Kleine Lauschangriffe & die fürsorgliche Belagerung

Anja Reich hat ein unangenehmes Problem schön gelöst: die Gestaltung des Magazins der Berliner Zeitung dieses Wochenende zum Thema "Grundgesetz". Sehr unterschiedliche unterschiedlich bekannte Leute beschreiben ihr Verhältnis zu den Grundrechten. Andrej Holm gehört zu der illustren Gesellschaft – zum Post- und Telekommunikationsgeheimnis -, andere sind u.a. Angela Merkel, Hans-Jürgen Papier (Präsident des Bundesverfassungsgerichts), Kai Diekmann (Chefredakteur der Bild), Dieter Hundt (Arbeitgeberpräsident). Und ein Meerschweinchenzüchter, eine alleinerziehden Mutter und noch andere.

Kleine Lauschangriffe

von Andrej Holm

Ich telefoniere immer mit dem BKA, wenn ich telefoniere. Nicht, dass
mich die Beamten persönlich anrufen oder überhaupt mir mir sprechen
wollten. Seit September 2006 wird wegen der angeblichen Mitgliedschaft
in einer erst terroristischen, dann kriminellen Vereinigung gegen mich
ermittelt: Meine Telefongespräche werden abgehört, meine E-Mails
gelesen und selbst Kneipenabende im Rahmen sogenannter. "Kleiner
Lauschangriffe" aufgenommen. (…)

Vielleicht haben sie jetzt aufgehört, mich zu überwachen. Vielleicht
nicht. Wir leben mit der Gewissheit, dass wir uns keine Mühe geben
müssen, etwas für uns zu behalten, dass immer jemand mithören kann. Da
hilft auch die beste Verfassung nicht viel.

Ich selber bin wesentlich weniger spektakulär zum selben Thema zu lesen, im Kölner Stadtanzeiger vom Donnerstag:


Meine fürsorgliche Belagerung

(…). Ich glaube schon, dass die Bundesanwaltschaft auch von dem Interesse
geleitet wird, Daten zu sammeln. Wird so ein Verfahren gegen jemanden
geführt, werden Freunde und Bekannte mit durchleuchtet. Da kann man
Profile von politischen Szenen erstellen. Vielleicht vermutet man ja,
dass demnächst die Republik von linken Terroristen gestürzt wird.
Obwohl ich die seit Jahrzehnten nicht mehr wahrnehme. Es gibt auch die
Theorie, dass sich die Abteilung „Linksterrorismus“ beim BKA nicht
auflösen möchte, weil keiner Lust hat, Arabisch zu lernen.

Warum sich die Redaktion hier für die Vokabel "fürsorglich" im Titel entschieden hat, entzieht sich mir allerdings ein bisschen.

Herr Dr. Schäuble und Herr Dr. Holm

Bisher 16 Interessierte warten auf die Antwort vom Innenminister auf die folgende Frage bei Abgeordnetenwatch. Wir auch:

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

schon seit längerer Zeit verfolge ich die Geschehnisse um den Fall
"Andrej Holm". In meinen Augen kommt da einiges an Ungerechtigkeit
zutage. Z.B. gab es auch einen sehr erschreckenden (auch etwas
stilistisch überspitzten, aber trotzdem schockierenden) Kurzfilm in der
Kurzfilmreihe "Deutschland 09", die zum Monatsanfang in den Kinos lief,
der die Geschehnisse schilderte.

Vor zwei Wochen wurde das Thema auch in der ZDF-Dokumentation "Der
gläserne Deutsche" behandelt. Diese wirft bei mir aber nur weitere
Fragen in Richtung staatliche Willkür auf.
Ich bin also der Meinung, dass eine Stellungnahme zu dem Fall und
möglicherweise bezüglich der Thematik ansich von staatlicher Seite
dringend nötig wäre, um ein Mindestmaß an staatlicher Transparenz
gegenüber den (zumeist unbescholtenen) deutschen Bürgern zu
gewährleisten.

Ich muss zugeben, dass ich mit keiner konstruktiven Antwort rechne,
würde mich aber freuen, wenn Sie mich in dieser Hinsicht überraschen
würden.

Zweimal drei macht vier* – Neues zur ‚militanten gruppe‘

In der Berliner Zeitung fand sich heute eine putzige Meldung in der Randspalte:

Dresdner Anschlag durch Linksextreme verübt?

Für den Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr in Dresden kommt nach Ansicht des Brigadegenerals Franz Xaver Pfrengle die linksextremistische "militante gruppe" aus Berlin in Betracht.

(Bin ich froh, dass wir in Italien waren, als in Dresden 42 Bundeswehrfahrzeuge ausbrannten) Weiterlesen

Klima-Aktivistin schneidet Anwerbegespräche der britischen Polizei mit

http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Venedig_BW_1.JPG?uselang=deDass die Polizei im Bereich Erkenntnisgewinn oft alleine nicht recht weiter kommt, habe ich schon im Grundstudium Politik gelernt. Ohne die Denunziationen aus der Bevölkerung wäre die Gestapo weit weniger erfolgreich gewesen (nein, das ist selbstverständlich kein Vergleich, keine Relativierung, nix).

Der Guardian hat vor einer Woche Audio-Mitschnitte von Gesprächen zwischen zwei britischen Zivilbeamten und einer Klima-Aktivistin der Gruppe Plane Stupid veröffentlicht, die sich aus Klimaschutzgründen gegen den Ausbau von Flughäfen einsetzt. Gegenstand des Gesprächs: sie sollte überredet werden, Informationen über Mitglieder ihrer Gruppe weiterzugeben.

Officer 1: (…)we work with hundreds of people, believe me, ranging from terrorist
organisations right through to whatever. To the others as we like to
call them. Environmentalists. We have people who give us information on
environmentalism, leftwing extremism, rightwing – you name it, we have
the whole spectrum of reporting.

Matilda ‚Tilly‘ Gifford hatte die Nerven, die Gespräche aufzunehmen:

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Berliner Zeitung: Hörensagen als Beweis

Die Muppets werden uns noch lange begleiten. Heute standen sie in der Berliner Zeitung:

Hörensagen als Beweis. Die Ankläger im mg-Prozess erleiden einen Rückschlag

Zergeht doch auf der Zunge.

Im Berliner Prozess gegen angebliche Mitglieder der
linksextremistischen Vereinigung "militante gruppe" (mg) gerät die
Bundesanwaltschaft zunehmend in Beweisnot. Bislang ist es den Anklägern
nicht gelungen, stichhaltige Belege für eine mg-Mitgliedschaft der drei
Angeklagten vorzulegen.

Bei dem Prozess wird immer offenkundiger, dass die Sicherheitsbehörden so gut wie nichts über die Struktur der Gruppe wissen.

Es geht weiter um die Verfassungsschutz-Quelle, die so sicher wusste, wer zur mg gehört und wo nun zugegeben werden musste, dass dieses Wissen nur "vom Hörensagen" stammt, und um die mg-Texte, die das BKA selber geschrieben hat. Und das im Prozess erstmal vergessen hatte. Na, kann ja mal vorkommen. 

Ein "Versehen", wie die Bundesanwaltschaft jetzt in einem Brief an das Kammergericht schrieb.

ZDF: Der gläserne Deutsche, starring Andrej Holm

Vor zwei Wochen lief im ZDF mitten in der Nacht die Dokumentation "Der gläserne Deutsche". Weil ich wusste, dass irgendwo im hinteren Teil Andrej über unsere Überwachung und die Auswirkungen davon zu Wort kommt – samt Originalbildern aus unserer Wohnung! – , habe ich nicht alles wirklich gründlich gesehen. Insgesamt wirkt es aber wie eine ziemlich aufwendige Recherche mit guten Geschichten zu diversen Aspekten des Themas Überwachung: in Betrieben, gegen Gewerkschafter, durch Datenhandel oder RFID-Chips. Und eben Anti-Terror-Hysterie.

Noch ist sie in der ZDF-Mediathek zu sehen (bei netzpolitik.org gibt es Tips, wie Videos da rausgeholt werden können). Bei YouTube gibt’s das Ganze in fünf Teilen. Die beiden letzten, in denen Andrej zu Wort kommt, gibt es hier. Teil eins, zwei und drei dort. Bei archive.org auch zum Anklicken, als mp4 (186mb), wmv (507mb) oder ogv (179mb)

 
http://www.youtube.com/watch?v=C8bO-AorifA

BKA-Zeuge lügt (schlecht) über gefälschte Akten

Statler & Waldorf, by andrewschreyer [at] ymail.com, http://www.flickr.com/photos/-sel-/60124583/ http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.enDas BKA lügt. Das wird jetzt niemanden besonders überraschen. Ein paar pikante Details sind heute von den Anwältinnen im mg-Verfahren ans Tageslicht geholt worden.

Hintergrund: die militante gruppe (mg) hat nicht nur selber reichlich und lange Texte geschrieben, sondern auch dazu aufgefordert, sich an einer sog. ‚Militanzdebatte‘ zu beteiligen. AutorInnen namens „Die zwei von der Muppetshow“ beteiligten sich daran. Auf die Frage, ob er wisse, wer das sei, verneinte der heute in Moabit vernommene Zeuge Damm vom BKA.

Offenbar waren aber in die Akten der AnwältInnen ein paar Sachen geraten, die das BKA eigentlich für sich behalten wollte: u.a. der Vermerk

Nur für die Handakte: Der Text wurde vom BKA verfasst und an die Interim versandt, um eine Reaktion bei der „militante gruppe (mg)“ zu provozieren und gleichzeitig auf die Homepage des BKA (Homepageüberwachung) hinzuweisen.

Als ihm das präsentiert wurde, musste er dann zugeben, dass er doch wusste, von wem der war. Und auch noch ein anderer Text.

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Gefährder – Filmstart nächste Woche

deutschland 09 PlakatHans Weingartners Kurzfilm "Gefährder" über Andrejs Festnahme und ein paar Hintergründe kommt nächste Woche in die Kinos. Nicht allein, sondern zusammen mit 12 anderen Kurzfilmen im insgesamt 2,5 Stunden langen Film "Deutschand 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation". Das hatte ich vor einem Monat schon beschrieben, als der Film bei der Berlinale Premiere hatte.

Da hatte ich auch schonmal einen Pressespiegel erstellt. Der Kinostart in Berlin ist am Donnerstag in der Kulturbrauerei. Wer wissen will, wann er woanders läuft, bitte hier entlang. Ich fand einige gut, einige interessant, einige schlecht. Der ganze Film ist wirklich sehr lang.

Auf der Website zum Fim gibt’s allerhand Schnickschnack – ein Presseheft, die obligatorischen Facebook-, Myspace– und Youtube-Seiten. Dazu Aufrufe, sich am Kurzfilmwettbewerb zum Thema "Deutschland 09" zu beteiligen und darüber zu bloggen.

Interessant fand ich das Interview mit Hans Weingartner dazu (s.u.), warum er den "Gefährder" gemacht hat (Andrej wird aber mit j, und nicht mit ´ geschrieben..).

Ansonsten bleibt mir nur, darauf hinzuweisen – in Übereinstimmung mit dem Regisseur -, dass es sich um Fiktion
handelt. Insbesondere, was die Rolle der Frau des Boris (=Andrej) im
Film angeht. Viel Spaß, oder vielleicht besser Erkenntnis, beim
Gucken. 

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Mal wieder: BKA soll keine IP-Adressen auswerten

Plakat Netzwerkstecker des AK Vorrat, von Frans. CC-by-nc-nd-Lizenz http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bild:Netzwerkstecker.jpgSPON meldet optimistisch, dass das BKA jetzt endlich wirklich damit aufhören würde, die Daten der BesucherInnen seiner Homepage zu speichern und auszuwerten.

Das Bundeskriminalamt hat seit Juli 2001 regelmäßig Daten erhoben,
abgeglichen und gespeichert, ohne dafür offenbar eine ausreichende
Rechtsgrundlage zu haben. Ins Fadenkreuz dieses Screenings gerieten
dabei die Besucher der BKA-Homepage – und speziell diejenigen, die sich
mehrmals auf dieselbe Fahndungsseite geklickt haben. Das BKA versprach sich von der Homepage-Kontrolle offenbar Hinweise auf gesuchte Straftäter.

Davon hatte endlich auch Frau Zypries gehört und Anfang Februar einen Brief an die BAW und Justizbehörden geschrieben. Darauf soll das BMI (Bundesinnenministerium) das BKA angewiesen haben, damit aufzuhören.

Wirklich wirr an der Argumentation ist, dass die Vorratsdatenspeicherung davon kein Stück beeinträchtigt wird, und wo ist denn da bitte der Unterschied? Wenn das BKA die Daten der UserInnen seiner Seite speichert, sei das jedenfalls ein schwerwiegender "Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung". Aha.

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Schlapphüte heute noch schlapper. VS-Vize im mg-Prozess

Hiding Hare, by Chealion, http://flickr.com/photos/chealion/708449702/Wenn es nicht so ernst wäre, wäre der aktuell vom Berliner Kammergericht stattfindende Prozess gegen angebliche Mitglieder der ‚militanten gruppe‘ (mg) immer für ein paar Lacher gut. Heute war der Vize-Präsident des Verfassungsschutzes (VS) Remberg als Zeuge geladen. Das spielt deswegen eine wichtige Rolle, weil einerseits in diversen Verfahren gegen unterschiedlichste Leute, die jeweils gerade ‚mg‘ sein sollen, der Hinweis ursprünglich vom Verfassungsschutz kam, dass das BKA hier mal was unternehmen soll. Und im aktuellen Verfahren kommt auch der ‚Beweis‘ vom VS: eine(!) ’nachrichtenehrliche Quelle‘, so die Akten, sagt, dass die drei Angeklagten die ‚mg‘ sind: also muss das wohl so sein.

Dazu war also heute der Zeuge Remberg geladen. Und das muss ein sehr spaßiger Auftritt gewesen sein.

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