Nachtrag: Berlins Brennende Autos

Der Autobrandstifter Andre H. aus Moabit steht gerade vor Gericht. Motiv „diffuser Sozialneid“ und „irgendwie verliebt“ (Tagesspiegel).

102 Autos soll er angezündet haben. Als links kann er beim besten Willen nicht bezeichnet werden, auch wenn das Motiv „Ich fand es ungerecht, dass sich andere teure Autos kaufen können und ich in Schulden stecke“ eine gewisse Verwandschaft zu linken Ideen hat.

„Dabei lebte der blasse Typ mit Stirnglatze bis dahin völlig unauffällig. Er ist gelernter Maler und Lackierer, lebte mit seiner behinderten Schwester und seiner krebskranken Mutter in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Moabit. Kein Alkohol, keine Drogen, tief religiös und in einer mormonischen Gemeinde.“ Berliner Kurier

Hat sich eingentlich irgendwer von denen entschuldigt, die der todsicher linksradikal-terroristischen Autoanzünder wegen mehr Überwachung gefordert hatten? Mehr V-Leute in der linken Szene? Vorratsdatenspeicherung? Überhaupt wegen der ganzen Hetzerei? Und erst die Funkzellenabfragen – die sind ja schon völlig in Vergessenheit geraten, obwohl sie nullkommanix gebracht haben, außer eben schön viel Daten für die polizeilichen Datenbanken.

„Insgesamt gingen 2011 in Berlin mehr als 700 Autos in Flammen auf. Etwa die Hälfte wird linksextremen Kreisen zugerechnet. Die übrigen Bandstiftungen sollen auf das Konto von Trittbrettfahrern und Versicherungsbetrügern gehen.“ Focus

Es wäre interessant zu erfahren, woher die Einschätzung stammt, dass die Hälfte ‚linksextremen Kreisen‘ zugerechnet wird. Genauso geraten wie alle anderen Zahlen? Einst sagte ein Sprecher der Berliner Polizei, immer, wenn ein verbranntes Auto einen bestimmten Wert übersteigt, werde von einer linksradikalen Tat ausgegangen.

Bei der Berliner Zeitung sieht das so aus:

403 Fälle von Autobrandstiftungen wurden im vergangenen Jahr insgesamt registriert. Dabei wurden 537 Autos direkt angezündet. 222 weitere Fahrzeuge wurden von den Flammen in Mitleidenschaft gezogen. Weniger als ein Drittel der Taten wurde nach Einschätzung der Polizei aus politischer Motivation begangen.

 

„Die Methode war denkbar einfach: Ein Grillanzünder auf dem Vorderreifen des Wagens, mit dem Feuerzeug angezündet – das hatte er in einer Fernsehreportage gesehen.“ Süddeutsche

D.h. jede Reportage, die die Grillanzünder erwähnt, gleitet haarscharf an der Aufforderung zu Straftaten vorbei.

Die BZ hat sogar ein von der Überwachungskamera aufgenommenes Bild. Woher hat sie das eigentlich?

Ansonsten spielen angezündete Autos ja gerade kaum eine Rolle. Werden welche angezündet? Von wem? Warum (nicht)? Wieso redet niemand drüber? Wann wird wieder darüber geredet werden? Demnächst in diesem Kino.

Nacktscanner fördern Terrorismus

So oder so ähnlich könnten die Überschriften zum Video von Jonathan Corbett lauten, der getestet hat, wie sich Nacktscanner austricksen lassen. Am lebenden Objekt US-Flughäfen, was schon ziemlich mutig ist. Er hat sich dabei gefilmt und das samt Beschreibung im Video verewigt:

Es gibt allerhand Rummel:

Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Sicherheits-Hype nicht mit Sicherheit, sondern dem erfolgreichem Lobbyismus der Sicherheits-Unternehmen zu tun hat.

 

via Liminal States

 

Schröders Linksextremismus-Programm wissenschaftlich durchgefallen

Mit Studien hat die Bundesregierung in letzter Zeit nicht so viel Glück. Weniger Beachtung als die Muslim-Schock-Studie fand leider der Zwischenbericht des Deutschen Jugendinstituts (DJI), das Kristina Schröders 2010 gestartetes Programm „Demokratie stärken gegen Linksextremismus und Islamismus“ evaluiert.

Im Bereich „Linksextremismus“ fällt auf, dass zwar die Mehrheit der Projekte das Thema „Linksextremismus“ dezidiert aufgreifen möchte, dass hierbei aber sehr unterschiedliche Phänomene (z.B. „Menschenfeindlichkeit“, „Orientierungslosigeit“, „Terrorismus“ oder „Überwachung“) bearbeitet werden, bei denen der allgemeine bzw. der jugendpolitische Bezug zur Thematik teilweise noch Klärungsbedarf aufweist. Hier empfiehlt die Wissenschaftliche Begleitung, die (Weiter-)Entwicklung des sozialwissenschaftlichen Forschungsstandes und den Fachaustausch zu fördern und die Phänomene, die im Rahmen des Programmes bearbeitet werden sollen, auszudifferenzieren (z.B. „autonome Szene“, „Aktionsorientierung“). Zu überdenken wäre, diese ggf. nicht übergreifend mit dem sozialwissenschaftlich umstrittenen Label „Linksextremismus“ zu belegen. (DJI, Ergebnisbericht der Wissenschaftlichen Begleitung des Bundesprogrammes „Initiative Demokratie stärken“. Berichtszeitraum 1.1.2011 – 31.12.2011. S. 106)

Die taz dazu: „Harscher kann Kritik von Wissenschaftlern kaum ausfallen.

Leider darf Kristina Schröder machen was sie will. Auch 2,5 Mio. Euro im Kampf gegen den Linksextremismus ausgeben, der sich laut Studie gar nicht so richtig zum bekämpfen eignet. Die vielfach zitierten Junge-Union-Sauffahrten nach Berlin werden davon genauso finanziert wie die Zeitbild-Broschüre, bei der schon das Symbol für Videokamera ein Hinweis auf linksextreme Gesinnung ist.

Es deutet sich jedoch an, dass mit dem Begriff „Linksextremismus“ so unterschiedliche Phänomene bezeichnet werden, dass zweifelhaft erscheint, inwieweit „Linksextremismus“ im sozialwissenschaftlichen und im pädagogischen Bereich … einen geeigneten Oberbegriff darstellt. (DJI-Bericht, S. 109)

Die Zeitbild-Broschüre kriegt gesondert ihr Fett weg:

Darin werde suggeriert, bereits die Äußerung „durch radikale Umverteilung müssen soziale Unterschiede beseitigt werden“, sei linksextremistisch, rügt das DJI. Das verdeutliche „den Bedarf an der Erforschung des Gegenstands, seiner möglichen Vorfelder und Ursachen, bevor pädagogische Prävention betrieben werden kann“. (taz)

Den Zwischenbericht gibt es weder beim Familienministerium noch beim DJI, aber die taz hat ihn.

Das Ministerium bewahrt Haltung:

In einer Stellungnahme gegenüber jW hat das Familienministerium gestern insistiert, »von einer negativen Bewertung oder gar scharfer Kritik konkreter Projektergebnisse durch das DJI kann keine Rede sein«. Es sei darum gegangen, »die Ausgangslage zum Start der Projekte zu beschreiben«, und diese sei »leider durch erhebliche Wissens- und Forschungslücken gekennzeichnet«. (junge welt)

Gefunden habe ich all das bei meinem neuen Lieblingsblog zum Thema: (links)extremismus.

 

Foto: Frank Hamm, CC-Lizenz, Flickr

 

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Zeit-Quiz: Wodurch machen Sie sich verdächtig?

Zeit Online hat ein sehr hübsches kleines Überwachungs-Quiz zum Thema „Wodurch machen Sie sich verdächtig?“. Es geht um überwachte E-Mails, Stille SMS, US-Heimatschutz, Funkzellenauswertung, Staatstrojaner.

Gar nicht so einfach – ich hatte sechs von sieben Fragen richtig. Wie schnell und warum wir diese Details vergessen, auch wenn wir uns viel mit Überwachung beschäftigen, erkärte letzte Woche Rebecca MacKinnon, als sie in Berlin ihr Buch „Consent of the Networked“ vorstellte: Die Leute nehmen Überwachung hin, weil sie nicht merken, dass es sie gibt.

1. Frage:
Die deutschen Geheimdienste haben im Jahr 2010 rund 37 Millionen E-Mails entdeckt, in denen Begriffe wie „Bombe“ vorkamen. Nach wie vielen Schlüsselbegriffen haben BND, Verfassungsschutz und MAD gesucht?

1.500? 15.000? 150.000? Hier klicken

mg-Überwachung durch den Verfassungsschutz war illegal

Das Gespenst militante gruppe (mg) kommt immer wieder. Denken z.Z. wahrscheinlich vor allem die versammelten Sicherheitsbehörden. Am Donnerstag, oh Genugtuung, wurde in Berlin eine Klage gegen den Verfassungsschutz verhandelt. Wegen der jahrelangen Überwachung von Leuten, denen Mitgliedschaft in der mg unterstellt wurde. Eine ganz andere Gruppe von Leuten übrigens als die, mit denen gemeinsam Andrej deswegen überwacht wurde; war ja auch Jahre vorher.

Die jahrelange Ausspähung der zeitweise zwölf angeblichen mg-Aktivisten erfolgte mit enormem Aufwand: Bei U. etwa wurden sämtliche seiner Telefonate, E-Mails und Postsendungen kontrolliert, auf die Eingangstür seiner Wohnung und seiner Bäckerei waren Kameras gerichtet, selbst sein Auto wurde verwanzt. Der Ertrag war gleich null: Belege für eine Mitgliedschaft in der mg oder auch nur für Hilfsdienste zugunsten der linksradikalen Brandstifter wurden bei der acht Jahre andauernden Rundumüberwachung bei keinem der Verdächtigen gefunden. (Freitag)

 

Selbst zeitweises Nichttelefonieren habe das Bundesamt als Anhaltspunkt für den angenommenen Verdacht angesehen, erklärten die Richter. Das heißt, wer telefoniert, macht sich verdächtig, wer belanglose Gespräche führt, noch verdächtiger und wer gar nicht telefoniert, ist extrem verdächtig, weil er seine Untergrundaktivitäten besonders geschickt tarnt. Es gab keine Taten, keine Täter, nur einen Verfassungsschutz, der sich über alle Rechtsnormen hinweggesetzt hat. (Neues Deutschland)

Es geht nicht nur um den Verfassungsschutz, sondern auch um die G10-Kommission. Die genehmigt die Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste, also auch des Verfassungsschutzes. Bei dieser ‚ersten Runde‘ angebliche mg ging das acht Jahre lang (1998 – 2006).

..alle drei Monate wurden die Maßnahmen als „zulässig und notwendig“ bestätigt. (Freitag)

Schmankerl:

Auch falle auf, dass in den Jahren 1998 bis 2000 in den Berichten der G10-Kommission an den Bundestag keine Überwachungsmaßnahmen gegen linksextremistische Personen erwähnt wurden. „Das könnte den Schluss zulassen, dass in diesen Jahren das Gremium überhaupt nicht mit dem Vorgang befasst gewesen ist“, sagt Anwalt Gerloff. (Freitag)

Warum machen sich die Betroffenen die Mühe? So eine Klage schüttelt man sich ja nicht aus dem Ärmel. Das ist mühsam, dauert und Spaß macht es auch keinen.

Es sei ihm nicht um Revanche gegangen, sondern darum, dem Verfassungsschutz zu zeigen, „dass er nicht alles machen kann, was er will“. Die Sache sei ja eine Posse, findet U. – wäre sie nicht so ernst. Denn während das Amt exzessiv gegen links ermittelte, hätten Nazis unbemerkt gemordet. (taz)

Auftritt Verfassungsschutz:

Es sei Pflicht der Staatsschützer gewesen, nach den schweren Anschlägen alle Spuren zu verfolgen, so Wolff. Die Beschatteten seien langjährig in der linken Szene aktiv gewesen, hätten in Polittexten Wortgruppen benutzt, die auch in Bekennerschreiben der „militanten gruppe“ auftauchten.

Wortgruppen, sicher. Die G10-Kommission ist übrigens dieselbe, die die Überwachung der 37 Mio. E-Mails aller E-Mails genehmigt. Bombe, und so.

Es hat sich gelohnt:

… das Gericht beschert den Staatsschützern die nächste Klatsche: Auch die fünf Richter werten die Observationen als rechtswidrig. Für die Maßnahmen hätten „von Anfang an keine gesetzlichen Voraussetzungen“ vorgelegen, urteilen sie. (…)

.. „tatsächliche Anhaltspunkte“ für die Zugehörigkeit der Beschatteten zur „militanten gruppe“ nie geliefert.  (taz)

Griechenland – Not in my Name

Ich freue mich über ACTA-Proteste, aber mindestens so sehr wünsche ich mir, dass auch hier Menschen gegen den Wirtschaftskrieg gegen Griechenland auf die Straße gingen, der von Deutschland maßgeblich verantwortet wird. Und zwar nicht, weil es auch für uns hier irgendwann eng wird, sondern weil es unerträglich ist, dass ausgerechnet Deutschland für das Elend der Griechinnen und Griechen verantwortlich ist. Während noch immer die Massaker des Zweiten Weltkriegs nicht entschädigt sind.

not in my name.

Ein Offener Brief, z.Z. vor allem von französischen Intellektuellen unterstützt:

Retten wir die griechische Bevölkerung vor ihren Rettern

In eben dem Moment, in dem jeder zweite jugendliche Grieche arbeitslos ist, in dem 25000 Obdachlose durch die Straßen von Athen irren, in dem 30% der Bevölkerung unter die Armutsschwelle gefallen sind, in dem Tausende von Familien dazu gezwungen sind, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, damit sie nicht vor Hunger und Kälte sterben, in dem die neuen Armen und die Flüchtlinge sich auf den öffentlichen Müllhalden um die Abfälle streiten – in eben diesem Moment zwingen die „Retter“ Griechenlands unter dem Vorwand, dass die Griechen „sich nicht hinreichend Mühe geben“, diesem Land einen neuen Hilfeplan auf, der die verabreichte tödliche Dosis noch einmal verdoppelt. Dieser Plan schafft das Recht auf Arbeit ab, stürzt die Armen in extremes Elend und bringt zugleich die Mittelklassen vollständig zum Verschwinden.

Das Ziel dieser Operation kann gar nicht die „Rettung“ Griechenlands sein: in diesem Punkt sind sich alle Wirtschaftswissenschaftler einig, die überhaupt diesen Namen verdient haben. Es geht darum Zeit zu gewinnen, um die Gläubiger zu retten, während zugleich das Land in einen zeitverschobenen Konkurs getrieben wird. Und es geht vor allem darum, Griechenland zu einem Laboratorium einer gesellschaftlichen Veränderung zu machen, die dann in einem zweiten Schritt auf ganz Europa verallgemeinert werden wird. Das auf dem Rücken der Griechen experimentierte Modell ist das einer Gesellschaft ohne öffentliche Dienste, in der die Schulen, die Kliniken und die Abgabestellen für Medikamente zu Ruinen verfallen, in der Gesundheit zu einem Privileg der Reichen wird und in der die besonders verwundbaren Bevölkerungsteile zu einer planmäßigen Eliminierung bestimmt sind, während jene, die noch Arbeit haben, zu extremen Formen der Verarmung und der Prekarität verurteilt werden.

Damit diese Offensive des Neoliberalismus aber ihre Ziele erreichen kann, muss ein Regime eingesetzt werden, dass die elementarsten demokratischen Rechte schlichtweg einspart. Wir müssen daher sehen, wie in Europa auf Anweisung der Retter Regierungen von Technokraten gebildet werden, die sich einen Dreck um die Volkssouveränität kehren. Damit geht es um eine Wende in den parlamentarischen Regimen, in der zu beobachten ist, wie die „Volksvertreter“ den Experten und den Bankern freie Hand geben und auf das ihnen zugeschriebene Recht, Entscheidung zu treffen, einfach verzichten. Gewissermaßen ein parlamentarisch vollzogener Staatsstreich, der dann auch gegen die Protestaktionen des Volkes auf einen erweitertes Arsenal an Unterdrückungsmaßnahmen zurückgreift. Auf diese Weise hat in dem Moment, in dem die Abgeordneten – in direktem Gegensatz zu ihrem bei ihrer Wahl übernommenen Auftrag – das von der Troika (EU, ECB, IMF) diktierte Abkommen ratifiziert haben, eine Staatsgewalt, der jegliche demokratische Legitimität abgeht, die Zukunft des Landes für dreißig oder auch vierzig Jahre verpfändet.

weiter..

Es gibt Übersetzungen in die meisten europäischen Sprachen.

Update: Hier kann unterschrieben werden (Danke Ingo)

2010 wurden in Deutschland 37 Mio. E-Mails überwacht

So eine Überschrift gibt’s in der ‚Bild‚ ja auch nicht alle Tage. Sprich, wenn sogar die das bemerkenswert finden, muss es ernst sein.

Hintergrund ist ein Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG), das theroretisch die Geheimdienste überwacht. Weil die sonst von überhaupt niemandem kontrolliert werden, im Unterschied etwa zu BKA und der Polizei im Allgemeinen, die im Vergleich zum PKG ein Hort der Transparenz sind. Hier entsteht die Pikanterie im Kontext Linkspartei, dass die Linke per PKG den Verfassungsschutz überwacht, der seinerseits die Linke überwacht. So oder so ist das alles aber so geheim, dass die, die kontrollieren, all ihr Wissen für sich behalten und mit ins Grab nehmen müssen. Demokratie eben.

Im Bericht (PDF)

geht es um Auskunftsverlangen bei Telekommunikationsunternehmen und den Einsatz des IMSI-Catchers zur Ermittlung des Standortes von Mobilfunkgeräten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD).

.. für das Jahr 2010. Digitale Linke hat die Details. Es steht erwartungsgemäß nicht soo viel drin, außer dass der Verfassungsschutz deutlich mehr Abhörmaßnahmen dokumentiert als die beiden Auslandsgeheimdienste BND und MAD. Warum, werden wir wohl nie erfahren.

Interessant wäre, woher die ‚Bild‘ die Zahl der 37 Mio. überwachten E-Mails hat, die steht nämlich nicht im Bericht. Auch nicht, wie das genau passiert und nach welchen Schlagworten gesucht wird.

Im Jahr 2010 wurden danach 37.292.862 Emails und Datenverbindungen überprüft, weil darin bestimmte Schlagwörter (z.B. Bombe, Atom, Rakete usw.) vorkamen. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als verfünffacht. 2009 waren 6,8 Mio. Internet-Kommunikationen überprüft worden.

Aber vielleicht weiß ja Twitter-Star Peter Altmaier (CDU) mehr? Der war 2010 der  Vorsitzende des PKG und hat den Bericht unterschrieben.

Update: Verschwörungstheorie zurück, es gibt eine einfache Erklärung: Es gibt zwei Berichte

  • Den G-10-Bericht 2010 – Bericht gemäß § 14 Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) (Drucksachen-Nummer 17/8639, veröffentlicht am 10.2.12)
  • Den TBG-Bericht 2010 – Bericht zu den Maßnahmen nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz (Drucksachen-Nummer 17/8639, veröffentlicht am 10.2.12)

Die Zahlen der überwachten E-Mails etc. stehen im G10-Bericht, allerdings auch da nicht die Suchworte, die bei BILD genannt werden. Vielleicht lohnt es sich, beim Parlamentarischen Kontrollgremium selbst genauer nachzusehen, aber ich ahne, dass das da auch nicht steht.

Polizeigewerkschaft macht sich Gesetze, wie es ihr gefällt

Das machen wir ja nicht zum Spaß, und schon gar nicht bei irgendwelchen Eierdieben. Hier geht es um die Aufhellung terroristischer Netzwerke. (Rainer Wendt)

Spätestens hier ist klar: da stimmt was nicht. Wenn die Polizeigewerkschaft die Terroristen bemüht, sind die Grundrechte schon zerbröselt.

Das Verfassungsgericht sollte es wieder richten. Freitag wurde über eine Klage aus dem Umfeld des AK Vorrat entschieden. Gegen den Zwang, persönliche Daten beim Kauf von SIM_Karten angeben zu müssen, Speicherung von Daten bei Telekommunikations-Unternehmen (TelKos) länger als nötig, staatlichen Zugriff auf Daten. Details bei netzpolitik.org

Andreas Bogk, CCC, im heutejournal zum Sprecher der Polizeigewerkschaft: „Er ruft die Polizisten des Landes, auf das geltende Recht zu brechen!“. Nicht neu, aber nicht häufig in den Abendnachrichten:

http://www.youtube.com/watch?v=vrwU1rX7xf4

Gulli dazu.

Al Jazeera über die Polizeidirektion Hannover.. bei Facebook

The Stream, das tägliches Programm von Al Jazeera English über Soziale Medien, hat sich gestern mit Polizei-Aktivitäten in Sozialen Netzwerken beschäftigt: Big Brother or clever crime fighting? (Big Brother oder clevere Verbrechensbekämpfung?)

Die Polizeidirektion Hannover hat mithilfe ihrer Facebook-Seite (nee, wird hier nicht verlinkt, findet Ihr auch selber) letztes Jahr acht Personen festgenommen, nachdem deren Gesichter auf der Facebook-Seite veröffentlicht worden waren – im Pilotprojekt „Fahndung“. Die PD Hannover ist total erfolgreich: fast 100.000 Likes, und verschiedene Städte überlegen, ob sie das nicht auch mal probieren sollten.

The Stream fragt: Ist das eine Verletzung von Privatsphäre oder eine neue Art, die Community in Polizeiarbeit einzubeziehen?

http://www.youtube.com/watch?v=L0XRd3uMCYs

Am 6. Februar wurde aus dem Modellversuch aus Hannover eine – echt nett präsentierte – dauerhafte Einrichtung:

Hallo liebe „Fans“ bei Facebook,

wir haben hier eine Nachricht, die uns sehr freut – und viele von Euch vielleicht auch: Der Account „Polizei Hannover“ bleibt als dauerhafte Einrichtung erhalten, die Phase als „Modellversuch“ ist damit abgeschlossen! Das hat Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann gerade bei einer Pressekonferenz verkündet. Wir von „Polizei Hannover“ möchten uns ganz herzlich bei Euch bedanken – für Euer Vertrauen und für Eure tolle Unterstützung. Ohne Euch hätte es die heutige Entscheidung nicht gegeben.
Nochmals danke schön.

Also: Wir hören voneinander!
Eure „Polizei Hannover“

Ginger McCall (EPIC) krisiert bei The Stream ausdrücklich nicht jegliche Nutzung von Social Media. Wenn es z.B. darum geht, Vermisste zu finden, kann es sinnvoll sein, Soziale Medien zu benutzen. Wenn aber Bilder von Menschen gepostet werden, die von verdächtigt werden, gegen die aber faktisch nichts vorliegt, oder wenn Gruppen mithilfe von Überwachungstechnologien (siehe Funkzellenabfragen oder schlicht Videokameras) durchleuchtet werden, ist das wesentlich problematischer.

Außerdem geht’s um automatische Gesichtererkennung, deren Kombination mit Drohnen, darum, ob und wie Nutzerinnen und Nutzer selber verantwortlich sind für ihre Privatsphäre – oder sein sollten -, und um die Probleme, die sich für Zivilpolizei und verdeckte ErmittlerInnen ergeben, wenn Gesichtserkennungs-Software gegen sie eingesetzt wird. Hannover spielt zum Schluss keine Rolle mehr, da geht’s dann doch mehr um das Department of Homeland Security und die USA. Die grundsätzlichen Fragen stellen sich aber hier wie dort gleichermaßen.

 

The Stream ist übrigens ein echt gelungenes Beispiel dafür, wie interaktive Medien live genutzt werden können. Kommt mir selbstverständlicher vor als ähnliche deutsche Formate. ZDF Login probiert auch einiges, aber hat für meinen Geschmack noch deutlich zuviel Fernseh-Jingle-Schnickschnack dabei. Und die cheerleader-artige ZuschauerInnen-Animation mit mehreren Anläufen ist echt zu fett (ich hatte mal die Gelegenheit live im Publikum).

Bei ZDF Login geht’s übrigens morgen auch um die Polizei (und Rassismus).

Raul Zelik über seine VS-Überwachung

Auch Raul Zelik wurde vom Verfassungsschutz überwacht und hat in Freitag und WOZ beschrieben, wie er davon erfuhr und was die Auswirkungen waren – nicht lustig nämlich.

Gründe?

..hat der Verfassungsschutz meinen Roman „Der bewaffnete Freund“ für bare Münze genommen und glaubt, ich hätte – wie die Hauptperson des Buchs – einen ETA-Führer mit dem Auto durch Spanien gefahren? Warum wurde die Überwachung wieder eingestellt? Und natürlich dachte ich sofort daran: Was habe ich in den letzten Jahren am Telefon gesagt, was mir peinlich oder unangenehm sein müsste?

Raul Zelik, der lange in Berlin lebte, ist inzwischen Professor in Kolumbien. Und hatte damit Glück, denn das hätte auch anders kommen können: 2005 hat er eine Menschenrechtsdelegation nach Kolumbien organisiert, Der VS meldete dies den Kollegen von der Geheimpolizei in Kolumbien, und die sind noch deutlich weniger zimperlich als der deutsche Inlandsgeheimdienst.

Diese Denunziation war alles andere als eine Lappalie. Die Geheimpolizei DAS war in den vergangenen 15 Jahren das Zentrum des schmutzigen Kriegs in Kolumbien. Jorge Noguera, 2002 bis 2005 Leiter der Polizeibehörde, wurde unlängst zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er rechten Todesschwadronen Listen mit zu ermordenden Gewerkschaftern hatte zukommen lassen.

Über den Verfassungsschutz zu reden ist nich mehr möglich, ohne den NSU zu erwähnen. Und dann kommt ein interessanter Schluss:

Ich war bislang der Überzeugung, Linke sollten sich nicht allzu lautstark über staatliche Überwachung beklagen. Erstens hat die Linke Geheimdienstsysteme hervorgebracht, gegen die der bundesdeutsche Verfassungsschutz eine reine Witzveranstaltung ist, und zweitens dürfen sich KritikerInnen des Staats nicht wundern, wenn dieser ihnen misstraut. Inzwischen wissen wir: Zehn Menschen könnten noch leben, wenn die Geheimdienste ihre Arbeit gemacht hätten. Ihre Aufmerksamkeit und ihr ganzes Engagement jedoch galt anderen Milieus, anderen Überzeugungen – ein Zufall ist das nicht.