Hat alles seine Ordnung. Ein ganz normaler Tag in Deutschland.

Artikel 5 GrundgesetzIch werde gern ab und zu danach gefragt, was ich von unserem Rechtsstaat halte. Mehr als von anderen, aber ansonsten können sich gern alle selbst eine Meinung bilden. Zum Beispiel heute:

Mehr als 100 PolizistInnen durchsuchen die Räume von 8 Fotografen in in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Fotografen werden wegen nichts beschuldigt – es sollen Bilder von einer Banken-Demonstration letztes Jahr in Frankfurt beschlagnahmt werden.

Der gesunde Menschenverstand hätte jetzt nach der Pressefreiheit gefragt, und was für Richter eigentlich solche Durchsuchungsbeschlüsse unterschreiben. Ich nehme an, wir werden noch davon hören.

Mehr dazu:

Usw. usw.

Sachsen lässt Ex-Punk in Baden-Württemberg durchsuchen

Dann: eine Durchsuchung wegen eines 30 Jahre alten Punk-Songs. Der jetzt den sächsischen Staatsschutz so mitgenommen hat, dass er die Suche nach rechtsradikaler Musik liegen ließ und sich einem inzwischen ergrauten Ex-Punk und jetzt Handwerker in der Nähe von Waiblingen zuwandte. Sehr schön beschrieben in Hausdurchsuchungen bei den Normahl-Punks:

Heutzutage käme kein Winnender Polizist mehr von sich aus auf die Idee, Besa für sein „Bullen“-Lied zu verfolgen. Schließlich braucht auch ein Uniformierter mal schnelle Hilfe beim Wasserrohrbruch.

Muss man zu Sachsen noch was sagen? Kann man zu Sachsen noch was sagen? Ich fürchte ja. Die juristische Realität dort ist so unglaublich nicht mehr demokratie-tauglich, dass eigentlich die gesamte Regierung samt Justiz ausgetauscht werden müsste. Das Schöne ist, dass wir das immerhin sagen dürfen. Tragisch, dass sich nichts ändert, und das meine ich nicht ironisch.

 

OECD-Beschwerde gegen Hersteller von Überwachungssoftware

Schließlich war ich heute morgen bei einer Pressekonferenz wegen eines noch düsteren Themas: Es ist völlig legal, dass deutsche Firmen Überwachungssoftware an Regime wie beispielsweise Bahrain verkaufen, wo die dann gegen AktivistInnen eingesetzt wird, die ähnliche Ziele wie der arabische Frühling verfolgen.

Ihre Smartphones und Computer werden abgehört, ihre Nachrichten mitgelesen, die Mikrofone und Kameras aus der Ferne eingeschaltet, um ihre Gespräche mitzuhören.

Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind insbesondere seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 in dem arabischen Golfstaat Bahrain verwendet worden, um Dissidenten festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen.

„Die Opfer wurden mit Sätzen konfrontiert, die sie in vertraulichen Telefonaten oder E-Mails geäußert hatten“, sagte Maryam al-Khawaja, geschäftsführende Präsidentin des Bahrain Center for Human Rights. „Es gibt Belege für Menschenrechtsverletzungen auf breiter Front, bei denen auch mit Hilfe des Internets  gegen Dissidenten vorgegangen wurde. Um diese Übergriffe zu stoppen, müssen auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu ihnen beigetragen haben.“ (Reporter ohne Grenzen)

Der Verkauf und dann das Einsetzen solcher Software ist sehr schwer nachzuweisen – das ist der einzige Grund, warum nicht gegen die Firmen geklagt wird. Die OECD-Beschwerde ist ein relativ stumpfes Schwert, aber derzeit die einzige Möglichkeit. Bekannt ist immerhin, dass die deutsche Firma Trovicor, ehemals Nokia Siemens, vermutlich

… in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können. (Reporter ohne Grenzen)

Mindestens nötig wären Exportkontrollen für diese Überwachungstechnologien, die in Deutschland immerhin verfassungswidrig sind. Warum darf in andere Länder verkauft werden, was hier verboten ist? Bloß: dafür ist das Wirschaftsministerium zuständig und das steht traditionell Unternehmen näher als Menschenrechtsorganisationen.

Mehr dazu:

Oder auch Syrien bekommt Überwachungstechnik von Siemens

Und sowieso: Big Brother Inc.. A global investigation into the international trade in surveillance technologies, von Privacy International.

Foto: Prinsessan_J / Flickr, BY-NC-ND-Lizenz

Bundesbehörden zahlen in 10 Jahren 1 Milliarde für Überwachungstechnik

Aktualisiert

Weitgehend im Sommerloch untergegangen ist eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag zu deutscher Überwachungstechnologie. Ich habe sie auch nur wegen dieses Artikels bei Zeit Online vor kurzem bemerkt: „Umstrittene Hoflieferanten„.

Das ist schade, denn es steckt eine Menge drin. Die Antwort unterscheidet sich von den meisten Kleinen Anfragen im Bundestag auch deshalb, weil sie ziemlich ausführlich ist. Wobei vieles auch nicht beantwortet wurde:

Die Beantwortung dieser Frage ist der Bundesregierung in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil der Beantwortung der Kleinen Anfrage aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich.

Es bleiben immer noch seitenweise Tabellen dazu, wieviel Geld Bundesbehörden wofür ausgegeben haben.

Darunter: Überwachung mit Trojanern (3x), Überwachung von Skype (3x), Überwachung von Google Mail, MSN Hotmail, Yahoo Mail oder eine Mail-Lizenz für Yahoo und Bit-Torrent (gezählt von Detlef Borchers für Heise). Außerdem der Facebook-Chat.

Die Mail- und Facebook-Überwachung ist auch deswegen interessant, weil eigentlich alle Anbieter sagen, dass sie bei begründeten Anfragen von Behörden sofort alle privaten Daten herausgeben (sonst sähe es ziemlich schlecht aus für ihr Business-Model).

Ein paar Häppchen:

2008 hat DigiTask 2.075.256 Euro für Kapazitätsanpassung der ETSI-Schnittstellen bekommen. Digitask – wir erinnern uns, das ist die Firma, die den Bundestrojaner hergestellt hat, der letztes Jahr vom CCC analysiert wurde. Derselbe Bundestrojaner, der in der Folge so in der Luft zerrissen wurde, dass eigentlich nur damit zu rechnen war, dass niemand jemals mehr wagen würde, den Namen der Firma in den Mund zu nehmen. Aber nicht bei uns. Innenpolitische Skandale werden weiter schweigend ausgesessen.

Zu ETSI und den angeforderten technischen Voraussetzungen für Überwachung in der EU gab es am Freitag einen ausführlichen Artikel von Erich Moechel Polizeizugriff auf neues Handy-Zahlsystem.

Digitask verleiht auch Gerätschaften an Bundesbehörden und verdient viel Geld damit, etwa zum Abhören von Skype. Falls also noch irgendwer hoffte, Skype sei irgendwie sicher: dem ist nicht so. Überhaupt werden in den Teilen der Antwort, die nicht als ‚vertraulich‘ klassifiziert sind, alle Firmen genannt, die Geld für Überwachungstechnik bekommen.

IMSI-Catcher (plus Service) stammen offenbar von der Schönhofer GmbH, die z.B. 2009 456.319 Euro für den Ausbau von GPS-IuK-Fahrzeugen bekommen hat. Firewire Revolution liefert Hard- und Software für Password Remover, Cellebrite Handyauswertungssysteme. Usw. usf. In Berlin-Brandenburg wurde auch WhatsApp ausgewertet (wieder Digitask). Zu den Länder-Details findet sich sonst wenig: vielleicht könnten entsprechende Anfragen auch in den Länderparlamenten gestellt werden?

Es ist nicht überraschend, dass diese Technik benutzt wird, aber interessant, schwarz auf weiß lesen zu können, wieviel Geld den Behörden welche Formen der Überwachung wert sind.

Noch ein paar Zahlen: Das BSI hat von 2002 bis 2011 für Studien und Entwicklungsvorhaben 170.147.000€ bezahlt. 170 Millionen Euro. Das BKA „nur“ 7 Millionen.

Insgesamt wurden seit 2002 für Überwachung 1.633.210.074,21 Euro an private Firmen bezahlt.

Update:

Auch dazu

 

Foto: sortofbreakit, Flickr, CC-Lizenz by-nc