Datenschleuder zu Überwachung

Titel Datenschleuder #92Die neue Datenschleuder ist im Erscheinen, der Eigenbeschreibung nach das wissenschaftliche fachblatt für datenreisende, ein organ des chaos computer club

Darin allerhand zu den Themen Überwachung und Datenschutz und nicht zuletzt ein Interview mit mir, das zuerst im Dezember bei gulli erschien. Außerdem gibt’s zum Heft einen Fingerabdruck von Schäuble. Woher der stammt und was damit alles Hübsches gemacht werden kann, wurde schon beim Congress im Dezember sehr unterhaltsam beschrieben (Video mp4). Der CCC protestiert damit gegen die ‚biometrische Vollerfassung‘.

Nachtrag: Der Fingerabdruck macht einen fantastischen Wirbel. Das BMI kündigt an, rechtliche Schritte zu prüfen (Netzzeitung) und es gibt eine wilde Debatte darüber, ob die Abdrücke eigentlich echt seien (Frankfurter Magazin). Außerdem schreiben dazu Zeit Online (mit dem schönen Titel "Schäubles Zeigefinger gehackt"), SPON , Welt online ("CCC jagt Angela Merkel") und noch viele andere. Der CCC freut sich auf die Auseinandersetzung vor Gericht, ob der Besitz fremder Fingerabdrücke nun erlaubt sei oder nicht.

Aus dem Datenschleuder-Editorial:

Wir haben ja zusammen noch gefeiert bis Silvester. Die Ausnüchterung
begann am 1. Januar 2008. Dann kam die Vorratsdatenspeicherung. Und was
die jetzt nicht alles vorratsspeichern! Allein schon bei Telefonaten:
Alle beteiligten Rufnummern und die Seriennummer der benutzten Geräte,
die Dauer der Telefonate. Und bei Handys sogar den Standort, wann immer
etwas ein- oder ausgeht. Ein schwacher Trost nur, daß wir uns dem
neuerdings doch noch entziehen können. Und dazu müssen wir nicht einmal die Telefone
wegwerfen. Es reicht schlicht, in die Nähe von Gefängnissen zu ziehen.
Dort ist durch die Handy-Blocker ein bißchen Ruhe im GSM-Netz.

Und nach dem nächsten Congress? Kommt dasselbe in grün für das
Internet: Die speichern unsere E-Mails. Inklusive aller
Pharmapropaganda und Körperteilverlängerungen, dazu VoIP und Webseiten.
Wir sind nicht einmal beim Pr0n-Surfen mehr alleine. Aber es sollte uns
beruhigen zu wissen, daß es nicht der böse, an allen Ecken und Enden
datenverlierende und für kein verkacktes IT-Großprojekt zu vorsichtige
Staat ist, der dort die Informationen speichert. Nein! Wir können uns
sicher sein, daß die zum Speichern gezwungenen Dienstleister alles in
Hochsicherheitsinformationsendlagern versiegeln und einmotten werden.
Allein schon, um sich vor dem Drang zu schützen, diese Daten selber zur
Verbesserung der Kundenbeziehungen zu gebrauchen.

 

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BKA ist nicht Stasi*

War bisher irgendjemand geschockt? Es gibt ja nichts, was nicht noch zu toppen wäre. Presseerklärung des telegraph:

Nach Informationen der ehemaligen DDR-Oppositionszeitschrift
telegraph ist bei den Ermittlungen gegen die so genannte „militante
gruppe“ (m.g.) auch Material aus persönlichen MfS-Opferakten von
DDR-Oppositionellen zur Erstellung eines aktuellen Personenprofils
herangezogen worden.

Die MfS-Akten stammten aus dem Jahr 1988, als Teile der
DDR-Opposition auch im Osten erfolgreich gegen den Westberliner IWF-
und Weltbankgipfel mobilisierten. Das BKA hat versucht, mit Hilfe der
Arbeit ihrer Kollegen von der DDR-Staatssicherheit zu belegen, dass
schon damals Kontakt zu "terroristischen Kreisen" im Westen bestanden
hätte. Im konkret angeführten Fall meinte das MfS damit in ihren
Unterlagen u.a. die Umweltorganisation GREENPEACE.
(…)
telegraph-Redakteur Dirk Teschner saß in den 80er Jahren aus
politischen Gründen selbst in Stasi-Haft. Teschner: „Uns kommt das
alles sehr bekannt vor. Fast auf den Tag genau vor zwanzig Jahren
geriet unsere Redaktion schon einmal ins Visier der Staatssicherheit.
In der Aktion „FALLE“ überfiel die Stasi 1987 die Redaktionsräume in
der Berliner Umweltbibliothek, Redakteure wurden verhaftet. Damals hieß
unsere Zeitschrift noch UMWELTBLÄTTER und der Ermittlungs-Paragraph
nicht 129a sondern §218 (Vereinigung zur Verfolgung gesetzwidriger
Ziele)."

telegraph-Redakteur Andreas Schreier: „Inwieweit unsere
journalistische Arbeit von diesen Entwicklungen betroffen ist, können
wir nur erahnen. In den Ermittlungsakten sollen Observationsfotos vom
Sitz der telegraph-Redaktion (Haus der Demokratie und Menschenrechte)
auftauchen und die überwachten Emails des Hauptbeschuldigten Dr. Andrej
Holm lagen auf dem Mailserver unserer Redaktion. Wir als Redakteure
wurden bereits von der Bundesanwaltschaft vorgeladen und darüber
belehrt, dass uns, wenn wir nicht zu unseren Autoren aussagen würden,
Geldstrafen und bis zu sechs Monate Beugehaft drohen würden. Wir sagten
nicht aus. (…)

Seit dieser Woche gibt es eine neue Ausgabe des telegraph, die Nummer 115. Aus dem Editorial:

Oppositionelle, Terroristen, Kriminelle 

Berlin, Prenzlauer Berg, vor 20 Jahren. Am 25. November 1987, gegen
0.00 Uhr dringen mit den Rufen „Hände hoch, Maschine aus!“ etwa 20
Mitarbeiter der Staatssicherheit und ein Staatsanwalt in die Räume der Umwelt-Bibliothek Berlin ein, die auch die Redaktionsräume der Samisdatzeitschrift Umweltblätter
sind. Sieben Leute waren gerade beim Drucken der neuen Ausgabe. Die
Durchsuchung wird mit einem §218 (Vereinigung zur Verfolgung
gesetzwidriger Ziele) begründet. Die Anwesenden Redakteure und
Mitarbeiter der Umweltblätter werden festgenommen, die
Druckmaschinen (Wachsmatrizenmaschinen, Jahrgang 1900, 1936, 1953,
1970), die gerade gedruckte Seite 28 der Umweltblätter und
eine nicht fertiggestellte Ausgabe der Zeitschrift Grenzfall Nr.11
werden von den Organen der Staatssicherheit beschlagnahmt. Bis zum
nächsten Abend werden fünf der Festgenommenen wieder freigelassen. Nach
der Stasiaktion gegen die „Druckerei der Berliner Opposition“, die den
Namen „Aktion Falle“ hat, kommt es zu bis dahin nicht für möglich
gehaltenen öffentlichen Protestaktionen innerhalb und außerhalb der
DDR. Vor der Berliner Zionskirche werden Mahnwachen errichtet, die
erste wird noch von der anrückenden Polizei abgeräumt, die beteiligten
Personen auf LKWs verladen und abtransportiert. Trotzdem wächst die
Zahl der Demonstranten weiter stetig an. Überall in der DDR kommt es zu
Protestaktionen, es wird ein Mahnwachenbüro eingerichtet und
Informationsveranstaltungen durchgeführt. Und die Proteste zeigten
Wirkung: Auch die beiden letzten der Inhaftierten, Wolfgang Rüddenklau
und Bert Schlegel müssen am 28. November 1987 aus der Haft entlassen
werden, alle eingeleiteten Ermittlungsverfahren werden eingestellt und
sogar die Druckmaschinen zurückgegeben. Der Erfolg der
Solidaritätsbewegung und die schwere Niederlage der Hardliner in der
SED zeigt erste tiefgehende Risse im System auf, die dann zu den
bekannten Ereignissen Ende 89 führten.

      Berlin, Prenzlauer Berg, 20 Jahre später. Am 31. Juli 2007
dringen bewaffnete Spezialeinsatzkommandos gewaltsam in mehrere
Wohnungen ein. Die Zeitschrift telegraph, wie die Umweltblätter
seit Herbst 1989 heißen,  ist erneut ins Visier der Staatssicherheit,
diesmal jedoch ihrer gesamtdeutschen Ausgabe, geraten: Drei langjährige
Redakteure und Autoren und ein Unterstützer der Zeitschrift sind von
Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen und  im Fall des Soziologen
Andrej Holm  von wochenlanger Haft betroffen, zwei weitere Redakteure
einer mit längerer Stasi-Hafterfahrung, wurden als Zeugen von der
Bundesanwaltschaft vorgeladen und mit Geldstrafen und Beugehaft
bedroht. Der Vorwurf diesmal: § 129a – Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung. Dieser Paragraph ist der Schlüssel zum
Gruselkabinett eines totalen Überwachungsstaates: Er öffnet den
Ermittlungsbehörden dieses Landes die Tür zur gesamten Palette von
Observations- und Kontrollmaßnahmen gegen die politische Opposition,
teilweise zu Methoden, von denen die DDR-Staatssicherheit nur träumen
konnte: GPS-Wanzen am Auto, stündlich zugesandte stumme SMS aufs Handy,
Überwachungskameras rund ums Wohnhaus,  Überwachung des Surfverhaltens
im Internet, Speicherung und Auswertung der Emails, Observationen,
Überprüfung des Freundeskreises  und vieler weiterer Personen (in den
bisher freigegebenen Ermittlungsakten tauchen Namen von 2.000 (!)
Menschen auf) – das volle Programm, rund um die Uhr.

(…)

Diese Ausgabe des telegraph widmet sich daher auch gänzlich
dem Thema des aktuellen Falls und beleuchtet den Umgang mit dem § 129a
und dem Weg dahin, der Geschichte des Politischen Strafrechts der
früheren BRD bis in die Gegenwart.

Zu bestellen über http://telegraph.ostbuero.de/

 

* Auf vielfache Frage: der Titel ‚BKA ist nicht Stasi‘ ist entstanden in Anlehnung an das Orwell’sche ‚Krieg ist Frieden‘. 

Presseschau

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Die Zeit beschäftigt sich heute anhand unserer Erlebnisse damit, was Terrorismus ist.  Genau wie der Spiegel, der einen interessanten Artikel von Paul Krugman aus der New York Times übernommen hat, in dem die Frage aufgeworfen wird, wem es eigentlich nützt, Menschen Angst vor Terrorismus zu machen. Im Freitag erschien ein Gespräch mit Gerhard Baum über 1968, den Deutschen Herbst und die Deformation der liberalen Demokratie zum Präventionsstaat. Es wurde zuerst in längerer Fassung am 16.9. im Deutschlandfunk gesendet und kann dort auch noch gehört werden (22 min mp3, flash). Und schliesslich fragt auch die Kulturzeit auf 3sat heute um 19:20: Generalverdacht. Ist jetzt alles Terrorismus?