Freies Land für freie Nazis

Ok, nicht ganz, ein paar sitzen ja (noch). Trotzdem ist sich nach einem Skandal, der die Demokratie in einer Weise in Frage gestellt hat, wie selten seit Gründung der Republik, die Ruhe weitgehend wieder hergestellt.

Mely Kiyak hat das heute in ihrer Kolumne in der Berliner Zeitung beschrieben:

Deutscher Neonazi sein – das wär“s! Gibt es etwas Herrlicheres? Zwei Monate ist es her, dass das Serienkillerkommando NSU aufflog. Was folgte? Mit Neonazis zu sympathisieren, muss auch vortrefflich sein. Weil man relaxed zusehen kann, wie der Skandal konsequenzlos bleibt. Für jene, die mit Rechtsradikalen oder Nazis innerlich flirten oder einfach nur vom Moslemhass zerfressene Bildungsbürger sind, ist die Bundesrepublik seit ihrer Gründung eine einzige, Jahrzehnte andauernde Wellnesskur für rechten Geist und Gesinnung.

Köstlicher Zustand, dieses Nazi-Sein! Ein bisschen scheinheiliges Gedenkminüteln im Parlament, hin und wieder ein Kerzenmarsch, ansonsten, freies Land für freie Nazis.

„Schnauze Wessi!“ , eine andere Kolumne, die ständig Sympathiepunkte sammelt, gestern zum einem anderen Aspekt desselben Themas: Thüringer Schläfer, hessische Schlafmützen

Zum einen sind „sächsische“ oder „thüringische Verfassungsschützer“ in Rang und Verantwortung natürlich keine Sachsen oder Thüringer. Vor 21 Jahren übernahmen hier Experten aus Hessen oder Bayern die Aufgaben der Staatssicherheit, selbstverständlich ohne die alten Fachkräfte vor Ort. Anderes als im Westen, wo man nach dem Krieg beim Aufbau einer Art Gestapo mit demokratischer Gewerbeaufsicht auf das personelle Know-how der Vorgänger-Institutionen nicht verzichten wollte, brauchte man deshalb 1990 reichlich Personal an der unsichtbaren Ostfront. So konnte jeder x-beliebige westdeutsche Panzeroffizier Präsident eines Landesamtes werden und muss sich dafür heute als „krasse Fehlbesetzung“schmähen lassen. Allerdings stets als „Thüringer Ex-Präsident“, nie als Ex- oder Export-Westdeutscher.

Metronaut hat schon Anfang der Woche ein entscheidendes Problem benannt: Thüringen, Sachsen, Staatstrojaner: Die wirklich wichtigen Rücktritte bleiben aus

Dieser Wulff-Skandal ist doch eher aus der Kategorie “Geschmäckle”, wenn wir uns die folgenden drei Skandale anschauen, die allesamt folgenlos geblieben sind:

Wo ist eigentlich der Rücktritt von Hans-Peter Friedrich? In Behörden, die seinem Ministerium unterstellt sind, wurde entgegen der Verfassung und mit krimineller Energie der Staatstrojaner eingesetzt. ….

Wo bleibt eigentlich der Rücktritt von Jörg Geibert, dem Innenminister Thüringens? Wo ist eigentlich der Rücktritt von Thomas Sippel, dem Chef des Thüringer Verfassungsschutzes? Immerhin wurden hier Nazis vom Thüringer Heimatschutz jahrelang über die V-Mann-Methode finanziert. …

Wo bleibt eigentlich der Rücktritt von Markus Ulbig, dem Innenminister von Sachsen? In Sachsen werden seit 2009 Funkzellenauswertungen vorgenommen und die Handydaten hunderttausender Menschen widerrechtlich durchforstet und gespeichert. Anstatt die Zivilgesellschaft zu stärken, werden Nazis hofiert und linke Strukturen ausgehorcht, ausgespäht und und mit juristischen Verfahren überzogen.

Die gegenwärtige Bundesregierung wird wohl als Sitzfleisch-Koalition in die Geschichte eingehen.

Alle drei Texte empfehle ich wärmstens ganz zu lesen, mit Humor erträgt es sich ein bisschen besser.

Zum Schluss noch ein Schmankerl aus Sachsen, wo bei der Regierung immerhin angekommen ist, dass eine kleine Charme-Offensive not tut. Doch, wir beschäftigen uns mit dem Rechtsextremismus! Allerdings..

Antifaschismus ist nicht die richtige Antwort, sondern Demokratie. (Markus Ulbig, Innenminister von Sachsen)

 

http://www.youtube.com/watch?v=AXij74X0dA8

Aufruf zu neuen Straftaten in Dresden

Und wieder rufen die SympathisantInnen der illegalen Straftaten zu weiteren Gesetzesbrüchen in Dresden auf. Als ob die Stadt nicht schon genug gelitten hätte.

Seit 2010 wird mit dem bundesweiten Bündnis „DRESDEN NAZIFREI“ dem Aufmarsch der Neonazis in Dresden ein effektiver und eindeutiger Widerstand entgegengesetzt.
Faktisch von Beginn an ist das Bündnis von Antifaschist_innen verschiedener gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Ansichten der Diffamierung, Isolierung und Kriminalisierung sächsischer Justiz und Politik ausgesetzt.

Mit Hilfe des Paragraphen 129 „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ wird mittlerweile gegen ca. 35 Personen strafrechtlich ermittelt.

Die Folgen für die Betroffenen sind nicht abzusehen.

Abzusehen ist jedoch, dass dieser Versuch der schweren Kriminalisierung bürgerschaftlichen Engagements einzig dem Ziel dient, den Widerstand gegen den Naziaufmarsch in Dresden zu spalten, zu schwächen und zu brechen.

Diesem Versuch treten wir mit unserem Videoclip entgegen.

JG-Stadtmitte / Aktionsnetzwerk Jena

RAV: „Sächsische Sicherheitsbehörden offenbar zu allem bereit“

Alles verboten außer die Nazis – das ist ein Teil des Fazits des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV e.V.) zum Umgang mit den den Blockaden des (versuchten) Nazi-Aufmarschs 2011 in Dresden.

Gestern veröffentlichte der RAV seine „Einschätzungen zu den staatlichen Reaktionen auf die antifaschistischen Aktivitäten zum 13. und 19. Februar 2011 gegen den (ehemals) größten Neonaziaufmarsch Europas“. Sie fallen erwartungsgemäß deprimierend aus und enthalten viel Klartext.

Die Appetit-Häppchen:

Es ist

..am 19. Februar 2011 erneut gelungen, den größten Neonaziaufmarsch in Europa zu verhindern. Was in der öffentlichen Debatte als großer Erfolg der Zivilgesellschaft gegen die extreme Rechte wahrgenommen wurde, ist den sächsischen Sicherheitsbehörden ein Dorn im Auge.

 

Für den 13. und 19. Februar 2011 hatte die Dresdener Stadtverwaltung in Absprache mit der Polizeidirektion Dresden ein vollständiges Versammlungsverbot für zivilgesellschaftliche und antifaschistische Kräfte auf der Altstädter Seite der Elbe erlassen, auf die der Neonaziaufmarsch von der Versammlungsbehörde verlegt worden war.

 

Wohl einmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte dürften auch die Fälle von Bodo Ramelow und Dr. André Hahn sein. Den Vorsitzenden der Fraktionen der LINKEN im sächsischen und thüringischen Landtag wurde mit den Stimmen von FDP und CDU, in Sachsen sogar gemeinsam mit der NPD, die parlamentarische Immunität genommen, weil sie am 14. Februar 2010 an Versammlungen gegen Neonazis teilgenommen hatten.

 

Von über 54.000 Mobilfunknutzern wurden die persönlichen Stammdaten erhoben.

 

Sie wollten die antifaschistischen Aktivitäten nachdrücklich bekämpfen und entsprechend kontinuierlich gegen alle Personen und Strukturen vorgehen, die tatsächlich oder scheinbar den Protest tragen. Zu diesem Zweck konstruierten die Dresdner Strafverfolgungsbehörden eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB. …

Einzelne in Gruppen verübte Straftaten zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten wurden kurzerhand als Straftaten einer nicht näher definierten kriminellen Vereinigung deklariert. Keine Rolle spielte es, dass kaum einer der TäterInnen an den jeweiligen Tatorten identifiziert werden konnte. Zu Mitgliedern der Vereinigung wurden diejenigen erkoren, von denen die Staatsanwaltschaft Dresden ausging, dass sie der sächsischen Antifa-Szene angehören. Die Annahme, dass es sich dabei um eine Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handele, wurde mit der augenscheinlichen körperlichen Fitness der vermeintlichen TäterInnen begründet.

 

Die zuständigen Sicherheitsbehörden, allen voran Polizei und Staatsanwaltschaft in Dresden, versuchen mit allen Mitteln, gegen die antifaschistischen Proteste vorzugehen. Die martialische Razzia im Haus der Begegnung am 19. Februar 2011, der Einsatz von Pepperballgeschossen gegen AntifaschistInnen, die Überwachung aus der Luft mit Drohnen, der Einsatz von Wasserwerfern bei Minusgraden gegen nicht gewalttätige Menschenmengen und die bundesweit durchgeführten Durchsuchungen bei AktivistInnen sind weitere Beispiele hierfür.

 

In dieser politischen Auseinandersetzung sind die sächsischen Sicherheitsbehörden offenbar zu allem bereit. Die oben angeführten Beispiele stellen nicht bloß einzelne Überschreitungen rechtsstaatlicher Grenzen dar. Sie bedeuten vielmehr eine systematische Missachtung und Umdeutung bislang geltender rechtsstaatlicher Grundsätze.

 

Dabei werden die Sicherheitsbehörden sowohl von der Allianz aus CDU, FDP und NPD unterstützt, …

 

Wohlgemerkt, es geht hier um die Verhinderung eines Neonaziaufmarschs in einem Bundesland, in dem NaziterroristInnen und rassistische Mörder jahrelang unbehelligt von den Behörden Kapitalverbrechen planen und begehen konnten; einem Aufmarsch, der das zentrale Treffen der deutschen und europäischen Neonaziszene darstellt.

Die vollständige Erklärung des Vorstands des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), Berlin, Januar 2012

Sachsens Demokratie beim 28c3

Wer meinen Vortrag mochte – oder besser: wichtig fand -, sollte auch diesen von der Initiative Sachsens Demokratie sehen. Zwangsläufig wiederholt sich einiges. Das ist nicht zu vermeiden, wenn es zwei Talks zum selben Thema gibt. Hier gibt es aber eine ganze Menge Details, die bei mir fehlen, insbesondere zu den juristischen Folgen des 19. Februar:

Der Osten ist halt braun. …?

Im Magazin der Berliner Zeitung vom Wochenende gibt es einen großartigen Artikel von Sabine Rennefanz: Uwe Mundlos und ich. Eine Betrachtung über die Generation der Nachwendekinder und die neue Mauer in der Gesellschaft.

Lest ihn ganz, es lohnt sich. Ein paar Appetithäppchen:

„Tja“, sagte ein Kollege, der beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet, „der Osten ist halt braun.“ Eine Kollegin von einer überregionalen Zeitung stimmte ihm zu. Sie hatte auch gleich eine Erklärung. Das liege an den Familien in der DDR, an dem staatsverordneten Antifaschismus, der mangelnden Kommunikation. „Die Menschen in der DDR haben sich doch nie mit der Nazizeit auseinandergesetzt, da wurde doch in den Familien nicht drüber geredet.“

Es fiel mir schwer, ruhig zuzuhören, mir war auf einmal heiß, mein Gesicht brannte. Ich kannte die Kollegen nicht so gut. Doch ich wusste, dass sie im Westen groß geworden sind. Ich fragte mich, woher sie wissen wollen, was in Familien in der DDR beredet wurde.

 

…lese ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel unter der Überschrift „Das Gift der Diktatur“. Darin wird behauptet, die Terrorserie sei ein Rachefeldzug der postsozialistisch erzogenen Jugendlichen gegen die pluralistische Gesellschaft im Westen.

Schon nach den ersten Sätzen fällt es mir schwer, weiterzulesen. Schuld seien die Eltern, so die These, weil sie den Kindern kein Mitgefühl und keine Emotionen vermittelt haben.

Das ist echt mal ein interessantes Stereotyp. Ich erinnere mich deutlich daran, dass zumindest in den ersten Jahren nach der Wende (eher: Übernahme) durchaus  beidseitig der Grenze als akzeptiert galt, dass Ossis emotionaler, ‚wärmer‘, mehr auf Zwischenmenschliches fokussierter wären als Wessis. Siehe das benachbarte Bild mit dem besseren Sex. Wann ist das gekippt?

… „Verwahrlosung, höhere Gewaltbereitschaft und fremdenfeindliche Einstellungen waren schon im Kern vor 1989 in der DDR stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik“, schreibt er in einem Beitrag für den Tagesspiegel. Er führt das Neonazi-Potenzial auf die Vollerwerbstätigkeit der Mütter und die Einbindung in „staatliche Institutionen“ zurück.

Die arbeitenden Mütter sind schuld an den Nazis? Heim, Herd, Kristina Schröder? Aber Moment, wird dann deren Kind auch ein Nazi?

Christa Wolf ist auch immer die Ostdeutsche geblieben. In einem Nachruf im Spiegel wird sie als „DDR-Repräsentantin“ beschrieben, um literarische oder gesellschaftliche Relevanz für das vereinte Deutschland geht es nicht, …

Das Beispiel Christa Wolf illustriert wirklich gut, wo die Mauer in den Köpfen zu finden ist. Wieviele große westdeutsche Schriftsteller werden als ‚westdeutsche Schriftsteller‘ beschrieben?

Sobald ein Problem in Ostdeutschland auftritt, wird es zu einem „ostdeutschen“ Thema. Man stelle sich das umgekehrt vor: Die großen Kindesmissbrauchsskandale wurden in Hessen und in West-Berlin aufgedeckt Trotzdem gilt die Pädophilie nicht als westdeutsche Spezialität.

Eben. Und dann geht es um die Nazis:

Uwe Mundlos war 16, als die Mauer fiel. Er war 18, als er seine Lehrstelle zum Datenverarbeitungskaufmann beim Optikunternehmen Carl Zeiss verlor. Das erzählt sein Vater im Spiegel. Danach hat Uwe Mundlos 21 Jahre im vereinigten Deutschland gelebt.

Da gibt’s nicht viel zu rechnen: wo hat er länger gelebt? Was hat ihn stärker beeinflusst?

Wer sich als Jugendlicher in der Nachwendezeit abgrenzen wollte, hatte es nicht so leicht, eine Protestkultur zu finden. Links wie die Westkinder konnte man nicht werden. Die sozialistischen Floskeln, das große Pathos hatten mich schon in der DDR gestört.

An dieser Stelle hätte ich gern, dass die westlinken Sozialismus-FreundInnen sich mal gründlich an die Nase fassen und wenigstens zwei, drei Minuten nachdenken (die ostdeutschen auch).

Und die tolerante westdeutsche Gesellschaft?

Keiner meiner westdeutschen Kollegen hatte in den späten Neunzigerjahren türkische oder arabische Freunde. Auf Partys blieb man unter sich. Fatih Akin durfte seine Filme drehen, sonst sollten Türken bitteschön unsichtbar sein. Das Multikulti-Gerede war schon immer verlogen. In Deutschland, lernte ich, misstraut jeder dem anderen, der nicht so ist wie er selbst.

Sehr bequem, 20 Jahre Nachwendezeit und den west-/gesamtdeutschen Einfluss in dieser Zeit auszublenden. Dabei erinnere ich mich deutlich an den weitreichenden Konsens, dass die westdeutsche Gesellschaft vor der Wende wesentlich weniger konservativ war. Der ideologische Sieg des Kapitalismus‘ war hinterher auch im Westen deutlich spürbar.

Die jungen Ostdeutschen wuchsen in den Neunzigerjahren nicht im luftleeren Raum auf. Es gab eine fremdenfeindliche Stimmung mit der Debatte über das neue Asylgesetz. 1993 wurde das Asylrecht faktisch abgeschafft. Die Gerichte, die Polizei, der Verfassungsschutz, das waren keine DDR-Behörden mehr, sondern gesamtdeutsche Behörden, besetzt mit Personal aus Westdeutschland. Sie haben weggeguckt, als immer mehr Jugendliche in Springerstiefeln herumliefen.

Lest den ganzen Artikel, es steht noch viel mehr drin und gut geschrieben ist er außerdem. Danke an und Applaus für Sabine Rennefanz.