Ketten bilden gegen den BND

Leaving the Democratic SectorGestern fand ein kleiner Protest gegen den BND in Berlin statt. Etwa 150 Menschen wollten eigentlich eine Kette um den BND bilden, es wurde dann eine Kette vor dem BND.

Ich hatte die Gelegenheit, etwas zum BND und dem Untersuchungsausschuss zu sagen:

Wir stehen heute vor dem neuen Gebäude des BND. Der Bundesnachrichtendienst, der deutsche Auslandsgeheimdienst, demonstriert mit seinem Gebäude seine Bedeutung: er ist groß und mächtig, und auch sehr zentral. Geheimdienste waren lange geheim und unsichtbar: diese Epoche ist jetzt – wieder – beendet.

Ich bin seit ziemlich genau einem Jahr Referentin im sogenannten NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Der Ausschuss hat den Auftrag, die Überwachung der Five Eyes, also der Geheimdienste der USA, von Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland in Deutschland zu untersuchen, und auch die Rolle der deutschen Geheimdienste dabei. Auslöser waren die Veröffentlichungen, die auf den Dokumenten der NSA basierten, die Edward Snowden im Sommer 2013 geleakt hat.

Mit NSA und GCHQ, dem britischen Geheimdienst, haben wir uns bisher kaum beschäftigt. Dafür gibt es verschiedene Gründe: ein wesentlicher ist, dass die Regierungen der USA und Großbritanniens dem Ausschuss wenig Informationen über ihre Geheimdienstaktivitäten geben, und die deutsche Regierung behauptet, sie könne dem Ausschuss ohne Erlaubnis der anderen Regierungen nichts geben. Sie hält also die nicht-öffentlichen Vereinbarungen der Geheimdienste für wichtiger als den für die Untersuchung dieser Praktiken durch das Parlament eingesetzten Ausschuss. Wer kontrolliert eigentlich wen?

Ein anderer Grund ist, dass der Ausschuss sich vor über einem Jahr als erstes Thema die Zusammenarbeit von BND und NSA vorgenommen hat. Sie sollte der Einstieg sein, um dann zu den anderen Kooperationen zu kommen.

Inzwischen hätten wir den Ausschuss längst in BND-Untersuchungsausschuss umbenennen müssen. Was das letzte Jahr zutage gefördert hat, hatte kaum wer erwartet.
Wir erleben, wie Bundesregierung und Vertreter_innen des BND beständig erklären, dass alles nach Recht und Gesetz zugehe. Aber beim genauen Hinsehen ist deutlich geworden, dass der BND die Gesetze sehr freizügig interpretiert. Mehrere Verfassungsrechtler haben als Sachverständige einmütig erklärt, dass die geltende Sicht, dass der Schutz nach Artikel 10 des Grundgesetzes natürlich nicht nur für Deutsche gilt, weil Grundrechte nicht teilbar sind. Dieser Artikel sagt:

„Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich“

Das dazugehörige Gesetz heißt G10-Gesetz und regelt, unter welchen Umständen Artikel 10 verletzt werden darf. Nach Auffassung des BND gilt dieser Schutz aber nur für Deutsche, d.h. alle anderen dürfen ohne Einschränkung abgehört werden. Wie gesagt, selbst der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts, der als CSU-Mitglied von der Union als Sachverständiger benannt worden war, hält diese Interpretation für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Die Bundesregierung ficht das nicht an – es geht alles weiter, wie gehabt.
Dies ist ein Indiz neben vielen anderen, dass es der Bundesregierung vor allem anderen darum geht, dass die Geheimdienste ungehindert machen können, was sie wollen.

Wir haben von der Operation Eikonal erfahren, bei der der BND in Deutschland Daten aus Kabeln der Telekom erfasst und an die NSA weitergegeben hat. Als dass der Telekom unheimlich wurde, bekam sie einen Brief des Kanzleramts, in dem stand, dass das schon ok sei. Eine gesetzliche Grundlage? War nicht nötig, da waren sich alle Beteiligten irgendwie einig und hofften, dass es nie jemand erfahren würde. Wenn aber doch, dann waren die jeweils anderen Schuld.

Als Hans de With, der ehemalige Vorsitzende der G10-Kommission, die solche Eingriffe genehmigt, durch den Untersuchungsausschuss von den Details der Operation erfuhr, war er entsetzt. Er sagte, dass die Kommission diese Eingriffe nie genehmigt hätte, wenn ihr die Details bekannt gewesen wären.

Das G10-Gesetz schreibt glasklar vor, dass der BND, wenn er Telefonate und Internetverkehr abhören will, nur maximal 20% des Inhalts eines vorher definierten Glasfaserkabels erfassen darf. Die restlichen 80% müssen gelöscht werden, und zwar muss das der erste Schritt bei der Erfassung sein. Vor etwa zehn Jahren wurde die Telekommunkation in Deutschland von analog auf digital umgestellt. Das bedeutet, dass keine vollständigen Telefonate durch ein Kabel transportiert werden, sondern viele kleine Datenpakete. Wenn der BND 20% dieser paketvermittelten Kommunikation erfasst, kann er damit nichts anfangen.

Das ist seit 10 Jahren so. Hat der BND protestiert? Die Regierung aufgefordert, etwas zu ändern? Nein. Der BND hat gemacht, was er immer macht: er hat das Gesetz ignoriert. Bemerkt hat das niemand. Eine tatsächliche Kontrolle seiner Arbeit gibt es nicht.

Wir haben erfahren, dass das BSI, dass die Geräte und die Software zertifiziert, die der BND von der NSA bekommt und hier benutzt, gar nicht wirklich prüft. Geprüft werden lediglich die Beschreibungen von Hard- und Software – ob die dann wirklich tun, was dort steht, weiß nur die NSA.

Der BND behauptet, das Metadaten keine personenbezogenen Daten seien. In Pakistan und Jemen werden Menschen mit Drohnen umgebracht. Diese Menschen müssen vorher geortet werden, sonst können die Drohnen sie nicht finden. Der BND erzählt uns, dass Menschen mit den Daten ihrer Handys dort nicht geortet werden können und gibt solche Daten an die NSA.

Im Frühjahr wurde dann bekannt, dass der BND für die NSA deutsche und europäische Unternehmen und Politiker_innen ausspioniert: das Auftragsprofil des BND ist so geheim, dass es nicht mal der Untersuchungsausschuss kennt, aber das gehört wohl ganz sicher nicht dazu. Die Bundesregierung, die für den BND verantwortlich ist und ihn beaufsichtigt, hat alles versucht, um die Details dieser Selektoren geheim zu halten. Sie gesteht nur ein, was absolut nicht mehr unter der Decke zu halten ist und argumentiert auch hier damit, dass die US-Regierung ihr verbiete, dem Parlament darüber zu berichten.

Es sieht so aus, als sei auch das gelogen gewesen.

Die Bunderegierung ist an Aufklärung nicht interessiert. Das sehen wir bei jedem Skandal, den dieses Thema seit Snowden produziert hat – und das waren nicht wenige.
Die parlamentarische Kontrolle findet faktisch nicht statt, weil die Kontrollgremien nichts können, als dem BND seine Märchen zu glauben – oder auch nicht. Aber sie haben keine Möglichkeit, irgendetwas zu prüfen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, wenn die Bundesregierung nach dem Ausschuss noch ein paar mehr Leute in die Kontrollgremien setzt.

Deswegen ist es wichtig, dass wir heute hier sind, um BND und Bundesregierung zu zeigen, dass sie so nicht einfach weiter machen können.

Der BND ist nicht kontrollierbar!

Mit einer Demokratie ist diese geheime Parallelwelt nicht vereinbar.

Die Geheimdienste müssen abgeschafft werden!

Das klingt vollkommen utopisch, und manchen vielleicht auch gefährlich. Aber: Als Ende der 80er Jahre das Atomkraftwerk in Tschernobyl in die Luft flog, hatte sich schon lange Menschen gegen Atomkraft engagiert.

Atomkraft ist unsichtbar, sie tut nicht weh und sie schien lange absolut unverzichtbar. Genau wie die Überwachung. „Wollt Ihr wieder mit Kerzen leuchten?“ sind wir gefragt worten. Es hat noch Jahrzehnte gedauert, aber der Kampf hat sich gelohnt.  Wir werden die Geheimdienste nicht in ein oder zwei Jahren abschaffen, aber wir dürfen nicht aufgeben!

Ich fand schade, dass wir so wenige waren. Es gibt verschiedene Gründe dafür: Einige fanden 12 Uhr am Samstag zu früh, aber das war sicher nicht entscheidend. Viele sind gerade mit der Unterstützung der ankommenden Geflüchteten beschäftigt und das ist auch wirklich gut so. Shit happens. Kette

Die Mobilisierung wurde von mehreren NGOs getragen: Amnesty International, Humanistische Union, Reporter ohne Grenzen, Digitalcourage, Whistleblower-Netzwerk und vor allem von #wastun gegen Überwachung, einer Initiative, deren Start ich selbst vor anderthalb Jahren mit angeschoben habe. Nicht sichtbar beteiligt waren einige relevante netzpolitische Gruppen: CCC, Digitale Gesellschaft, netzpolitik.org, AK Vorrat fallen mir vor allem ein. Am Tag vorher hatten Konferenz und Party zum 11. Geburtstag von netzpolitik.org stattgefunden und waren gut besucht. Beim Camp des CCC war mehr als deutlich, dass Interesse und Engagement zum Thema Überwachung nicht nachgelassen haben.

Mir haben hinterher einige erzählt, dass sie von der Mobilisieurung zu diesem Protest überhaupt nichts wussten: da kann also sicher noch einiges verbessert werden. Das ist nicht als Vorwurf gemeint, ich bin ja selber etwa vor einem Jahr aus der sich entwickelnden -Initiative sang- und klanglos in den Untersuchungsausschuss verschwunden, der mich seitdem mehr oder weniger komplett ‚auffrisst‘.

Vielleicht wäre es an der Zeit, sich mal wieder zusammenzuraufen und ab und zu gemeinsam an einem Tisch zu überlegen, wie Protest jenseits von Artikeln, Konferenzen und Partys stattfinden kann. Sonst müssen wir uns nämlich alle fragen, wie wir später unseren Kindern erklären, was wir eigentlich gemacht haben, als die Demokratie abgeschafft wurde.