Nachtrag zur Berliner Funkzellenabfrage

Fast schon wieder vergessen – die Berliner Funkzellenabfrage (FZA). Hier eins der seltenen Gespräche mit Andre Meister von netzpolitik.org, der die Geschichte ausgegraben hat – kurz nach der Innenausschuss-Sitzung im Berliner Abgeordnetenhaus (Landesparlament):

PiRadio: Vorratsdatenspeicherung & Funkzellenabfrage – Gespräch mit netzpolitik.org auch zum Anhören (mp3).

4.200.000 Verkehrsdaten und 960 Teilnehmerdaten. So viel hat allein die Abteilung Polizeilicher Staatsschutz des Berliner Landeskriminalamtes in den letzten vier Jahren gesammelt. Ein Grund für uns mit Andre von netzpolitik.org über Funkzellenabfragen, Vorratsdatenspeicherung und deren Folgen zu reden. Als erstes haben wir ihn gefragt, wie denn Funkzellenabfrage funktioniert…

Update: Es geht mit einer ungeheuren Überraschung weiter: Berlin hat mehr Handy-Daten ausgewertet als bekannt

Auf der Suche nach Autobrandstiftern hatte die Polizei in den vergangenen Jahren in 375 Ermittlungsverfahren insgesamt 4,2 Millionen Mobilfunkverbindungen in Tatortnähe registriert, also Telefonate und Kurzmitteilungen (SMS). Zusätzlich zu diesen Daten sind seit 2009 in mehr als 800 weiteren Verfahren Funkzellen und Kennern zufolge dadurch bis zu acht Millionen Verbindungen in der Hauptstadt ausgewertet worden – insgesamt also rund zwölf Millionen.

Morgen wird das Thema ausführlich im Bundestag in einer Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages erörtert. Die Stellungnahmen der Sachverständigen gibt es jetzt schon, darunter die von Ulf Buermeyer (pdf) und Johannes Eisenberg (pdf)

Mir sind inzwischen mehrere Juristen begegnet, die die FZAs in Berlin weniger dramatisch finden als die in Dresden. Wenn ich es richtig verstanden habe, weil in Dresden Demonstrationen betroffen waren und in Berlin sehr viel genauer festgelegt war, wann und wo Daten ausgewertet werden. Also weniger „Unbeteiligte“ – potentiell. Nur: wenn wir in Berlin bei inzwischen 12 Millionen Datensätzen sind, frage ich mich, ob das immer noch gilt? Ich finde nicht.

Aber die Perspektive von AnwältInnen („ganz normales Ermittlungsinstrument“) ist sowieso (immer) anders, und hier vor allem anders als die der interessierten Öffentlichkeit, die das offenbar ziemlich skandalös findet alles. Aus Gründen.

Frustrationstoleranz

Der Skandal nach Dresden war größer. Beim neuen Fall aufgedeckter Funkzellenauswertung (FZA) in Berlin haben wir uns schon ein bisschen gewöhnt, und hören ja gerade auch, dass die FZA nicht nur einmal, sondern oft eingesetzt wurde. Normal, quasi.

Dabei war in Dresden immerhin noch Körperverletzung im Spiel, hier geht es schon „nur“ noch um Sachbeschädigung/Brandstiftung.

Das Geplänkel setzt ein: während die wenigsten verstehen, was für Daten in einer Funkzellenauswertung (FZA) verarbeitet werden, wie ausgewertet wird und was die Folgen davon sind, werden in den Berichten jeweils andere Zahlen benutzt. Manche brauchen große (wahlweise 3,5 – MoPo, inzwischen geändert – oder 4,2 Mio. Datensätze), manche kleine (950 Handys oder 375 Fälle). Aber darum geht es eigentlich nicht. Es sind so oder so viel zu viele , und zu viele Daten sind gar nicht mehr gelöscht worden.

Das mir zu fatalistisch geratene Fazit von netzpolitik.org nach der Sitzung des Berliner Innenausschusses am Montag:

In der Berliner Landespolitik wird die Affäre um die Funkzellenauswertung wohl keine Konsequenzen haben. Die Regierungsfraktionen CDU und SPD finden alles in Ordnung, allenfalls der junge Sven Kohlmeier darf mal Kritik anmelden.

.. wurde prompt von Spiegel Online zitiert. Und dabei hat der Skandal noch gar nicht richtig angefangen. Wäre nicht Zeit für einen Untersuchungsausschuss? Zurücktreten kann der damalige Innensenator Körting ja nicht mehr, aber wenn der neue kein Problem mit der FZA hat, könnte er schon etwas deutlicher angezählt werden?

Mir fiel eine Szene aus dem Gefährder ein, dem Kurzfilm von Hans Weingartner. Der leitende BKA-Ermittler Danner diskutiert mit dem Innenstaatssekretär, ob die Festnahme von Andrej Holm sinnvoll war, wo doch der BGH den Haftbefehl wieder aufgehoben hat (Min. 7:08 – 8:20):

Staatssekretär: Politik ist Psychologie, Herr Danner. Wir brauchen diese Maßnahmen im Kampf gegen den Terror. Da sind wir uns ja wohl alle einig. Die Kunst ist, es den Leuten Stück für Stück nahe zu bringen, und da müssen wir alle an einem Strang ziehen

Danner, BKA: Ja, sicher. Aber wäre es nicht besser, wenn wir da jemanden nehmen, bei dem die Faktenlage einen dringenden Tatverdacht zulässt? Wir wollen doch Aufsehen vermeiden. Wenn die Presse davon Wind kriegt .. Ich meine, das macht mir schon große Sorgen!

Staatssekretär: Im Gegenteil. Wenn die linksliberale Presse den Fall aufgreift, so spielt uns das in die Hände. Aufhalten kann sie uns sowieso nicht. Aber – und das ist das entscheidende – sie erhöht die Frustrationstoleranz. Die Leute gewöhnen sich daran. Das klassische Strafrecht hat ausgedient, Danner. Wir müssen die Bombenleger kaltstellen, bevor sie zuschlagen. Jeder kann zum Terroristen werden. Er muss nicht, aber er kann. Deshalb müssen wir alles über ihn wissen. Die Leute müssen sich an das Prinzip der Präventivmaßnahmen gewöhnen, das waren doch ihre eigenen Worte in Hamburg.

Danner, BKA: Ja, im Prinzip schon.

Staatssekretär: Wir tauschen ein kleines Stück Freiheit gegen ein großes Stück Sicherheit. Anders geht das eben nicht.

(2009)

Millionen Handydaten diesmal aus Berlin

Das machen die in Sachsen. Hier nicht. Hier ist ja sozusagen die zivilisierte Welt, was Grundrechte angeht. Also, im Vergleich zu Sachsen. Kein Vergleich.

Bis vorgestern: Massenhafte Funkzellenabfrage jetzt auch in Berlin: Was Vorratsdatenspeicherung wirklich bedeutet

Da steht alles drin, inkl. Ermittlungsakten, und deswegen stand das ja dann auch in allen Zeitungen. Weil der Artikel wirklich gut ist, breite ich mich nicht weiter darüber aus. Lest es bei netzpolitik.org.

In Stichworten: Um Auto-Brandstiftungen zu ermitteln, wurden in Berlin-Friedrichshain Funkzellenabfragen (FZA) vorgenommen, möglich nur durch faktische Vorratsdatenspeicherung und enthemmte Beamte. Der konkrete Fall wurde später eingestellt, aber mit den Daten lässt sich sicher auch sonst noch einiges anfangen. Ob das verfassungsgemäß oder sonst verhältnismäßig ist, ist ausgesprochen strittig.

Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, wie es bei einer schweren Straftat (Bedingung für die FZA) juristisch ausreichen kann, dass eine Person – wie hunderte, tausende andere – zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle war, um ihr nachzuweisen, dass sie das Auto angezündet hat. Zudem, wie wir wissen, die Linksextremisten ihre Handys ja schon aus Prinzip nicht mitnehmen, wenn sie Anschläge begehen (<- Ironie!).

Weil hier (und überall sonst in der Demokratie) alles anders ist als im feudalistischen Sachsen, kam gestern raus, dass das kein Einzelfalls ist

Nach Angaben eines Mobilfunknetz-Betreibers wertete die Polizei von Herbst 2009 bis Ende 2011 mehrere Millionen Standortdaten von Handys aus. („Millionen Handys überwacht“ – Berliner Zeitung)

Und hier geht es nicht mal um angebliche Gewalt gegen Menschen, sondern um Autobrandstiftungen.

Ulf Buermeyer in der Abendschau zur Theorie und Praxis der FZA aus Richterperspektive:

Im Folgeartikel am Freitag ging es um die Reaktion der Medien, der Opposition und unbeantwortete Fragen an die Behörden. Nachlese zur Funkzellenabfrage: Noch viele Fragen offen

Im Bundestag gibt es im Februar am 8. Februar um 14 Uhr eine Anhörung zum Thema, steht bei der Süddeutschen, und – wichtiger – es gibt Gesetzentwürfe. Es lohnt also JETZT WIRKLICH ECHT, sich damit zu beschäftigen. Und zwar so, dass es bemerkbar wird. Update: Die Gesetzentwürfe sind von der Linken (FZA abschaffen (pdf)) und Grünen (FZA einschränken (pdf)). Die werden also sicher abgelehnt werden. Dass das falsch ist, und dass das viele so sehen, sollte trotzdem gesagt werden.

Für die technischen Grundlagen und zur Beruhigung der Nerven:

http://www.youtube.com/watch?v=bla06farU-k