Alles so gefährlich im Internet, sagen die einen. Ihr habt keine Ahnung, sagen die anderen.
Hier eine Sammlung von Schauerlichkeiten, die mir in letzter Zeit im Netz begegnet sind:
The Independent: Activists warned to watch what they say as social media monitoring becomes ’next big thing in law enforcement‘
Kronanwalt John Cooper beschreibt die Bedeutung von Sozialen Netzwerken für die britische Polizei. In Deutschland sieht das nicht viel anders aus. Ich teile seine Einschätzung, dass Social Media für politisches Engagement Vorteile haben kann, wenn sie mit Bedacht genutzt werden. Dass Polizeien, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste ebenfalls zunehmend dort ermitteln, ist ja nicht überraschend.
Außerdem geht es um Cryptoparties, die britische Extremismus-Polizei-Datenbank, und Occupy London als terroristische Bedrohung.
„These social networks are all, in my opinion, forces for good; I am a great fan. But they are liable to abuse and misuse. And, not only are the police catching up, the courts are too. The Lord Chief Justice is very social media-aware and in fact allowed tweeting from court.
„It is right to say the criminal courts are social media friendly; the law is beginning to understand them. If people continue to use social media in a naïve way then legitimate individuals are probably going to give too much away.“
DLF: Online-Überprüfung potenzieller Straftäter. Kommunikationsanbieter helfen der Polizei
Dazu passt gut dieser Beitrag von Philip Banse im Deutschlandfunk, u.a. mit Ulf Buermeyer, über die Zusammenarbeit von Polizei und Social-Media-Plattformen.
Im zweiten Halbjahr 2011 etwa haben deutsche Behörden demnach über 1.400 Mal Nutzerdaten von Google-Kunden angefragt, in 45 Prozent der Fälle hat Google diese Daten auch geliefert. Ob es nach deutschem Recht erlaubt ist, diese Daten herauszugeben oder nicht, überprüft kein deutscher Richter, sondern allein Google. Sollen etwa ganze E-Mails beschlagnahmt werden, müsste das in Deutschland in der Regel ein Richter anordnen. Bei Google-Mail entscheidet das allein Google. Und so kann es durchaus vorkommen, dass deutsche Ermittler wesentlich mehr Daten bekommen als sie eigentlich angefragt hatten.
Nadir: Plötzlich plappern Anna und Arthur
Eins der Urgesteine des deutschen Digital-Aktivismus, Nadir.org, hat kürzlich im etwas schrulligen Stil der 80er mit der Faust auf den Tisch gehauen und daran erinnert, dass unabhängige Technik- und Kommunikations-Infrastruktur mal aus der Notwendigkeit entstanden ist, ohne staatliche Überwachung zu kommunizieren. Ich teile nicht alles, was sie sagen und vor allem das Vokabular macht mir Gänsehaut, aber ein wahrere Kern steckt schon drin.
Da wir uns seit Jahren mit dem Netz und Computern, Systemadministration, Programmieren, Kryptographie und einigem mehr beschäftigen und teils damit unser Geld verdienen, ist Facebook quasi ein natürlicher Feind für uns. Da wir uns außerdem als Linke verstehen, addiert sich dazu noch eine Analyse der politischen Ökonomie Facebooks, in der „User_innen“ zum Produkt werden, an das gleichzeitig auch verkauft wird.
Pro Publica: Yes, Companies Are Harvesting – and Selling – Your Facebook Profile
Wussten wir irgendwie, aber ein Brief zweier US-Kongress-Abgeordneter förderte kürzlich im Detail zutage, wie große Verbraucherdaten-Firmen Daten über NutzerInnen sammeln, auswerten und verkaufen. Kurz gesagt sammeln sie alles ein, was öffentlich zugänglich ist, werfen es in ihre Datenbanken, erstellen Personenprofile und verkaufen die dann je nach Bedarf. Je detaillierter, desto teurer.
Epsilon, a consumer data company that works with catalog and retail companies, said that it may use information about social media users’ “names, ages, genders, hometown locations, languages, and a numbers of social connections (e.g., friends or followers).”
It also works with information about “user interactions,” like what people tweet, post, share, recommend, or “like.” ..
Other companies, including Acxiom, include social media profile data as part of detailed profiles on individual consumers.
Die Kongress-Mitglieder sind empört.
(Die Annahme, sowas gebe es nur in den USA, halte ich für zu optimistisch. Sachdienliche Hinweise gern in die Kommentare)
Reuters: Social networks scan for sexual predators, with uneven results
Das ist aber nicht alles. Verschiedene Anbieter scannen auch den Inhalt der Kommunikation, die über Netzwerke läuft. Facebook sagt dazu, dass es besser ist, Inhalte von Programmen auf problematische Inhalte überprüfen zu lassen, als dass Facebook-Angestellte selbst die Chats und Postings mitlesen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz ist ein Problem, das real ist und für das es bisher keine von allen akzeptierten Lösungen gibt.
Facebook’s extensive but little-discussed technology for scanning postings and chats for criminal activity automatically flagged the conversation for employees, who read it and quickly called police.
Officers took control of the teenager’s computer and arrested the man the next day, said Special Agent Supervisor Jeffrey Duncan of the Florida Department of Law Enforcement. The alleged predator has pleaded not guilty to multiple charges of soliciting a minor.
Davon auszugehen, dass solche Software nur dazu benutzt wird, sexuelle Übergriffe bzw. die dazu nötigen Kontaktaufnahmen zu verhindern, ist allerdings unrealistisch. Gefüttert mit einer Vokabelsammlung aus dem Themenfeld ‚Extremismus‘ macht sich das für den polizeilichen Appetit im Bereich politische und soziale Bewegungen sicher hervorragend. Und dass bspw. deutsche Behörden viel Geld für Software für die Überwachung von Mail-Providern und Sozialen Netzwerken ausgeben, war ja neulich schon herausgekommen.
Sonst noch:
Baltimore Sun: MTA recording bus conversations to eavesdrop on trouble
Im US-Bundesstaat Maryland werden Gespräche in öffentlichen Bussen aufgezeichnet. Dazu werden Mikrofone in die Video-Kameras eingebaut, die in den Bussen sowieso installiert sind. Alles im Sinne der Verbrechens-Aufklärung und des Service, versteht sich. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU ist nicht begeistert – vor allem, weil genau dies 2009 schon explizit verboten wurde.
„People don’t want or need to have their private conversations recorded by MTA as a condition of riding a bus,“ said David Rocah, a staff attorney with the Maryland chapter of the ACLU. „A significant number of people have no viable alternative to riding a bus, and they should not be forced to give up their privacy rights.“
Das Argument, es müsse für mehr Sicherheit gesorgt werden, ist bekannt. Ungewöhnlich ist, dass die Baltimore Sun dem Artikel ein Video hinzufügt, das über homo-/transphobe Gewalt berichtet.
Deutsche Welle: E-Book is reading you
E-Books sind noch nicht im Bewusstsein überwachungssensibler Menschen angekommen. Daber haben sie jedes Potential. 25% der Deutschen besitzen E-Books, im ersten Halbjahr 2012 wurden 4,6 Mio. E-Books heruntergeladen. Und wievielen ist klar, dass nicht nur ihr Gerät weiß, wie schnell sie lesen und was sie dabei markieren?
E-Books haben zwar viele Vorteile, doch sie bringen auch Risiken mit sich, sagt Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz. Vor allem, wenn man die E-Books von den großen Anbietern herunterlädt. Denn durch eingebaute Synchronisierungsfunktionen in den Leseprogrammen haben diese einen detaillierten Einblick in das Leseverhalten ihrer Kunden. Weichert erklärt auch, warum das so ist:
„Es ist für Amazon oder für andere E-Book-Anbieter total spannend zu erfahren, wer ich bin und für was ich mich interessiere. Wie ich lese, wie schnell ich lese, wo ich Anmerkungen mache und welche sonstigen Lesegewohnheiten ich habe. Alles das kann man zumindest indirekt aus den Nutzungsdaten ableiten.“
Bild: Poster Boy NYC, Flickr, CC-Lizenz