Bundesbehörden zahlen in 10 Jahren 1 Milliarde für Überwachungstechnik

Aktualisiert

Weitgehend im Sommerloch untergegangen ist eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag zu deutscher Überwachungstechnologie. Ich habe sie auch nur wegen dieses Artikels bei Zeit Online vor kurzem bemerkt: „Umstrittene Hoflieferanten„.

Das ist schade, denn es steckt eine Menge drin. Die Antwort unterscheidet sich von den meisten Kleinen Anfragen im Bundestag auch deshalb, weil sie ziemlich ausführlich ist. Wobei vieles auch nicht beantwortet wurde:

Die Beantwortung dieser Frage ist der Bundesregierung in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil der Beantwortung der Kleinen Anfrage aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich.

Es bleiben immer noch seitenweise Tabellen dazu, wieviel Geld Bundesbehörden wofür ausgegeben haben.

Darunter: Überwachung mit Trojanern (3x), Überwachung von Skype (3x), Überwachung von Google Mail, MSN Hotmail, Yahoo Mail oder eine Mail-Lizenz für Yahoo und Bit-Torrent (gezählt von Detlef Borchers für Heise). Außerdem der Facebook-Chat.

Die Mail- und Facebook-Überwachung ist auch deswegen interessant, weil eigentlich alle Anbieter sagen, dass sie bei begründeten Anfragen von Behörden sofort alle privaten Daten herausgeben (sonst sähe es ziemlich schlecht aus für ihr Business-Model).

Ein paar Häppchen:

2008 hat DigiTask 2.075.256 Euro für Kapazitätsanpassung der ETSI-Schnittstellen bekommen. Digitask – wir erinnern uns, das ist die Firma, die den Bundestrojaner hergestellt hat, der letztes Jahr vom CCC analysiert wurde. Derselbe Bundestrojaner, der in der Folge so in der Luft zerrissen wurde, dass eigentlich nur damit zu rechnen war, dass niemand jemals mehr wagen würde, den Namen der Firma in den Mund zu nehmen. Aber nicht bei uns. Innenpolitische Skandale werden weiter schweigend ausgesessen.

Zu ETSI und den angeforderten technischen Voraussetzungen für Überwachung in der EU gab es am Freitag einen ausführlichen Artikel von Erich Moechel Polizeizugriff auf neues Handy-Zahlsystem.

Digitask verleiht auch Gerätschaften an Bundesbehörden und verdient viel Geld damit, etwa zum Abhören von Skype. Falls also noch irgendwer hoffte, Skype sei irgendwie sicher: dem ist nicht so. Überhaupt werden in den Teilen der Antwort, die nicht als ‚vertraulich‘ klassifiziert sind, alle Firmen genannt, die Geld für Überwachungstechnik bekommen.

IMSI-Catcher (plus Service) stammen offenbar von der Schönhofer GmbH, die z.B. 2009 456.319 Euro für den Ausbau von GPS-IuK-Fahrzeugen bekommen hat. Firewire Revolution liefert Hard- und Software für Password Remover, Cellebrite Handyauswertungssysteme. Usw. usf. In Berlin-Brandenburg wurde auch WhatsApp ausgewertet (wieder Digitask). Zu den Länder-Details findet sich sonst wenig: vielleicht könnten entsprechende Anfragen auch in den Länderparlamenten gestellt werden?

Es ist nicht überraschend, dass diese Technik benutzt wird, aber interessant, schwarz auf weiß lesen zu können, wieviel Geld den Behörden welche Formen der Überwachung wert sind.

Noch ein paar Zahlen: Das BSI hat von 2002 bis 2011 für Studien und Entwicklungsvorhaben 170.147.000€ bezahlt. 170 Millionen Euro. Das BKA „nur“ 7 Millionen.

Insgesamt wurden seit 2002 für Überwachung 1.633.210.074,21 Euro an private Firmen bezahlt.

Update:

Auch dazu

 

Foto: sortofbreakit, Flickr, CC-Lizenz by-nc

 

Seda Gürses, Michelle Teran, Manu Luksch: Interventionen zu Überwachung

In der Zeitschrift Surveillance & Society, Sonderausgabe zu Surveillance, Performance and New Media Art, 2/2010 erschien (englisch) Ein Trialog über Interventionen im Überwachungsraum: Seda Gürses im Gespräch mit Michelle Teran und Manu Luksch.

Seda Gürses ist Informatikerin, Michelle Teran und Manu Luksch sind Künstlerinnen. Sie unterhalten sich über ihre jeweilige Auseinandersetzung mit Überwachung, und ich möchte das ganz UNBEDINGT allen zum Lesen empfehlen, die sich auch nur im weitesten für das Thema interessieren. Es gibt viel mehr dazu als den trockenen aktivistischen deutschen Lobby-Politikansatz.

Sowohl Michelle Teran als auch Manu Luksch haben die Möglichkeit, Signale von Überwachungskameras aufzufangen, in verschiedenen Kunstprojekten umgesetzt – laange bevor das in Deutschland (in den Medien) bekannt und letztes Jahr ein paar Tage ein Skandal wurde.

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