Alle §129 außer Mutti – Pfarrer der Jungen Gemeinde Jena durchsucht

Es gibt Sachen, die können aus verschiedenen Gründen einfach echt nicht sein. In letzter Zeit ist die sächsische Polizei relativ häufig in solche verwickelt. Ziemlich fassungslos macht mich aktuell die Durchsuchung des Pfarrers der Jenaer Jungen Gemeinde, Lothar König.

versiegelt und beschlagnahmt

Das fängt damit an, dass Jena in Thüringen liegt, und die Durchsuchung von der sächsischen Polizei durchgeführt wurde. Weiter geht’s damit, dass hier einem Pfarrer, der mit 57 Jahren auch nicht mehr der jüngste ist, vorgeworfen wird, Mitglied einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB zu sein (die Handygate-Vereinigung aus Dresden). 10 Tage nach einem Spiegel-Artikel, der sich genau damit beschäftig. Dass keine Rücksicht darauf genommen wurde, dass die Amtsstube des Pfarrers besonders geschützt ist, weil er als Seelsorger Geheimnisträger ist.

Dass es die Junge Gemeinde (JG) Jena Stadtmitte erwischt, in der schon Matthias Domaschk zuhause war. Der am 12. April 81 in Stasi-Haft starb. (Freya Klier: „Matthias Domaschk und der Jenaer Widerstand“)

Dass die Polizei Sachsen anscheinend machen kann, was sie will. (Etwa 40.000 Handy-Datensätze zur Überwachung einer Demo einsammeln und analysieren, obwohl deutlich weniger Leute demonstriert haben).

Alles, was es über die Durchsuchung zu wissen gibt, steht auf der exzellenten Website der Jungen Gemeinde Jena. U.a. dieser Hinweis für alle, die am 19. Februar in der Nähe des jetzt beschlagnahmten Lautsprecherwagens der JG waren.

Die JG wird Geld brauchen, um damit fertigzuwerden: Spendet, bitte.

Sachsen-Gate weitet sich aus

+++ Work in progress +++ wird aktualisiert +++

Update 3, 27.6.

Nachdem die Geschichte nun in wirklich allen Nachrichten war, erhebe ich nicht annähernd Anspruch auf umfassende Information, weil das ja wirklich nicht mehr nötig ist.

Update 2, 26.6.:

 

Update 1, 24.6.:

Die sächsische Landesregierung hat den Sonderbericht vorgestellt und erkennt eine rechtsstaatliche Grundlage der Handy-Daten-Überwachung. Dazu wird mittlerweile ein „versuchter Totschlag“ auf einen Polizisten bemüht. Es geht nicht mehr ’nur‘ um 138.000, sondern um weitere 896.000 Handy-Datensätze, also über eine Million. Letztere wurden im Zusammenhang mit dem sächsischen §129-Verfahren gegen Antifas eingesammelt. (MDR)

Die taz spitzt noch ein bisschen zu: Offenbar ganz Dresden überwacht. Die Überwachung betraf nicht nur, wie zuerst angeommen, die Dresdener Südstadt. Ministerpräsident Tillich hat eine Stelle in der Angelegenheit gefunden, bei der er auch Fehler einräumt – wirkt ja auch besser:

Die Daten hätten zudem nicht bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz verwendet werden dürfen. …  Mit einer Bundesratsinitiative will sie (die Landesregierung) den unklaren Rechtsbegriff der „erheblichen Straftat“ nach Paragraf 100 g der Strafprozessordnung präzisieren, der eine solche umfangreiche Datenerfassung rechtfertigte.

Das Thema wird am Mittwoch den Bundestag beschäftigen.

Ganz großartig Constanze Kurz in der FAZ: Teheran, Damaskus, Minsk – Dresden. Darin erinnert sie an folgendes:

.. es ging nicht um Revolten, es ging vielmehr um eine von dutzenden Initiativen, Vereinen und Parteien getragene, geradezu zivilgesellschaftlich vorbildliche Demonstration gegen Rechtsradikale, die durch die Stadt ziehen wollten.

Sie erwähnt den immer gern als Schutz der Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen hochgehaltenen Richtervorbehalt, der hier original keine Funktion hatte. Außerdem geht es darum, warum sowas tatsächlich passiert:

2008 beschaffte die sächsische Polizei für mehrere Millionen Euro eine solche Software, die sie harmlos „elektronisches Fall-Analyse-System“ nennt. … Die teure Software will nun natürlich gerechtfertigt und gefüttert werden, schließlich hätten von dem Geld auch Polizeibeamte bezahlt und ausgerüstet werden können.

Und warnt:

Die Dresdner Datengier liefert einen präzisen Vorgeschmack auf das, was zum Alltag in Ermittlungsbehörden wird, falls der politische Zombie Vorratsdatenspeicherung wiederaufersteht, wie es CDU und SPD weiterhin ohne kriminologisch glaubwürdige Begründung fordern.

Dann gibt es den Bericht der sächsischen Innen- und Justizministerien (pdf)


Der sächsische Überwachungs-Skandal nimmt Formen an. Weil eh überall berichtet wird, ein paar kommentierte Links:

Der Freitag hat den Anfang der Geschichte ausgegraben:

Bekannt geworden war die Spähaktion durch den Bochumer Kreissprecher der Linken, Christian Leye. Gegen den wird wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht ermittelt – die Einsicht in seine Akte erfuhr Leye von der mehrstündigen und flächendeckenden Datenüberwachung. Es hätten sich darin „Angaben über sämtliche am 19. Februar im Zeitraum von 13.30 Uhr bis 17.30 Uhr von meinen Handy ein- und abgegangenen Anrufe und SMS-Mitteilungen“ gefunden, so Leye.

Dort wird auch beschrieben, wie die Busfahrer der Gegendemo-TeilnehmerInnen zu Hilfs-Spitzeln gemacht wurden.

Die Firmen sollten einen Fragebogen der Polizei beantworten, der Angaben zu den Personaldaten der Fahrer ebenso verlangte wie Auskünfte über Zahlungsmodalitäten, Mietverträge und die Kopien der Ausweise der jeweiligen Anmieter. … Damit nicht genug: Die Polizei interessierte sich auch für die Kontakte von Fahrgästen in den Pausen, Gesprächsinhalte sowie die detaillierten Tages- und Streckenabläufe.

Das Neue Deutschland berichtet, dass die Zahl der Datensätze inzwischen von 138.ooo auf 800.000, bei 17.000 betroffenen Personen gestiegen ist (Wievielen Menschen leben in Sachsen?)

Auf die sächsischen Gerichte rollt eine Klagewelle zu: Klagen wollen

Das Bündnis Dresden-Nazifrei ruft im Rahmen der Kampagne gegen den Datenskandal alle potentiell Betroffenen dazu auf, Auskunft über möglicher Speicherung der eigenen Daten zu bentragen (dort gibt es die nötigen Formulare). Damit sind insbesondere auch AnwohnerInnen gemeint, die gar nicht bei der Demo waren.

Die Linke im Landtag hat eine Untersuchungskommission beantragt, für die der ehemalie Bundesinnenminister Gerhart Baum im Gespräch ist.

Heute fand in Berlin eine Pressekonferenz statt, bei der folgende markante Dinge gesagt wurden:

Albrecht Schröter (Oberbürgermeister von Jena / SPD):

„Wir sind nicht in der DDR auf die Straße gegangen, um jetzt in einem Staat zu leben, wo so etwas möglich ist. Was da in Dresden passiert ist, war Rechtsbeugung. Ich werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen um das feststellen zu lassen.“

Ringo Bischoff (ver.di Bundesjugendsekretär):

„Das schweißt uns zusammen. Wir bleiben Teil des Bündnisses und werden weiterhin gegen Naziaufmärsche protestieren. Ziviler Ungehorsam ist dafür ein legitimes und erfolgreiches Mittel.“

Henning Obens (Interventionistische Linke):

„Kollektiver Regelübertretungen der BürgerInnen haben sich seit Heiligendamm 2007 etabliert. Es existiert eine neue Kultur der Zusammenarbeit und Konfliktbereitschaft, die auch die Erfolge von Dresden ermöglichten. Polizeigewalt und frivoler Rechtsbruch zeigen nur, dass die staatlichen Stellen nur repressive Antworten auf diese Herausforderung haben. Das hat sich in Stuttgart, Dresden und bei den Castortransporten gezeigt. Wir werden die Nazis weiter blockieren.“

Konstantin Wecker (Liedermacher):

„Entscheidend ist: Wie geht die Demokratie mit den Menschen um, die sich nicht nur empören, sondern Widerstand dort leisten, wo es nötig ist? Wir sollten uns das nicht bieten lassen. Ich rufe zu Spenden für das Bündnis Dresden-Nazifrei auf, damit der Rechtsstreit finanziert werden kann.“

Radio Corax hat Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, befragt:

Und schließlich hat sich auch Anonymous geäußert:

Die Parallelwelt der InnenpolitikerInnen trifft sich derweil in Frankfurt/Main. Die Polizeigewerkschaft frohlockt: Innenminister setzen richtige Akzente. Kampf gegen Linksextremismus muss endlich ernst genommen werden

Polizei Sachsen: Because we can!

By Cepheiden (Own work) [GFDL (www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dresden_-_Polizeipraesidium_--_Haupteingang.jpgUpdate: Der sächsische Daten-Gau weitet sich zum Super-GAU aus: Nach Recherchen des MDR ist die massenhafte Datenspeicherung mind. seit 2009 in Sachsen Usus. Für die Handy-Daten-Überwachung ist ein Sonderbericht des Innenministeriums bis Freitag angekündigt.

Selbstbewusst verkündet heute die Polizeidirektion Dresden die „rechtmäßige“ Auswertung von 138.000 Handyverbindungs-Datensätzen, erhoben am 19. Februar 2011. Das sehen nicht alle so: „Der massive Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht verblüfft sogar die Staatsanwaltschaft.“ (Süddeutsche). Auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist nicht amüsiert, immerhin hat er erst aus der taz von der Angelegenheit erfahren, und hat der Dresdner Staatsanwaltschaft bis Donnerstag Zeit gegeben, sich zur Sache zu äußern.

Das Ganze lässt sich ziemlich einfach zusammenfassen: In Sachsen gibt es ein Nazi-Problem, nicht erst seit gestern und tatsächlich ernst. Einige mutige Menschen versuchen, dort die Demokratie zu retten und Sachsen wieder zu einem Land zu machen, in dem alle (über-)leben können. Viele versuchen das regelmäßig im Februar, wenn es jedes Jahr einen Nazi-Aufmarsch gibt, der sich mit meiner Vorstellung von Demokratie jedenfalls nur schlecht vereinbaren lässt. Und wer wird mit Verfahren überzogen, zuletzt knapp 40 Personen wegen angeblicher Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB? Jedenfalls nicht die Nazis. Das alles spricht Bände über das Rechtsstaatsverständnis der sächsischen Innenbehörden.

Und nun das: Bei Protesten gegen Neonazis wurden in Dresden zehntausende Handydaten erfasst, schrieb die taz.de gestern. Konnte die PD Dresden nicht auf sich sitzen lassen und korrigierte: 138.000!

Da durch die Provider ausschließlich die Verbindungsdaten der gesamten Funkzelle mitgeteilt werden, kann nicht vorab unterschieden werden, ob es sich bei dem Anschlussinhaber um Anwohner, Gäste oder aber Zeugen oder gar Beschuldigte handelt. Dies ergibt sich erst im Verlauf der weiteren Ermittlungen.

Unser aller Regierung findet, dass das jetzt rechtlich untermauert gehört und plant gerade die gesetzliche Grundlage für die nächste Fassung der Vorratsdatenspeicherung. Und voran schreiten singend die Post-Privacy-Jünger und fordern: Vorratsdaten für alle! Stellt Euch nicht so an!

Die parlamentarische oppositionelle Empörung bricht sich  Bahn: Handy-Überwachung hat Nachspiel.

Ich frage mich, wann Sachsen als solches im Verfassungsschutzbericht auftaucht.

Die Berichte vom Tage:

Bild: By Cepheiden (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0 , via Wikimedia Commons

Habemus Vereinigung

Es gibt eine neue linke kriminelle Vereinigung. In Sachsen und Brandenburg wurden letzten Dienstag Wohnungen durchsucht, und wenn ich der Presse Glauben schenke – in diesen Dingen immer nur eingeschränkt, das Propagandapotential ist hoch -, dann geht es um Linke, denen Angriffe auf Nazis vorgeworfen werden. Beschuldigt werden 17 Leute zwischen 20 und 33, Durchsuchungen gab es in in Dresden, Leipzig, Niesky, Grimma, Machern, Finsterwalde und Senftenberg (Bild).

Es soll um drei Vorfälle gehen: einen Angriff mit Steinen auf Busse auf einer Raststätte am 19. Februar (dem Tag, an dem Nazis versuchen, in Dresden zu demonstrieren), einen Angriff auf „drei polizeibekannte Rechtsextremisten“ in Leipzig und Nazis, die in Dresden das linke Hausprojekt „Praxis“ angegriffen hatten und als Reaktion darauf „mit Schlaggegenständen“ verprügelt worden sein sollen (Spiegel). Das Projekt „Praxis“ ist vielleicht einigen von einem YouTube-Video vom 19. Februar in Erinnerung, als es wieder von Nazis angegriffen wurde und ein Streifenwagen der Polizei zwar anwesend war, aber dann einfach wegfuhr.

Ob im letzten Fall auch gegen die Nazis „ermittelt wird, geht aus der Erklärung der Staatsanwaltschaft nicht hervor„. (Süddeutsche)

Zu Fall 1 ist interessant zu wissen: „Die Busse waren zu diesem Zeitpunkt bis auf die Busfahrer nicht besetzt. Sie blieben unverletzt, die Fahrzeuge wurden beschädigt.“ (Märkische Allgemeine)

Wie das zum verstärkten staatlichen Engagement gegen Linksextremismus passt und wie es mit (der Verfolgung von) rechter Gewalt in Sachsen aussieht, steht im Freitag: Razzia. Kriminelle Vereinigung.

Dem MDR sagt der Staatsanwalt Lorenz Haase (Video):

Wir gehen davon aus, dass sich diese Vereinigung gebildet hat, um Straftaten gegen politisch Andersdenkende zu verüben. Festnahmen gab es heute nicht, wir hatten auch vorher keine Haftbefehle gegen die Beschuldigten erwirkt. Die heutige Aktion diente einzig und allein der Durchsuchung der Wohnungen der Beschuldigten.

Beschlagnahmt wurden Computer sowie Waffen, was auch immer das sei. Die Erfahrung zeigt, dass in solchen Fällen der Erfolgsdruck auch gern mal die Heckenschere zur Waffe werden lässt.

Radio Corax (Halle) hat die Leipziger Stadträtin Jule Nagel interviewt, die ein bisschen was über den Hintergrund und den neuen Chef des sächsischen LKA erzählt. Um Extremismusklausel und -theorie geht es auch.

„Der neue Chef des sächsischen Landeskriminalamtes, Jörg Michaelis, hatte kürzlich Aktionen gegen linksextreme Gewalttäter angekündigt“ (MDR).