Weil gerade fast täglich Menschen überrascht reagieren, wenn ich erkläre, was das Medien- und Politik-Theater von Ms. Voldemort (aka S. Wagenknecht, plus friends) konkret für mich und andere Beschäftigte der Linksfraktion für Folgen hat, hier etwas ausführlicher.
(Bei manchen ist das vielleicht letztlich gar nicht so sehr Überraschung, sondern auch Empathie, um nicht schulterzuckend mit ‚Naja, war ja klar‘ zu reagieren. Danke dafür. Es ist nie schön, daneben zu stehen, wenn andere den Job verlieren.)
Die Linksfraktion im Bundestag zerfällt und was heißt das also konkret für die Leute, die da arbeiten? Dabei geht’s jetzt nicht um die politischen Auswirkungen oder Ursachen – das wäre ein anderer Text. Ich will hier nur beschreiben, was es praktisch bedeutet, weil ich das oft gefragt werde. Also:
Weil die Fraktion eh klein ist, verliert sie den Fraktionsstatus, wenn mehr als zwei Abgeordnete (MdB, Mitglieder des Bundestages) die Fraktion verlassen. Geregelt ist das in der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT), aber nicht sehr detailliert. Wenn es diesen Status nicht mehr gibt, sind die MdB zwar noch Abgeordnete, aber die Fraktionsbeschäftigten haben keine Arbeitgeberin mehr, weil es die nicht mehr gibt, und damit eben auch keinen Job.
Es gibt zwei verschiedenen Formen der Beschäftigung rund um die Linke im Bundestag (entsprechend bei den anderen Fraktionen): Die einen werden direkt von den MdB angestellt und die anderen von der Fraktion. Erstere arbeiten direkt und nur den MdB zu, die anderen wie ich als Referent*innen für bestimmte Themen für alle, meistens einem Ausschuss zugeordnet – bei mir ist / war das der Digitalausschuss. Andere machen Öffentlichkeitsarbeit, die Buchhaltung, Veranstaltungsorganisation, sind mit der Organisation der parlamentarischen Abläufe beschäftigt etc.: Die gehören auch zu der zweiten Gruppe.
Für die Fraktion direkt arbeiten aktuell gut 100 Personen und für die gilt: In dem Moment, in dem es die Fraktion nicht mehr gibt, wird sie formal aufgelöst („liquidiert“) und es müssen für alle betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden. Üblicherweise mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende und das steht uns jetzt bevor. Weil es das noch nie gab und weil Fraktionen allein für den Prozess der Entscheidung, wie mit dieser aktuellen Situation weiter verfahren wird, einen Moment brauchen, kann es also sein, dass die Kündigungen zu Ende Dezember oder aber erst zu Ende März eintrudeln.
Bekanntlich haben 10 MdB angekündigt, aus der Linken (Partei) auszutreten. Das bedeutet laut Geschäftsordnung der Fraktion, dass sie damit innerhalb von 48 Stunden auch nicht mehr Mitglieder der Fraktion sind – es sei denn, sie beantragen, es zu bleiben. Haben sie, glaube ich, aber ich bin gerade im Urlaub (super Moment!) und kriege nicht alles ganz genau mit. Darüber muss der Rest dann entscheiden. Um das entscheiden zu können, muss überhaupt erst mal eine Fraktionssitzung einberufen werden und stattfinden und dann beschließen, wie sie damit umgehen wollen. Das dauert alles einen Moment. Ich lehne mich aber nicht sehr weit aus dem Fenster, wenn ich prognostiziere, dass die nicht alle miteinander weiter in einer Fraktion bleiben werden. Und das ist auch gut so, politisch, auch wenn es für uns individuell unerfreudlich ist. Klar wäre am besten, wenn die, die gehen, ihre Mandate zurückgeben würden, die sie auf den Listen der Linken bekommen haben, aber so nobel werden sie nicht sein, denn dafür kriegen sie ja Geld und Aufmerksamkeit. Täten sie es, würden andere nachrücken und die Fraktion bliebe bestehen.
Was dann noch möglich ist: Die MdB, die in der (noch) Fraktion bleiben, können beantragen, eine ‚Gruppe‘ zu bilden. (Dazu steht ein bisschen was in den Erläuterungen der GO-BT.) Das wäre dann ein Zusammenschluss aus MdB, die aber nicht genug sind, um eine Fraktion zu bilden. Das gab’s schonmal, als die Vorgängerin der Linken, die PDS, lediglich zwei direkt gewählte MdB hatte und ansonsten weniger als 5% und damit zuwenig, um eine Fraktion zu bilden.
Aktualisierung:
Dankenswerterweise wurde ich darauf hingewiesen, dass das nicht stimmt. Die Gruppe der PDS gab es vorher, aber nicht, als nur die beiden direkt Gewählten im Bundestag saßen. Mehr zu verschiedenen Gruppen im Bundestag hier.
Der restliche Bundestag muss dem aber zustimmen, und ob der das dann macht: Who knows. Falls es so eine Gruppe aber geben sollte, gäbe es auch etwas Geld dafür, so wie auch Fraktionen Gelder bekommen, um Leute einzustellen, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Ich weiß nicht, wieviel eine Gruppe bekäme, aber vermutlich weniger, weil sie ja eben einerseits keine Fraktion wäre und andererseits aus weniger MdB bestünde.
Ob das stattfindet, ob dieser Prozess in absehbarer Zeit und vor der nächsten Wahl 2025 abgeschlossen würde: Das kann gerade niemand wissen. Üblicherweise dauern demokratische Verfahren immer länger, je mehr Leute, Gremien, Ebenen beteiligt sind und wenn es das alles bisher so noch nicht gab: Ein Fest für Jurist*innen. Danach müssten sich die dann verbleibenden MdB entscheiden, was sie mit dem Geld machen, wer also wie wen wofür einstellt: Auch das dauert üblicherweile einen Moment.
Wir aber sind bis dahin gekündigt und das wird voraussichtlich praktisch bedeuten, dass wir mit dem Aussprechen der Kündigung aufgefordert werden, unsere Büros auszuräumen, die Schlüssel und die Hausausweise abzugeben und danach freigestellt sind. Alles, womit wir arbeiten, muss zurückgegeben bzw. aufgelöst werden: Das sind einerseits Bücher, Rechner, Möbel, aber vor allem auch das digitalisierte Wissen, mit dem wir arbeiten.
Damit geht dann sehr viel Wissen und Erfahrung verloren und ich gebe zu: Das schmerzt. In einem gewissen Maß gehört das dazu, das wissen auch alle, die in der Politik arbeiten – aber das hier ist doch was anderes.
Andererseits: Es gibt demnächst eine Menge Menschen auf dem Arbeitsmarkt, die krass kompetent sind. Die können in kürzester Zeit zu den unterschiedlichsten Themen Deadlines halten (der Bundestag kennt da nichts), mit einigermaßen wilden Chef*innen und gleich mehreren davon gleichzeitig zurechtkommen, bizarre Themen allgemeinverständlich übersetzen, Beschimpfungen aus allen Richtungen weglächeln und nebenbei noch Ideen entwickeln. Vielleicht braucht die jemand?
Jedem Ende wohnt ein Anfang .. ist ein Mythos, habe ich gerade gelernt, denn tatsächlich heißt es bei Hesse „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Vorher aber erstmal das Ende, und dann mal sehen.
Sollten jetzt noch Fragen offen geblieben sein: Fragt, dazu gibt’s die Kommentare.
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