlich sind und für wen, und um das alles immer mal wieder in’s Verhältnis zu setzen: "Bluttat
    im Nordirak: Bei einer Trauerzeremonie nördlich von Bagdad hat sich ein
    Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Dutzende Menschen kamen ums
    Leben.
    " (heute bei SPON)
  • Schönbohm über Online-Durchsuchung im Focus: „Die Sicherheitsbehörden brauchen dieses Mittel für den Umgang mit
    Internet, W-Lan, Hotspots und anderen modernen Kommunikationsmitteln.
    Deshalb hoffe ich, dass dieses Gesetz nun schnell kommt
    “.
  • Und nochmal, im Deutschlandfunk, (als mp3) sehr unterhaltsam etwa zu den Fragen wie das mit der Online-Untersuchung konkret funktioniert und warum Pfarrer was ganz anderes sind als Imame
  • WDR5-Streitgespräch mit Heribert Prantl und Wolfgang Bosbach (CDU) (mp3)
    Sind Lauschangriff und Vorratsdatenspeicherung notwendige Maßnahmen zur
    Verhinderung von Straftaten, oder falsche Schritte auf dem Weg vom
    Rechts-zum Präventionsstaat? Gesendet schon am 9.4. (via Metaowl)
  • Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Arzt oder Apotheker: Datenschutz für Kinder erklärt, ebenfalls WDR5, ebenfalls via Metaowl.
  • Elena: Zentrale Datenbank mit allen Arbeitnehmer-Einkommensdaten geplant. (via Daten-speicherung.de, wo es auch die großartige und sehr gruselige Sammlung der aktuellen Gesetzesvorhaben gibt, bei denen Daten gesammelt und verarbeitet werden.

Zum Schluss noch ein Appetizer aus dem DLF-Interview: Weiterlesen

gelbgrün – Bankleer-Plakat und Freundeskreis-Videoclip

Bankleer:  „Europäisches Unterbewusstsein I“ (2008)Das Plakat von bankleer "Europäisches Unterbewusstsein I" (hier rechts im Bild) ist online und auch gedruckt. Es ist Teil der zweiten Serie der ‚Posterkampagne‘ von ‚Land of Human Rights – Künstlerische Analysen und Visionen zur Situation der Menschenrechte in Europa‚: "Beginnend im September 2007 wird jedes halbe Jahr ein Set von 4 Postern
gedruckt, auf denen Werke von KünstlerInnen zu aktuellen
Menschenrechtsfragen auf der einen Seite und kurze Texte von
MenschenrechtsaktivistInnen, TheoretikerInnen oder von
Menschenrechtsfragen direkt betroffenen Personen auf der anderen Seite
abgedruckt werden.
" Es gibt 5000 Stück, die an vielen Orten in Europa zu haben sind, in Deutschland allerdings nur in München (Aspekte Galerie der MVHS) und Berlin (Künstlerhaus Bethanien).

"Europäisches Unterbewußtsein I" ist auch im Druckformat downloadbar. Auf der Rückseite steht ein Text, der eigentlich in Zusammenarbeit mit dem Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren, aber vor allem doch von Wolf-Dieter Narr geschrieben wurde (sich in einem großen, sehr heterogenen Bündnis unter Zeitdruck auf egal was zu einigen und mit KünstlerInnen und emeritierten Politik-Professoren abzustimmen: das muss erst noch geschafft werden): Verinnerlichter (Anti-)Terrorismus. Darin wunderschöne Narr-Sätze:

Die „Stasi“ und ihre graumäusigen Funktionäre würden gelbgrün vor Neid,
erführen sie wie technologisch sublim Daten heute überall abgezapft
werden, um terroristische Krümmungen präventiv entdeckend zu schaffen.
So lenken die staatlichen Instanzen von ihrer Verbrechensproduktion ab.
Man betrachte allein die unsägliche „Ausländerpolitik“! Oder
Heiligendamm, diese Riesendemonstration im Juni 2007 gegen den
unnötigen Verschwendungsgipfel G-8, der auf angeblich „gewaltbereite“
und „terrorismusgeneigte“ Teilnehmende abgesaugt wurde – mit
Eingriffsmitteln bis hin zu grundgesetzwidrigen Tornadoflügen.

Das leitet über zu einem Video des Freundeskreises Videoclips, das kürzlich zur Unterstützung der Bündnisarbeit produziert wurde und in dem einer der bewussten Tornado-Flüge beeindruckend gut zu sehen ist. Embedded abspielbar ist ‚Einstellung!‘ bei KanalB, dem Berliner Videoprojekt, mit und ohne englische Untertitel. Bei den Videoclips gibt es auch noch leinwandfähiges Format zum Download (die Anne im Video bin übrigend nicht ich). 

Es gibt kein Grundrecht auf innere Sicherheit

Sonst ist doch wirklich noch der blödeste Preis mindestens eine Meldung in ‚Vermischtes‘ wert, aber ich habe heute einen gefunden, den hatten außer der Frankfurter Rundschau und SWR Online nur ein paar regionale Käseblätter. Ein Geheimnis, sozusagen. Am 12.4. bekam Gerhard Baum (FDP, früher Innenminister) den Theodor-Heuss-Preis 2008 verliehen, außerdem gab es noch Medaillen gleichen Namens u.a. für den Grundrechte-Report und Foebud:

Wegen seines unermüdlichen Engagements zur Stärkung und Sicherung der
Bürger- und Freiheitsrechte wurde der frühere Bundesinnenminister
Gerhart Baum mit dem diesjährigen Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet.

Die dem Preis ebenbürtigen Theodor-Heuss-Medaillen 2008 gehen an die
Herausgeber des Grundrechte-Reports zur Lage der Bürger- und
Menschenrechte in Deutschland (www.grundrechte-report.de), an den seit
1999 in Russland arbeitenden Moskauer Focus-Korrespondenten Boris
Reitschuster (www.reitschuster.de), an FoeBuD e.V. als Ausrichter der
deutschen BigBrotherAwards (www.foebud.org; www.bigbrotherawards.de)
und an das jugendpädagogische Fanprojekt Dresden e.V.
(www.fanprojekt-dresden.de).
 

Baums Rede zur Preisverleihung stand heute gekürzt in der FR: Innere Sicherheit: Die bittere Wahrheit. Die ganze Rede ist dort auch als pdf verlinkt.

Ich würde Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble dann
zu folgen versuchen, wenn er in dem Spannungsverhältnis als
Sicherheits- und als Verfassungsminister Antworten auf Gefahren sucht.
Ich kann und will ihm nicht folgen, wenn er grundlegende Prinzipien
unserer bisherigen Rechts- und Verfassungsordnung infrage stellt. Das
sind die politischen und rechtlichen Unterscheidungen zwischen innerer
und äußerer Sicherheit, zwischen Verbrechen und Krieg, zwischen
Prävention und Repression, zwischen Polizei und Geheimdiensten,
zwischen Polizei und Militär.

Unsere Rechts- und Verfassungsordnung ist den Bedrohungen gewachsen.
Ganz entscheidend ist, dass ein neues Sicherheitsrecht kein dem
heutigen Strafrecht vergleichbares Schutzniveau garantieren würde.
Niemand hat bisher genau beschreiben können, wie ein dritter Weg
zwischen Straf- und Kriegsrecht aussehen könnte.

Der
Weg hin zu einer neuen Sicherheitsarchitektur wird vorbereitet durch
Angst einflößende Bedrohungsszenarien. Sie haben den Verfassungsrichter
Udo Di Fabio zu der Feststellung veranlasst, dass die "intellektuelle
Lust am antizipierten Ausnahmezustand kein guter Ratgeber" sei.

und, eigentlich der beste Satz darin:
 Es gibt kein Grundrecht auf innere Sicherheit.
Schön wäre, wenn dass auch die amtierenden InnenpolitikerInnen verstehen würden. Deren Verständnis von Sicherheit erinnert mich an den (ich glaube es war Kanther?), der sich nicht zu blöde war, öffentlich zu erklären, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung habe mit der Möglichkeit zu tun, sich zu informieren. 
 
Auch noch passend zum Thema hat es heute abend auf rbb die Sendung "Belauscht, bespitzelt, beobachtet –
Leben wir schon in einem Überwachungsstaat?
", online leider nur in einem für mich nicht sehbaren Format. Dafür in sehr illustrer Runde: Wolfgang Bosbach, Dieter Wiefelspütz, Konrad Freiberg, Constanze Kurz und Fransziska Drohsel. Hätte ich sehr gern gesehen, wenn jemand das in einem gängigen Format hätte (Nein, ich habe keinen Real Player) und mir irgendwie zukommen lassen könnte, wäre ich dankbar. Bosbach übrigens auf der rbb-Website mit dem großartigen Zitat:
„Niemand hat vor, einen Überwachungsstaat in Deutschland zu errichten.“
 

Vorladungen abgesagt & ein bisschen Werbung in eigener Sache

Am Wochenende flatterte uns wieder einer der beliebten kleinen Umschläge vom Bundesgerichtshof ins Haus, mit einer ausnahmsweise guten Nachricht: Die beiden weiteren noch angesetzten ZeugInnenvorladungen sind abgesagt. Eigenartiges Hin und Her, aber wir wollen uns nicht beschweren.

In der gleichen Post bekam ich die Mitteilung der Arbeitsagentur, dass gegen mich ein Ermittlungsverfahren wegen Begehens einer Ordnungswidrigkeit eröffnet sei. Ich wusste bisher gar nicht, dass das geht, aber der Schikanen gibt es ja viele.

Ich habe mich im letzten Herbst, wo ich ja sonst nichts zu tun hatte, auf Anraten meines Agentur-für-Arbeit-Sachbearbeiters per Existenzgründungszuschuss selbständig gemacht (eine sehr schöne Erfahrung war das; nur die ALGII-Formulare sind schlimmer, würde ich sagen). Und nun soll ich das der Agentur zu spät mitgeteilt und damit die Zahlung von zuviel ALG erschlichen haben. Wie das geht, wenn ich gleichzeitig beim gleichen Amt von ALG zu Existenzgründungszuschuss wechsele und alles beim gleichen Sachbearbeiter abwickele, mit Unterlagen, in denen als Voraussetzung für alles weitere ganz oben das Datum der Selbständigwerdung einzutragen ist – ein neues bürokratisches Wunder. Aber es soll ja gar nicht so selten vorkommen, dass am Rande an sich schon vollkommen korrekter politischer Ermittlungsverfahren die wundersamsten behördlichen Maßnahmen auftauchen. Das nehmen wir jetzt mal gelassen hin und sortieren es in die Kategorie ‚unsportlich‘.

Allerdings, würde jetzt mein Existenzgründungscoach (feine Sache, das) sagen, dass ich die Gelegenheit nicht versäumen sollte, darauf hinzuweisen, dass das Ziel dieser Gründung ist, Geld zu verdienen. Ich blende also mal einen kleinen Werbeblock ein:

Auch Terroristenfamilien wollen finanziert sein, gar nicht zu reden von Anwaltskosten und dergleichen. Bedauerlicherweise ist kritische Stadtsoziologie zwar zunehmend gefragt, aber nicht gut bezahlt. Das Dasein als ‚Freundin von Andrej Holm‘ ist neuerdings sehr zeitaufwändig, wird aber leider gar nicht bezahlt (bevor wer kreischt: damit meine ich die Beschäftigung mit dem Verfahren, vorher gab es diese Identität als solche gar nicht).


Deswegen:


Ich schreibe auch für Geld. Und bin für Vorschläge fast aller Art ausgesprochen offen,   thematisch gern zu den Themen Innere Sicherheit A-Z. Ich rede auch gern über diese Themen und suche aktuell außerdem nach SponsorInnen für ein im Entstehen befindliches Buch über unsere Erlebnisse des letzten Jahres. Tips zu potentiell interessierten Verlagen oder Stipendien oder anderen möglichen Geldquellen nehme ich gern. Details per Mail an [annalist at riseup.net] .

Deformation professionelle

..nennt Heribert Prantl das Phänomen, an dem die Innenminister leiden. Oder eher alle, die ihren Maßnahmen ausgesetzt sind. Er hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel: "Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit der Angst Politik macht." Im Interview heute in Das Parlament sagt er so schöne Sätze wie

Die Sicherheit ist in diesem Land nicht notleidend, sehr wohl aber sind es die Bürger- und Freiheitsrechte.

Zur deformation professionelle der Innenminister:

Das Recht ist für sie, bei Schäuble besonders, weniger Garant der
Freiheit als Diener der Ordnung. Im Wort Ordnung steckt das lateinische
"ordo", das im Mittelalter die Ausrichtung allen Irdischen auf einen
göttlichen Endzweck bedeutete. Was damals der göttliche Endzweck war,
ist heute für maßgebliche Politiker die innere Sicherheit. Ihr ordnet
sich alles unter, auch das Recht. Das ist ein falsches Verständnis von
Recht. Recht dient auch der Freiheit, Recht sichert Freiheit.

Und:

Wer glaubt, dass man den Terrorismus und Verbrechen besser bekämpft,
wenn man Rechtsgarantien beiseite räumt, unterliegt einem furchtbaren
Irrtum. Letztendlich muss der Staat seinen Bürgern auch sagen, dass er
bei aller Sorgfalt einen absoluten Schutz nicht gewährleisten kann. Man
muss akzeptieren, dass es Risiken gibt, die kein Rechtsstaat und
vielleicht nicht einmal ein totalitärer Staat ganz beseitigen kann.

Nicht dass das nicht schon gesagt worden wäre, aber um den göttlichen Endzweck Sicherheitsstaat in Frage zu stellen, kann es sicherlich (!) gar nicht oft genug gesagt werden. 

 

Kollektion

Es gibt so viele schöne Dinge, ich fange hiermit auch an, gelegentlich kommentierte Links der geneigten LeserInnenschaft anzubieten:

  • Gentrifizierung ist ja seit ungefähr Juli ’07 deutlich mehr im Gespräch als früher. In Hamburg fand letztens ein thematisches Wochenende zu dieser Frage statt, und es gab folgende Vorschläge dazu, wie sie sich verhindern ließe:

 
http://www.youtube.com/watch?v=onjunugRb44

  • Kein Datenschutz im Antiterrorkampf: Für "TerroristInnen" sollen noch mehr als bisher schon diverse rechtsstaatliche Grundsätze außer Kraft gesetzt werden, schreibt Kai Biermann in Zeit Online.
    "Innenminister Schäuble will vom Bundestag ein Abkommen mit den USA zum
    Austausch von Daten sogenannter Gefährder durchwinken lassen.
    Abgeordnete und Datenschützer haben jedoch heftige Bedenken
    ". Es geht
    aber nicht nur um Terror (angenommenen, nicht verurteilten), sondern um
    "Fingerabdrücke, Genprofile, Adressen" von vielen anderen. 400.000
    Gencodes, 3,2 Mio. Fingerabdrücke: alles ab über’n Teich. Und
    "personenbezogene Daten, aus denen die Rasse oder ethnische Herkunft,
    politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder die
    Mitgliedschaft in Gewerkschaften hervorgeht (…)
    " sind auch kein
    Problem.
  • Die EU will schon das ‚Anstacheln zu terroristischen Straftaten‘ unter Strafe stellen: "Der Entwurf sieht vor, dass das Verbreiten einer
    Botschaft unter Strafe gestellt wird, wenn dies mit dem Vorsatz
    geschieht, zu einer terroristischen Tat anzustiften. Dabei soll es
    keine Rolle spielen, „ob dabei terroristische Straftaten unmittelbar
    befürwortet werden“ und ob es in der Folge tatsächlich zu einer
    terroristischen Straftat kommt.
    "
  • Wichtiger Schlag gegen Terror-Eltern und ihre schwerkriminellen Kinder gelungen! Ich bin sehr froh, dass wir uns trotz anstehender Einschulung unseres Sohns nicht umgemeldet haben. Ich werde oft gefragt, warum ich das nicht mache, wo doch die Schulsituation in Berlin-Mitte so unerfreulich ist und er also leider nicht in die ca. 500m entfernte Schule wird gehen können. Jetzt weiß ich, dass ich mich richtig entschieden habe (vor allem, weil ich annahm, dass wir mit der Vollüberwachung dann garantiert Ärger kriegen). In Großbritannien hat eine Familie allein wegen des Verdachts des UmmeldensBerti, der Biometriebär eine Terrorfahndung an den Hals gekriegt.
  • Nach Snuggly, dem Sicherheitsbär stelle ich vor: Bert, der Biometriebär, bereits am 1.4. in Futurezone:
    Süß, lehrreich und charmant: "Bert, der Biometrie-Bär" soll den Kindern
    der EU beibringen, wie man seine Tatzen so auf den
    Fingerabdruck-Scanner legt, dass der Große Bär nicht böse wird.
Veröffentlicht unter de

Rechnen (können und wollen)

Mich sprang heute am Kiosk die Schlagzeile eines Blattes an, von dem ich bisher gar nicht wusste,Welt Kompakt 11.4. Linke Gewalt dass es existiert: Welt-Kompakt. "Linke Gewalt nimmt dramatisch zu". Oh, dachte ich, das klingt nach einem 1a-Hetzartikel. Was ihn halbwegs unterhaltsam macht, ist die Grafik, die den meisten Platz einnimmt. Die illustriert nämlich sehr schön, dass die politisch motivierten Kriminalität von rechts grob dreimal so häufig vorkommt wie von links (Die hellblauen Balken sind die rechten, die roten die linken – besser zu sehen bei Welt Online). Nebenbei auch ist gut zu sehen, dass die sog. ‚Ausländerkriminalität‘ im Vergleich vollkommen marginal ist.

Jörg van Essen von der FDP findet auch: "Starker Zuwachs linksextremistischer Straftaten ist beunruhigend". Soweit noch im (liberalen) Rahmen, aber seltsam diese Passage: "Dabei steht außer Frage, dass der leichte Rückgang der Zahl
rechtsextremer Straftaten keine Entwarnung darstellt. Der deutliche
Zuwachs bei linksextremistischen Straftaten gibt allerdings Anlass zu
großer Sorge. Er zeigt, dass Aktionen von Terrorverdächtigen wie zum
Beispiel von Mitgliedern der „militanten Gruppe“ nicht länger
verharmlost werden dürfen.
" Der Zusammenhang fehlt leider, und dass das mg-Verfahren kein Terrorismus-Verfahren mehr ist, muss der zuständige Mitarbeiter verschlafen haben.

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Die Horror-Show geht weiter

Ermittlungsrichter Hebenstreit (der anscheinend alles unterschreibt, was BAW/BKA
sich wünschen – hat der eigentlich nie Tatort gesehen? Da sind die
Richter irgendwie knackiger) hat der Vorladung von drei Zeuginnen im
mg-Verfahren zugestimmt. Die erste Vorladung findet Mittwoch (9.4.) in
Karlsruhe statt.

Update: Gut gegangen. Die heute vorgeladene Frau hat die Aussage verweigert und sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach §55 StPO berufen. Hebenstreit hat es akzeptiert und die BAW nicht.

Und, könnte man fragen, was ist das Problem,
wenn niemand was zu verbergen hat? Die Antwort stand kürzlich im
Spiegel (s.u.), allerdings bezogen auf die Stasi, was ja bekanntermaßen
was gaaanz anderes ist.

Schon im Oktober waren ca. 20 ZeugInnen vorgeladen
worden. Im November stufte der BGH das Verfahren vom
Terrorismus-Verfahren runter zu einem nach §129 (kriminelle
Vereinigung), und diverse andere §129a-Verfahren mussten von der BAW
abgegeben werden, weil es mit dem staatsgefährdenden linken Terrorismus
doch nicht so weit her ist.

Wir werden ständig gefragt, wann das sog.
mg-Verfahren endlich eingestellt wird. Und was geschieht?
Vorladungen nach Karlsruhe. Das ist keine freiwillige Veranstaltung,
und wenn die Vorgeladenen sich weigern sollten, über die Beschuldigten
auszusagen, können sie direkt im Gefängnis landen, für bis zu sechs Monate.

Dazu habe ich Anfang März die bewusste Spiegel-Passage gefunden,
die schön erläutert, warum jede scheinbar noch so belanglose
Information im Zweifelsfall eben doch eher gegen die Angeklagten
verwandt wird – wobei sie genau genommen ja immer noch nicht angeklagt
sind. Dann wären wir ja schon mal einen Schritt weiter und wüssten, was
eigentlich das Problem ist. Stattdessen werden munter weiter Daten
gesammelt und wird für völlig verhältnismäßig gehalten, Menschen aus
ihrem Alltag nach Karlsruhe zu zitieren und mit Haft zu bedrohen.

Im
Spiegel ging es um einen Schlittschuh-Trainer, der schon in der DDR
Schlittschuh-Trainer war und nebenbei Stasi-IM. Und das Problem, dass
er als Trainer deswegen nicht tragbar sei. Weil er aber nunmal so ein
guter Trainer ist und nicht irgendwen, sondern die Europameister im
Paarlauf trainiert, gab es ein Problem. Er selber findet ja, dass er
"gar nichts gemacht" und überhaupt nichts "Wichtiges" erzählt hat.
Damit er endlich begreift, dass bei der Stasi jede Information
verwertet wurde und alles wichtig war, musste er mit Gauck persönlich
reden. Der hat ihm erklärt, wie das funktioniert und dass es keine
unwichtigen Informationen gibt, aus Perspektive der Geheimdienste. 

 

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