Wenn es für den Export von Waffen aus guten Gründen Beschränkungen und Kontrollen gibt, warum dann nicht für Software? Wenn Regierungen Software gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, sie dann überwacht, festnimmt, foltert und ermordet, gibt es keinen Grund, den Verkauf nicht genauso zu reglementieren. Eigentlich.
Zur Praxis hat Reporter ohne Grenzen letzte Woche zum diesjährigen Welttag gegen Internetzensur den »Bericht über die „Feinde des Internets“« veröffentlich.
Zu den Feinden des Internets zählt der Bericht auch die IT-Sicherheitsfirmen GAMMA INTERNATIONAL (UK/Deutschland), TROVICOR (Deutschland), HACKING TEAM (Italien), AMESYS (Frankreich) und BLUE COAT (USA). Mit Produkten dieser Firmen spüren autoritäre Regime kritische Journalisten auf, nehmen sie fest und blockieren ihre Webseiten. Die Anbieter verkaufen ihre Software entweder selbst an solche Regierungen und nehmen Übergriffe damit in Kauf, oder sie haben es versäumt, den Export ihrer Software so zu kontrollieren, dass Missbrauch ausgeschlossen ist. (Reporter ohne Grenzen)
Einen Tag später erschien ein neuer Bericht von Citizen Lab: You Only Click Twice: FinFisher’s Global Proliferation. Es ist nicht einfach nachzuweisen, wer in welche Länder Überwachungssoftware verkauft. CitizenLab hat in 25 Ländern FinFisher-Server lokalisiert, die von Gamma International betrieben werden.
Server auf der ganzen Welt funktionieren als Kommando-Zentralen für den kommerziellen Staatstrojaner FinFisher/FinSpy. Das geht aus einem Bericht des Citizen Lab hervor, der 33 Server in 25 Staaten auflistet. Das verstärkt die Vermutung, dass diese deutsche Überwachungstechnologie auch in Staaten eingesetzt wird, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. (netzpolitik.org)
Ich hatte vor einem Monat schon über FinFisher geschrieben: Fin’s Fisher fischt frische Fishe
Citizen Lab nennt zwei Beispiele, in denen FinFisher gegen AktivistInnen eingesetzt wurde: gegen Oppositionelle in Äthiopien. Die Variante für Mobiltelephone wurde in Vietnam gefunden – beides wird im Bericht ausführlich beschrieben.
Die Firmen, die die Software verkaufen, gehen sind nicht erpicht auf Öffentlichkeit. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, wird darauf verwiesen, dass die Software nicht an Diktaturen verkauft werde und sowieso: „Software foltert keine Leute.“ Sowas hatten wir von den Erfindern der Atombombe auch schonmal gehört. (Auch dieser Link wird demnächst dem neuen Gesetz zum ‚Leistungsschutzrecht‘ zum Opfer fallen)
Eine Ausnahme gab es Ende Februar bei der RSA-Konferenz, wo es ein Podium mit dem amerikanischen Vertreter der italienischen Firma Hacking Team gab, die auch zu den von Reporter ohne Grenzen definierten ‚Feinden des Internets‘ gehört. Mit ihm diskutierten Dale Beauchamp (US Homeland Security), Jacob Appelbaum (Tor Project), Kurt Opsahl (EFF) und Claudio Guarnieri (Rapid7): The spy within: researchers, hackers spar over state-sponsored malware, von Quinn Norton in The Verge. Darf Überwachungssoftware überhaupt eingesetzt werden? Gegen wen? Wer legt fest, wer die Terroristen sind? Beauchamp, der Vertreter der US-Sicherheitsbehörden, ließ nichts aus:
„Believe it or not, if [Hacking Team] doesn’t sell the tool, [its clients] are going to do what they’re doing. So let’s not attack the tool, let’s attack what they’re doing,“
Auch dazu Spitzelsoftware-Hersteller: „Des einen Terrorist ist des anderen Aktivist“ (SpOn). (Auch dieser Link wird demnächst dem neuen Gesetz zum ‚Leistungsschutzrecht‘ zum Opfer fallen)
Die Aufnahme dieser Veranstaltung würde ich SEHR gern sehen.
The Young Turks pointiert (leider sehr schnell gesprochen) über FinSpy:
‚Finspy‘ Hijacks Activist Computers – Are You Being Monitored?
Überwacht wird natürlich nicht nur mit Trojanern wie FinFisher. Auch Skype reicht dazu oft völlig aus. Aus Russland wurde gerade bekannt, dass die Sicherheitsbehörden seit Jahren über Skype dessen NutzerInnen überwachen. Skandalös, würde man denken. Frankreich, unumstritten der stabilere Rechtsstaat, prüft gerade, ob es gegen Skype juristisch vorgehen kann, weil Skype die Überwachungsmöglichkeiten nicht offiziell mitliefert.
Und schließlich scheint es einen neuen ‚Sport‘ zu geben, der darin besteht, andere heimlich über Kamera ihrer Laptops zu beobachten – und die Aufnahmen hinterher ins Netz zu stellen: Meet the men who spy on women through their webcams. Also: immer schön die Kamera zukleben, und das Mikrofon ausschalten!