(Dieser Text ist als Twitter– und Mastodon-Thread gestartet und ich habe ihn an die denkend geschrieben, die dort unterwegs sind. Manche politisch aktiv, viele auch nicht, also jenseits von Meinungen via Social Media. Ich freue mich über Diskussion und Kommentar, auch dort.)
Was mich immer wieder beschäftigt: Es fehlt eine Auseinandersetzung der gesamten gesellschaftlichen Linken mit dem Verhältnis zwischen Bewegungen und außerparlamentarischen Organisationen (‚Zivilgesellschaft‘) auf der einen und Parteien in Parlamenten auf der anderen Seite. Sind es politische Gegner*innen, weil auf der falschen Seite, oder zwei Teile der politischen Auseinandersetzung der Gesellschaft, die sich gegenseitig brauchen?
Spoiler: Wahrscheinlich wundert niemand, wenn ich mich als Anhängerin der 2. Option oute.
Was nicht heißt, dass sich alle innig gernhaben müssen. Überhaupt nicht. Im Gegenteil sogar, Kritik ist unbedingt notwendig, aus vielen Gründen.
- Wer im Parlament ständig in Realpolitik verwickelt ist, verliert leicht den Kompass. Das ist normal. Wir alle ändern in Diskussionen unsere Meinung, sonst wäre die Diskussion ja auch überflüssig. Wir nehmen etwas von der Sicht des Gegenübers an, mal mehr, mal weniger. Deswegen ist wichtig, dass Parlamentarier*innen (genauso) viel mit denen reden, die nicht in der Kompromissmaschine stecken.
- Eine deutlich wahrnehmbare Positionierung / Bewegung / Forderung außerhalb des Parlaments stärkt diejenigen, die drinnen ganz anderen Positionen und Mehrheiten gegenüberstehen. Weil sie eben nicht allein sind in ihrer Opposition.
- Demokratie heißt, dass politische Debatten von allen geführt werden. (Da haben wir gerade ein anderes ’spannendes‘ Thema, weil Social Media zeigen, dass wir nicht recht darauf vorbereitet sind, was es heißt, wenn wirklich alle mitdiskutieren und wie das aussehen müsste). Auch die parlamentarische Demokratie bedeutet nicht, dass Politik allein von den selbsterklärten Fachleuten im Parlament gemacht wird. Und übrigens auch nicht allein von und in Medien (und den fünf, die in jeder Talkshow sitzen). Gesellschaft sind alle.
- Politische Forderungen müssen auch überhaupt nicht im Auge haben, ob es realistisch ist, sie umzusetzen, weder jetzt noch später. Sie haben jede Berechtigung, weil es manchmal darum geht zu sagen, wie eine bessere Welt aussehen müsste. Progressiv, links, feministisch zu sein bedeutet, eine Gesellschaft zu wollen, die gerecht und frei von Unterdrückung ist und das ist dann eben eine Utopie. Und sie zeigt die Richtung, in die wir wollen. Über den Weg kann nicht genug diskutiert werden, aber das Ziel ist sicherlich nicht, wie das in Gesetz XY im Parlament genau geregelt wird.
Das allerdings ist der Job von Abgeordneten: zu versuchen, möglichst viel davon im Parlament rauszuholen.