Focus und Handelsblatt warnen vor Überwachung

Wenn Focus und Handelsblatt in genuin bürgerrechtlich-erschütterter Art und Weise vor Überwachung warnen, muss irgendwas passiert sein. Themenmangel nach der Gauck-Wahl? Unzufriedenheit mit dem Innenminister? Ich weiß es auch nicht, aber ich war auch erschüttert.

Focus: Geplante Überwachung mit Indect. Jeder Bürger steht unter Generalverdacht

Von CHIP übernommen, aber das hätten sie ja auch nicht müssen. Vielleicht liegt es ja auch am Untertitel: „..so umstritten, dass sich sogar das BKA davon distanziert.“ Wie dem auch sei, da sind ein paar Schweinereien aufgeführt, die ich letztens im EM-Post auch schon erwähnt hatte.

Bei Indect

setzen die Entwickler auf bestehende Erfindungen wie Kameras, Gesichts- und Verhaltenserkennung oder Spionagetools für PC und Internet. Der neue Ansatz: All das wird jetzt vernetzt.

Es soll eine Straftat

erkennen, bevor sie stattfindet, indem sie abnormales, gewalttätiges oder kriminelles Verhalten feststellt. Aber um Straftaten gewissermaßen zu erahnen, bedarf es einer Totalkontrolle aller Bürger.

Außerdem wird die Vorratsdatenspeicherung kritisch kommentiert, genauso der geplante Bildabgleich vor Gesichtserkennungssoftware mit Bildern in Sozialen Netzwerken.

Erst auf Anfrage des Europäischen Parlaments kam ans Licht, was sich Polizisten unter „abnormal“ vorstellen: Verdächtig ist jemand, der rennt oder lärmt, im öffentlichen Nahverkehr auf dem Fußboden sitzt oder dort sein Gepäck vergisst. Indect soll auch dann aktiv werden, wenn Personen herumlungern oder in der Fußgängerzone gegen den Strom laufen.

Kleiner Schönheitsfehler: der Artikel geht davon aus, dass der Einsatz von Drohnen in Deutschland erst noch erlaubt werden muss. Das Gesetz wurde aber bereits beschlossen, steht sogar im Focus. Weiter wird auf die Technik eingegangen: „Fliegende Kameras, Spionage-Software, Verhaltensanalyse, Personentracking“, und schließlich geht’s darum, wer wieviel Geld mit Überwachungstechnologien verdient. Alles ganz vernünftige Fragestellungen.

Wer sich gern en detail gruseln möchte, könnte sich den ‚Katalog der Sicherheitsforschungsprojekte‘ der EU anschauen: „Investing into security research for the benefits of european citizens

Das Handelsblatt wird noch drastischer: „Spitzel-Angriffe. Wo wir heimlich überwacht werden„.

Hintertüren in Software, „stille SMS“ oder heimliche Farbmarkierungen bei Laserdruckern – häufig werden Bürger überwacht, ohne es zu wissen. Wo die Überwachung durch die Hintertür kommt.

Außerdem: Funkzellenabfragen, Telefonüberwachung, Staatstrojaner, RFID. Jeweils kurz dargestellt, teilweise sogar mit Tips zur Gegenwehr.

Schön, wenn das der breiten Öffentlichkeit gelegentlich unter die Nase gerieben wird. Ich wüsste gern: wie ist das in diese Redaktionen geraten?

EM in Polen – da bleibt kein Überwachungswunsch offen

Polens Polizei will nach FOCUS-Informationen während der Fußball-Europameisterschaft Hooligans mit Hightech in Schach halten. Handy-Ortung, Datenaustausch und Überwachungssysteme sollen Sicherheit in den Stadien garantieren. (Focus)

Das ungeschriebene Handbuch für InnenpolitikerInnen „Wie verkaufe ich dem Volk neue Überwachungsmethoden“, Untertitel „Was die Sicherheits-Industrie sich als Nächstes wünscht“ ist eigentlich ganz einfach aufgebaut:

In regelmäßigem Wechsel braucht es eine neue Bedrohung, jeweils so beschrieben, dass es a) schön gruselig und b) keine Gefahr besteht, dass sieh zuviele ordentlich unbescholtene Bürger mit den Überwachungsobjekten Gefährdern identifizieren.

Als da wären: Drogenhändler, Organisierte Kriminalität, Russenmafia, Frauenhändler (besonders geeignet, weil noch das Moment der beschützenswerten Opfer dazukommt), Terroristen, Hooligans. Wenn alle durch sind: von vorne anfangen.Demnächst sicher auch Hacker.

Große Sportereignisse (hat sich schonmal wer gefragt, warum immer die Innenminister auch für Sport zuständig sind?) bieten dafür jede Menge Vorteile: Viel Publikum, viel nationale Begeisterung = viel Zusammengehörigkeitsgefühl, viel Chaos = offensichtliche Notwendigkeit für Sicherheitsmaßnahmen, viel Bereitschaft, Maßnahmen zu akzeptieren um bloß ja dabeisein zu können.

Vor uns liegt also die Europameisterschaft.

Verdächtige Personen könnten bei Bedarf bereits ab dem Grenzübertritt überwacht werden, sagte ein Polizei-Sprecher zu FOCUS. Zu den geplanten Maßnahmen gehörten zudem Handy-Ortung sowie der Datenaustausch mit nationalen Polizei-Datenbanken.

Testweise soll auch das umstrittene intelligente Überwachungssystem Indect zum Einsatz kommen, das unter anderem digitalisierte Bilder der Überwachungskameras mit Informationen aus sozialen Netzwerken verknüpfen kann.

Hallo? INDECT? Das hier? Kai Biermann schrieb dazu schon 2009: Indect – der Traum der EU vom Polizeistaat.
Das eigens eingerichtete Sicherheits-Headquarter in Warschau, das mit Europol und Interpol vernetzt ist, soll nach Polizeiangaben präventive offene und verdeckte Überwachung während des Turniers sowie enge Kooperation mit internationalen Sicherheitsexperten gewährleisten. (alles Focus)
Außerdem: Scharfschützen, Schnellgerichte, Spezialscanner für radioaktives und pyrotechnisches Material, von der polnischen Militärakademie entwickelte Lasergeräte.
Es bleibt kein Wunsch offen.

Und wir dürfen uns sicher sein, dass all dies nach erfolgreichem Einsatz in Polen neue Anwendungsfelder finden wird.

Kontraste über INDECT

Wem das Unwohlsein über staatliche Trojaner noch nicht reicht, sollte unbedingt den letzten Kontraste-Beitrag über INDECT sehen, dankenswerterweise von netzpolitik.org aus der ARD-Mediathek in ein einbettbares Format überführt:

Steuergelder für den Überwachungsstaat – Projekt „Indect“

Für Deutschlands Datenschützer ein Alptraum: Flächendeckende Kameraüberwachung, fliegende Aufklärungsdrohnen in den Innenstädten. Wer sich verdächtig macht, wird über Internet und Datenbanken identifiziert und landet im Räderwerk der Strafverfolger. Mit dem EU-Projekt „Indect“ soll dieser Alptraum Wirklichkeit werden. Trotz massiver Kritik fördert die Bundesregierung das Projekt mit Personal und Steuergeldern.

Erinnern Sie sich noch an George Orwells „Big Brother is watching you“? An die erschreckende Vision von einem Staat, der seine Bürger rund um die Uhr überwacht? Science Fiction, dachten wir. Doch die Realität hat die Fiktion längst eingeholt. Nicht nur, dass der Staat unsere Computer über „Bundestrojaner“ ausspähen kann! Nein, – still, leise und heimlich arbeiten Forscher in Europa zurzeit an einem noch viel größeren Überwachungs- Projekt. Sein Name: Indect. Das Ziel: Die Entwicklung einer multimedialen Überwachungsplattform.

Das komplette Skript bei Kontraste